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Prorussische Demo in HannoverAusgebremster Autokorso

Ein prorussischer Autokorso in Hannover soll angeblich nur gegen Diskriminierung protestieren. Tatsächlich ist im Vorfeld Kriegspropaganda im Spiel.

Klare Botschaft bei den Protesten gegen den prorussischen Autokorso in Hannover Foto: Michael Trammer

Hannover taz | Etwa 350 Autos sammeln sich am Sonntagmittag an der Stadionbrücke in Hannover. Es wehen russische Flaggen und es läuft „Katjuscha“, das Lied, nach dem der Rakten­werfer, der auf Deutsch als sogenannte „Stalinorgel“ bekannt ist, im Russischen benannt ist. Einige Biker sind da. Ein Organisator namens Jan, der seinen Nachnamen auf Nachfrage nicht nennen will, hält eine Rede über eine Lautsprecheranlage. „Wir sind nicht hier, um über den Krieg zu sprechen“, ruft er.

Offiziell wird hier gegen „Volksverhetzung, Mobbing und Diskriminierung der russischen Bevölkerung“ demonstriert. Doch schon im Vorfeld drängte sich der Verdacht auf, dass hier andere Ziele verfolgt werden könnten, als lediglich auf antislawistische Ressentiments und Übergriffe hinzuweisen. So heißt es zwar im öffentlichen Aufruf, die vom russländischen Militär bei der Invasion in der Ukraine genutzten Symbole „Z“, „V“ und „O“ seien verboten.

Nichtsdestotrotz postet einer der Administratoren einer Telegram-Messenger-Gruppe, über die der Protest organisiert wird, eben dieses Symbol, verbunden mit dem Aufruf, Freun­d*in­nen zum Korso einzuladen. In einem Mobilisierungsaufruf auf Telegram heißt es: „Wir sind gegen den Krieg – aber Europa will ihn“. Der Redner Jan sagt der taz, es stimme nicht, dass hier Kriegspropaganda verbreitet werde und bricht bei weiteren Nachfragen das Interview ab.

„Diese Autokorsos bedienen sich aus meiner Perspektive einer Vermischungsstrategie, die typisch ist für die russländische Propaganda“, sagt Sergej Prokopkin der taz am Telefon. Der Jurist und Antidiskriminierungstrainer aus Berlin beschäftigt sich mit dem Themenkomplex Antislawismus und der postsowjetischen Community. „Hier werden Parolen gegen Diskriminierung benutzt und gleichzeitig an den russländischen Staat angeknüpft“, sagt Prokopkin. Diese Verknüpfung mit Putin’scher Propaganda äußere sich etwa in den Flaggen als russländische Staatssymbolik.

Russland spielt sich als schützende Macht auf

Die Crux bei der Sache sei, dass ein Teil der Kritik durchaus eine Grundlage habe: „Es gibt antislawistische Ressentiments, Überfälle und Anschläge“, sagt Prokopkin. Vor allem, wenn Kinder betroffen seien, sei das besorgniserregend und eigne sich perfekt für die Instrumentalisierung durch Putin-An­hän­ge­r*in­nen und den Kreml selbst.

So habe die russländische Botschaft eine Extra-E-Mail-Adresse eingerichtet und zur Meldung entsprechender Fälle aufgerufen. Hinweise auf die Polizei oder den Rat, sich bei Antidiskriminierungsstellen zu melden, habe es nicht gegeben. „Das gilt der ganzen russischsprachigen Bevölkerung“, so Prokopkin. Russland spiele sich als schützende Macht auf. „Durch den Zugang über die Medien und das Staatsfernsehen können sie das machen“, so Prokopkin.

In Hannover zieht die Veranstaltung ein gemischtes Publikum an. Hauptsächlich ältere Menschen sind mit ihren Autos gekommen. Viele wollen nicht mit „den Medien“ sprechen, sie seien ja sowieso von den USA diktiert und nicht frei. Einige Ver­tre­te­r:in­nen aus der Querdenker-Szene sind auch dabei.

Vor einem Auto steht eine ältere Frau mit weißem Haar. Natalie K., sagt, sie lebe seit 19 Jahren in Deutschland. Sie wolle hier ein Zeichen für Frieden setzen, weil in letzter Zeit eine Hexenjagd auf russischsprachige Menschen geschehe. „Ich bin zwar gegen Krieg“, sagt Natalie K., „ aber die Spezialoperation war notwendig“ – und folgt damit der Rechtfertigung der Invasion, wie sie von der russischen Regierung verbreitet wird.

