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Stimmen aus Moskau zur Ukrainekrise„Krieg? Ach, hören Sie mir auf“

In Russland wollen viele Menschen nicht so recht glauben, dass der Ukrainekonflikt tatsächlich eskaliert. Und im staatlichen TV? Läuft Propaganda.

Die Propaganda läuft, doch in dieser Bar in Moskau findet Putin wenig Beachtung Foto: Sergey Ponomarev/NYT/Redux/laif

Moskau taz | Es schneit seit Tagen in Moskau. Orangefarbene Schneeräumfahrzeuge fahren durch die Stadt, Männer und Frauen in orangefarbenen Jacken ziehen mit Schaufeln durch die Straßen. Bürgersteige müssen freigeräumt, Spielplätze enteist, Schneematsch vor Supermärkten entfernt werden. Akkordarbeit bei Minusgraden.

Swetlana, Olga und Arina müssen kurz durchschnaufen. Ihre Nachnamen wollen sie nicht nennen, der Arbeitgeber könnte ja schimpfen. Arina packt die Thermoskanne aus, Olga stellt die Schaufeln zur Seite. Die Unterführung am Nowinski-Boulevard, nur unweit des Weißen Hauses, haben die drei Kommunalarbeiterinnen an diesem Vormittag freigeschaufelt. Kurze Pause an der breiten Kreuzung, von der es weiter geradeaus schnurstracks zum Kreml geht und nach rechts auf einer abschüssigen achtspurigen Trasse zum russischen Außenministerium. Sie machen Witze, über sich und die Passanten. In die ausgelassene Stimmung eine ernste Frage: Wird es bald Krieg geben zwischen Russland und der Ukraine?

„Krieg?“, fragt Swetlana, Mitte vierzig, die energischste der drei Schneeräum-Frauen. „Ach, hören Sie mir auf. Krieg interessiert die Politiker, die Journalisten und natürlich die Waffenhersteller. Uns einfache Leute interessiert er nicht. Es wird auch nicht dazu kommen“, sagt sie. Olga gibt sich milder: „Ich glaube, wir leben in Zeiten, in denen die Staatsführungen einen anderen Weg finden sollten, ihre Probleme zu lösen, als dass sich ihre Völker gegenseitig abknallen.“

Arina ist ganz still. Es seien ohnehin ganz andere Sorgen, die sie beschäftigten, sagt Olga: die steigenden Lebensmittelpreise, der geringe Verdienst, das Leben in und mit der Pandemie. In diesen unsicheren Zeiten zähle vor allem das Private. „Meine Enkelin hat die Aufnahmeprüfung für die Ballettschule bestanden. Das interessiert mich. Aber doch nicht Politik“, sagt Swetlana und fügt hinzu: „Das Fernsehen liefert ziemlich schlimme Bilder, aber so etwas Negatives schalte ich weg, keine Lust darauf.“

„Amerikanische Schauermärchen“

Das Fernsehen zeigt martialische Bilder von Explosionen über verschneiten Feldern, zeigt Bewaffnete in Tarnfleck, die in Schützengräben den Finger an den Abzug legen. Der Tenor in den Nachrichtensendungen der staatlichen Sender ist eindeutig: Der böse kriegstreibende Westen wolle das friedliebende Russland klein halten und zersetzen, indem er die hilflose ukrainische Führung dazu treibe, Russland in einen Krieg zu ziehen. Die Militarisierung der Ukraine werde vom Westen betrieben, heißt es in den Hauptnachrichten des ersten Kanals nach dem Telefonat zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem amerikanischen Amtskollegen Joe Biden am Samstagabend.

„Die Hysterie des Westens ist präzedenzlos“, sagt der Moderator und macht sich über die Amerikaner lustig. „Sogar das Datum der mythischen russischen Invasion haben sie schon genannt. Man stelle sich das vor“, sagt auch der Kommentator. Es gebe keine Beweise, nur „amerikanische Schauermärchen“. Der Moderator stimmt zu: „Propagandistischer Bullshit.“ Die TV-Sender zitieren Putin immer wieder mit den Worten: „Die Hauptaufgabe des Westens ist es, die Entwicklung Russlands einzudämmen. Die Ukraine ist ein Instrument, um dieses Ziel zu erreichen.“ Auch Russlands Außenminister kommt oft zu Wort: „Einen Krieg wollen wir nicht. Aber wir werden es auch nicht zulassen, dass unsere Interessen ignoriert werden.“

