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Party-Skandal von Boris JohnsonEin zynisches Spiel

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die Empörung der Tory-Rechten über Johnsons „Corona-Party“ ist scheinheilig. Es geht um Regeln, deren Einführung sie selbst bekämpft hatten.

Wahlabend am 13.12.2019: Boris Johnson, seine damalige Partnerin und der ehemalige Chefstratege Foto: Andrew Parsons/Parsons Media/imago

I m Mai 2020 trafen sich rund 30 Mitarbeiter des britischen Premierministers Boris Johnson im parkähnlichen Garten von 10 Downing Street, um erstmals seit der kurz zuvor beschlossenen Lockerung des Corona-Lockdowns zu feiern. Die Einladung erging von Johnsons Stabschef. Johnson selbst war ganze 25 Minuten lang da, wie er sagt. Zulässig war das nicht: Nach damaligen Regeln durfte man unter freiem Himmel nur eine Person aus einem anderen Haushalt treffen.

Seit Tagen rollt die Empörungslawine. Der verlogene Premier denkt wieder mal, dass Regeln nicht für ihn gelten! Der Eliteschnösel feiert feucht-fröhlich, während draußen Menschen sterben! Johnson muss weg! Und Johnsons Ausrede im Parlament am Mittwoch – er habe den Garten von 10 Downing Street als „Erweiterung des Büros“ gesehen und da seien Treffen „technisch“ zulässig – glaubt er wohl selbst nicht, warum sonst hätte er sich entschuldigt.

Über der Affäre hängt viel Scheinheiligkeit. Hat Johnson – damals frisch von Covid-19 genesen – etwa alleine gefeiert? War die Veranstaltung wirklich bis jetzt geheim? Die Einladungen gingen an 100 Leute. In der politisch-medialen Blase von Westminster kennt jeder jeden und es gibt keine Geheimnisse.

Oberstratege der Tory-Rechten

An die Öffentlichkeit geriet die „Garden Party“ jetzt durch einen Hinweis von Dominic Cummings, Johnsons damaliger Chefberater. Cummings trennte sich Ende 2020 im Streit von seinem Boss und sinnt auf Rache: Er nahm bei seinem Abgang viel interne Kommunikation mit und lässt sie seitdem selektiv und gezielt an die Öffentlichkeit durchsickern. Das erklärte Ziel seiner Vendetta: „Regimewechsel“.

Der einstige Oberstratege des Brexits agiert nun als Oberstratege der Tory-Rechten, die vom Premier enttäuscht sind, weil er den harten Rechtskurs vermissen lässt. Sie nutzen jetzt ausgerechnet die Empörung über seine Missachtung von Coronaregeln, die sie selbst vehement bekämpften. Es ist ein zynisches Spiel.

Corona-Infektionen als Ergebnis der Garden Party vom 20. Mai 2020 sind übrigens nicht überliefert.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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7 Kommentare

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  • D. Johnson mal wieder als verlässlicher Fan seines Namensvetters.

  • Das Verhalten des Premiers und des Ex-Beraters wird zum Sittenbild in elitärem rechtskonservativem Manier. In dieser Logik gelten mit Selbstverständlichkeit unterschiedliche Regeln abhängig von Rang und Stellung in der Gesellschaft. Eine Haltung, die während der Kolonialzeit große Erfolge für kleine Eliten einbrachte und gleichzeitig zum Desaster für Abermillionen von Menschen in Afrika, Asien, der Amerikas, Australien, Südsee usw, usw wurde.



    Diesem Selbstverständnis nach, sollen sich Eliten gar nicht an den Regeln, die angeblich für alle gelten halten, denn sie verstehen sich ja als etwas besonderes, höheres, und daher mehr wert als andere.



    Regelverstöße gehören in dieser Logik zum guten Ton, sind Kavaliersdelikte, sind spannend, werden gegenseitig stillschweigend als „Streiche“ bewundert, sind „witty“, die Leute auf der Straße haben dann auch was zu reden, die Presse was zu schreiben. Und die Eliten hoffen hinter selbstbewusst arrogante Gesichter - aber innerlich nervös, zittrig sogar mal panisch - dass sie sich irgendwie sicher im Sattel halten können.



    Das Pferd bockt aber jetzt gewaltig… da kann auch mal was schiefgehen.

    • @Nilsson Samuelsson:

      Volle Zustimmung, sehr schöner Kommentar.

  • Müssen wir jetzt ernsthaft den Obervolpfosten, Boris das Großmaul, verteidigen? Nur weil ein Teil seiner Kritiker noch größe Vollpfosten sind und noch scheinheiliger, selbstgefälliger und verlogener als Johnson selbst? Soll ernsthaft die berechtigte Kritik an ihm irgendwie gemildert werden, nur weil sie auch von Leuten wie ihm selber kommt? Das kann ja wohl nicht sein.

  • Es macht ja einen gewaltigen Unterschied, ob ich eine Regel bekämpfe oder diese einhalte bzw. deren Einhaltung fordere. Insoweit ist da kein Raum für Zynismus.

    Herr Johnson hätte die anwesenden Partygäste in Summe zu seinem Harem erklären sollen; dann hätten alle als ein Haushalt gegolten.

  • Ich finde das eigentlich nicht zynisch.

    Im Gegenteil: gerade weil sie es bekämpfen ist es doch nur logisch, sich über denjenigen aufzuregen, der es durchsetzt und sich dann aber nicht daran hält.

    Ob Infektionen danach bekannt sind oder Johnson Genesen war ist dabei völlig irrelevant. Die Empörung ist zurecht angebracht und sollte nicht nur von den Tory-Rechten getragen werden.

    Gerade derjenige, der die Einschränkung nicht möchte empfindet es natürlich als umso heftigeren Schlag ins Gesicht, wenn sich die für die Einschränkung verantwortlichen nicht daran halten!

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Man stelle sich mal vor, die Briten wären in der EU geblieben.



    Der ständige Ärger wäre vorprogrammiert, v.a. mit dem Stuwwelpeter!