Das deckt sich mit Sergej Prokopkins Beobachtungen in Berlin, auch wenn der vor Pauschalisierungen warnt. „Das ist auch ein Innovationskonflikt“, sagt Prokopkin. Die junge Generation sei viel aktiver gegen Putin und den Krieg, Ältere seien dagegen empfänglicher für die Propaganda, die auf bestimmte Identitäten abziele. Deswegen werde mit den Korsos auch eine emotionale Ebene angesprochen. Etwa, dass die Invasion als Aktion gegen Faschismus begründet werde. „Ein hegemoniales sowjetisches Denken ist immer noch vorhanden“, so Prokopkin. Sowjetischer Imperialismus und Kolonialismus seien nicht hinterfragt oder aufgearbeitet worden.

In Hannover wollen viele den Aufmarsch der Russland-Fans nicht unwidersprochen lassen. Direkt am Auftaktkundgebungsort sammeln sich Gegendemonstrant*innen. Etwa zwei mit Shirts mit Putins Konterfei und den Worten „Killer“ darunter. Der „Freundeskreis Hannover e. V.“ hat zu einer Gegenkundgebung am Aegidientorplatz aufgerufen. Laut Polizei beteiligen sich rund 3.500 Menschen daran. Man­che*r kommt nicht ohne historisch fragwürdige Putin-Hitler-Vergleiche auf den Plakaten aus. Auf beiden Seiten der geplanten Route des Korsos stehen Hunderte Menschen mit ukrainischen Flaggen.

Der Oberbürgermeister ergreift Partei

Prominente Unterstützung für die Kundgebung gibt es von Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Anfeindungen gegen russischstämmige Menschen seien ein No-Go und würden in Hannover nicht geduldet, erklärt Onay in diversen sozialen Medien. „Wir nehmen niemanden in Sippenhaft, aber es ist absolut unverständlich, vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine mit russischen Fahnen und einem Autokorso durch unsere Stadt zu ziehen“, so der Oberbürgermeister.

Am Waterlooplatz zwingt eine Sitzblockade einen Teil der Autos zum Umdrehen. Es fliegen Eier; eine ältere Frau mit ukrainischer Flagge stellt sich mitten vor ein Auto, zeigt dem Fahrer den Mittelfinger und reißt eine der unzähligen Fahnen von dem Fahrzeug. Die Polizei reagiert zaghaft. Derweil umzingeln Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen einen Kleinwagen und bewerfen diesen mit Pferdemist. Laut Polizei wurde der Autokorso anschließend umgeleitet.

„Es kommt wirklich nur darauf an, wie die Politik auf die Vorfälle und die Proteste reagiert“, meint Prokopkin. Es sei sehr wichtig zu differenzieren und gegen jede Quelle von Diskriminierung vorzugehen. „Dafür gibt es Strukturen und kritische Medien.“

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12 Kommentare

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  • Am besten gleich Schilder an der Strecke jedes Autokorsos aufstellen: Moskau 2070 km.

    Sorry, aber wenn jemals "dann geh doch nach drüben" gepasst hat, dann bei diesen Leuten. Was tun die hier, wo sie doch angeblich so gequält werden und wenn es in Russland doch so viel besser ist? Was hindert sie, dahin zurückzukehren?

  • Na offensichtlich ist diese "Diskriminierung" mehr als berechtigt.

    • @cuba libre:

      Es ist berechtigt, wenn "Tod allen Russen" an sowjetische Ehrenmähler in Berlin gesprüht wird, als russländisch wahrgenommene Menschen angepöbelt oder angegriffen werden oder "Russischen Supermärkten" die Schaufenster beschmiert und eingeschmissen werden?



      Das alles passiert nämlich, wenn auch zum Glück auf niedrigem Niveau.

