piwik no script img

Radfahrstreifen zwischen AutospurenMit Angst in der Mitte

Radfahrstreifen zwischen Autospuren können den Fahrradverkehr sicherer und schneller machen, sind für viele Radler aber auch Grund zur Angst.

Beidseits geschützt: Radfahrstreifen zwischen Busspuren mit Längsschwellen Foto: Marcus Brandt/dpa

Hamburg taz | Sie gelten als Möglichkeit, Fahrradfahrer schneller und sicherer über Kreuzungen gelangen zu lassen: sogenannte Radfahrstreifen in Mittellage (RiM) zwischen den Autofahrspuren. Doch Ende Oktober ist ein Radfahrer in Hamburg auf einem solchen Radfahrstreifen von einem 40-Tonner überrollt worden. Jetzt fordert die CDU in der Hamburger Bürgerschaft den Rückbau der „Fahrradweichen“.

Die Verkehrslenkung sieht in diesen Fällen so aus: Ein aufgemalter Radfahrstreifen führt geradeaus über eine Kreuzung – zwischen einer Geradeausspur für Autofahrer und einer Rechtsabbiegespur. Die Idee dabei ist, dass geradeaus fahrende Radler von abbiegenden Lastwagen nicht mehr übersehen werden sollen.

Nach einer Einigung mit der „Volksinitiative Radentscheid“ im vergangenen Jahr will der rot-grüne Hamburger Senat in Zukunft keine Kreuzungen mehr nach diesem Muster gestalten und die bestehenden besser kennzeichnen.

Ob dieses Kreuzungsdesign sicherer oder gefährlicher ist als andere Lösungen, ist nicht abschließend geklärt. Die Einigung von Senat und Bürgerschaft mit der „Volksinitiative Radentscheid“ legt Wert auf ein sicheres Kreuzungsdesign. Abbiegende Autos sollten durch enge Kurvenradien verlangsamt, Radler durch vorgezogene Haltelinien und Grünvorlaufschaltungen sichtbar gemacht werden. Außerdem regt die Einigung an, über Kreuzungen nach niederländischem Muster nachzudenken, bei denen die Radler Kurven fahren müssen, um an einer Kreuzung vorbei zu kommen, sodass das abbiegende Auto sie frontal vor sich hat.

Ob dieses Kreuzungsdesign sicherer oder gefährlicher ist als andere Lösungen, ist nicht abschließend geklärt

Auch bei den Radfahrstreifen in Mittellage geht es vor allem um Sichtbarkeit: Ein Radfahrstreifen auf der Fahrbahn wird über eine Kreuzung hinweg fortgeführt. Weit vor der Kreuzung gibt es einen Bereich mit gestrichelten Linien, wo eine Spur für Autos wie Radfahrer nach rechts abzweigt.

Ob so eine Weiche sinnvoll ist, sei „eine der schwierigsten Fragen überhaupt“, sagt Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Das müsse im konkreten Fall abgewogen werden gegen den Radweg am Straßenrad mit einer Kreuzungsquerung an der Fußgängerfurt. Ist die Sicht zugestellt mit parkenden Autos, Büschen und Verteilerkästen, würde Brockmann eine klar und deutlich ausgewiesene Weiche auf der Straße vorziehen.

Dass das Thema intensiv diskutiert wird, liegt daran, dass sich zwei Drittel aller Radverkehrsunfälle innerorts mit Personenschaden und mehreren Beteiligten laut dem UDV an Kreuzungen, Einmündungen und Zufahrten ereignen; etwa jeder fünfte Unfall davon beim Abbiegen nach rechts. Am Großteil dieser Unfälle sind Lastwagen beteiligt, überwiegend als Verursacher.

Der Hamburger Senat hält die Radfahrstreifen in Mittellage an sich für unproblematisch. „Aus der langjährigen Praxis lässt sich sagen, dass die RiM bis dato bezüglich Unfällen unauffällig waren“, teilte er der CDU mit.

Zu einem differenzierten Ergebnis kommt eine Studie der TU Berlin, die 48 RiM-Kreuzungen einer Vorher-Nachher-Analyse unterzogen hat. „Es konnte gezeigt werden, dass diese Führungsform im Knotenpunktbereich nicht generell positiv auf die Sicherheit wirkt“, heißt es im Fazit. Zwar seien die Unfälle mit Verletzten insgesamt zurückgegangen, dafür habe es aber mehr Schwerverletzte gegeben.

