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Polizeieinsatz vor Ida Ehre Schule„Verhältnismäßig und rechtmäßig“

Im August sollen Hamburger Schüler einen Polizisten gegen den Kopf getreten haben. Dessen Verhalten bei dem Vorfall wird kritiklos durchgewunken.

Stand auf einmal mit Mittelpunkt oft einseitiger Berichterstattung: Die Hamburger Ida Ehre Schule Foto: dpa / Daniel Reinhardt

Hamburg taz | Als am Nachmittag des 21. August dieses Jahres diese Meldung über den Ticker lief, kam sie für unseren Redaktionsschluss zu spät und blieb liegen: „Brutaler Schüler-Angriff auf Polizisten in Hamburg“. Die meisten anderen Medien brachten die Meldung sofort. „Brutale Prügel-Attacke in Hamburg: 80 Schüler gehen auf Polizisten los“, titelte etwa der Focus. Und das Hamburger Abendblatt kündigte eine „harte Reaktion“ des Schulsenators an.

Nach einer Horroraktion von Monsterkids hörte sich an, was sich vor dem Tor der Eimsbüttler Ida Ehre Schule zugetragen haben sollte. Grundlage der Texte war eine Pressemitteilung der Polizei Hamburg. Mehrere Schüler hätten einen Schulpolizisten, der einen Streit zwischen zwei Jungen habe schlichten wollen, „tätlich angegriffen“. Ein an der Schule tätiger „Cop4U“ habe Streit zwischen zwei Jungen schlichten wollen und sei dabei angegriffen und „mehrfach gegen den Kopf getreten“ worden. „Nur weil der Polizeibeamte bei dem Einsatz noch seinen Fahrradhelm trug, blieb er unverletzt“, schrieb die Polizeipressestelle.

Bei der Lektüre der Pressemitteilung fielen einige Adjektive auf. So habe einer der Streitenden, die der Beamte habe trennen wollen, „vehement“ eine Hand unter seiner Jacke verborgen und sie auch nach Aufforderung nicht gezeigt. Da der Polizist den 13-Jährigen bereits gekannt habe und nicht habe ausschließen können, dass er bewaffnet war, habe er dessen Arme fixiert. Da der Junge dabei um sich geschlagen habe, habe er ihn „zu Boden bringen und weiterhin fixieren“ müssen. Die ringsum stehenden Kinder und Jugendlichen hätten sich dann „auf hochaggressive Weise“ mit dem Festgehaltenen solidarisiert und den am Boden liegenden Polizisten bedrängt.

Ob der Junge tatsächlich bewaffnet gewesen war, ließ die Pressemitteilung offen. Auf taz-Nachfrage räumte die Pressestelle am darauf folgenden Sonntag ein, dass der Junge nicht bewaffnet war. Bald darauf kursierte ein Video, dass den Polizisten auf dem Jungen zeigte, und Kinder, die ihm zuriefen: „Hören Sie auf!“, „hören Sie auf“, „er kriegt keine Luft mehr!“, „der Typ ist 13“.

Hamburg führt auffällige Kinder und Jugendliche in einer Datenbank, die zentral bei der Polizei gepflegt wird

Bei aller berechtigten Empörung über Tritte gegen den behelmten Kopf – wir sahen auf dem Video zwei – stellten wir die Frage nach dem Verhältnis von Aktion und Reaktion, musste doch das beschriebene Zubodenbringen auf Kinder und Jugendliche bedrohlich gewirkt haben. Ihr Versuch, dem Jungen beizustehen, könnte ein verständlicher Impuls sein, auch wenn Tritte inakzeptabel sind.

Schulbehörde und auch Schulleitung konzentrierten sich in der Öffentlichkeitsarbeit darauf, das Verhalten der Kinder zu verurteilen. Die Rektorin erklärte in einer über den Presseverteiler der Behörde verbreiteten Stellungnahme, sie sei entsetzt vom Gewaltpotenzial der Kinder und erschrocken über deren Empathielosigkeit und darüber, „mit welchem Selbstverständnis und in entfremdender Form 'gegafft’ wird“. Elf Schüler wurden suspendiert.

