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Bürgerbegehren verhindert BauprojektHauptsache nicht Vonovia

Trotz hamburgweit steigender Mieten hat ein Bürgerbegehren den Bau von 300 Wohnungen gestoppt. Ein Grund ist das Misstrauen gegen den Vonovia-Konzern.

Oben links ist noch Platz: Ausschnitt des Eisenbahnerviertels in Hamburg-Eidelstedt Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Das Eisenbahnerviertel in Hamburg-Eidelstedt liegt neben einem großen Bahnhof zum Abstellen und Warten von Zügen. Dort gibt es Kleingärten, Sportanlagen und locker ins Grün gestreute Wohnblöcke: Platz für weitere Bewohner, fand die Bezirkspolitik. Doch daraus wird trotz mehrjährigen Vorlaufs fürs Erste nichts. Ein Grund: Misstrauen gegen den Wohnungsbaukonzern Vonovia.

Das Vorhaben liegt jetzt auf Eis, weil ein im August initiiertes Bürgerbegehren genügend Unterschriften gesammelt hat, um das Schaffen weiterer Fakten in der Sache zu verhindern. Das verschafft der Initiative Zeit, um weiter zu sammeln und die Bezirksversammlung zu zwingen, sich mit ihrem Anliegen zu befassen.

Das Bürgerbegehren kommt einem zentralen politischen Anliegen des rot-grünen Hamburger Senats in die Quere. Der will die munter steigenden Mieten dadurch dämpfen, dass er 10.000 neue Wohnungen im Jahr baut. Meist schafft er das auch, doch es wird immer kniffliger, denn auf der grünen Wiese soll möglichst wenig gebaut werden und in der Stadt wird es immer schwieriger, geeignete Orte zu finden, nicht zuletzt, weil sich die Nachbarn wehren.

Dabei sind die Bedenken gegen das Projekt weniger städtebaulich-architektonischer als vielmehr sozialer Art. Geplant sind 229 Wohnungen für rund 900 Menschen. „Schon jetzt fehlen im Planbereich Ärzte und Plätze in Kindergärten und Schulen“, kritisiert das Bürgerbegehren. Fluktuation und soziale Verdrängung seien vorauszusehen. Das Viertel sei ohnehin schon strukturell benachteiligt, „Gettobildung“ drohe.

Wir stehen zu den Wohnungsbauzielen des Bezirks. Aber wenn man nachverdichtet, muss das auch funktionieren

Gabor Gottlieb, SPD-Fraktionschef Eimsbüttel

Der Stadtteil hat 35.000 Einwohner und mit 13 Prozent deutlich mehr Sozialhilfeempfänger als der Hamburger Durchschnitt mit zehn Prozent oder gar der Bezirk Eimsbüttel mit sechs Prozent. Darunter sind besonders viele Kinder. „Wir stehen zu den Wohnungsbauzielen des Bezirks“, sagt der Eimsbütteler SPD-Fraktionschef Gabor Gottlieb. Zum jetzigen Zeitpunkt vertrage das Eisenbahnerviertel eine solche Nachverdichtung aber nicht.

„Wenn man nachverdichtet, muss das funktionieren“, sagt Gottlieb. Voraussetzung dafür sei, dass die Eigentümerin, der Dax-Konzern Vonovia, erst mal seine Bestände pflege. Dessen Häuser seien „nicht wirklich gut in Schuss“. Angemahnte Reparaturen würden häufig verschleppt. Gottlieb fordert deshalb ein Sanierungskonzept für die Gebäude und die Infrastrukur drumherum, bevor von Neubauten die Rede sein könne.

Die Klage über Vonovia als Vermieter kann Rolf Bosse, Geschäftsführer beim Mieterverein zu Hamburg, nachvollziehen. Von 10.000 Vonovia-Wohnungen würden 2.000 vom Mieterverein betreut. Bei diesen Klienten gebe es immer wieder Streit mit Vonovia, was an der Geschäftspolitik des Konzerns liege.

So lege Vonovia Kosten etwa für die Fassadendämmung oder die Erneuerung der Wohnungen auf die Mieter um – alles im gesetzlichen Rahmen, wie Bosse betont. Dabei nutze Vonovia aber eine Grauzone, die zu Auseinandersetzungen führe. „Das, was umgelegt wird, sind häufig Instandhaltungsmaßnahmen“, sagt Bosse.

Zum Geschäftsmodell des Konzerns gehöre auch, dass Vonovia mit den Betriebskosten Geld verdiene. Bosse leitet das daraus ab, dass der Geschäftsbereich „Value Add“, also wohnungsnahe Dienstleistungen, 2020 gut 150 Millionen Euro erwirtschaftete. Die Rechnungen der dabei eingesetzten Subunternehmer bekämen die Mieter nicht zu Gesicht, sodass die tatsächlichen Kosten nicht nachgeprüft werden könnten, sagt Bosse.

