Flucht ausgegrenzter Menschen: Ein Shuttle für die Vergessenen

Menschen, die ohne europäischen Pass aus der Ukraine flüchten, haben es schwer. Ak­ti­vis­t*in­nen haben für sie Busse nach Hamburg organisiert.

Geflüchtete aus der Ukraine stehen kurz hinter dem Grenzübergang von der Ukraine nach Polen für einen Bus an.

Für People of Color oft unerreichbar: Warteschlange vor einem Bus für Geflüchtete in Medyka Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Die erste Tour machten die Ak­ti­vis­t*in­nen Anfang März. Mit mehreren Bussen holten sie nach eigenen Angaben rund 120 Menschen aus Warschau ab. Fast alle von ihnen People of Color (PoC), viele ohne europäischen Pass, einige ganz ohne Papiere.

„Als wir wieder in Hamburg waren, haben wir die Menschen verteilt“, erzählt ein Aktivist, der sich Erich nennt. „Ein Teil der Leute wollte gleich weiter zum Bahnhof, nach Berlin, Würzburg oder Augsburg. Ein anderer Teil hatte hier Freun­d*in­nen und Verwandte. Wirklich wenige hatten nichts.“ Die Menschen ohne Kontakte wurden zunächst privat untergebracht.

Hinter den Fahrten steckt ein Zusammenschluss antifaschistischer und anarchistischer Gruppen, die mit Organisationen wie „Asmaras World“ zusammenarbeiten. „Asmaras World“ ist ein Hamburger Verein, in dem sich Black, Indigenous und People of Color (BIPoC) selbst organisieren und Menschen ganz konkret zum Beispiel bei Asylverfahren unterstützen.

Ziel des neuen Zusammenschlusses ist es, besonders marginalisierte Personengruppen wie PoCs, Menschen mit Behinderung, Sin­ti*z­ze und Rom*nja, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, nach Deutschland zu holen. „In Polen stehen die PoCs in der Schlange immer ganz hinten – wenn sie überhaupt in die Schlange gelassen werden“, erzählt Erich.

Finanziert werden die Fahrten vor allem durch Spenden. Seit Anfang des Monats haben die Ak­ti­vis­t*in­nen sechs Fahrten aus Polen organisiert

Auch in Deutschland zeigt sich in den Augen einiger Ak­ti­vis­t*in­nen aktuell wieder der weit verbreitete Rassismus. Wo es jetzt zahlreiche Wohnraumangebote für Geflüchtete aus der Ukraine gäbe, mussten Menschen aus Syrien oder Afghanistan in der Vergangenheit immer wieder Angst haben, dass ihre Unterkünfte angezündet werden, bewerten die Ak­ti­vis­t*in­nen die Situation.

Keine zwei Tage nach der ersten startete die nächste Fahrt der Ak­ti­vis­t*in­nen – dieses Mal nach Krakau. „So auf Verdacht mit Reisebussen hinfahren ist scheiße“, erzählt Erich. Deshalb arbeitet die Gruppe mit Ak­ti­vis­t*in­nen und Strukturen vor Ort zusammen – darunter auch Menschen aus dem Raum Hamburg. „In Krakau sind wirklich gute Leute“, erzählt Erich. „Die haben vorher mit den Menschen gesprochen, haben ihnen Ort und Uhrzeit genannt und erklärt, dass der Bus sie nach Hamburg bringt.“ Dank der guten Vorbereitung seien die Busse vor Ort innerhalb von zwanzig Minuten voll gewesen.

Finanziert werden die Fahrten vor allem durch Spenden. Seit Anfang des Monats haben die Ak­ti­vis­t*in­nen sechs Fahrten aus Polen organisiert, zwei davon für BIPoC gemeinsam mit „Asmaras World“. Die Fahrten scheinen gut organisiert zu sein. „Es sind große Teams, viele Fahrer. Wir haben eine Krankenschwester dabei, einen Arzt und auch Dolmetscher fahren mit“, erzählt der Aktivist.

Bei der Ankunft in Hamburg werden Gruppen von Geflüchteten mit Kleinbussen zum Bahnhof gebracht. Andere warten auf Medikamente, die Ak­ti­vis­t*in­nen für sie organisieren. Über­set­ze­r*in­nen sprechen mit den Geflüchteten und stellen sicher, dass sie verstehen, was passiert. Es stehen Getränke und Brezeln bereit.

Mittlerweile unterstützen die Ak­ti­vis­t*in­nen auch andere Gruppen bei der Organisation der Fahrten, die wohl teilweise weit weniger strukturiert vorgehen. In Hamburg hat sich ein Umfeld gebildet, das über reine Antifa-Organisierung hinausgeht und Unterstützung für Ankommende organisiert. Menschen ohne Kontakte werden so zum Beispiel in Hostels untergebracht.

„In den Erstaufnahmen gibt es die gleichen Probleme wie 2015“, erklärt eine Aktivistin, die damals in einer Hamburger Erstaufnahme geholfen hat. Für Menschen mit Behinderung oder Se­nio­r*in­nen mit Pflegestufe gäbe es bisher keine offizielle Lösung, erzählt sie. „Wir bekommen immer wieder Anrufe und Nachrichten, dass die Menschen an der Erstaufnahme nicht angenommen werden und abends dann dort stehen – auch Familien.“

Repressionen der polnischen Polizei

Aktuell werden die Fahrten immer schwieriger. Die Repression gegen die Busfahrten und Strukturen in Polen hat in den letzten zehn Tagen massiv zugenommen. Ein Aktivist in Krakau, der sich Martin nennt, erzählt am Telefon, Po­li­zis­t*in­nen würden sie häufig kontrollieren. Die Polizei behaupte, ihnen würden Registrierungen fehlen, um Menschen mit Bussen wegzubringen. Die gebe es aber nirgends.

Während die Freiwilligen bis vor zwei Wochen problemlos Fahrten am Bahnhof anbieten konnten, ist das jetzt fast unmöglich geworden. Die polnische Polizei werfe ihnen Menschenhandel vor und habe ihnen deswegen schon gedroht, das Hotel zu stürmen, erzählt Martin. Dabei könnten sie noch immer jeden Tag einen Bus nach Deutschland füllen.

Für die Ak­ti­vis­t*in­nen in Hamburg bleiben vor allem die Menschen ohne Papiere weiterhin ein Thema. Aber auch die politische Perspektive ist den organisierten An­ti­fa­schis­t*in­nen wichtig. „Die Leute da raus zu holen und befristet unterzubringen ist eine Sache, aber der zweite Teil ist: Was machst du weiter?“, fragt Erich. Dafür braucht es aus Sicht der Ak­ti­vis­t*in­nen vor allem Sozialarbeiter*innen.

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