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Umstrittener Bürgermeister Tübingens500 Grüne für Boris Palmer

Mehr oder weniger bekannte Grüne springen dem umstrittenen Tübinger OB im Parteiausschlussverfahren zur Seite. Der reagiert emotional.

„Die Grünen sind Teil meines Lebens und meine politische Heimat“, schrieb Palmer bei Facebook Foto: ULMER/imago

Kalrsruhe taz | Mindestens 500 Freunde hat Boris Palmer noch bei den Grünen. In einem Aufruf, der Montag im Netz veröffentlicht wurde, sprechen sich bekannte Grüne dafür aus, das Parteiausschlussverfahren gegen den umstrittenen Tübinger Oberbürgermeister zu beenden.

Unterzeichnet haben etwa die ehemalige Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, der frühere Oberbürgermeister von Freiburg Dieter Salomon oder der frühere grüne Bundesvorsitzende Ludger Volmer. Es sei der Grünen unwürdig, jemanden aus der Partei auszuschließen, nur weil er bei einzelnen Themen andere Positionen vertrete als die Mehrheit, heißt es in dem Aufruf. Iniziiert wurde die Solidaritätsadresse von Tübinger Kommunalpolitikern sowie der langjährigen Bundespolitikerin und ehemaligen Afrikabeauftragten Uschi Eid.

Harsche Kritik üben die Unterstützer am Landesvorstand. Auf ihrem Landesparteitag im vergangenen Mai, der eigentlich als Auftakt für die Bundestagswahl inszeniert war, hatten die Delegierten einem Antrag des Landesvorstands auf den Parteiausschluss Palmers zugestimmt. Auslöser war ein offenbar satirisch gemeinter Facebook-Post Palmers zum Fussballer Dennis Aogo, in dem der Grüne einen rassistischen Post zitiert hatte.

Der Vorstand hatte das Ausschlussverfahren damit begründet, man habe es bei den Skandalen Palmers mit einer langen Liste von kalkulierten Ausrutschern und inszenierten Tabubrüchen zu tun. Der Antrag listete dutzende umstrittene Äußerungen Palmers auf, vor allem zur Corona-, Flüchtlings- und Menschenrechtspolitik.

Palmer zeigt sich gerührt

In dem Unterstützungsaufruf für Palmer heißt es nun, der Eilantrag zum Parteiausschluss sei ein großer Fehler gewesen, das Verfahren beschädige Partei und Vorstand. Die Unterzeichnenden sind der Meinung, man solle den Provokateur an seinen Taten messen: „Kein deutscher Oberbürgermeister hat in Zusammenarbeit mit seinem Gemeinderat und seinen Bürgerinnen und Bürgern so viele urgrüne Ziele realisiert wie Boris Palmer“, schreiben sie.

Palmer, der bisher stets zu vermitteln versucht hatte, die Partei brauche ihn mehr als er selbst die Partei, reagiert ungewohnt emotional auf den Aufruf. Auf seinem Lieblingsmedium Facebook schrieb er: „Die Grünen sind Teil meines Lebens und meine politische Heimat. Ich bin ja doch recht hart gesotten. Aber diese 500 Solidaritätsadressen rühren mich.“

Noch im Mai hatte er das Parteiausschlussverfahren gewohnt provokativ befürwortet. Er sehe sich missverstanden und wolle sich für seine Aussagen vor einem Parteigremium rechtfertigen, hatte Palmer damals auf dem Parteitag gesagt.

In Tübingen hat das Ausschlussverfahren die Partei in Unruhe versetzt. Im Herbst steht die Oberbürgermeisterwahl an. Um Palmerfreunde und seine Kritiker zu befrieden, will die Partei in einer Urwahl entscheiden, ob Palmer, der seit 2004 amtiert, ihr Spitzenkandidat sein soll.

Palmer hat bisher aber noch gar nicht bekannt gegeben, ob er bereit ist, sich dieser Mitgliederbefragung zu stellen, oder ob er nicht lieber als unabhängiger Kandidat antritt. Nach Freiburg und Stuttgart kann den Grünen ein erneuter Verlust eines OB-Postens in Baden-Württemberg nicht egal sein. Im Ortsverband laufen sich inzwischen Interessenten für die Spitzenkandidatur warm. An Palmers Popularität kommen sie nicht heran.

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16 Kommentare

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  • Die Grünen in Freiburg könnten auch beschließen, keine Kandidatur zur OB-Wahl anzumelden.



    Dann könnte sich jedes Parteimitglied direkt an die Wähler wenden.

    • @meerwind7:

      Sie meinen Tübingen, nicht wahr?

  • Boris Palmers neueste Veröffentlichungen finden sich in den folgenden Sammelbänden:



    1. Identitätslinke Läuterungsagenda, 2019 herausgegeben von Sandra Kostner, Dozentin Schwäbisch Gmünd, mit Stefan Luft vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, ehemals Sprecher des CDU-Innensenators Bortscheller Bremen, Heike Diefenbach, rechtspopulistische Desinformationskampagnerin auf science-files. Kostner gibt 2021 tichyseinblick ein Interview darüber wie die Identitätslinke die Gesellschaft manipulieren würde.