Die Interessen Russlands liegen vor allem darin, die Nato-Osterweiterung für immer zu stoppen. Russische Mo­de­ra­to­r*in­nen werden nicht müde zu betonen, dass der Westen diese russischen Interessen nicht anerkennen wolle. Europa sei ­ohnehin „gesichtslos und stimmlos“, wie Dmitri Kisseljow, der Motor der russischen Propagandamaschine, in seinem scharfzüngigen Wochenrückblick im Staatssender Rossija 1 sagt. Es sei doch „niveaulos und einfach“: Die Ukraine wolle ihr Scheitern im Feuer eines Krieges ausblenden – die bodenlose Korruption, die hohen Schulden, alles. „Und das eigene Versagen dann auf Russland schieben.“ Der Puppenspieler in diesem Spiel seien die USA. „Dümmlich wie unkultiviert“, meint Kisseljow und bezeichnet das „Getöse um die Ukraine“ wahlweise als „Hysterie“ oder „Massenpsychose“. Gern gebrauchte Begriffe auch in den russischen Nachrichten.

Der Begriff „Krieg“ ist alltäglich geworden im TV. Und der Krieg wird nach und nach zum notwendigen Übel erklärt. Einer Normalität, gegen die sich vor einigen Tagen Dutzende russische Aktivist*innen, Journalist*innen, Kulturschaffende, Menschenrechtler*innen, Jurist*innen, Lo­kal­poli­tiker*in­nen, Pro­fes­so­r*in­nen in einem offenen Brief an die russische Führung ausgesprochen haben. „Russische Bürger werden zu Geiseln des kriminellen Abenteurertums, zu dem Russlands außenpolitische Linie sich derzeit verwandelt“, heißt es darin. „Wir hassen Krieg, und Sie halten ihn für zulässig. Sie belügen und benutzen Menschen für Ihr politisches Spiel. Haben Sie vergessen, dass unser Land in den vergangenen Kriegen Millionen von Menschen verloren hat?“ Es ist eine bittere und flehende Anklage der eigenen Führungsriege.

Russland habe die Nato als Geisel genommen, so sieht es der russische Militärexperte Alexander Golz. Natürlich verhandle der Westen in dieser Situation mit den Geiselnehmern. Das sei eine politische Angelegenheit. „Die Nato-Osterweiterung stellt weder heute noch in Zukunft eine militärische Bedrohung für Russland dar“, schreibt Golz im russischen Magazin Republic.

Eine alte sowjetische Formel

Kiews Pläne, der Nato beitreten zu wollen, stoße Moskau deshalb so vor den Kopf, weil der von der russischen Führung ausgerufene besondere Weg aufgrund gemeinsamer Geschichte und Kultur nicht funktioniere. Die Ukraine wolle den Weg der Demokratie gehen, trotz ihrer Geschichte. Damit jedoch wolle sich der Kreml nicht abfinden und erfinde deshalb das Szenario von der Bedrohung der eigenen Sicherheit.

„Mir machen diese ganzen Nachrichten vom möglichen, ja baldigen Krieg einfach nur noch Angst“, sagt Alina Grigorjewa in der verschneiten Moskauer Fußgängerzone am Alten Arbat. Die 28-Jährige schiebt langsam einen Kinderwagen durch den Schneematsch, ihr Morgenspaziergang mit ihrem Sohn. „Ich will einfach, dass Jarik in Frieden aufwächst“, sagt sie leise. Ihr vier Monate altes Kind schläft. „Ich will auch nicht, dass mein Mann irgendwo kämpfen muss. Es kann doch nicht sein, dass man heutzutage auf Mittel der Gewalt setzt!“

Das Thema Ukrainekonflikt ist kein vorherrschendes in den Gesprächen der Russ*innen. Spricht man sie allerdings explizit darauf an, sagen viele: „Ein Krieg ist unvorstellbar.“ Egal, ob es ein Moskauer Physiotherapeut ist oder ein Kindermädchen mit Verwandten in der Ukraine, ob es ein IT-Mann aus dem russischen Süden ist oder eine Erzieherin aus dem Ural. Einen bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Nato hält ein Drittel der Bevölkerung für möglich, so eine Umfrage des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungsinstitutes Lewada-Zentrum aus dem Dezember.