Vonovia versichert, sehr wohl in die Wohnungen zu investieren. 40 Prozent der Bestände seien in den vergangenen sechs Jahren umfassend modernisiert, acht Prozent teilsaniert worden.

In Workshops zu den Verdichtungsplänen hätten die Bewohner 2017 vor allem soziale Einrichtungen als sehr wichtig bewertet. „Diese Themen sind als Aufgabenstellung in den Masterplan aufgenommen worden und sollen, wenn es nach uns und unseren Mietern geht, umgesetzt werden“, versichert Vonovia-Sprecher Christoph Schwarz.

Grüne wollen Kompromiss

Unter den geplanten Wohnungen seien sozial geförderte sowie bezahlbare, frei finanzierte Wohnungen. Darüber hinaus seien geplant eine Kita mit 80 Plätzen, ein Nachbarschaftstreff, Gemeinschaftsräume, ein Quartiersbüro, Flächen für altersgerechtes Wohnen sowie Büros. Eine weitere Schule sei bei rund 300 neuen Wohnungen nicht notwendig.

Ziel des Bebauungsplans für das neue Quartier sei es ausdrücklich, die desolate soziale Infrastruktur zu verbessern, sagt der Grünen-Fraktionschef Ali Mir Agha. Zusammen mit der CDU schoben die Grünen das Projekt an. Inzwischen ist die Bezirkskoalition geplatzt. Jetzt müssen von Fall zu Fall Mehrheiten gesucht werden.

Agha hat den Vertrauensleuten des Bürgerbegehrens angeboten, über einen Kompromiss zu verhandeln: weniger Wohnungen, weniger Durchgangsverkehr, bessere Nahversorgung und ein schönerer öffentlicher Raum. „Dann hätten alle was gewonnen“, sagt er.

Auch Bosse vom Mieterverein plädiert dafür zu bauen. „Die Probleme, die wir mit Vonovia haben, kriegen wir in den Griff“, sagt er.

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6 Kommentare

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  • "Meist schafft er das auch...."



    Was genau schafft er, der Senat? 10.000 Wohnungen/Jahr bauen zu lassen vielleicht. Die Mietpreissteigerung zu bremsen schafft er mit diesem Mittel nicht, genau wie andere Gemeinwesen das auch nicht schaffen. Ohne eine gesetzliche Obergrenze für Profit und Vermögen gibt es auch keine Bremse für den Preis von Boden, bebauten Grundstücken und letztlich Mieten. Gesetzlich wäre auch zu regeln, dass Mieterinnen z.B. nicht die Grundsteuer für das Eigentum des Vermieters zahlen müssten oder die Instandhaltung des Heizgerätes und viele andere in der zweiten Miete (Nebenkosten) untergebrachte Beträge.

  • Villenviertel werden nicht nachverdichtet.

    • @el presidente:

      Doch, das werden sie. An meinem Wohnort jedenfalls gibt es etliche Straßenzüge, in denen in den Gärten ein zweiter Bauplatz ausgewiesen wurde und dort stehen jetzt Blöcke mit 3-6 Mietwohnungen in 2. Reihe. Da die meisten Villen bereits in 2-3 Wohnungen aufgeteilt waren, ist die Verdichtung kein Quantensprung, aber gegenüber 1994 hat sich die Zahl der gemeldeten Bewohner des Viertels nahezu verdreifacht. Ähnliche Entwicklungen sind mir auch aus Frankfurt und München bekannt.

    • @el presidente:

      Richtig. Für die Miete, die Sie da zahlen müssten, können Sie sich auch eine Eigentumswohnung finanzieren. Und Bebauungspläne dienen u.a. der Planungssicherheit und werden nicht jede Legislaturperiode neu gestrickt.

  • Wenn die Flächen der Stadt gehören, kann dann nicht ein weniger problematisches Unternehmend für das Projekt gewonnen werdenß

  • Es gibt offensichtlich immer irgendwelche Gründe, die irgendwelche Nachbarn finden, um Wohnungsbau zu verhindern. Letztlich ist das immer eine sehr kleine Minderheit und meistens geht es eigentlich immer zumindest auch um eigene Interessen. Es zeigt sich zunehmend, das Mechanismen wie Bürgerbeteiligung, Bürgerbegehren etc nicht zu mehr Demokratie führen, sondern dazu, das einzelne auf diese Weise versuchen, ihre Interessen gegen die Mehrheit durchzusetzen.

    Die Vonovia ist sicher nicht die sympathische aller Firmen (wobei ich persönlich ehrlich gesagt einigermaßen gute Erfahrungen mit denen habe), aber das sollte für die Nachbarn kein Grund sein, den dringend benötigten Wohnungsbau zu verzögern oder zu verhindern.