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Hoher Krankenstand unter Leh­re­r*in­nenIch, die unbezahlte Lehrkraft

Bei meiner Tochter fällt ständig der Unterricht aus und ich muss übernehmen. Warum mich das nervt? Weil ich Entgeltfortzahlungsneid habe.

Wie wäre es, mal den Unterricht der Leh­re­r*in­nen bewerten zu lassen? So könnte es aussehen Foto: dpa/Arne Dedert

N eulich wurde bei einer Elternratssitzung stolz verkündet, dass an der Schule unserer Tochter der Unterrichtsausfall nur bei einem bis vier Prozent liegt. Dazu muss man wissen, dass in der Statistik nur Stunden erfasst werden, in denen die Kinder tatsächlich nach Hause geschickt wurden. Solange irgendjemand vorne am Pult sitzt, ist das Vertretungsunterricht.

Wenn es richtig gut läuft, spielen die Vertretungen etwas mit den Kindern und alle haben Spaß. Im zweitbesten Fall arbeiten die Kinder selbstständig einen festgelegten Arbeitsplan der kranken Mathelehrerin ab – theoretisch wenigstens. Praktisch wäre meine Tochter bei dem in der Klasse herrschenden Chaos dazu nicht in der Lage, selbst wenn sie wollte.

Zuhause kann ich dann nach drei Wochen ohne Mathestunden – die aber nicht ausgefallen sind – im Arbeitsplan mal gegenchecken, wie realistisch die Aussage „in Mathe muss ich nix machen“ eigentlich ist. Ich sehe: Bei allen Aufgaben stehen Ergebnisse, allerdings ohne Rechenweg. Das könnte daran liegen, dass die Kinder ein Lösungsheft bekommen haben, damit sie – nachdem sie sich allein in ein Thema eingearbeitet und alle Aufgaben gelöst haben, auch noch die Ergebnisse eigenständig kontrollieren können. Höhöhö!

Solange ich nichts davon weiß, ist es mir fast egal, ob meine Tochter die unendlich vielen Übungsaufgaben zur Bruchrechnung macht oder nicht. Aber mir ist es nicht egal, wenn ihr vorher gar keiner beigebracht hat, wie man Brüche überhaupt teilt. Da überkommt mich sofort mein Homeschooling-Trauma, wenn wir wieder auf YouTube Lehrer Schmidt glotzen und versuchen den Kack ohne Schule zu kapieren.

Noten gibt's immer, auch ohne Unterricht

Eines ist nämlich sicher: Egal wie viel und welche Art Unterricht stattfindet, zur nächsten Klassenarbeit muss das Pensum geschafft sein und es gibt eine Note – für die Kinder wenigstens. Die Leistungen der Lehrpersonen werden nicht beurteilt. Wenn sie krank sind, müssen sie auch nicht nacharbeiten.

Warum sind die überhaupt so oft krank? Was läuft da falsch? Und warum bin ich so ein schlechter Mensch und habe kein Mitgefühl, sondern bin genervt? Ich kenne die Antwort: Weil ich Entgeltfortzahlungsneid habe! Als Freiberuflerin habe ich so was nämlich an keinem einzigen Tag in meinem Leben bekommen, aber ich habe schon so manchen Tag hier Zuhause Schule gemacht – auch ohne Corona und wenn ich selber krank war.

Alle Jahre wieder hört man aus der FDP den Vorschlag, Lehrer nach Leistung zu bezahlen. Das ist so populistisch, dass man sich keine Sorgen darüber machen muss, dass unsere neue FDP-Bildungsministerin versuchen wird, das umzusetzen. Okay, wer freiwillig in Brennpunktschulen arbeitet oder als Vertretung tatsächlich Unterricht macht, könnte einen Bonus bekommen. Aber sonst? Wie will man bitte die Leistung von Lehrenden messen? Über die Zensuren der Kinder? Oder fragt man vielleicht mal die Zufriedenheit der Kinder selber ab?

Da hätte ich gleich eine Idee für die praktische Umsetzung: Man könnte – wie auf Flughafentoiletten – einen Touchscreen neben der Tür anbringen. Darauf sind drei Emojis: Ein grüner Smiley, ein gelber Neutrali und ein roter Schmolli. Nach jeder Stunde, geben die Kinder im Hinausgehen ihr Voting ab – und ihre Magendarm-Erreger.

Die Verbeamtung der Eltern nicht vergessen

Oder die Kinder bekommen eine App aufs Handy: „Wie zufrieden warst Du heute mit der Freundlichkeit Deines Lehrers? Tippe sechs für völlig zufrieden, tippe eins für völlig unzufrieden.“ Oder nur zwei Buttons: Daumen oder Mittelfinger hoch. Damit wäre Schule wieder ein Stück digitaler und voll am Zeitgeist! Die Lehrkräfte könnten am Ende jeder Stunde grinsend rufen: „Und vergesst nicht, wenn es Euch gefallen hat, abonniert mein Fach und Daumen hoch!“

Zum Glück gibt es genug gute und motivierte Lehrerinnen und Lehrer, von denen oft auch welche gesund sind. Die haben dann sogar die wichtigen Themen des sozialen Miteinanders auf dem Zettel. Ich frage mich, ob DAS eigentlich Leistungen wären, für die sie von der FDP mehr Geld bekämen.

