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Deutschland in der PandemieNeun Kliniken geschlossen

Das Bündnis Klinikrettung kritisiert, dass trotz Pandemie Krankenhäuser geschlossen werden. Es werde immer noch vor allem wirtschaftlich gedacht.

Notaufnahmen sind wichtig, doch manche müssen schließen, weil Finanzierung und Personal fehlen Foto: Julian stratenschulte/dpa

Berlin taz | Im Jahr 2021 haben 9 Kliniken in Deutschland geschlossen, wie das Bündnis Klinikrettung meldet. Weitere 22 wurden zum Teil geschlossen. Obwohl das keinen direkten Einfluss auf die Pandemie habe, hänge es doch mit der Pandemie zusammen, kritisierte das Bündnis bei einer Pressekonferenz am Dienstag.

Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 1.900 Krankenhäuser, 700 sollen abgebaut werden. Das hatte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) im Sommer angekündigt. Der GBA ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen. Weniger Krankenhäuser könnten die Aufgaben verteilen und so wirtschaftlicher arbeiten, argumentiert der GBA.

Nach Angaben des Bündnisses Klinikrettung sind die zu schließenden Krankenhäuser meist für die ambulante Notfallversorgung da. Die hätten häufig schon finanzielle Probleme. An vielen Stellen, vor allem beim Personal, fehle es an Mitteln. Statt die Angebote der ambulanten Notfallversorgung zu verbessern, würden die Krankenhäuser gänzlich eingestellt.

Aber jede Schließung bedeute für die Menschen in der Umgebung deutliche Nachteile, erklärt Laura Valentukeviciute vom Verein Gemeingut in Bürgerhand, der sich gegen Privatisierungen ausspricht und zum Bündnis Kli­nik­rettung gehört. Krankenhäuser zu schließen wäre „wirtschaftlich verständlich“, sagt Valentukeviciute. Es gehe aber um die Daseinsversorgung und nicht um Wirtschaftsunternehmen. „Die meisten Schließungen gibt es im ländlichen Raum und es sind eher kleine Krankenhäuser“, berichtet Valentukeviciute. Das nächste Krankenhaus sei dann für Verletzte oder akut Kranke deutlich weiter entfernt.

Das zeigt sich beispielsweise in Havelberg in Sachsen-Anhalt. Die kleine Stadt liegt recht allein im Norden des Landes, etwa dort, wo die Havel in die Elbe mündet. Im September 2020 schloss der private Betreiber KMG das dortige Klinikum. Es rechne sich nicht. Mittlerweile wurde das Gebäude zum Seniorenzentrum. Aber bis zum nächsten Krankenhaus sind es nun etwa 40 Kilometer.

Proteste gegen die Schließung konnten die angekündigte Schließung nicht aufhalten, erzählt Anke Görtz am Dienstag bei der Pressekonferenz. Görtz ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins Pro Krankenhaus Havelberg. Zwar habe selbst der Ministerpräsident Reiner Haseloff mit ihnen gesprochen und ihr Anliegen verstanden, aber der Rückkauf des Havelberger Klinikums durch den Freistaat Sachsen-Anhalt sei gescheitert.

Ein weiteres Problem sei, dass die Schließungen sehr „dynamisch“ erfolgten, ergänzt Carl Waßmuth, der ebenfalls im Bündnis aktiv ist. Das Personal bleibe nicht bis zur Schließung, sondern gehe schon, nachdem die Schließung angekündigt wurde. Währenddessen würde auch kein Pflegepersonal mehr an den Kliniken ausgebildet und das fördere den Personalmangel, der aktuell zu den großen Schwierigkeiten der Pandemie führe. Auf lange Sicht solle die Regierung das Problem angehen, um zukünftig mit mehr Pflegepersonal der Pandemie begegnen zu können.

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10 Kommentare

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  • Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts.

    Natürlich ist es dumm, eine Klinik oder sondwas ohne nachzudenken in den Müll zu werfen, denn es gibt immer eine bessere und nachhaltigere Lösung.

