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Krieg in der UkraineGeflüchtete zweiter Klasse

Nicht-ukrainische Geflüchtete aus der Ukraine werden in Deutschland teilweise von der Polizei aus dem Zug geholt. Pro Asyl sieht darin Schikane.

Ankunft von Geflüchteten aus der Ukraine am Montag, 7.3., in Frankfurt Oder Foto: Imago

Berlin taz | „Bearbeitungsstraße“ heißt der Ort im Behörden-Deutsch, eine ehemalige Lagerhalle im Gewerbegebiet von Markendorf, einem Stadtteil von Frankfurt (Oder). Seit ein paar Tagen ist er erste Anlaufstelle für viele in Deutschland ankommende nicht-ukrainische Geflüchtete aus der Ukraine. Sie wollen in meist voll besetzten Zügen aus Polen Richtung Berlin fahren, werden aber, wenn die Papiere von der Bundespolizei nicht auf den ersten Blick eindeutig überprüft werden können, aus dem Zug geholt. Muss das sein, nach in der Regel tagelanger Flucht bei womöglich traumatisierten Geflüchteten? Müsste das nicht von der Bundespolizei trotz der angespannten Situation mit täglich Hunderten oder sogar Tausenden Geflüchteten tunlichst vermieden werden?

Das Vorgehen trifft in größerer Zahl auch Menschen, die sich am 24. Februar, zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns, zum Studium in der Ukraine aufgehalten haben, darunter viele aus afrikanischen oder asiatischen Ländern. Karl Kopp von Pro Asyl ist empört. „Mindestens handelt es sich um Schikane“, sagt er der taz. „Ich habe sogar den Eindruck, hier wird nach irgendwelchen Kriterien entschieden, die eher in die Kategorie Racial Profiling fallen. Wenn ich Schutzsuchenden unbürokratisch helfen will, mache ich keinen Showdown in einer,Bearbeitungsstraße'. Man fragt sich: wieso, weshalb, warum?“

Viele Hel­fe­r:in­nen fürchten, dass Menschen ohne ukrainischen Pass als Kriegsflüchtlinge zweiter Klasse gelten könnten. Auch die neue Rassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), hat deshalb gefordert, dass jedem Geflüchteten aus der Ukraine unabhängig von Herkunft und Nationalität Schutz und Hilfe geboten werden müsse.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser sichert zu, dass dies die gängige Praxis ist. Ein Sprecher ihres Ministeriums erklärt der taz, die Bundespolizei verzichte „in dieser konkreten Ausnahmesituation“ bei Kontrollen auf „einige ansonsten notwendige Einreisevoraussetzungen, wie zum Beispiel ein erforderliches Visum oder den erforderlichen Aufenthaltstitel, sowie einen Zweck-Mittel-Nachweis“. Die Personen – und zwar ausdrücklich auch Drittstaatsangehörige – müssten lediglich „glaubhaft machen“, dass sie einer „Vertriebenensituation aus der Ukraine zugeordnet werden können“. Die entsprechende Verordnung steht seit 7. März im Bundesanzeiger.

„Witterungsgeschützt in der Bearbeitungsstraße“

Und trotzdem: Mutmaßen die Be­am­t:in­nen bei Personen in den Zügen aus Polen „erhebliche Zweifel an einer Vertriebeneneigenschaft“, „werden sie gebeten, den Zug zu verlassen“, wie es der Ministeriumssprecher ausdrückt. Und weiter: „Die bestandsbildenden Identitätsfeststellungen erfolgen aus Kapazitätsgründen witterungsgeschützt in der,Zentralen Bearbeitungsstraße' in Frankfurt OT Markendorf.“ Dort werden die Personen auch verpflegt und es gibt Ruhebereiche mit Liegen, um sich zu erholen. Letztlich gehe es der Regierung um den Spagat zwischen „rascher Schutzgewährung für alle Kriegsflüchtlinge“ und „Wahrung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse“.

Die Berliner Rechtsanwältin Berenice Böhlo will sich mit der „Bearbeitungsstraße“ nicht anfreunden. Sie kümmerte sich am vergangenen Freitagabend um drei Studentinnen und einen Studenten, die zum Studium in der Ukraine waren. Sie hätten eigentlich um 18.16 Uhr am Berliner Hauptbahnhof ankommen sollen, mussten aber, obwohl sie Studentenvisa für die Ukraine haben, in Frankfurt (Oder) aussteigen. Fast 24 Stunden blieben sie in Markendorf, bevor sie mit einem Bus wieder zum Bahnhof gefahren wurden. Mehr als 100 Geflüchtete sollen sich zu diesem Zeitpunkt in Markendorf aufgehalten haben, überwiegend People of Colour.

