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Antislawischer Rassismus in Deutschland„Wir sind nicht Putin“

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nehmen Anfeindungen gegen die russischstämmige Community in Deutschland zu.

„Es ist Putins Krieg“ Foto: Lukas Schulz/imago

Berlin taz | Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine mehren sich die Berichte von Anfeindungen und Angriffen gegen Russlanddeutsche und Menschen mit sowjetischem Hintergrund hierzulande. Im nordrhein-westfälischen Oberhausen etwa wurden die Scheiben eines russischen Lebensmittelmarktes eingeschlagen und mehrfach beschmiert. Die Polizei vermutet als Auslöser einen Medienbericht, in dem ein Kunde des Ladens mit Pro-Putin-Äußerungen auftrat.

Am Universitätsklinikum der LMU München kündigte eine Ärztin in einem internen Schreiben an, dass sie die ambulante Behandlung von russischen Pa­ti­en­t*in­nen ablehne. Die Klinik distanzierte sich am Mittwoch in einer Pressemitteilung und erklärte, es handele sich um „eine einzelne, persönliche Meinung, die in einer sehr emotionalen Situation verschickt worden“ sei.

Vielfach kursieren Berichte über verbale Anfeindungen auf der Straße, im Netz und an den Schulen. „Leider machen Wut, Hass und Hilflosigkeit die Menschen ungerecht und undifferenziert. Das führt zu Diskriminierung von Unschuldigen“, sagt Bernd Fabritius, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Viele würden es angesichts des Krieges vermeiden, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen – aus Scham und Wut über den Angriff, aber auch aus Sorge vor Ausgrenzung.

Die Zahl der Anfeindungen sei in den vergangenen Tagen stark gestiegen, besonders von den Schulen werde ihm von angespannter Stimmung unter den Schü­le­r*in­nen und in den Kollegien berichtet. So berichtet eine Lehrerin aus dem brandenburgischen Fürstenwalde der taz von Schü­le­r*in­nen aus russischsprachigen Familien, die sich von Mit­schü­le­r*in­nen und Leh­re­r*in­nen unter Druck gesetzt fühlten, sich verteidigen und zu der russischen Invasion positionieren zu müssen.

Schwer zu belegen

Was von den Berichten über Anfeindungen in den sozialen Medien stimmt und was nicht, lässt sich schwer eindeutig belegen. Der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sind bislang keine akuten Vorfälle aus den vergangenen Tagen bekannt, lediglich der eines Restaurants in Baden-Württemberg, das die Abweisung russischer Gäste verkündet hatte, das Statement aber kurz darauf wieder zurückzog, wie unter anderem der SWR berichtete.

Der Wiener Migrationsforscher Jannis Panagiotidis weist darauf hin, dass das Thema auch von bestimmten prorussischen Gruppen gezielt in den Sozialen Medien unterstützt werden könnte: „Es kam offenbar zu Vorfällen, ich sehe aber bisher keinen klaren Beleg für eine weit verbreitete antirussische Stimmung. Das Thema ist aktuell schwer zu bewerten, da es offenbar auch Gegenstand von Manipulationen wird.“

„Es ist egal, ob wirklich etwas passiert“, sagt Sergej Prokopkin. „Die Angst schränkt mich ja schon in meinem Leben ein. Ich handele nicht frei, psychologisch gesehen.“ Prokopkin ist Jurist und Antidsikriminierungstrainer mit dem Schwerpunkt postsowjetische Migration. Er erzählt von einer Freundin, die in einer Arztpraxis wüst als „Putins kleine Hure“ beschimpft worden sei. „Das geht gerade erst los, aber das wird sich verschlimmern. Es ist nicht nur aufgeheizte Stimmung, sondern das hat schon ein Fundament.“

Die Russen kommen

Julia Boxler vom Podcast „X3“ über die Erfahrungen von postsowjetischen Mi­gran­t*in­nen in Deutschland stimmt ihm im gemeinsamen Gespräch mit der taz zu und ergänzt: „Das ist nichts, was auf einmal passiert ist. Das ist was, was es schon immer gab, sowas wie ‚die Russen kommen‘“. Antislawische Ressentiments seien weit verbreitet und würden nicht aufgearbeitet.