Besser sehe es aus, wenn die Radfahrstreifen in Mittellage nicht zu schmal­ und nicht zu kurz gestaltet würden. Zudem müsse der Radverkehr eine gewisse Stärke haben, während es nicht zu viele abbiegende Autos geben dürfe. 45 Prozent der Radler fühlen sich der Studie zufolge auf den RiM unsicher.

Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) rät von den Radfahrstreifen in Mittellage auch unter Verweis auf diese Studie ab. „RiM sind ein Instrument aus der Toolbox der auto-zentrierten Verkehrsplanung“, heißt es in einem Positionspapier des Verbandes. Sie dienten vor allem dazu, Kreuzungen für den Autoverkehr leistungsfähig zu halten, widersprächen aber der Vision Zero – null Verkehrstote.

Die CDU in Hamburg findet deshalb, es müsse „in jedem Einzelfall geprüft werden, ob ein baulicher Rückbau sinnvoll möglich ist“. Die Radwege rot anzumalen, wie vom Senat geplant, sei keine Lösung und werde auch die Akzeptanz nicht steigern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Ein Ringrichter stellt sich während eines Boxkampfes auch nicht zwischen die Boxer.

  • Ich weiß ja nicht, warum man es so kompliziert (und vor allem geldsparend) macht.

    Sonderwege nur für Radfahrer.



    Sonderwege nur für Linienbusse.



    Sonderwege nur für genehmigte Nutzfahrzeuge (Lieferung, mobilitätseingeschränkte Personen, Müllabfuhr, Polizei...)

    Fertig.

    Ist doch zumeist der ganze Individualverkehr, gerade SUVs, die Fahrradfahrer auf die Hörner nehmen. Der gehört sowieso raus aus der Stadt. Dann muss man nicht so einen komplizierten Radweg mitten auf der Straße aufpinseln.

    Ob es in den Niederlanden auch Suicide Lanes gibt, wie Wunderwelt beschrieben?

  • Bei dem Foto wundere ich mich immer, welche_r Verkehrsplaner_in auf so eine Idee kommt.

    Bei diesen Längsschwellen kann man Lastenräder ganz schlecht überholen.

    Sobald das Lastenrad einen Schlenker macht, ich ausweiche und gegen die Schwelle fahre, liege ich auf der Nase.

    Der Platz neben dem Radfahrer auf dem Foto lässt die Annahme zu, dass es schon bei normalen Radfahrer_innen eng wird. Da will ich nicht mal weiter spekulieren...

    Was für eine "tolle" Konstruktion.

    Und dann habe ich, wenn ich viel "Glück" habe, auch noch links und rechts einen Doppeldeckerbus neben wir.

    Diesen Radweg mit Längstschweller würde ich nicht freiwillig benutzen.

  • 0G
    05653 (Profil gelöscht)

    Das Foto wirkt beängstigend. Warum macht man keinen Bewegungssensor, der auf Radfahrer reagiert und ein Signallicht für die Lkw-Fahrer schaltet?

  • Grundsätzlich müssen Autos beim Überholen von Radfahrern 1,50 m Abstand halten. Autospuren neben Fahrradstreifen müssten dann eigentlich diesen Abstand ermöglichen, also entweder überbreit sein oder von einem Pufferstreifen abgesondert werden.

    Wie das Photo zum Artikel beispelhaft zeigt, ist das in der Praxis nicht gewährleistet: Busse auf dem rechten Streifen könnten dort praktisch gar keinen Abstand zu den Radlern links einhalten. Ist aber so viel Platz vorhanden, dass eine "ordnungsgemäße" Fahrradweiche passen würde, wird meist auch schnell gefahren.

  • Zu guter letzt.

    Woher kommt überhaupt die absurde Idee der Angstweichen aka RiM?

    RiM werden in der ERA (Empfehlungen für Radverkehrsanlagen) als zulässige Radführungen beschrieben.

    Die ERA erscheinen im FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen) -Verlag.

    Die FGSV ist ein privat organisierter Verein. Mitglieder sind Mitarbeiter:innen (ca 87% Männer) aus Baufirmen, Verkehrs- und Stadtplanungsbüros, Unis, Ministerien usw.