Und sollte es wieder zum Homeschooling kommen, dann bitte die Verbeamtung der Eltern diesmal nicht vergessen – oder einfach uns nach Leistung bezahlen, ginge auch.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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7 Kommentare

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  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    "....und versuchen den Kack ohne Schule zu kapieren."

    Wer kennt das nicht? Unverständliches Zeug war mir schon immer ein Geuel, v.a. die Textaufgaben.



    Bei der Steuererklärung ist das ganz ähnlich.

    Aber bei den Erwachsenen dürfte die Erfolgsquote beim Lösen einer einfachen quadratischen Gleichung unter 30% liegen.



    Dreisatz? Schwierig.



    Irgendwie funktioniert da was nicht in den Schulen.

  • Ein ganz einfacher Vorschlag wäre die Lösung für gleich mehrerer der im Beitrag angesprochenen Herausforderungen: Sie bewerben sich einfach auf eine der mehr als 60.000 offenen Lehrer-Stellen in Deutschland. Dann haben Sie einen sicheren Job, die von Ihnen unterrichteten ca 200?Kinder und Jugendlichen endlich wieder regulären Unterricht und Sie können allen beweisen, dass sie es dauerhaft besser machen und dabei immer gesund zum Unterricht erscheinen.

  • "Wie will man bitte die Leistung von Lehrenden messen?"

    Ganz einfach: Lehrer auf Schulen, wo sonst keiner hin will, bekommen mehr Geld. Das funktioniert genauso gut wie bei den Pflegekräften.

  • In meiner Schulzeit waren die besten Lehrer gleichzeitig die unbeliebtesten. Leider waren die Unfähigen nicht alle beliebt, sonst könnte man einfach die Wertung umkehren.



    So aber ist es unmöglich, die Leistung eines Lehreres anhand der Schülerwertungen abzulesen.

  • Allgemein ist die nahezu unbegrenzte Anzahl an Sick-Days in Deutschland ein Witz, das glaubt einem im Ausland kein Mensch wenn man erzählt dass man in Deutschland 42 Tage krank machen kann und danach direkt wieder, man braucht nur eine andere Krankheit zu erfinden.

    Bei Beamten kommt eine sehr hohe Pension dazu die dazu verleitet gerne auch mal in Frühpensionierung zu gehen wegen „ psychischer Probleme“. Man trifft die ehemaligen Lehrer in Frühpension gerne mal in Thailand, Vietnam, Spanien oder Karibik….

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Ich kenne die Lösung: KSK mit Krankentagegeld und Rente für alle! Für - sagen wir - fix 20% vom Ertrag ab dem ersten Euro. Die Fehlbeträge - quasi der Arbeitgeberanteil - füllt die Staatskasse auf und holt sich diese über Unternehmenssteuern.

    Die Begründung ist auch nicht sehr komplex: Freiberufler, Soloselbständige und Kleingewerbetreibende sind das Getriebefett für die Wirtschaft. Sie schaffen Flexibilität, übernehmen Risiken, füllen für überschaubare Preise Kompetenzlücken in Unternehmen. Wenn sie schon - oft - nicht entsprechende entlohnt werden, weil die Machtverhältnisse das nicht zulassen, dann kann und soll der Staat eingreifen und die entsprechende Umverteilung und Absicherung organisieren.

    Er tut das ja im Übrigen in vielen, vielen anderen Bereichen ganz selbstverständlich - wenn er zum Beispiel Straßen baut oder seine Landesbanken nach den Wünschen der Finanzindustrie ausrichtet.

    Warum gibt es sowas nicht? Weil wenige Selbständige sich den @rsch vergolden können und den Eindruck erwecken, alle die, die als Selbständige nicht über die Runden kommen, sind zu faul, zu dumm, zu gierig... Es sind die gleichen Narrative, die Hartz-4 hervorgebracht haben, Ausländerfeindlichkeit schüren..

    Und "Entgeltfortzahlungsneid" ist ein Ast von diesem Baum...

    Ich bin wieder bei der toxischen Bourgeoisie und den dummen, kleingeistigen Narrativen in diesem Lande, die uns den Kopf kosten werden...

  • Olaf Scholz hat die Richtung vorgegeben: man (die SPD) sollte nur das versprechen, was auch gehalten werden kann.

    Das sollte auch für Schule gelten!



    Wieder mal richtig "lesen, schreiben, rechnen" lehren, wäre ein guter Anfang.



    Da wäre sicher auch die FDP nicht dagegen.