„Schutzbedarf ist nicht abhängig von Staatsangehörigkeit“

Die mit damals 50 Be­am­t:in­nen besetzte Einrichtung war erst Anfang November vergangenen Jahres von der Bundespolizei in Kooperation mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eröffnet worden – zur Registrierung von unerlaubten Einreisen über Belarus und Polen. Der Betrieb wurde zwischenzeitlich ausgesetzt, nach Ausbruch des Krieges lief er nun mit neuem Schwerpunkt wieder an.

Die Anwältin Böhlo sagt, dass die Geflüchteten dort zwar gut versorgt worden sind. Essen, ärztliche Versorgung und auch Betten seien vorhanden gewesen. Die nach ihrer Darstellung offenbar „systematische“ Praxis im Umgang mit Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen aber kritisiert sie, „abgesehen von der Problematik der Freiheitsbeschränkung“. Böhlo fordert die deutschen Behörden auf, sich an die EU-Regeln zum „pragmatischen Umgang“ mit den Kriegsflüchtlingen zu halten. Mit anderen Worten: sie ohne Zwischenstopp bis Berlin durchreisen zu lassen und offene Fragen gegebenenfalls dort zu klären.

Eine Flüchtlingshelferin, die sich ebenfalls um die vier Studierenden aus dem Kongo kümmerte, sieht das ähnlich. „Schutzbedarf ist nicht abhängig von der Staatsangehörigkeit“, sagt sie. Die Behörden in Deutschland seien zu den kongolesischen Studierenden freundlicher gewesen als die in der Ukraine und in Polen. Dennoch: Den Leuten seien in Markendorf Handys und Pässe abgenommen worden, der Kontakt zu Hel­fe­r:in­nen brach ab. Auch sei die Versorgung in der Darstellung dieser Helferin nicht optimal gewesen. Einige Geflüchtete hätten am Wochenende auf Stühlen schlafen müssen, weil die Betten nicht gereicht hätten. „Ein retraumatisierender Umgang mit Menschen“, bewertet sie.

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13 Kommentare

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  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    „Schutzbedarf ist nicht abhängig von Staatsangehörigkeit“

    Naja, einen Dänen oder Spanier würden wir wohl nicht als Schutzbedürftig in Deutschland ansehen. Wenn die Leute ein Heimatland haben, können Sie ja hier aufgenommen und dann von den jeweiloigen Heimatländern abgeholt werden. Was diese ja wohl auch oft anbieten. Es geht ja auch nur um eine sehr geringe Anzahl.

  • Studenten, die einfach in ihr Heimatland zurück können, sind doch eigentlich Flüchtlinge erster Klasse.

    Klar muss man auch ihnen helfen, aus der Ukraine rauszukommen.

  • Merke - Bundespolizei ist ein umfirmierter paramilitärischer BundesGrenzschutz!



    Was also steht zu erwarten?



    & Vor allem=>



    Gemäß Art 30 des Grundgesetzes - ist Polizei Ländersache - nicht Bundessache •

    unterm———- servíce



    “Nach dem Grundgesetz ist Polizei wie die Ausübung aller staatlichen Befugnisse grundsätzlich Ländersache, vgl. Art. 30 GG. Organisation, Aufgaben und Befugnisse sind in erster Linie in den Polizeigesetzen der Länder geregelt, in einigen Ländern ist ersteres Gegenstand eines separaten Polizeiorganisationsgesetzes.“



    Die Umfirmierung ohne Grundgesetzänderung ist verfassungswidrig •

    • @Lowandorder:

      Verstehe ich Sie richtig, es gibt also gar keine Bundespolizei?

      • @M.Wistrach:

        Nur - weil etwas verfassungswidrig umfirmiert worden ist - ist es doch Verfassungswirklichkeit: Sein & Sollen sind leider nicht immer zwingend kompatibel - wie so häufig im realen Leben. Humes Gesetz =>



        “ Als Humes Gesetz wird ein metaethisches Prinzip bezeichnet, wonach nicht von einem Sein auf ein Sollen geschlossen werden kann bzw. nicht von einer Menge rein deskriptiver Aussagen ohne weiteres auf normative oder präskriptive Aussagen logisch geschlossen werden kann.“ - servíce -



        de.wikipedia.org/wiki/Humes_Gesetz

        • @Lowandorder:

          Ich bedanke mich für diese Aufklärung, die - da nicht im Dialekt - auch für Nichtdeutsche zu verstehen ist.

          Man hat also am BGS-Gesetz ein wenig herumgeschraubt und denkt, es merkt keiner, obwohl man das GG hätte ändern müssen.

          Da Sie, vermute ich aufgrund der Vielzahl der Kommentare, Sachkompetenz und Zeit haben, genau diesen Zustand zu ändern, frage ich, warum Sie das nicht tun?