    Krankenhäuser haben meist eine hervorragende Ausstattung und räumliche Gliederung. Statt jetzt drölfundneunzig Allgemein- und Facharztpraxen über den Ort und Landkreis zu unterhalten, davon jede dritte mit unausgelasteten Sonderausstattungen wie Röntgen oder MRT, zu unterhalten, kann man das zu schließende Krankenhaus oft besser in eine Poliklinik oder ein Ärztehaus überführen, wo der Patient auf engstem Raum alle "ärztlichen Gewerke" versammelt hat, sich Zahnarzt, Chirurg und Internist mit einem Röntgengerät begnügen können und die Analytik ihre Ergebnisse den überweisenden Ärzten die Ergebnisse online zukommen lässt. Für den Notfall kann man da noch 5 Betten für Privatpatienten und Notfälle vorhalten und, wenn man sonst die Räume nicht voll bekommt, auch noch eine Kleintierklinik unterbringen.

    Den Nutzen von so einer Folgenutzung haben alle Beteiligte:



    Die Ärzte sparen Investitionen.



    Die Krankenkassen sparen Kosten.



    Die Patienten sparen Zeit und Wege.

  • Gesundheitspolitische Dreistigkeit

    Es ist eine gesundheitspolitische Dreistigkeit sondersgleichen, das drakonischen Anti-Corona-Regime damit zu begründen, einen angeblich drohenden Kollaps des Gesundheitswesens verhindern zu wollen und es zugleich renditesüchtig zu kujonieren, also gleichzeitig Gas zu geben und zu bremsen.

    Diese intellektuelle Akrobatik wurde sogar dem französische Präsident E, Macron unbehaglich, als er ganz zu Beginn der Corona-Krise kleinlaut in einem lichten Moment einräumen mußte, daß das neo-liberale Dogma der letzten Jahrzehnte in seinem Land das französische Gesundheitswesen auf Grund gefahren hat und es als Entwicklungsmodell grundsätzlich in Frage zu stellen sei, weil es sich in der gegenwärtigen Gefahr als total untauglich erweise: „Morgen müssen wir die Lehren ziehen aus dem, was wir gegenwärtig durchmachen, das Entwicklungsmodell hinterfragen, in das sich unsere Welt seit Jahrzehnten verwickelt hat und dessen Mängel nun ans Licht kommen, die Schwächen unserer Demokratien hinterfragen. Eines hat sich durch diese Pandemie schon jetzt herausgestellt: Die kostenlose Gesundheit, unabhängig vom Einkommen, Stellung und Beruf, unser Sozialstaat sind keine Kosten oder Lasten, sondern wertvolle Güter, unverzichtbare Trümpfe, wenn das Schicksal zuschlägt. Diese Pandemie hat jetzt schon deutlich gemacht, daß es Güter und Dienstleistungen gibt, die außerhalb der Marktgesetze gestellt werden müssen. Es ist verrückt, unsere Ernährung, unseren Schutz, die Gestaltungsfähigkeiten unseres Lebensrahmens im Grunde an andere zu delegieren. Wir müssen die Kontrolle darüber zurückgewinnen, mehr noch als bisher ein souveränes Frankreich und Europa errichten, ein Frankreich und Europa, das sein Schicksal fest in die Hand nimmt. Die kommenden Wochen und Monate werden Entscheidungen erfordern, die in diesem Sinne einen Bruch darstellen. Ich werde die Sache in die Hand nehmen.“ (TV-Rede am 12.3.2020; Quelle: Web-Site des Elysée-Palastes, eigene Übersetzung)

  • bitte beziehen Sie auch folgende Zahlen mit in die Diskussion ein:

    www.salto.bz/de/ar...-gesundheitssektor

    Fazit: Deutschland hat die meisten pro-Kopf-Krankenhausbetten in der EU (800 pro 100.000 Einwohner, Stand: 2018)

    zum Vergleich: Österreich 727, Frankreich 591, EU-Durchschnitt 538, Finnland 361, Schweden 214.

  • Regt Euch mal alle ab. Keine*r der Aufreger*innen wollte in einem kleinen Krankenhaus mit unzureichender Fachexpertise und Infrastruktur wegen einer ernsthaften Erkrankung (Herzinfarkt, Schlaganfall, Darmkrebs, Blutvergiftung , schwere Covid-Erkrankung ) behandelt werden. Aus gutem Grund: die Behandlungsergebnisse dieser Kliniken sind einfach schlecht. Moderne Medizin mit guten Behandlungsergebnissen kann in Strukturen, die vor 60 oder 100 oder 150 Jahren entstanden sind, nicht funktionieren.



    Es wäre wichtiger in dünn besiedelten Gebieten die Notfallversorgungsstruktur (also Rettungsdienste) besser auszustatten, so dass sie rasch akute Notfälle in personell und strukturell ausreichen funktionierenden Kliniken bringen können. Länder wie Dänemark haben das geschafft. Aber Deutschland romantisiert wieder vor sich hin und glaubt, dass das Antikspitalismuskritik ist.

