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Arbeitsmarkt in der PandemieKellner, Rider, verzweifelt gesucht

Während der Pandemie haben viele Ar­beit­skräfte aus dem Dienstleistungsbereich die Branche verlassen. Warum haben sie die Nase voll?

Illustration: Eléonore Roedel

Steffen Kirchner betreibt am Berliner Wannsee das beliebte Ausflugsrestaurant Loretta. Und er sucht gerade verzweifelt nach Personal, erzählt er am Telefon. Wie dramatisch ist die Lage? „Absolut dramatisch!“, sagt er – und fragt: „Haben Sie einen Koch für mich?“ Momentan müsse er sich entscheiden, ob er lieber die Öffnungszeiten reduziere oder ob er das ihm verbliebene Personal so überstrapaziere, dass es ihm bald auch davonlaufe.

„Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera“, sagt Kirchner. So oder so: Ihm geht gerade Umsatz durch die Lappen. Das Loretta musste bereits einen zweiten Ruhetag einführen. In Berlin gebe es zurzeit Tausende unbesetzte Stellen in der Gastronomie, sagt er.

Anfang Herbst spottete Kontinentaleuropa noch über Großbritannien, wo die Menschen vor Tankstellen Schlange standen, weil die Lkw-Fahrer:innen fehlten und der Nachschub an Benzin ausblieb. Der Brexit sei schuld, lautete die landläufige Begründung. Und in den USA gaben im August fast 4,5 Millionen Menschen ihren Job auf – so viele wie noch nie zuvor in einem Monat. Man spricht von der „Great Resignation“, der großen Kündigungswelle. Englischsprachige Medien sind voll davon.

Doch seit einiger Zeit trifft der Arbeitskräftemangel auch die hiesige Wirtschaft. Lücken tun sich in den Regalen auf, weil die Versorgung ohne Lkw-­Fah­re­r:in­nen nicht gewährleistet werden kann. In den Schaufenstern von Bars und Restaurants kleben Zettel, die zur Bewerbung auffordern. Lieferdienste wie Wolt versuchen mit Geldprämien, neue Fah­re­r:in­nen anzuwerben. Und die Bild-Zeitung sieht den Ausschank von Glühwein auf Weihnachtsmärkten in Gefahr – zumindest auf denen, die noch stattfinden dürfen.

Deutschland fehlen laut der Schätzung von Ex­per­t:in­nen über 1 Million Arbeitskräfte. Am vielbeschworenen demografischen Wandel kann es noch nicht liegen, zu schnell kam diese Wende, zu plötzlich sind der Wirtschaft die Leute ausgegangen. Und es geht im Moment auch nicht um den seit Jahren bestehenden Fachkräftemangel. Es fehlen zurzeit viele Menschen, die in Jobs arbeiten, die man schnell lernen kann, Jobs im Dienstleistungssektor.

Doch wo sind sie hin? Und wie viel hat das mit Corona zu tun? In der Pandemie sind auch neue Jobs geschaffen worden. Die taz hat mit vier Menschen gesprochen, die während der Pandemie entschieden haben, beruflich etwas Neues auszuprobieren – und dabei Chefs zurückgelassen haben, die jetzt verzweifelt Ersatz suchen.

Octavio freut sich auf einen richtigen Job

Octavio ist einer, der gewechselt hat. Der 28-Jährige war bis vor Kurzem Fahrer beim Lieferdienst Gorillas. Auch wegen der Debatte über seinen ehemaligen Arbeitgeber will er seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen – aber auch aus Respekt vor seinem neuen. Denn heute hat Octavio eine Stelle, die seiner Ausbildung entspricht, als Videocutter in einem Me­dien­kon­zern. Octavio ist vor ein paar Jahren aus Lateinamerika nach Berlin gezogen – der Liebe wegen. In einer Bar in Neukölln erzählt er von der körperlichen Belastung durch die Arbeit als Rider, von den Unwägbarkeiten der Start-up-Welt, und wie sehr er sich freut, endlich einen „richtigen Job“ zu haben.