Hinzu kommen vereinfachende Parallelen, die zwischen den Kriegsverbrechen des NS-Regimes und der Invasion in der Ukraine gezogen werden. In den Sozialen Medien taucht zum Beispiel an einigen Stellen der Satz „Russen sind die neuen Deutschen“ auf, ein Vergleich, der Gefahr läuft, die Situation zu vereinfachen und die russenfeindlichen Ressentiments anzuheizen.

„In Deutschland denkt man wieder an Kollektivschuld“, sagt Prokopkin. Dabei müsse man differenzieren: „Wir sind nicht Putin. Russland ist auch nicht Putin, viele Russinnen und Russen sind auch nicht Putin. Aber das klar zu trennen, das funktioniert hier irgendwie nicht. Deshalb müssen wir mit weiteren Übergriffen rechnen.“

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25 Kommentare

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  • Ich denke das es kontraproduktiv ist das man den kompletten Kultur und Sport Bereich ausschließt.



    Auch das man erwartet das hier lebende Russen sich positionieren, ich kann verstehen wenn sie es aus Sorge um ihre Familie nicht tun.



    Abgesehen davon könnte man beharrliches schweigen zur russischen Politik durchaus als Statement verstehen.

    'Der Westen' erwartet vom russischen Volk das es sich erhebt, sich also in Gefahr begibt und gleichzeitig Sorgen wir dafür das den russischen Nachrichten weniger entgegen gesetzt wird.



    Man könnte stattdessen versuchen über Künstler und Sportler die Menschen in Russland zu erreichen. Ich habe bisher den Eindruck dass den Ukrainern bewusst ist das ihr Feind nicht die Russen sind sondern die russische Regierung.

    Leider sind sich viele Menschen im Moment sicher das man alles russische ausschließen und isolieren muss.



    Den Kontakt zu 'allen' zu verlieren wird meiner Meinung nach, lediglich zu mehr Unkenntnis und infolge dessen zu mehr Angst und Hass führen.



    Wir sollten Rassismus nicht noch selbst befeuern.

    Abgesehen davon wären das meine staatlichen Sender würde ich diese Sanktionen zu nutzen wissen.

  • „Es ist egal, ob wirklich etwas passiert“, sagt Sergej Prokopkin. „Die Angst schränkt mich ja schon in meinem Leben ein. Ich handele nicht frei, psychologisch gesehen.“

    Nein!, es absolut nicht egal, ob der behauptete Rassismus tatsächlich existiert oder nicht. Rassismus ist tödlich. Einbildung verursacht nur Schlafstörungen. Und in der jetzigen Situation angesichts des Überfalls der Ukraine ein Fass aufzumachen zu eingebildeten Problemen ist völlig fehl am Platze.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Kommentar entfernt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • Ihnen ist aber hoffentlich klar,dass es noch mehr "Slawen" gibt,Ukrainer, Kroaten,Polen,usw usf



    Ukraine er und Russen sind in übrigen entstanden durch Völker wanderungen massgeblich der Normannen,Wikinger.



    Die community der sogenannten Russendeutsch en besteht auch aus Kasachen,und anderen Menschen ,die hier nach dem Ende der Sowjetunion problemlos Asyl fanden.



    Hier ,in den Hochhäuser n aus den 70 er jahren leben zu 90 Prozent diese Leute



    Anfeindungen gibt es nicht .



