Geflüchtete in Schneeberg: Nur ein bisschen Würde

In einem maroden Heim im Erzgebirge sind Hunderte Geflüchtete untergebracht. Die Menschen sind frustriert und warten darauf, wegziehen zu dürfen.

Männer stehen vor einem Gebäude, alle haben die HÄnde in den Hosentaschen

Die Unterkunft in Schneeberg sollte schon mehrfach geschlossen werden Foto: Peter Endig/picture alliance

Schneeberg taz | Fünf Menschen trotten über das abgeerntete Feld den Hang hinab und verschwinden hinter dem nächsten Hügel. In ungefähr 40 Minuten erreichen sie den Supermarkt im Nachbarort Zschorlau. Sie wohnen in der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete, die isoliert am Ortsrand von Schneeberg liegt, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirge. Hier fährt kein Bus, hier gibt es keinen Supermarkt um die Ecke.

Die drei vierstöckigen Gebäuderiegel der ehemaligen Kaserne liegen hinter einem hohen Zaun, der oben mit Stacheldraht versehen ist. Am Eingang scannt der Sicherheitsdienst die Unterkunftsausweise zurückkehrender Bewohner:innen, durch die Drehtür betreten diese das abgeriegelte Gelände. Dann Taschenkontrolle: Alkohol und Drogen dürfen nicht mitgebracht werden, genauso wenig wie Teppiche oder Fernseher.

Aktuell sind um die 630 Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder Libyen in Schneeberg untergebracht. Niemand aus der Ukraine – nicht mehr. Anfang März waren zwar 138 Ukrai­ne­r:in­nen in Schneeberg angekommen, aber „sie haben wegen der schlechten Umstände vor dem Gebäude protestiert und sich geweigert zu essen“, so beschreibt es Sara Awad, die seit mehreren Wochen in der Unterkunft wohnt. Nach wenigen Tagen seien sie mit Bussen in eine Unterkunft nach Chemnitz gebracht worden. „Ihre Beschwerden wurden erhört und bei uns wird sogar die Bitte nach einem Klempner ignoriert.“

Viele warten hier fünf, sechs, zwölf Monate auf ihr Interview mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und darauf, in eine bessere Unterkunft umziehen zu können. Dabei sind in Sachsen eigentlich nur maximal drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung vorgesehen.

Sara Awad, Bewohnerin der Erstaufnahmeeinrichtung in Schneeberg

„Ihre Beschwerden wurden erhört und bei uns wird sogar die Bitte nach einem Klempner ignoriert“

Seit der Abfahrt der Ukrai­ne­r:in­nen wächst unter den verbleibenden Be­woh­ne­r:in­nen der Unmut über die Situation in Schneeberg. Viele fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie monatelang in der unbeliebten Unterkunft ausharren müssen. Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat haben seitdem mehr Beschwerden erreicht: „Die Menschen sehen, dass es auch anders geht. Viele Ukrai­ne­r:in­nen wurden hier innerhalb eines Tages versetzt. Dadurch wächst die Frustration unter den Bewohner:innen, die schon lange darauf warten.“

Sara Awad steht vor der Unterkunft auf der Straße, ihre schwarzen Haare hat sie im Nacken zusammengebunden. Sie trägt Lippenstift, der farblich auf ihren lila Pulli abgestimmt ist. Eigentlich heißt Sara Awad anders, aus Sorge, dass ihre Schilderungen ihr Asylverfahren negativ beeinflussen könnten, werden ihr richtiger Name und ihre Nationalität hier nicht genannt. Hinter dem Zaun hat sich vor dem mittleren Gebäude eine Traube aus Menschen gebildet. „Heute ist Taschengeldtag“, erklärt sie. Am Morgen hätte sie auch schon mehrere Stunden angestanden, um die 80 Euro abzuholen, die sie wöchentlich für sich und ihre zwei Kinder bekommt.