Octavio berichtet von ständigen Rückenschmerzen, weil er bis zu 20 Kilo schwere Rucksäcke durch die Straßen fuhr und Treppen hoch schleppte. Während des Lockdowns sei das besonders schlimm gewesen, viele wollten nicht mal zum Einkaufen raus, also brummte bei den Gorillas das Geschäft. „Für körperliche Arbeit wird ein Stundenlohn von 10,50 Euro aber immer zu tief sein“, findet Octavio.

Eines Tages, erzählt er, schloss der Lieferdienst auch noch die Pausenräume mit Kühlschränken, sodass die Rider zwischen den Aufträgen draußen im Regen warten mussten. Seit Oc­ta­vio in Berlin wohnt, hat er einen Job gesucht, der zu seiner bisherigen Karriere passt. Er wechselte von einem unterbezahlten Start-up-Praktikum ins nächste. Seit 2019 schrieb er über 50 Bewerbungen, erfolglos. Doch plötzlich klappte es. Das habe auch mit der Pandemie zu tun, davon ist er überzeugt. Der Arbeitsmarkt sei in vielen Bereichen ausgetrocknet.

Das muss man Frederik Fahning nicht erzählen. Fahning ist einer der Gründer der Arbeitsvermittlungsplattform Zenjob. Jeden Monat vermittelt Zenjob etwa 20.000 Menschen an Unternehmen aus den Bereichen Logistik, Gastronomie und Einzelhandel. Fahning steht im ständigen Austausch mit So­zio­lo­g:in­nen, die den Arbeitsmarkt erforschen, und mit Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen. Er weiß also, was der Markt will.

In welchen Bereichen ist es gerade besonders schwierig, Angestellte zu finden? „Eigentlich in allen“, sagt Fahning im Zoomgespräch. Es gebe viel zu wenig verfügbare „Talents“. Für befristete Teilzeitangebote seien momentan kaum Leute zu finden. Und viele aus der Gastronomie seien während der Lockdowns in den Einzelhandel gewechselt, als dort verzweifelt Personal gesucht wurde, das die Kassen bedient und die Regale mit Klopapier und Nudeln auffüllt.

Auf dem Bau, in der Gastronomie und der Logistik gibt es viele Jobs, für die man wenig Vorbildung braucht – und in denen die einzelne Arbeitskraft bisher leicht zu ersetzen war. Deswegen waren die Löhne bislang meist niedrig, die Bedingungen schlecht. Vielleicht ändert sich das aber gerade zugunsten der Ar­beit­neh­me­r:in­nen. Denn wenn die Chefs keinen Ersatz finden, müssen sie ihre Angestellten besser behandeln. Fahning sieht eine Verlagerung: Ar­beit­neh­me­r:in­nen seien jetzt stärker in der Lage zu bestimmen, mit welchem Lohn sie nach Hause gehen, welche Arbeitsbedingungen sie akzeptieren. „Sie sind deutlich emanzipierter“, sagt Fahning.

Der durchschnittliche Stundenlohn auf seiner Vermittlungsplattform liegt zurzeit bei 13,50 Euro. Fahning erwartet eine baldige Steigerung auf 15 Euro. „Sehr, sehr cooler Trend, der sich da abzeichnet, aufgrund dieser Knappheit“, sagt er. „Das bedeutet ein deutlich stärkeres Empowerment aufseiten der Talents.“

Christoph ist 53 Jahre alt und hat die vergangenen sechs Jahre als Fahrer gearbeitet, bis zu diesem Herbst. Christoph, der seinen richtigen Namen ebenfalls nicht in der Zeitung lesen will, hat Blutproben aus Arztpraxen ins Labor gebracht. Die Lage auf Berlins Straßen hatte sich wegen Corona und den unzähligen Onlinebestellungen aber so verschlechtert, dass er von seinem Job immer genervter wurde. „Man fährt immer mehr gegeneinander“, brummt er ins Telefon. Erschwerend hinzu kamen: deutlich mehr Verkehr und Touren als vor der Pandemie.