          • @M.Wistrach:

            Hola. Mit mei dreiviertel+Jahrhundert



            Ehr Vorschlag doch a weng mich wundert - 😲 -



            Neinnein - da liegt kein Segen drauf! 🎏



            Schaut arg nach Arbeit aus & schnauf🥳

        • @Lowandorder:

          Da der Morgenstern ist schon verblass



          Kommt dieses 🌞sinnig gut zu pass:

          “ Palmström, etwas schon an Jahren,



          wird an einer Straßenbeuge



          und von einem Kraftfahrzeuge



          überfahren.

          "Wie war" (spricht er, sich erhebend



          und entschlossen weiterlebend)



          "möglich, wie dies Unglück, ja -:



          daß es überhaupt geschah?

          Ist die Staatskunst anzuklagen



          in bezug auf Kraftfahrwagen?



          Gab die Polizeivorschrift



          hier dem Fahrer freie Trift?

          Oder war vielmehr verboten,



          hier Lebendige zu Toten



          umzuwandeln, - kurz und schlicht:



          Durfte hier der Kutscher nicht ?"

          Eingehüllt in feuchte Tücher,



          prüft er die Gesetzesbücher



          und ist alsobald im klaren:



          Wagen durften dort nicht fahren!

          Und er kommt zu dem Ergebnis:



          "Nur ein Traum war das Erlebnis.



          Weil", so schließt er messerscharf,



          "nicht sein kann, was nicht sein darf."



          —-



          www.deutschelyrik....iche-tatsache.html servíce - 😎

  • Es muss doch beides gehen: Großzügig, unbürokratisch helfen und trotzdem nicht kompletter Kontrollverlust. Wir haben jetzt ein SPD-geführtes Innenministerium. Frau Faeser hat die Bundespolizei doch hoffentlich im Griff.

    Was ich lese, hört sich nach einem guten Zeugnis an: "Die Behörden in Deutschland seien zu den kongolesischen Studierenden freundlicher gewesen als die in der Ukraine und in Polen." Dass für Menschen aus Drittstaaten nochmal andere Regeln gelten als für Ukrainer, ist auch aus anderen Gründen nachvollziehbar: Sie haben ja eine erste Heimat, in die sie jetzt zurückkehren können. Das ist jetzt auch dran, damit wir Kapazität für die haben, die das im Moment nicht können.

  • Die Forderung, auf jede Prüfung zu verzichten, hat sich 2015 nicht bewährt. Daher prüft man jetzt wenigstens grob, ob es stimmig ist ("glaubhaft machen" verlangt nicht mehr, also keinen Beweis), dass man aus der Ukraine kommt (nicht unbedingt stammt) - und dann darf man weiter.

    Aber man will eben keine "Trittbrettfahrer", die es in solchen Situationen nun mal gibt. Wie viele Syrer von 2015 waren dann doch keine?

  • Wir erleben als Land eine Ausnahmesituation. Jeder vor Krieg flüchtenden Person wird bei uns Schutz gewährt. Es ist aber nicht unmenschlich, wenn Studierende aus Drittstaaten, wie z.B. der Türkei, in Deutschland den Rückflug in ihr Heimatland antreten (können). Das ist weder AfD noch rechts oder unmenschlich. Es ist einfach ganz der Rechtslage entsprechend.

    Wir sollten dieses Thema der angeblich zweitklassigen Flüchtlinge nicht dramatisieren. Viele ehrenamtliche Helfer/innen und Mitarbeitende in Kommunen werden in diesen Wochen wieder über sich hinauswachsen.

    Wenn Personen aus einem sicheren Drittstaat kommen, wo gerade keine russischen Bomben fallen...dann ist es nicht gegen die UN-Charta, wenn diese Personen nach Hause gehen! Wie gesagt, es ist eine Ausnahmesituation mit womöglich 10 Millionen Geflüchteten. Da wird jedes Bett benötigt.

  • Menschen, die nicht ukrainische Staatsangehörige sind, haben ggf. noch eine sichere Heimat, in die sie jetzt zurückkehren können. Natürlich muss zunächst jedem, der aus der Ukraine flieht, unbürokratisch geholfen werden. Selbstverständlich ohne Ansehen der Staatsangehörigkeit oder gar der ethnischen Herkunft. Trotzdem kann es wichtig sein, zu wissen, wer jetzt ins Land kommt. Aus sicherheitspolitischen Gründen und auch um festzustellen, wer dauerhaft Schutz in Deutschland benötigt, und wer eine sichere Heimat außerhalb Deutschlands hat, in die er zurückkehren kann.

  • Natürlich muss jedem geholfen werden, der sich in der Ukraine aufgehalten hat. Man kann doch einfach eine Befragung auf Ukrainisch/Russisch durchführen. Wenn jemand dort studiert hat, wird er ja wohl eine dieser beiden Sprachen sprechen, könnte ich mir vorstellen. Falls nicht, stelle ich mir das alles etwas schwer vor.