  • Finde ich sehr wichtig, diese klare Beschreibung der Zustände und der propagandistischen Aktivitäten. Habe noch ne Verständnisfrage, @Michael Trammer: Russländisch statt russisch, um den kleineren Staat vom größeren Sprachraum, der auch Nicht-Russland umfasst, zu scheiden? Oder was ist der Grund für diese Wortwahl? (Neugier, keinerlei Abwehr, meinerseits)

    • Michael Trammer , Autor des Artikels,
      @hierbamala:

      Hi, genau es geht mir um die Differenzierung zwischen russischer Sprache und russländischem Staat. Ich finde die Unterscheidung gerade im Kontext der Korsos relevant, da diese sich gezielt an alle russischsprachigen Menschen richten und die dann schnell alle zu "Russ*innen" werden, für die der Putin'sche Propagandaapparat kämpft. Viele Grüße michi

    • @hierbamala:

      Es ist ein Unterschied, den es auch auf Russisch gibt, um z. B. ethnische Russen von Leuten mit russischer Staatsangehörigkeit zu unterschieden.

      In der Armee Russlands dienen ja auch Jakuten, Tartaren, Basckiren, etc.

      Deshalb ist der Begriff hier durchaus berechtigt.

  • Mit dem Vorgehen gegen die Demonstranten: Eierwurf, Pferdemist, Gewalt gegen die Autos, und dem Gewährenlassen durch die Polizei gibt man Putin Munition für seine Propaganda. Genau das ist antirussischer Rassismus, den er beklagt. Ein kluger Gegenprotest hätte hier maßvoller agiert. So treibt man Deutschrussen in Putins Arme, die sich zu Recht diskriminiert fühlen.

    • @TeeTS:

      Da ist sie wieder, die Angst vor Putin. Der erfindet wenn nötig Diskriminierung, false flag usw. Wäre ich wie er motiviert, ich würde Ehrendenkmäler beschmieren lassen.

    • @TeeTS:

      Gewalt gegen Autos? Das währe bestenfalls Sachbeschädigung, was aber mit Eiern und Pferdemist schwer ist. Richtige Antwort auf die nationalistische Provokation. Man sollte aber nicht von den Paar Idioten auf alle Menschen aus Russland schließen. Es gibt auch viele Russen hier die Putin scheiße finden.

    • @TeeTS:

      Umgekehrt gibt auch jeder abgeschlachtete ukrainische Zivilist "Munition für "antirussischen Rassismus"" - und erst recht, weil tatsächlich ZU recht, jeder prorussische Autokorso.

    • @TeeTS:

      Ich bezweifle, dass ein, zugegebenermaßen rabiates bis fragwürdiges Einschreiten gegen die demonstrierte Kriegsrechtfertigung Rassismus ist.

      Selbst wenn das Putin Munition lieferte, er hat die doch gar nicht nötig.



      Derartige Geplänkel haben doch keinerlei Auswirkungen auf irgendeine russische Politik.



      Ob jetzt eben diese Demonstrant*innen von latenter zu offener Unterstützung der "Spezialoperation" wechseln, wird nur im persönlichen Umfeld zu bitteren Konsequenzen führen. Herr Putin kommt aber auch ohne diese genau da hin, wo er hin will. Per freier Meinungsäußerung wird ihn da niemand hindern.

    • @TeeTS:

      Wir geben Putin so oder so Munition für seine Propaganda, da wir an dem Krieg zwar nur indirekt beteiligt, wohl aber parteiisch und somit eindeutig positioniert sind … wobei ich durchaus einräume, dass das Wörtchen „wir“ in diesem Zusammenhang schon problematisch ist. Sie mögen da durchaus eine andere Sicht auf die Dinge haben als ich es tue.



      Diskriminierung von Russen, Russischsprachigen bzw. -stämmigen, Deutschrussen, Russlanddeutschen, wie auch immer … das sollte es aufgrund der Herkunft nicht geben und es trifft auf meine entscheidende Ablehnung, den Krieg zu instrumentalisieren, um russophobe Ressentiments zu schüren. Und die gibt es mit Sicherheit.



      Aber auch alle Verachtung denjenigen, die jetzt noch Putins Vernichtungskrieg in der Uktaine legitimieren, relativieren, verharmlosen oder gar noch unterstützen … und das zeige ich denen auch. Stinkefinger und Pferdemist sind da schon probate Mittel für Putin-Freunde, die sich ausschließlich als Opfer sehen, sich aber in ihren Autos verschanzen, um jeglichen Disput zu vermeiden