Christoph kann stundenlang über den Verkehr schimpfen, die Rider:in­nen der Lieferdienste regen ihn besonders auf. „Ich versteh schon, dass das arme Kerls sind, die Zeitdruck haben“, sagt er. „Aber übern Bürgersteig müssen sie trotzdem nicht rasen.“

Diesen Sommer hatte er einen berufsbedingten Unfall. Sechs Wochen lang war er danach mit mehreren Brüchen krank geschrieben. Das gehöre zum Berufsrisiko eines Transportfahrers, sagt er. Doch als er wieder zurück ins Labor kam, meckerte sein Chef ihn an, er habe durch seine Abwesenheit den Betriebsablauf gestört. „Ich darf meine Knochen hinhalten, aber wenn ich zurückkomme, wird nicht mal gefragt: ‚Knochen wieder heile, geht’s gut?‘ “, sagt Christoph. „Da dachte ich: Macht euren Scheiß doch alleine.“

Schwierige Arbeitsbedingungen, unverschämte Chefs

Er hatte von Freunden gehört, dass anderswo gerade dringend Personal gesucht wird. Ursprünglich hat er Kaufmann gelernt, mit Zahlen und Tabellen kennt er sich aus. Über Empfehlungen bekam er so einen Job im Gesundheitsamt, das dringend Leute für die Dateneingabe suchte. Es sei nicht gerade die spannendste Aufgabe und auch nur befristet, erzählt er: „Aber als ich weg wollte, war alles, was sich anbot, ein Strohhalm.“

Schwierige Arbeitsbedingungen, unverschämte Chefs – hinzu kommt, dass die Arbeitsämter und Jobcenter im vergangenen Jahr ihre bürokratischen Hürden gesenkt haben. Etliches, wofür man früher persönlich hinfahren musste, geht plötzlich online. Auch das hat vermutlich vielen geholfen, die in dieser Zeit über eine berufliche Neu­orien­tie­rung nachdachten.

„Beim Jobcenter waren sie auf einmal super freundlich“, erzählt Cella. Die 29-Jährige hat sich für einen Karrierewechsel entschieden. Eigentlich hat sie Fotografie studiert, aber davon konnte sie nie richtig leben. Zuletzt hat sie gekellnert, zwei Jahre lang in einem hippen Restaurant in Neukölln. Bis spät in die Nacht auf den Beinen, immer freundlich lächeln, auch wenn die Gäste sich wie Arschlöcher verhalten, dazu häufig noch sexuelle Belästigung, auch durch Vorgesetzte – Cella hatte schon länger die Nase voll davon. Dann musste sie auch noch operiert werden. Die Nachwirkungen der OP hätten das ständige Rumrennen noch anstrengender gemacht, erzählt sie.

Während des Lockdowns bekam sie nur einige 100 Euro Kurzarbeitergeld im Monat, die Trinkgelder waren ihr auch weggebrochen. Sie konnte die Miete nicht mehr zahlen und musste zum Jobcenter, um aufzustocken. „Während der Pandemie haben wir alle gemerkt, dass das kein stabiler Beruf ist.“ Wie viele ihrer Freun­d:in­nen entschied sie, dass es besser wäre, einen Job zu suchen, den man im Notfall von zu Hause aus machen kann.

Programmieren, das klang für Cella, die aus Karrieregründen anonym bleiben will, nach einer sicheren Zukunft. Während des ersten Lockdowns belegte sie im Internet ein paar Gratiskurse in den gängigen Programmiersprachen und merkte, dass es ihr nicht nur Spaß machte, sondern dass sie auch ganz gut darin war. Als sie sich beim Jobcenter erkundigte, ob sie eine Fortbildung machen könne, meinte ihre Beraterin, sie würden ihr sogar ein ganzes Studium an einer privaten IT-Schule finanzieren.

Das Problem dabei: Das Amt bezahlt nur, wenn man gekündigt wird, nicht, wenn man selbst gehen will. Cella entschied sich, offen mit ihrem Vorgesetzten darüber zu sprechen. Sie wolle den Beruf wechseln und würde gern entlassen werden, sagte sie ihm. Doch der Manager des Restaurants weigerte sich, er finde gerade kein neues Personal, darum könne er niemanden entlassen, habe er gesagt und stattdessen verlangt, dass Cella noch mehr Schichten übernimmt.