Die Bild-Zeitung veröffentlichte bald darauf einen Bericht mit der Überschrift „Die Gewalt-Akte der Ida-Ehre-Schläger“, in dem fünf Kinder aufgeführt wurden, die einiges „auf dem Kerbholz“ hätten, zum Beispiel „Widerstand“. Das Medienecho blieb nicht ohne Wirkung. Die Schulsprecher wandten sich kurz darauf hilfesuchend an den Elternrat, weil sie sich in den sozialen Medien „gebasht und als Schläger gebrandmarkt“ sahen, wie eine Elternrätin berichtete.

Der Elternrat kritisiert daraufhin die Öffentlichkeitsarbeit von Polizei, Schulbehörde und Schulleitung, die Kinder pauschal zu kriminalisieren. Diese hätten gar nicht erst erwogen, dass viele Schüler aus Zivilcourage stehen geblieben seien und weil sie dachten, dass der am Boden Liegende Hilfe braucht.

Die taz sprach mit einem Schüler, der damals direkt vor Ort war und eben dieses Motiv schildert. „Er hatte ihn im Schwitzkasten“, beschrieb der 14-Jährige die Situation. „Der Typ hat laut gerufen, er kriegt keine Luft mehr. Der Polizist hat nicht darauf reagiert.“ Da habe ihn einer an den Kopf getreten. „Er hat versucht, ihn runterzutreten, weil er dachte, dass der andere erstickt.“

Damals kamen zwölf Streifenwagen hinzu, trennten die Menge und nahmen drei Kinder mit zur Wache. Dabei hätten die Beamte auch den Schlagstock gezeigt und seien rabiat gewesen, erinnert sich der Junge. In dieser Lage hätten einige Schüler eine Kette gebildet und „ACAB“ gerufen. „Aber zu sagen, es gab eine Massenschlägerei, ist ganz falsch.“

Die Linken-Abgeordnete Sabine Boeddinghaus und ihr Referent Hanno Plass widmeten dem Vorgang einen längeren Text in ihrem „Bürgerinnenbrief“ und zitierten einen Kampfsport-Experten, der vermutet, dass es sich beim angewandten Griff um einen potenziell tödlichen Würgegriff handelt. Der Stern schrieb daraufhin von einer „Wende bei der Aufklärung des Falls“, denn nun werde auch intern gegen den Polizisten ermittelt.

Auch die taz sprach mit diesem Kampfsportexperten. Er heißt Jan Henning Bode und sagte, dass auf den ihm von dem Vorfall vorgelegten Videos ein „Scarf Hold Chest Choke“-Griff zu sehen sei, der wegen seiner Gefährlichkeit bei der Polizei in New York verboten sei.

Darauf angesprochen, erklärte ein Polizeisprecher, dieser Griff werde bei der Polizei nicht gelehrt und es könne auch nicht beurteilt werden, ob diese Grifftechnik Anwendung fand. Es werde aber der gesamte Einsatz vom Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) in alle Richtungen überprüft. Dazu gehöre auch eine Untersuchung des „polizeilichen Einschreitens“. Dieselbe Auskunft gab uns auch die Staatsanwaltschaft.

Nun, vier Monate später, stellte die Fraktion Die Linke eine Anfrage, um zu herauszufinden, was aus den Ermittlungen wurde. Denn es gebe „die berechtigte Vermutung, dass der Cop4U durch seine Übergriffigkeit erst zu dieser Eskalation beigetragen hat“.

In der Antwort teilt der Senat nun mit, dass es gegen den Cop4U-Beamten keineswegs ein Ermittlungsverfahren gibt. Besagtes DIE-Dezernat ermittle nur gegen vier weitere am Einsatz beteiligte Polizeibeamte, gegen die eine Mutter Strafanzeige wegen Körperverletzung stellte. Ein anderes Verfahren richte sich gegen fünf Schüler wegen Widerstands gegen Beamte. Vier von ihnen würden eingestellt, weil die Beschuldigten Kinder sind. Das Verfahren gegen einen 15-Jährigen dauere an, hier werde das „umfangreiche Aktenmaterial“ ausgewertet.

