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Meinungsfreiheit und Xavier Naidoo„Antisemit“ ist ein Werturteil

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Der Beschluss des Verfassungsgerichts in der Causa Naidoo ist gut und wichtig. Man sollte aber nicht vergessen, dass ein Björn Höcke gefährlicher ist.

Xavier Naidoo beim Gießener Kultursommer 2019 Foto: Imago

E ine linke Wissenschaftlerin durfte Xavier Naidoo doch als „Antisemiten“ bezeichnen. Das Bundesverfassungsgericht hob nun zwei entgegenstehende Urteile aus Bayern auf. Das ist keine Karlsruher Grundsatzentscheidung, weil die bayerischen Gerichte einfach handwerkliche Fehler gemacht haben. Aber dennoch ist der Beschluss des Verfassungsgerichts gut und wichtig.

Denn natürlich ist der öffentliche Diskurs weit über den Einzelfall hinaus belastet, wenn jemand wie Xavier Naidoo mithilfe von An­wäl­t:in­nen und Rich­te­r:in­nen politische Kritik an seinen Liedtexten verbieten lassen kann.

Das Verfassungsgericht hat nun aber keineswegs geklärt, dass Xavier Naidoo ein Antisemit ist. Es hat nur entschieden, dass Naidoo als „Antisemit“ bezeichnet werden darf – jedenfalls wenn klar ist, dass ihm dabei keine Holocaust-Bereitschaft unterstellt wird. Es ging in Karlsruhe um ein Werturteil, nicht um eine Tatsachenbehauptung.

Das ist ähnlich wie bei dem Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke, der laut Entscheidung des Verwaltungsgerichts Meiningen „Faschist“ genannt werden darf. Bei einem Werturteil ist der Spielraum des Sagbaren deutlich größer als bei einer ehrverletzenden Tatsachenäußerung, die belegbar und korrekt sein muss. Allerdings darf auch ein Werturteil Menschen nicht ohne jeden faktischen Anhaltspunkt stigmatisieren.

Naidoo hochgradig abgedriftet

Doch das ist bei Xavier Naidoo nicht zu befürchten. Wer von einem „Baron Totschild“ schwadroniert, bedient damit klassisch antisemitische Stereotype und ist ziemlich nah dran an der Sprache von Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen alter Schule. Der Verweis Naidoos auf seinen jüdischen Konzertmanager ist dann auch nicht geeignet, ihn gegen politische Kritik zu immunisieren.

Allerdings sollte man Naidoo auch nicht allzu ernst nehmen. Er hat schon viel Unsinn behauptet und dann wieder das Gegenteil. Dass er eine hochgradig abgedriftete Persönlichkeit ist, dürfte inzwischen weithin bekannt sein. Ein Höcke ist da deutlich gefährlicher.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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6 Kommentare

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  • Also wenn es um die Gefährlichkeit geht, da sehe ich supergute Musiker wie Naidoo schon ganz vorne. Wer von den jungen Leuten hört Höcke zu?! Xavier Naidoo ist Multiplikator und Menschenfänger weil er gute Musik abliefert mit denen er Inhalte transportiert die die Fans vergiften können. Wenn das nicht gefährlich ist ... !!!

    • @shitstormcowboy:

      Darf hier mal entschärfen:Niemand unter 25 findet Naidoos „Musik“ „gut“.



      Da sind die ganzen Deutschrapper deutlich reichweitenstärker,das Genre hat auch schon vor Corona recht unsubtil mit dem Antisemitismus kokettiert.

  • Worum geht es hier eigentlich? Um Gefährlichkeit? Da mag Höcke vorne liegen. Aber ist Gefährlichkeit überhaupt relevant, für die Frage, ob jemand ein Antisemit ist? Höcke ist vielleicht ja sogar weniger Antisemit als Naidoo, aber einfach weil er "nur" immer ein hauptberuflich dauerprovozierender Rassist und Nazi ist, Naidoo hingegen meint die Sch ... ziemlich sicher ernst. Höcke kann man sicherlich auch einen Antisemiten nennen, aber das ginge bei ihm am Kern vorbei. Die Frage bleibt also, wieso man eigentlich diese beiden Typen einerseits gleichsetzen und andererseits dann nach ihrer Wirkung unterscheiden sollte. Naidoo ist ja nun auch nicht harmlos. Im Gegenteil ist er vielleicht sogar typischer für den Nährboden, den ein Höcke dann beackert. Und dass der Nährboden das eigentliche Problem ist und die schweigenden Mitläufer die wirklich kritische Masse bilden, das sollte doch wohl klar sein. Ich hoffe, ich habe ein bisschen verwirrt und zum Denken angeregt.

  • Keine Ahnung, warum die taz hier auf Höcke relativiert, was ja völlig überflüssig ist.

    Naidoo bringt heftige Sachen, laut Tagesspiegel verbreitet er "ein Video mit der Aussage, der Holocaust sei eine „gelungene historische Fiktion”. Oder die Behauptung, Juden würden Nichtjuden in der Pandemie mit Giftspritzen ermorden. Oder die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“, versehen mit dem Hinweis, das Buch sei eines der “wichtigsten Dokumente der Menschheitsgeschichte”.

    Dieser Naidoo bezeichnet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als eines der “wichtigsten Dokumente der Menschheitsgeschichte”?

    Die Urmutter aller Verschwörungstheorien, ein hohes Konzentrat an Dummheit und giftigstem Judenhass.

    Naidoo? Nein danke.

    www.tagesspiegel.d...llte/27916304.html

    • @shantivanille:

      Dem kann ich nur uneingeschränkt zustimmen !

  • Schließe mich dem Kommentar von Christian Rath an … wobei zu bedenken ist, dass Naidoo als Musiker immer noch eine große öffentliche Reichweite hat. Wer wie Naidoo im Liedtext von „Baron Totschild“ faselt, bedient bewusst antisemitische Stereotype … sowas rutscht einem nicht so einfach heraus, auch wenn es sich um eine „hochgradig abgedriftete Persönlichkeit“ handelt.



    Und wer wie Naidoo derart auf der antisemitischen Klaviatur spielt, nimmt auch - davon gehe ich aus - antisemitische Straftaten billigend in Kauf … denn der „Baron Totschild“ steht im antisemitischen Duktus für das absolut Böse und das Bedienen solcher Stereotype steht wiederum für die Aufforderung, dieses - aus antisemitischer Sicht - absolut Böse mit allen Mitteln zu bekämpfen, bis hin zur Vernichtungsabsicht.



    Das gleiche gilt übrigens für die Kabarettistin Lisa Fitz, wenn diese in einem Song ausschließlich prominente jüdische Namen bzw. Persönlichkeiten mit dem „Scheisseberg des Teufels“ in Verbindung bringt.



    Hier beschleicht mich der Eindruck, dass in der öffentlichen Toleranz gegenüber solchen antisemitischen Auswüchsen unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, wenn ich sehe, dass ein Naidoo auch hier in der taz als ein lediglich durchgeknallter Wirrkopf verharmlost wird und auf der anderen Seite in der Causa El-Hassan der Antisemitismusvorwurf bei vielen doch recht locker in Anschlag gebracht wurde.