„Um da rauszukommen, musste ich eine andere Karte spielen“, sagt sie. Ein Arzt schrieb ihr ein Attest, das bestätigte, dass sie nicht mehr körperlich arbeiten könne, weil sie unter Komplikationen von ihrer OP leide. Als sie ihrem direkten Vorgesetzten das Schreiben zeigte, habe er angefangen, sie anzuschreien, erzählt sie. Was ihr einfalle, die Crew im Stich zu lassen? „Die ganze Zeit heißt es, wir seien eine große Familie. Nach der Schicht trinkt man zusammen, aber wenn ich etwas Neues mit meinem Leben anfangen will, dann gibt’s Ärger.“

Wenige Tage später bekam Cella einen Anruf. Es war der Besitzer des Res­taurants, dem noch ein paar Bars gehören. Zuvor hatte er mit ihr kaum ein Wort gewechselt. „Der flehte mich am Telefon an, nicht zu kündigen“, erzählt sie, noch immer hörbar verblüfft. Er bot ihr freie Schichtwahl an, ein komplett freies Wochenende pro Monat – aber als sie mehr Gehalt forderte, blockte er ab. „Sorry, aber für 7.50 netto macht doch keiner mehr diese Jobs“, sagt Cella. Der Besitzer bat sie zum Abschied, in ihrem Freundeskreis weiterzusagen, dass all seine Bars gerade Leute suchen.

Cellas Erfahrungen kann auch Arbeitsvermittler Frederik Fahning bestätigen. In der Gastronomie seien die Einkommen nicht besonders stabil, das Basisgehalt, von dem aus das Kurzarbeitergeld berechnet wurde, sei oft so niedrig gewesen, dass es während der Lockdowns kaum zum Überleben reichte. „Da haben viele gesagt: Nö, da orientier ich mich um“, sagt Fahning.

Doch warum steigen die Löhne dann gerade nur so moderat? Müssten Gastronomen nicht einfach bezahlen, was der Markt verlangt? Es gebe zwei Gründe, warum die Löhne oft trotzdem nicht stiegen, sagt Fahning. Manchmal will die Bar nicht mehr bezahlen, weil sie es sich nach den Lockdowns wirklich nicht mehr leisten kann. Oder der Arbeitgeber denkt sich, es finde sich schon noch jemand, der für wenig Geld arbeitet. Sinnvoll sei diese Einstellung aber nicht. „Im Zweifel muss die Bar dann dichtmachen, weil sie niemanden haben, der dort arbeitet.“

Steffen Kirchner vom Ausflugs­res­tau­rant Loretta sieht die Hilfen des Sozialstaats kritisch, für ihn sind sie Teil des Problems. „Diese Leistungen müssen mal gekürzt werden, wenn Jobangebote nur abgelehnt werden“, sagt er. Zu viele seien während der Pandemie aus der Gastronomie ausgeschieden. „Mitarbeiter haben während Corona gelernt, dass Freizeit wunderbar ist.“ Kirchner will sie nicht faul nennen, die Kö­ch:in­nen und Kellner:innen, die nicht mehr am Wochenende und spätabends arbeiten wollen.

Aber: „Viele Mitarbeiter haben die Lust zu arbeiten verloren, sie nehmen sogar finanzielle Einschränkungen hin.“ Am Lohn könne es bei ihm jedenfalls nicht liegen, er zahle über Tarif. Er biete sogar Teilzeitmodelle an – trotzdem finde er nicht genügend Arbeitskräfte.

Weniger Nachtleben, mehr Erholung

Donna Stark sitzt auf der Dach­ter­ras­se ihrer Friedrichshainer WG. Sie hat zehn Jahre lang im Nachtleben in Hamburg und Berlin gearbeitet, hat an der Tür ausgesucht, wer rein darf und wer nicht, hat die Gäste betreut, hat auf Festivals Kioske betrieben und Künst­le­r:in­nen betreut. Dann kam Corona. „Das war schon krass“, sagt sie. „Von einem Tag auf den anderen war alles, wofür ich mich engagiert hab, einfach weggebrochen.“

Schon vorher sei bei ihr der Gedanke aufgetaucht, mal eine Pause einzulegen. Die körperliche Anstrengung, bei Wind und Wetter draußen zu stehen, immer dann zu arbeiten, wenn alle anderen frei haben – das alles habe sich bei ihr langsam bemerkbar gemacht. Gut bezahlt war der Job auch nicht gerade, zwischen 10 bis 15 Euro Stundenlohn gab es, manche Clubs zahlen nicht mal Nachtzuschläge. Aber durch die Arbeit an der Tür war Stark immer Teil einer Gemeinschaft von Raver:innen, die Clubs auch als politische Räume verstehen. Das war ihr wichtig. Bis zur Pandemie.