    In einem undurchsichtigen Verfahren erlangen deren Vorschriften quasi Gesetzeskraft.



    Hervorgegangen ist die FGSV aus der 1934 gegründeten Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen (FGS), deren erster Vorsitzender Fritz Todt ('Organisation Todt' war.

    Todts strategisches Organisationsgeschick, nämlich die wirtschaftlichen Interessen am Infrastrukturbau zu bündeln und direkt, d.h. ohne Parlaments- oder Verwaltungsbeteiligung (und dann notwendigen und mühsamen Lobbyismus) in Bauvorschriften zu gießen, wurde in der Bundesrepublik beibehalten.

    Der 'Arbeitskreis Radverkehr' beim FGSV, zuständig für die ERA, wird von dem Dipl. Ing Jörg Ortlepp geleitet (s.a. Film 45 Min



    Vorfahrt fürs Fahrrad? | Themenwoche 2021, NDR Mediathek), der, wie im Film dokumentiert, nicht in der Lage ist, zu Planungszwecken die Breite einer Autotür herauszukriegen.

    Jörg Ortlepp wiederum, oh Wunder, ist Angestellter bei der UDV, dessen Chef Brockmann im Artikel so zitiert wird:



    "Ob so eine Weiche sinnvoll ist, sei „eine der schwierigsten Fragen überhaupt“, sagt Siegfried Brockmann von der Unfallforschung der Versicherer (UDV)."

    Krasser Fall nicht nur von false balance, sondern von Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht wenn hier der mutmassliche Auftraggeber dieser lebensgefährlichen RiM den Leser:innen als objektiver Gutachter (a la 'kann man so und so sehen') über die Dinger untergejubelt wird.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      Wer mehr über die FGSV wissen will, dem/der sei das Diskussionspapier von Prof. Dr.-Ing. Udo Becker & Prof. Dr. Oliver Schwedes, beide TU Berlin, empfohlen:

      Zur Reformbedürftigkeit der For-



      schungsgesellschaft für Straßen-



      und Verkehrswesen e. V.



      Plädoyer für ein repräsentatives Verfahren bei der Festlegung von Richtlinien im Straßenver-



      kehr



      www.ivp.tu-berlin....BeckerSchwedes.pdf

  • Dass "Radler Kurven fahren müssen, um an einer Kreuzung vorbei zu kommen, " erscheint mir kontraproduktiv, denn (leider) müssen sich geradaus fahrende Radfahrer auch auf den Verkehr konzentrieren, Verschwenkungen Der Wegeführung lenken davon ab.



    Interessanterweise werden Radwegen in Abstand zur Fahrbahn häufig näher an sie herangeführt; geradeaus kommt den Verkehrsplanern wohl zu simpel vor.

    • @meerwind7:

      Googelst du 'Darmstadt fährt Rad Schutzkreuzungen'.



      Ausführlich. Sachkundig.

  • Die Angst verstehe ich gut, da ich von einem Rechtsabbieger mit Kastenwagen vor einigen Jahren fast terminal eliminiert worden wäre, heute trage ich einen Airbag-Schal und selbstverständlich keine Stöpsel in den Ohren. IngenieurInnen aus Schweden und den USA hatten vor mehr als 10 Jahren eine interessante Entwicklung zum Test-Einsatz gebracht, den im !Auto eingebauten Airbag für Radfahrer und Fußgänger:



    //



    taz.de/Schutzsyste...rerInnen/!5233634/



    //



    ist auch möglich "made in Germany":



    //



    taz.de/!1221361/



    //



    nationaler-radverk...r-autos-amsterdam/



    //

  • Für mich wären sog. RiMs eher als SUICIDE LANES zu bezeichnen.

    Mir geht es wie den meisten (überwiegend) Rad fahrenden so, dass man sich auf den Dingern ausgeliefert fühlt..also alles andere als sicher.!!!

    Kürzlich habe ich mir das ganze auch als Auto fahrender angeschaut..und fand es eher verwirrend.

    Und Statistiken hin oder her..darum geht es doch nur nachrangig. Wenn man als umsichtiger Radfahrender unterwegs ist, wird man solche Verkehrskonzepte (die ja wohl eher von exclusiv Auto fahrenden Verkehrsplanern entworfen wurden) eher meiden.

