Flucht nach Deutschland: Gegen Putin zu sein, lohnt sich
Russ:innen, die in Deutschland Asyl beantragen, können als Geflüchtete anerkannt werden. Wer sich schon gegen Putin engagierte, hat es leichter.

Russ:innen erhalten derzeit im Vergleich zu Ukrainer:innen schwerer Asyl in Deutschland Foto: Michael Hanschke/dpa
KARLSRUHE taz | Viele Russ:innen sind über die außen- und innenpolitische Entwicklung geschockt und denken über Auswanderung und Flucht nach. Fachleute schätzen laut FAZ, dass seit Kriegsausbruch bis zu 300.000 Russen das Land verlassen haben. Viele reisen derzeit nach Georgien oder Armenien aus, auch weil es keine Flüge nach Westeuropa oder in die USA mehr gibt. Doch welche Perspektiven hätten russische Flüchtlinge, wenn sie sich nach Deutschland durchschlagen?
Im Vergleich zu ukrainischen Flüchtlingen haben Russ:innen zunächst zwei gravierende Nachteile. Schon vor dem Krieg war für Ukrainer:innen mit einem biometrischen Reisepass die Einreise in die EU für 90 Tage ohne Visum möglich, während Russ:innen sich erst aufwendig bei einer EU-Botschaft ein Visum besorgen mussten.
Außerdem hat die EU Anfang März für ukrainische Flüchtlinge die so genannte Massenzustrom-Richtlinie aktiviert. Flüchtlinge aus der Ukraine können ohne Asylverfahren bis zu drei Jahre in der EU bleiben. Sie können arbeiten und Sozialleistungen erhalten. Für Russ:innen gelten diese Sonderregeln nicht.
Sie müssten in Deutschland individuell Asyl beantragen. Wer bisher schon in Russland oppositionell tätig war, dürfte gute Chancen auf Asyl in Deutschland haben. Das Gleiche dürfte für russische Journalist:innen gelten, denen politische Verfolgung droht, wenn sie die Wahrheit über den Krieg gegen die Ukraine berichten. Asylberechtigt sind auch russische Soldat:innen, die sich nicht an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beteiligen wollen.
Auch nachträgliches Engagement kann Asylgrund sein
Auch wer sich erst nach der Flucht in Deutschland gegen das Putin-Regime engagiert, kann theoretisch Asyl erhalten. Er/sie muss laut Asylgesetz aber nachweisen, dass dies „einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung“ entspricht.
Viele Syrer:innen wurden in Deutschland als Flüchtling anerkannt, weil sie bei einer Rückkehr nach Syrien Ärger schon wegen der Ausreise bekommen könnten. Hier waren die deutschen Gerichte allerdings uneinig. Und für Russland kommt eine derartige Argumentation ohnehin zu früh. Noch weiß niemand, wie die russischen Sicherheitsbehörden auf Rückkehrer:innen reagieren würden.
Nach der Dublin-III-Verordnung der EU ist für das Asylverfahren eigentlich das Land des ersten Kontakts zuständig. Da ohne Visum keine Einreise per Flugzeug möglich ist, müssten sich Russ:innen auf dem Landweg nach Deutschland durchschlagen und kämen dabei vorher zum Beispiel durch Polen. Deutschland kann jedoch ausdrücklich oder stillschweigend auf die Dublin-Rückschiebung nach Polen verzichten.
Mögliche Optionen
Deutschland könnte geflüchteten Russ:innen aber auch die Unwägbarkeiten eines Asylverfahrens ersparen und ihnen generell oder bestimmten Gruppen die humanitäre Aufnahme gewähren. Rechtsgrundlage wäre Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. Solche Aufnahmeprogramme kann der Bund beschließen oder einzelne Bundesländer, die aber die Zustimmung des Bundes benötigen. Solche Programme können nicht eingeklagt werden, sondern werden politisch beschlossen.
Einzelne Bundesländer können auch einen Abschiebestopp nach Russland beschließen. Soll dieser länger als sechs Monate dauern, wäre aber wieder die Zustimmung des Bundes erforderlich. Verantwortlich wäre das Haus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD.
Erleichtert wurde in den letzten Jahren die Einwanderung von Fachkräften und Hochschulabsolvent:innen. Diese können auch ohne die feste Zusage eines Unternehmens zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Für kurzfristig fliehende Russ:innen dürfte dies aber keine Option sein. Erforderlich sind in der Regel Deutschkenntnisse, die der angestrebten Tätigkeit entsprechen.
Leser*innenkommentare
wirklich?
Ich finde die Wahl dieser Überschrift ekelhaft. Es lohnt sich also gegen Putin zu sein weil man dann eventuell Asyl in Deutschland bekommen kann? Das ist ja wirklich eine tolle Motivation gegen Putin in Russland zu protestieren. Die Überschrift impliziert damit, dass dies das eigentliche Ziel von Protestierenden gegen Putin sein könnte. Ich bin bei der Taz immerhin zuversichtlich, dass dies nicht beabsichtigt war, allerdings möchte ich bitten auf Ihre Wortwahl zu achten. Dem Missbrauch von Sprache entgegenzuwirken ist sicher auch im Sinne dieser Zeitung.
angwan
Bei der Flucht "lohnt" sich gar nichts und "es leichter haben" klingt als Steigerungsform von "es leicht haben" auch nicht so wirklich passend. Im öffentlichen Diskurs wird ja häufig zwischen legitimer Flucht aus der Not und vermeintlich illegitimer freiwilliger Auswanderung unterschieden. Wir sollten aufpassen, diese Illusion der Freiwilligkeit, der rationalen, nutzenmaximierenden Entscheidung nicht durch solche sprachlichen Konstruktionen zu wiederholen.