Von den 80 Euro bezahlt sie Hygieneartikel oder eine Fahrt nach Chemnitz. Das meiste Geld gehe aber für Lebensmittel drauf, die sie dazukaufen muss. „Sonst gehen meine Kinder hungrig ins Bett. Die Portionen sind viel zu klein und Nachschlag bekommen wir auch nicht“, sagt sie. Morgens und abends gebe es ein paar Scheiben Toast mit Butter und Marmelade. Ein Foto des Mittagessens zeigt eine Portion Kartoffeln mit Erbsen und einem kleinen Stück paniertem Fleisch. Die Aluform, in der es serviert wird, ist nur zur Hälfte gefüllt.

Ungleiche juristische Lage sorgt für Frust

Um sich ein Bild über die Lage vor Ort zu machen, ist Dave Schmidtke mit zwei Kolleg:innen, die dolmetschen, nach Schneeberg gefahren. Sie verteilen Visitenkarten, weisen die Geflüchteten auf ihre Rechte hin und bieten Hilfe beim Ausfüllen des Transferantrags an. Schnell bildet sich eine große Menschengruppe um die drei, der Bedarf an Beratung ist riesig. Normalerweise kommen pro Woche zwei Mit­ar­bei­te­r:in­nen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach Schneeberg und vergeben für den Tag 40 Termine. Schmidtkes Kollege erzählt, dass sich Be­woh­ne­r:in­nen teilweise um 3 Uhr nachts in die Schlange stellen, um morgens einen Slot zu ergattern.

„Auch die ungleiche juristische Lage sorgt für Frustration“, sagt Schmidtke. Die Ukrai­ne­r:in­nen könnten sich nach ihrer Registrierung eine Arbeit suchen oder Sozialhilfe beantragen. Nachdem die Taliban im August 2021 die Macht in Afghanistan übernommen hatten, seien hingegen lediglich Abschiebungen nach Afghanistan gestoppt worden, eine Aussicht auf Familiennachzug gebe es zum Beispiel nicht.

Sara Awad freut sich für die Ukrai­ne­r:in­nen über die Solidarität, die ihnen entgegengebracht wird. Auch Schmidtke betont, dass die schnell umgesetzten Hilfeleistungen für die Ukrai­ne­r:in­nen richtig und wichtig seien. Trotzdem stelle sich die Frage, warum ähnliche Maßnahmen nicht schon in den vergangenen Jahren ergriffen wurden, warum viele Geflüchtete beispielsweise nicht arbeiten dürften. Für Schmidtke bleibt deshalb ein „bitterer Beigeschmack“ zurück.

Auch im Schneeberger Alltag seien die Ukrai­ne­r:in­nen bevorzugt worden, erzählt Awad. Sie ist aufgebracht und ihre Liste lang: Einen Tag vor ihrer Ankunft hätten plötzlich Kaffee und Tee beim Frühstück gestanden. Zuvor habe es nur heißes Wasser an der Rezeption gegeben. Die Ukrai­ne­r:in­nen hätten im Gegensatz zu ihr neue, saubere Bettwäsche bekommen. Container mit Duschen und Toiletten wurde vor ihrem Gebäude aufgebaut. Awad teile sich mit den 30 anderen Frauen auf ihrem Stockwerk plus Kindern derzeit zwei ramponierte Toiletten. Eine Kabinentür ließe sich nicht mehr schließen, eine der Klobrillen sei gebrochen. Die übrigen Toiletten und auch die Mehrzahl der Waschbecken seien seit Monaten defekt. Ihre Bitte nach einem Klempner wäre noch nicht erfüllt worden. Sie wischt durch Fotos mit randvollen, verstopften Kloschüsseln und Waschbecken.

Schlechte Versorgung mit Absicht?

Die für die Unterkunft in Schneeberg zuständige Landesdirektion Sachsen weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück: „In den Unterkünften der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz. Das heißt, alle Flüchtlinge werden – unabhängig von ihrer Herkunft – gleich behandelt.“ Über defekte Sanitäranlagen seien sie nicht informiert.