  • Wer will, kann sich die Auswüchse auch anderswo anschauen, wenn die Versorgung gekappt wird. In Südtirol hatte ich mit lokalen Vertretern unweit Meran im Sommer über die Schwierigkeiten gesprochen, gute ÄrztInnen und Fachpersonal für Häuser zu gewinnen, die auf der Kippe stehen. Dasselbe hatte ich vor einigen Jahren auf Usedom als Thema aufgenommen, wo Geburten weit entfernt stattfinden mussten, da die lokale Infrastruktur den Marktrealitäten angepasst worden war. Dramatisch ein Vorfall 2004 in Süddeutschland, als ein schwerkrankes Kind nach einer stundenlangen Odyssee verstarb, weil kein fachpädiatrisches Intensivbett im ländlichen Ostbayern zur Verfügung stand. Kinder, Schwangere, Hochbetagte, die Liste ist lang für merkantile und neoliberale Fehlanreize und Verblendungen in der Planung der medizinischen Grund-Versorgung. Wer nach Alternativen sucht, dem sei der Ansatz der "CARE REVOLUTION" VON PROF. GABRIELE WINKER empfohlen, lokale Gruppen gibt es bereits, so z.B. in Dortmund. Ein gut organisiertes Netzwerk könnte wirkmächtig mitreden, gute Argumente gibt es genug. Vielleicht ist in diesem Kontext auch über Chancengleichheit und Grundrechtsverletzungen ein Diskurs möglich mit den neuen SpezialistInnen im BMG, ich bin da vorerst noch optimistisch. "Aufbruch und Fortschritt", die Junktim-Parole passt hier dann gut in die neue Agenda. "Mehr Fortschritt wagen" als neues Credo kann auch mit Zurücktreten von der Bahnsteigkante beginnen.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    "Es werde immernoch vorallem wirtschaftlich gedacht."



    Eine Insel anderen Denkens inmitten des Kapitalismus ist vermutlich nicht möglich. Selbst bei hoheitlichen Aufagaben steht der Staat auf der Schuldenbremse.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Das sehe ich aber anders. Zumal andere Daseinvorsorgeleistungen (Polizei, Wasserversorgung, Abwasser, Energie, Strassen, Rente, etc.) überwiegend in staatlicher Hand geführt werden.



      Nur wo der Lobbyeinfluss groß genug ist, spriesen die PPP`s und Privatgesellschaften und Aktienkonzerne. Das Gesundheitswesen gehört da leider auch dazu, weil die von uns gewählten Politiker seit Jahrzehnten bei diesem Kapitalismusmonoopolie mitspielen. Nicht nur im Geundheitswesen auch im Energiebereich; siehe z.B. Gerhard Schröder

      • @Sonnenhaus:

        Also einige dieser Dienstleistungen für die Bevölkerung sind ganz klar privatisiert. Nicht umsonst gibt es ja die Strabag für den Straßenbau, und es gibt immer mehr Straßenabschnitte, die privat geführt werden.

        Energie ist ein Spielplatz für vier große Kinder im Oligarchensumpf. Und wenn der Umsatz mal schmal wird, werden die Strompreise einfach so erhöht.

        Gasversorgung? Ebenfalls. Gab doch neulich einen Fall in Baden-Württemberg, wo ein Privatier die Lieferungen kündigte, und das Land dafür einspringen musste.



        Siehe auch: www.merkur.de/welt...x-zr-91171049.html

        Wasserversorgung/Abwasser? Fangen wir garnicht erst an.

  • Wer hat denn unser Gesundheitswesen auf Effizienz getrimmt ?



    Ja wer war das denn ?

    Wer hat uns denn die Zusatzbeiträge eingebrockt ?



    Wer die Fallpauschalen eingeführt ?



    Wer den Pflegeschlüssel ausgehebelt?

    Wen haben wir da nur gewählt ...

  • Was für ein Wahnsinn hier betrieben wird ist unfassbar. Seit vielen Jahrzehnten schauen die politsch Verantwortlichen zu und handeln nicht bzw. das einzige was sie tun ist die Kiniken aus der Kommunalen oder der Verandwortung der Bundesländer (welche eigentlich der Allgemeinheit gehören) an Privatunternehmen zu verscharrern.