Cop4U wieder im Einsatz

Der Cop4U sei wieder im Einsatz, das sei auch Wunsch der Schulleitung. Eine „Evaluation“ des Einsatzes habe ergeben, dass dessen Einsatz „verhältnismäßig und rechtmäßig“ gewesen sei. Denn „Maß und Mittel“ hätten sich ausschließlich aus dem Verhalten der Kinder ergeben. Im Vorfeld habe ein Vater Anzeige gegen den 13-Jährigen gestellt. Das Ziel sei die Verhinderung von Straftaten gewesen.

Auch der Sprecher der Schulbehörde zieht als Fazit, die Schulgemeinschaft und die Schulleitung hätten „auf den schweren Gewaltvorfall pädagogisch angemessen reagiert“. Die Aufarbeitung sei nicht abgeschlossen, mache aber „große Fortschritte“.

Keinen Niederschlag in den Ausführungen des Senats findet die grundsätzliche Kritik am Einsatz von Schulpolizisten, die infolge dieses Vorfalls laut wurde. Die Erziehungswissenschaftlerin Sinah Mielich beschäftigte sich 2010 im Rahmen einer Studienarbeit mit dem „Cop4U-Konzept“ und hält es für falsch. Denn die Polizisten übernähmen pädagogische Aufgaben, bauten Vertrauen zu den Schülern auf, seien aber keine Pädagogen, sondern Polizisten, die Strafanzeigen stellen.

Mielich sieht ihre Kritik nun bestätigt. „Den Medienberichten zufolge geschah das gewalttätige Agieren des Polizisten auf Basis einer Vermutung und damit auf Grundlage einer Stigmatisierung des Schülers“, sagte sie. „Eskalative Konfliktführung hilft in so einer Situation nicht zur Verständigung.“ Schon die Programmatik des Cop4U habe einen Fehler, da nahezu jeder Konflikt unter dem Etikett der Jugendkriminalität eingeordnet werde. Zudem verlocke sie die Schulen dazu, „bei jeder Kleinigkeit ihren Hauspolizist zu rufen“.

Weitere Schwachstellen

Der Fall legt noch weitere Schwachstellen des Hamburger Konzepts „Handeln gegen Jugendgewalt“ offen. So führt Hamburg auffällige Kinder und Jugendliche in einer Datenbank, in die verschiedene Behörden Details einspeisen und die – zum Missfallen des Datenschutzbeauftragten – zentral bei der Polizei gepflegt wird. Auch wenn der Senat nun beteuert, alle Behörden hätten sich „in keiner Weise an der medialen Bloßstellung von Jugendlichen beteiligt“, fragt man sich doch, woher denn die Medien die zu einzelnen Kindern veröffentlichten Informationen hatten?

Zum Ärger des Elternrats griff der NDR Ende November das Thema unter dem Titel „Gewaltausbruch vor der Ida-Ehre-Schule“ wieder auf. Solch negative Berichterstattung schade, schreibt der Elternrat in einem Brief an die Schulbehörde. Die Schüler müssten sich nicht nur im Internet als „Polizistenverprügler“ wieder finden, sondern würden auch bei Bewerbungen abgelehnt. Kurzfristig nötig sei ein Konzept, dass das Außenbild der Schule verbessert.

Der Leiter der „Beratungsstelle Gewaltprävention“ der Schulbehörde, Christian Böhm, äußerte in besagtem NDR-Beitrag aber auch Verständnis für die Schüler. Er höre immer mehr Stimmen von Kindern und Jugendlichen, dass sie aufgrund der Situation total verunsichert waren. „Und das, finde ich, müssen wir berücksichtigen.“

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8 Kommentare

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  • Finde immer wieder die zeitliche Nähe von Artikeln über Unrecht in der DDR, wie z. B. taz.de/!5820243/ bzw. wie hier in der BRD seltsam und kann darüber hinaus nicht nachvollziehen, dass in den Jugengendwerkhöfen alle unschuldig waren, während hier, wie in diesem Fall, 80 Schüler auf einen Polizisten losgegangen sein sollen, dass ein Schulsenator „harte Reaktionen“ ankündigen musste.