Viele seien des Ukraine-Themas allerdings auch überdrüssig. „Wir sind genug vom Leben gebeutelt“, sagen die Leute. Aber auch: „Wenn es zum Krieg kommen sollte, können wir es dem Westen auch zeigen.“ Die Formel hat die Sowjetunion überdauert: „Angst verbreiten heißt, sich Respekt zu verschaffen.“

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16 Kommentare

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  • Wie immer am Thema vorbei gelabert über all: gehts noch?

    Ein Diktator,der alle Demokratie Ansätze



    In Russland abgewürgt hat,der Kritiker,



    Oppositionelle , Missliebige in Arbeitslagern verschwinden lässt , verurteilt von einer Justiz ,die diesen Namen nicht verdient,oder gleich vergiften,ermorden laesst,und das sogar auf auslaendischem Boden,vor Olims Zeiten war sowas schonmal zugange,in Mexiko ,als Leo Trotzki mit dem Eispickel ermordet wurde,



    Dieser Putin, was hat er in Syrien veranstaltet?



    Was war mit der Krim?



    Wer hat das Zivilflugzeug abgeschossen und ist verantwortlich fuer die Ermordung von mehreren hundert Passagieren?

    Und kein Krieg!?



    Ja sag mal,was ist denn dann das mit den 14000 Toten in der Ostukraine ,womit der Kreml ja gar nix zu tun hat...

    Denn der Vladimir P.ist ja ein lupenreiner Demokrat und ein ganz Lieber.



    Auch den Weissrussischen Diktator hat er lieb und den Erdo und den Assad...

    • @Trotzleo:

      Lässt sich alles mit Armut erklären. Der Kapitalismus kennt keinen zweiten Gewinner, er heißt auch Verlierer. Deshalb sind ihm alle Mittel recht, um dem Gewinner die Laune zu ruinieren.

      Aber das betrifft ja bloß unsere politische Machtelite. Wir haben keinen Grund, uns gegenseitig zu hassen, ich zumindest nicht

  • "Bewaffnete in Tarnfleck"

    Was bitte ist ein Tarnfleck :D

    Sie meinen eher Flecktarn... Oo^^

    Jaja, ich weiß, aber manchmal muss man auch k....n.

  • Eigentlich haben wir als Putins Gaskunden schon viel zu lange zugesehen, was da bei unserem Nachbarn im Osten so abgeht: Neben dem Gas die Schweinereien in der Arktis und die Vereinahmung sämtlicher Ressourcen durch eine Oligarchie und gab es einmal mit Gorbi einmal so etwas wie einen Aufbruch, so haben sich die Lebensbedingungen unter dem Putin-Clan so verschlechtert, dass einige sich nach einem Sozialsystem der ehemaligen undemokratischen UdSSR



    -Parallelen zu unseren Ostländern- zurücksehnen. Es läßt sich mit Oligarchen halt besser Handel treiben....(nur dass Kriegsdrohungen die Preise verderben, ist ein Nachteil!)...

    • @Dietmar Rauter:

      Nicht vergessen, dass die russische Bevölkerung kurz nach Gorbi am ärmsten war, denn er hat die Oligarchie mit seinen chaotischen Lockerungen überhaupt erst möglich gemacht. Der wirtschaftliche Aufbruch, wenn es denn einen gab, kam Anfang der 00er mit Putin, wofür er persönlich einen geringen Verdienst hat. Die Armut der russischen Bevölkerung war/ist dem Westen natürlich herzlich egal...

  • Danke, @BARBARA FALK!

  • Danke für den Bericht. Man sollte ergänzen, dass offene Kritik an Putin nicht nur, erwartbar, aus dem liberalen, demokratischen Lager der nichtsystemischen Opposition kommt – der Aufruf wird ja erwähnt – sondern auch aus nationalpatriotischen Kreisen. Die Veteranenorganisation „Allrussische Gesellschaft der Offiziere“ kritisiert in einem offenen Brief die Außenpolitik der Regierung gegenüber NATO und Ukraine als erratisch und selbstzerstörerisch und fordert Putin zum Rücktritt auf.