    2. in dem Sammelband von Carsten Linnemann und Winfried Bausback Hg., 2019, "Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland. Wie wir unsere freie Gesellschaft verteidigen", Freiburg Herder



    "Der politische Islam ist derzeit eines der größten Integrationshemmnisse von Muslimen in die deutsche Gesellschaft."



    Mit Christine Schirrmacher, Funktionärin in evangelikalen Kirchenorganisationen, Linnemann nach seiner Arbeit bei der IKB bis 2009 (insolvent), Bundesvors. der CDU-Mittelstandsvereinigung und im CDU-Bundesvorstand,



    Bausback in Bayern Staatsminister der Justiz und in der CSU-Landtagsfraktion.



    Ideologie gegen Ideologie.



    Muslimbrüder und Identitätsrechte verstehen sich doch bestimmt bestens.

    • @nzuli sana:

      Das sind Meinungen, wie Ihre. Wer hat Recht? Sie wollen es wissen oder bestimmen?



      Politischer Diskurs nach Hegel'scher Dialektik ist da deutlich hilfreicher.

    • @nzuli sana:

      Ich glaube, es gibt aber aktuell einige Differenzen, wenns um die Frage geht, ob man seine precious bodily fluids mit "diesem Impfgift" kontaminieren solle.

  • Palmer ist ein Beispiel für die eingeschränkte Sichtweise, die sich unter den Jüngern von Robert und Annalena breit gemacht hat in der Verkennung der Realitäten. Da sind gerade diejenigen -wahrscheinlich auch ziemlich frustriert- aktiv, die sich in den Gremien hochkämpfen in der Hoffnung evtl. vernagelte Anhänger der Altparteien auf ihre Seite ziehen zu können, indem sie sie kopieren in ihrem System, das Auskommen und bequeme Apanagen verspricht. Dieser Weg weg von einer Basis und der Umweltbewegung und noch mehr von Verlierern in dieser Gesellschaft, die enttäuscht sind von dieser Demokratie und Scholzokratur enttäuscht wurden und sind, Querdenker kommen nicht von Himmel und auch nicht aus den USA !!

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Na klar. Er ist gerührt.



    Er hatte garnichts damit zu ...



    Die 500 haben das aus eigenem Antrieb gemacht.



    Doch, ... ganz bestimmt!!!

  • Es wäre kein Fehler, die anderen Artikel zu Palmer, die teilweise über ein halbes Jahr alt sind, aus journalistischer Korrektheit mit einem Datum zu versehen, ganz am Anfang und nicht irgendwo.

  • Ein Grüner OB: Palmer, oder ein Nicht-Grüner OB: wahrscheinlich auch Palmer. Das sind die Wahl-Aussichten 2022. Tübingen isses zu wünschen.

  • Unabhängig davon, was man von Boris Palmer und seinen politischen Ansichten hält, birgt eine Parteiausschlussverfahren gegen den zwar nicht in der Partei, aber doch bei den Tübinger Bürger*innen beliebte OB doch enorme Sprengkraft für die Südwest-Grünen ... insofern haben die 500 Unterstützer*innen Palmers recht: einen weiteren "failed" Landesverband wie im Saarland können sich die im Bund mitregierenden Grünen nicht leisten. Und Winfried Kretschmann erst recht nicht, ist Stuttgart kommunal doch gerade erst wieder von der CDU zurückerobert worden. Und auch in Tübingen könnten sich die Konservativen als lachende Dritte präsentieren ... dort vielleicht aber auch die SPD.

  • Die Grünen zerfleischen sich gerade selber.



    Palmer mag zweifelhaft sein, aber findet Zugang zu den Menschen und hat damit Qualitäten, die viele andere Grünen nicht haben.

    • @Knut Lot:

      Populisten, die "zweifelhaft" sind, aber "Zugang zu den Menschen" finden, hat Deutschland für die nächsten 1000 Jahre genug gehabt.

      Solche Politiker finden nämlich ziemlich vorhersagbar und sehr selektiv Zugang zu einem bestimmten Typus Menschen. Nämlich dem kleinen Spießerle, das zwar eigentlich satt genug zum Leben hat, aber es als einen Terroranschlag auf seine Überlegenheit ansieht, wenn der arme Nachbar auch satt wird.

      Wer mit Luft und Diefenbach kumpelt, har mit Sozialem nichts am Hut. Die angebliche "Wissenschaftskritik" von science-files erschöpft sich in Hasstiraden auf die empirische Sozialforschung und was dem Neofaschismus sonst noch ein Dorn im Auge ist, aber zu der staatlich apanagierten Kaffeesatzleserei namens liberale Ökonomik verlieren sie kein Wörtchen.

      • @Ajuga:

        Ajuga hat leider Recht, was auch das Spießerle Özdemir beweist. Und wenn frau/man/+ genauer hinschaut, findet frau/man/+ auch bestimmt genug Spießer:linnen. Leider.

      • @Ajuga:

        Ich bin froh, dass ich ein anderes Menschenbild als Sie habe.

    • @Knut Lot:

      Palmer hat die Hoheit über den Stammtischen mit offenem Rassismus und Fremdenhass.



      Das können die Grünen nicht wollen.

  • Endlich kommt Leben in die Bude. Es ist höchste Zeit, den selbstgefälligen Laden der Grünen aufzumischen.