  • An den Hamburger Schulen gibt es das Gespenst von extrem gewaltbereiten Schülern, denen man vor allem mit einem Mix von Maßnahmen entgegnen müsse. Ob dieses Bild von Gewalt wirklich der Wahrheit entspricht? Ich finde es überfällig, andere Thematiken anzusehen. Gerade Polizisten sind die letzten, die wirklich in einer Schule was verloren haben.

  • Ich bin Jugendschöffe - und was ich da an gewalttätigen Jugendlichen zu sehen bekomme macht mir Angst. Und alle die vor Gericht landen haben ein Vorstrafenregister lang wie die Bibel. Die lachen sich ins Fäustchen wenn’s mal wieder Bewährung oder Sozialstunden gibt. Diese Jugendlichen als Unschuldslämmer darzustellen ist auch falsch.

    • @Holger Steinebach:

      Mir macht Angst, dass sie die gängigen Floskeln verwenden um Kinder zu verurteilen, die sie nicht kennen. Und das in ihrer Position!

    • @Holger Steinebach:

      Woher wissen Sie das mit den Vorstrafenregistern der Beschuldigten? Wurde wohl schnell mal von den Behörden an die Medien durchgestochen um ein bestimmtes Bild - eine bestimmte Stimmung - zu generieren; existiert diesbezüglich für Kinder und Jugendliche hierzulande kein Datenschutz?



      Jeder ist in der Bundesrepublik Deutschland so lange unschuldig bis ein Strafgericht dies anders sieht; sollten Sie als Schöffe wissen.



      Und diese Sache ist längst nicht so eindeutig (möglicher unerlaubter Würgegriff des Cop4U-Beamten, Atemnot des betroffenen Schülers) wie von Polizei und bürgerlichen Medien dargestellt.

      • @Thomas Brunst:

        "Da der Polizist den 13-Jährigen bereits gekannt habe und nicht habe ausschließen können, dass er bewaffnet war, habe er dessen Arme fixiert."

        Da er erst 13 ist, hat er natürlich kein Vorstrafenregister.

  • Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, dass Polizeigewalt verharmlost und Polizisten immer und unhinterfragt als "die Guten" dargestellt werden. Da machen dann alle mit: Lehrer, Schulbehörde, Politik, Justiz und große Teile der Medien. Da passt es schon irgendwie, dass selbst minderjährige Kinder kriminalisiert und stigmatisiert werden, wenn sie bei der Gewalt nicht aus dem Weg gehen oder Kritik wagen. An toxischen Strukturen und falschen Strategien darf nicht gerüttelt werden, schon gar nicht öffentlich.

  • Der Typ wollte also gern mal seinen wahrscheinlich im Internet gesehenen Superwürgegriff ausprobieren, und hat sich dafür einen 13-Jährigen ausgesucht. (Hier sehen wir schon, warum das Konzept Schulpolizist problematisch ist - niedrige Hemmschwelle, leichte Opfer, Möglichkeit zum Machtmißbrauch, keine Beobachtung, Kriminalisierung von Schülern.)

    Andere Schüler zeigen sich solidarisch mit dem Opfer und versuchen, diesem mit den Mitteln zu helfen, die ihnen gerade zur Verfügung stehen - Smartphones, Mund, Hände und Füße.

    Resultat: "DIE MONSTERKINDER VON HAMBURG". Ein lehrreicher Fall - diese Schüler werden sicher einiges über Polizei, Medien und Schulsystem gelernt haben! "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" muß an der Schule wohl nicht mehr gelesen werden!

    Und unter den genannten Umständen (es sah aus, als ob der 13-Jährige erstickte, sicher fühlten sich einige an George Floyd erinnert) sind Tritte völlig akzeptabel! Man muß nicht friedlich zusehen, wie jemand unnötig brutal gewürgt wird, auch nicht, wenn es die Polizei ist, die das tut!

    Ich bin froh, daß einige Schüler Solidarität gezeigt haben, das läßt mich hoffen. Die Reaktion des Staates und der Medien ist typisch - sofort kriminalisieren, zerschlagen. Es ist auch typisch, daß das wieder in Hamburg passiert. Die Polizei dort hat ein Problem.