Schmidtke vermutet Absicht hinter der schlechten Versorgung: „Sie glauben, dass einige dadurch in ihre Heimatländer zurückgehen.“ Die Transfers in bessere Unterkünfte hätten in den letzten Jahren schneller erfolgen können, wenn mehr Wohnungen zur Verfügung gestellt worden wären. „Den Platz haben wir in Sachsen, aber Schneeberg ist billig und hier können viele Leute an einem Ort untergebracht werden“, erklärt er. Mehrfach sollte die Unterkunft schon geschlossen werden, aber im Endeffekt „scheitert es am politischen Willen, die Lage für die Menschen zu verbessern“.

Stattdessen sei die Situation jetzt chaotisch. Damit die Ukrai­ne­r:in­nen Schneeberg verlassen konnten, mussten um die 200 Geflüchtete aus einer Unterkunft in Chemnitz stattdessen nach Schneeberg verlegt werden. Nach ihrer Zustimmung werden Geflüchtete generell nicht gefragt. Sie erhalten die Nachricht per Brief oder finden ihren Namen auf einer aushängenden Transferliste.

Laut Landesdirektion Sachsen sei dieser Tausch nötig gewesen, um die ukrainischen Geflüchteten gemeinsam in Chemnitz unterzubringen. Dies habe auch organisatorische Gründe, wie die schnelle Registrierung der Menschen aus der Ukraine. Man habe einen Teil der Ukrai­ne­r:in­nen zuerst nach Schneeberg gebracht, weil in Chemnitz vorerst nicht genügend Platz war. Proteste der Ukrai­ne­r:in­nen gegen die Unterbringung in Schneeberg seien der Landesdirektion hingegen nicht bekannt.

Gefühl der Ungleichbehandlung

Ein solches Umhergeschiebe findet nicht nur in Sachsen statt. Deutschlandweit werden Unterkünfte geräumt und Menschen verlegt, um Platz für Ukrai­ne­r:in­nen zu schaffen, so auch in Berlin. Eine Sprecherin des Berliner Landesamts für Flüchtlingsangelegenheiten nennt dafür logistische Gründe. Es sei praktischer, wenn Unterkünfte nur von Ukrai­ne­r:in­nen bewohnt würden, weil diese zum Beispiel Windeln, Babynahrung oder Menstruationsprodukte bräuchten – Artikel, die normalerweise nicht auf Einkaufslisten von Geflüchtetenunterkünften stünden, weil in den letzten Jahren überwiegend Männer nach Deutschland geflohen sind. Auch der Weitertransport per Bus in andere Bundesländer sei dadurch einfacher, weil dieser dann nicht verschiedene Unterkünfte abklappern müsse. Es sind einleuchtende Gründe, die den umverteilten Geflüchteten allerdings nicht kommuniziert werden.

Ähnlich wie Schmidtke beobachtet auch Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, die Räumungen der Unterkünfte mit Sorge. Sie könnten den Zugang zu Sprachkursen erschweren, für Kinder könnten sie einen Schulwechsel bedeuten. Das könne „fatal“ sein für die nachhaltige Integration der Menschen, die vor längerer Zeit hierher geflohen seien. Burkhardt warnt davor, dass Räumungen Unmut und das Gefühl schüren, „dass sich Zugangschancen zu Wohnungen und Integration in Deutschland nach Hautfarbe oder Herkunft richten. Das ist inakzeptabel und sozialpolitisch falsch.“

Bei Sara Awad hat der Austausch der Be­woh­ne­r:in­nen in Schneeberg das Gefühl ungleicher Behandlung bereits geweckt. Denn die Ukrai­ne­r:in­nen hätten das Privileg, in der besseren Unterkunft in Chemnitz untergebracht zu sein. „Wir sind alle Menschen, das ist nicht fair“, sagt sie leise. Es gehe ihr nicht darum, in einer schicken Unterkunft zu wohnen, sondern nur „um ein bisschen Würde“. Zum Beispiel darum, die Toi­let­ten­tür schließen zu können.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.