    Die Realitäten von Radfahrenden und Autofahrenden unterscheiden sich nunmal sehr grundlegend. Ich plädiere daher auch dafür,dass Verkehrsplaner sehr viel häufiger als bisher, mal selber aufs Rad steigen..und das bitte nicht nur Sonntags..

  • Und noch.



    Es gibt bekanntlich den Recherchegrundsatz: Follow the money.



    (Manchmal fragt man sich als Nicht-Journalist, ob man den richtig verstanden hat.)

    Direkt zu Wort kommt nur Brockmann, Leiter der UDV (Unfallforschung der Versicherer).

    Die UDV hat mit "den Versicherern" finanziell jedoch nix zu tun. Es handelt sich um eine Deckadresse.



    Finanziert wird die 'Unfallforschung' zu 100% von nur den Kfz-Versicherern.



    Grundlage des Geschäftsmodells: Möglichst viele (Menge der Policen) und möglichst große (Qualität der Policen) Kfz.



    Der Trend zum Rad kostet Umsatz.

    Brockmann, Leiter der UDV, ist auch kein 'Unfallforscher'.



    Er hat Politikwissenschaften studiert und war zuvor bei der GDV (Gesamtverband der Versicherer) für die Verteilung von Anzeigen zuständig (Marketing, strategische Kommunikation).



    Sucht man nach ihm auf 'google scholar', so findet man eine Handvoll nichtssagender Artikel in Fachzeitschriften.

    Er ist aber sehr gut im Kreis der Verkehrs- bzw. Motorjournalisten vernetzt. Die liefern üblicherweise den passenden redaktionellen Kontext zu den Anzeigen der Kfz-Industrie und sind dadurch für die Verlage bares Geld wert.

    So wurde Brockmann z. B. die Ehre des Goldenen Dieselrings zuteil, eine Auszeichnung des Verbandes der Motorjournalisten, bestehend aus einem goldenen Ring, in dem ein Splitter des ersten Dieselmotors eingefasst ist (kein Scheiß, echt wahr).

    Brockmann vertritt und kommuniziert also knallharte wirtschaftliche Interessen, von Wissenschaft keine Spur.

    Natürlich kann und soll er seine Meinung äußern, aber warum kleidet der taz-Journalist diese ins Gewand von Forschung und gibt nicht einmal den kleinsten Hinweis auf economical interest.



    Gibt's bei der #taznord denn kein Wikipedia?



    Oder wurde der journalistische Grundsatz 'Follow the money' hier so verstanden, dass man dem Geld nach dem Mund reden soll?

    Erklärt demnächst EIKE hier die Klimakrise?

    • @Vorstadt-Strizzi:

      danke fuer diese details!

  • Die genannte Studie zu Radfahrstreifen in Mittellage untersucht zum Teil wilde Konstrukte als "Radfahrstreifen in Mittellage". Solche Versionen von RiM haben wir in Hamburg gar nicht. Wer das alles allein aufgrund dieser Studie ablehnt, vergleicht also Äpfel mit Birnen.

    Davon abgesehen arbeitet die Studie mit sehr kleinen Zahlen, so dass der Zufall bei den später hochgerechneten Prozentangaben eine entscheidende Rolle spielt. An verschiedenen Stellen weist die Studie auf die eingeschränkte Aussagekraft ihrer Daten hin.

    Ein Beispiel:

    "Die Bewertung der Unfallentwicklung ist allein auf Basis der erfolgten makroskopischen Datenauswertung nicht abschließend möglich, da essentielle Aspekte wie das Radverkehrsaufkommen oder die Abbiege-Verkehrsstärke des Kfz-Verkehrs nicht aus den Unfalldaten ableitbar sind. Eine abschließende Bewertung der Unfallentwicklung erfolgt, ebenso wie jene einzelner RiM-Gestaltungsmerkmale, auf Basis berechneter Unfallkenngrößen. Grundsätzlich ist dabei zu beachten, dass diesen Teilkollektiven nur geringe Stichproben zugrunde liegen.“

    Außerdem werden wichtige Parameter überhaupt nicht betrachtet. Zum Beispiel, wie die Radverkehrsführung im Streckenverlauf vor dem RiM war. Der Wechsel von der Führung vorher zu der auf dem RiM hat aber erheblichen Einfluss auf dessen Verkehrssicherheit. Stichwort: Bin ich vorher für den Autofahrer unsichtbar oder sichtbar gewesen?