    Ihnen ist aber hoffentlich klar ,dass Rassismus,also feindliche Einstellungen gegen Schwarze,Muslime ,people of colour,im Osten weiter verbreitet ist als im Westen .Erfolge der AfD in Ostdeutschland,rechte Regimes in Polen und Ungarn,Sie sahen die Apartheid von ukraine Flüchtlinge n schwarzer Hautfarbe,sie sahen wie schwarze Ukraine Flüchtlinge gehindert wurden von maskierte n Rechtsradikalen Restaurant s etc.zu betreten? Sie wissen wie Polen und Ungarn schon seit 2015 keinen Flüchtling aufnehmen ,der schwarz ist,Muslimischen Glaubens,auch Slowakei nicht usw.? Schön e Europäer!



    Hier darf man nicht schreiben,dass es in Der Brd Hochburgen von Russlanddeutschen gibt ,zb.Pforzheim,wo in der Vergangenheit bei Wahlen überproportional AfD und CDU gewaehlt wurde,also Parteien in denen Rassismus Horte hat!!

  • "Russland ist nicht Putin"

    Das entbindet Russland und die Russen als das letztendlich verantwortliche russische Staatsvolk nicht von der Verantwortung für das Geschehen in Russland und der Politik, die von Russland ausgeht.

    Man kann sich nicht gemütlich auf einen Diktator-Hampel zurück lehnen. Da müssen schon deutlichere Zeichen gegen Putin gesetzt werden. Auch in DE, wo es entsprechende Verbände mit russischem Hintergrund gibt.

    • @Rudolf Fissner:

      Ganz genau! Prima!

    • @Rudolf Fissner:

      Ihr Kommentar ist ein super Beispiel für Kollektivschuld.

  • Bitte Geduld mit einander und mit Menschen, die von Propaganda-Medien geprägt sind.

  • @DAW

    Ich habe nur vorgeschlagen, den Ball flach zu halten. Dass unzulässige Pauschalisierungen bei (vermutlich) jeder/jedem von uns passieren steht wohl ausser Frage.

    Eine weniger scharfe Formulierung (statt "selbst entlarvt" vielleicht bei der Sache bleiben und "nicht alle Deutsche...") scheint mir angebrachter.

  • „Es ist egal, ob wirklich etwas passiert“, sagt Sergej Prokopkin. „Die Angst schränkt mich ja schon in meinem Leben ein. Ich handele nicht frei, psychologisch gesehen.“

    Wenn es egal ist, ob etwas passiert, ist die Diskussion eigentlich beendet.

  • Erfahrung aus meinem Umfeld: Putin und der Krieg in der Ukraine werden in breiter Masse gerechtfertigt. Leider. Dass derartige Einstellungen in D nicht willkommen ist muss man den Russen zeigen und sie spüren lassen.

    • @Wombat:

      Also die persönliche Erfahrung aus meinem Umfeld reicht um eine ganze Gruppe spüren zu lassen das ihre Einstellung (oder das was ich für ihre Einstellung halte) hier nicht willkommen ist?

    • @Wombat:

      Meinungsfreiheit ist ein Begriff?

      Überhaupt... "spüren lassen", in welcher Form? Mobben? Ausgrenzen? Bepöbeln?

    • @Wombat:

      Jo, unbedingt, man muss sie beschimpfen (insbesondere ihre Kinder), Scheiben einschmeißen, Spucken und Prügeln, dass wird sie sicherlich eines Besseren belehren. Sarkasmus off.

  • Viele Russen*innen leben nicht ohne Grund in Deutschland - nur um den System Putin zu entkommen. Viele beteiligen sich an den Demos gegen den Einsatz der russischen Arme, dennoch würde ich viel mehr Aufschrei von russischen Staatsbürgern, die im Ausland leben, erwarten. Ob Medvedev, Nedrebko oder auch Gergiev, und die Liste könnte noch unendlich weitergeführt werden, keiner dieser Damen und Herren hat es für notwendig gehalten Putin direkt für den Krieg verantwortlich zu machen. Sicher sie sind mit Gerhard Schröder in "guter" Gesellschaft. Es geht hier um viel mehr, als nur einem Kaiser (Zaren) zu huldigen. Jeder dieser Damen und Herren die sich nicht ausdrücklich von Herrn Putin distanzieren haben aus meiner Sicht genauso Blut an den Händen.