    ooc.su/news/obrash...acii/2022-01-31-79



    Auch wenn diese Leute beileibe keine Demokraten sind, ähnelt sich die zentralen Argumente der beiden Aufrufe in erstaunlicher Weise:



    -dass von der NATO keine Bedrohung Russlands ausgeht



    -dass die Ukrainer sich für ihren Weg entschieden haben und man sie nicht gewaltsam daran hindern kann/darf



    -dass Putins Handeln an seinem persönlichem Machterhalt und Schutz der Oligarchenherrschaft ausgerichtet ist und nicht an den langfristigen Interessen des Landes



    -dass Putin das Land in eine Sackgasse geführt hat und auf der Suche nach einem „Befreiungsschlag“ ist



    -dass ein „Bruderkrieg“ zahllose sinnlose Opfer fordern und die Völker Russlands und der Ukraine auf ewig verfeinden würde



    -dass sich Russland mit einem Krieg international komplett isolieren würde



    -dass die Konsequenzen eines solchen Krieges die russische Staatlichkeit bedrohen



    Laut Jewgeni Sawostjanow, einem ehemaligen FSB-General, der den Aufruf unterstützt, herrschen in Offizierkreisen Bedenken, dass die engen Berater um Putin ihm ein zu positives Bild über die militärischen Möglichkeiten und einen vermeintlichen „leichten Durchmarsch“ vermitteln würden.

    Interview Generaloberst Iwaschow (Vorsitzender der Veteranenorganisation):



    novayagazeta.ru/ar...voprosa-s-ukrainoi



    Interview mit General Sawostjanov (Paywall):



    republic.ru/posts/103121

    • @Barbara Falk:

      Danke :)

      Allerdings stellt sich mir die Frage wieso man sowas lesen kann, wo doch nach dem gängigen Narativ sämtliche kritischen Töne von der Regierung unterdrückt werden.

      • @Frank Fischer:

        Weil es meistens völlig ausreichend ist, es einfach zu ignorieren. Erst wenn es gefährlich werden könnte, schlägt Putin zu - dann auch gerne mal mit Gift, in vielen Fällen mit Gefängnis.

        Das von Ihnen kolportierte "gängige Narrativ" ist kein gängiges Narrativ. Das ist ein Strohmann, den Sie selbst aufgebaut haben und mutig bekämpfen.

      • @Frank Fischer:

        Man kann es nicht in einer russischen Zeitung lesen. Man kann ist nicht im russischen Fernsehen sehen. Es gibt kaum nocht ausländische Journalsiten mit denen man ein Interview führen kann.



        Was möchten Sie denn sonst noch bis sie "kritische Töen unterdrückt" sehen.

    • @Barbara Falk:

      Danke für die Information!



      Für Menschen, die der russischen Sprache nicht mächtig sind, wäre das wohl unauffindbar (und jedenfalls unverständlich...).

      Ich denke, die genannten Argumente treffen alle zu.

  • Schön, dass es in der taz jetzt gleich zwei Beiträge zur aktuellen Stimmungslage der Bevölkerung beiderseits der Grenze gibt ... bitte weiter so. Das ergibt ein differenziertes Bild und unterscheidet sich so wohltuend von den "Sandkastenspielen" und den ins Kraut schießenden Spekulationen mancher Hobby-Strategen hier im Forum hinsichtlich der realen Kriegsgefahr.

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    Die Moderation

    • @meerwind7:

      Lieber Meerwind7!



      Bitte denken Sie noch einmal über Worte nach. Allein ihr Text ist "Benzin ins Feuer". Und ein solcher Aufruf, wie Sie ihn fordern, könnte das Attentat von Sarajeo für einen dritten Weltkrieg sein!!!! Der perfekte Vorwand für Krieg.



      Wie kommen sie auf die Idee, dass russische Berufssoldaten in großer Zahl deserieren wollten, maschierte Russland in der Ukraine ein? Haben sie dafür irgendwelche Belege oder Informationen?



      Im Moment Ball flach halten, nichts unüberlegtes reden und erst recht nicht öffentlich schreiben. Bitte!

    • @meerwind7:

      Eine Aufforderung zur Ermordung Vorgesetzter ... oder was lese ich aus Ihrem letzten Satz heraus?



      Aber, ach ja, es wäre ja Krieg und unter Kriegsbedingungen sind solche Mittel natürlich legitim (Sarkasmusmodus).