    Die Entscheidung des Senats und die Forderung des Radentscheids und des ADFC, auf RiM fortan zu verzichten, lässt sich mit dieser Studie nicht begründen. Dass man damit mal kurz Erkenntnisse aus früheren Studien zur Sicherheit von Kreuzungen vom Tisch wischt - offenbar Nebensache.

    Und es gibt keine perfekte Alternative. Auch DAS "niederländische Kreuzungsdesign" ist so eine Floskel: In den Niederlanden gibt es unterschiedlichste Kreuzungsdesigns, die auch dort mehr oder weniger gut funktionieren.

    Aus der Studie kann man einige Punkte entnehmen, die für RiM wichtige Gestaltungsme

  • Ich hielte eine verpflichtende Grundausausbildung in Statistik für Journalisten gut. Es geht heutzutage zu viel um wissenschaftliche Evidenz, als dass man darauf verzichten könnte.

    Die o.a. Studie spricht von einer Zunahme von schwerverletzten Radfahrern nach Anlage der Angstweichen von ca 50% (3 Jahre vorher vs 3 jahre nachher).

    Im Kapitel 4.3.2 Alter und Geschlecht der betroffenen Radfahrenden heißt es:

    "In Konflikte involvierte Radfahrende sind zu 99 % der Altersgruppe der Erwachsenen zuzuordnen. Rad fahrende Jugendliche waren mit deutlich unter einem Prozent ebenso selten in Konflikte involviert, wie Senioren auf dem Rad. Der geringe Anteil beider Altersgruppen im Rahmen der Konfliktanalyse kann dabei auch durch die geringe Zahl der RiM-nutzenden Radfahrenden in diesen Altersgruppen erklärt werden." [Die Konfliktrate ist hoch signifikant mit dem Unfallgeschehen korreliert.)

    Nun sind jedoch ca 50% der Schwerverletzten im Radverkehr den Alterskohorten der Jüngeren unter 15 und den Senioren über 65 zuzurechnen.

    „Verbesserungen“ der Statistik durch Verdrängung von Hochrisikogruppen sind selbstverständlich kein “objektiver” Sicherheitsfortschritt, sondern müssen bei der Bewertung der Risikoexposition berücksichtigt werden.

    Der statistische Erwartungswert nach Verdrängung der Risikogruppen, wie sie mit der Anlage von Angstweichen einhergeht, wäre also minus 50% Unfälle mit Schwerverletzten. Dann wäre, statistisch gesehen, die Unfalllage unverändert geblieben.

    Der tatsächliche Anstieg von 50% Unfälle3 mit Schwerverletzten bedeutet demnach eine Verdreifachung dieses Merkmals, d.h. ein 'effektbereinigter' Anstieg von 200%.

    Mathe, Statistik, so wichtig für das Verstehen komplexerer Lagen.

    • @Vorstadt-Strizzi:

      "Nun sind jedoch ca 50% der Schwerverletzten im Radverkehr den Alterskohorten der Jüngeren unter 15 und den Senioren über 65 zuzurechnen."

      Haben sie eine Quelle dafür?

      "Der statistische Erwartungswert nach Verdrängung der Risikogruppen, wie sie mit der Anlage von Angstweichen einhergeht, wäre also minus 50% Unfälle mit Schwerverletzten."

      Mit wie viel Prozent sind die Risikogruppen auf "Weichen", Straße und Bürgersteig verteilt? Wie bilden sie die Verhältnisse? (Summieren über die Zeiten oder recht es die einmal im Monat zu benutzen...) Wie zuverlässig sind die Zahlen? (Varianz, Konfidenz)

      Ich behaupte, dass gerade auf gefährlichen Straßen ohnehin nur erfahrene Radfahrer*innen unterwegs sind. Dementsprechend kann ich ihre Argumentation kaum nachvollziehen - ich hatte auch Statistik im Studium benutzen müssen, dementsprechend bevorzuge ich zitierte Ergebnisse aus peer-reviewten Publikationen. Erst recht, da der Schulterblick noch immer von vielen als optional angesehen wird bzw. in LKWs nur bedingt möglich ist, soweit ein Abbiegeassistent vorhanden ist.