  • Was man auch bedenken sollte:



    Wer sich als in Deutschland lebender Russe öffentlich eindeutig gegen Putin positioniert sollte vielleicht besser keine Verwandten in Russland haben..

  • Meine Mutter ist Russin, die diese angeblichen Anfeindungen überhaupt nicht bestätigen kann, eher das Gegenteil. Alle Menschen versichern ihr, dass niemand in Deutschland etwas gegen die Russen habe, sondern gegen diese Unperson. Meine Mutter übrigens auch. Auch mir wird auf der Arbeit höchst sensibel und mit großem Verständnis begegnet und mich immer gefragt, wie es mir geht. "Schlecht" ist meine wahrheitsgemäße Antwort. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwähren, dass hier irgendetwas konstruiert wird. Egal, aus welchen Gründen auch immer.

    • @Leningrad:

      Das ist erfreulich für Sie eine angenehmere Bubble erleben zu dürfen. Von eigenen Erfahrungen auf die Allgemeinheit zu schließen ist aber IMMER ein kapitaler Fehler. DE ist ein großes Land mit sehr unterschiedlichen Ecken und sehr vielen sehr unterschiedlichen Menschen. Die im Artikel beschriebenen Vorkomnisse sind Tatsachen, der Vorwurf hier würde etwas konstruiert ist unangebracht.



      Ihnen und Ihrere Familie wünsche ich dennoch viel Kraft und dass das angenehmere Umfeld sich bewährt in den kommenden Wochen.

  • @STROLCH

    Jetzt halten Sie mal den Ball flach.

    Statt gleich zurückzuschiessen, versetzen Sie sich mal in die Lage einer Russin oder eines Russen, die den aktuellen Krieg nicht gutheissen, sich aber hier trotzdem Anfeindungen gegenüber sehen.

    Ich zitiere mal Herrn Fabritius (s. o. Artikel):

    "Leider machen Wut, Hass und Hilflosigkeit die Menschen ungerecht und undifferenziert. Das führt zu Diskriminierung von Unschuldigen"

    Trifft das etwa auf Sie zu?

    • @tomás zerolo:

      Wenn ein ANTIDISKRIMINIERUNGStrainer, dessen Beruf es ist, sensibel zu sein, in EINEM Satz eine Differenzierung für Russen fordert und sie bei Deutschen nicht anwendet, hat er seinen Beruf verfehlt. Wenn ich die Anführungszeichen im Artikel oben richtig deute, handelt es sich um ein wörtliches Zitat.

      Vielleicht hätten Sie Ihr letztes Zitat auf Herrn Propokin anwenden sollen und um Nachsicht werben sollen.

    • @tomás zerolo:

      Strolch hat doch Recht, über diese Formulierung bin ich auch gestolpert. Und diese Feststellung stellt überhaupt nicht in Frage, dass es antirussischen Rassismus gibt. Nur sind diejenigen, die ihn betreiben, genauso wenig "Die Deutschen" wie Putin "die Russen" ist.

    • @tomás zerolo:

      Kann ich nicht bestätigen.

  • „In Deutschland denkt man wieder an Kollektivschuld“, sagt Prokopkin. Dabei müsse man differenzieren: „Wir sind nicht Putin. Russland ist auch nicht Putin, viele Russinnen und Russen sind auch nicht Putin. Aber das klar zu trennen, das funktioniert hier irgendwie nicht.

    Schön, wie Prokopkin sich selbst entlarvt: In DEUTSCHLAND denkt man als so. Wer denkt hier in Kollektivschuld?

    • @Strolch:

      Einfach mal sacken lassen und nicht gleich zur Attacke übergehen. Die Sorgen sind nicht unberechtigt.

      • @Andreas J:

        Einen Antidiskriminierungstrainer sollte man schon an seinen Maßstäben messen.

        Er wird sich ja dazu Gedanken gemacht haben.

        Und dann solche Aussagen?

        Das springt halt ins Auge.