„Ich hab zum ersten Mal seit tausend Jahren einfach ohne Nachtschichten durchgeschlafen“, sagt sie. „Das hat mich ganz schön verändert.“ Als der Körper und der Geist sich erholt hatten, habe sie zum ersten Mal seit Langem Raum gehabt, sich zu überlegen: Was will ich eigentlich? Wie soll es weitergehen mit meinem Leben? Was mach ich, wenn ich körperlich nicht mehr mitkomme mit diesem Rhythmus? „Corona hat mir gebracht, dass ich besser auf mich höre.“

Stark hatte das Glück, tatsächlich bei einem Club angestellt zu sein. Normal ist das im Nachleben nicht – viele, die an der Bar arbeiten, haben bloß Minijobs, Sicherheitspersonal arbeitet oft auf Rechnung. Wer in einem solchen Modell festhing, bekam nicht einmal Kurzarbeitergeld. Den ersten Lockdown hatte Stark noch ausgesessen, die Dachterrasse der WG eignete sich gut für Yoga. Doch als klar war, dass die Clubs so bald nicht wieder öffnen, musste sie eine Entscheidung treffen: Zu Hause rumhocken oder was unternehmen.

Sie habe sich schon immer für Computer interessiert, jetzt hatte sie Zeit, sich damit zu befassen. In Berlin gibt es das Studienfach Informatik und Wirtschaft, ein kompletter Frauenstudiengang, das klang gut. „Das Amt war ziemlich cool“, erzählt Stark. Nun wird sie wie Cella Programmierer:in. Es ist ein Sprung in eine Karriere, die für viele zurzeit sicherer wirkt. Durch Corona boomt alles, was online läuft.

Kürzlich seien wieder ein paar Angebote von Par­ty­or­ga­ni­sa­to­r:in­nen gekommen, die wollten, dass Stark an der Tür die Auswahl macht. Doch bei der Bezahlung verdrehte sie die Augen. „Das ist jetzt nicht euer Ernst!“ Dazu komme, hört Stark aus der Szene, dass viele Clubs nicht besonders nett mit den Leuten umgesprungen seien, die jahrelang alles zusammengehalten haben. Manche, wie ihr früherer Arbeitgeber, hätten sich auch im Lockdown um die Angestellten gekümmert, sich zwischendurch bei den Leuten gemeldet, um zu fragen, wie es ihnen gehe, ein Onlinetreffen vorgeschlagen. „Die waren einfach total am Start, mega ­supportive.“

Andere Arbeitgeber, hörte Stark, „melden sich ewig nicht, dann sagen die: ‚Hier, nächste Woche machen wir auf, und ihr müsst alle arbeiten.‘“ Stark klatscht demonstrativ in die Hände. Aber so eine Dalli-Dalli-Attitüde wollten sich viele eben nicht mehr bieten lassen.

Seit Oktober hat sie neben ihrem Teilzeitstudium einen Job in einem frauengeführten Start-up angetreten. So ganz ans Büro habe sie sich aber noch nicht gewöhnt. „Meine erwachsene Seite kommt da mehr zum Zug“, sagt sie und lacht. „So lange auf dem Arsch zu sitzen, bin ich noch gar nicht gewohnt.“

Octavio weiß die Vorzüge seines neuen Bürojobs zu schätzen – und auch die eines richtigen Arbeitsvertrags. Seine Freundin ist schwanger, bald ist der Geburtstermin. Die Agentur hat ihm schon gesagt, dass er dann in Elternzeit gehen kann. Als er das erzählt, klingt er sehr aufgeregt. „Denkst du, als Rider kriegt man frei, um ein besserer Vater zu sein?“, ruft er. Seinen alten Job vermisst er nicht.

Die richtigen Namen von Octavio, Christoph und Cella sind der Redaktion bekannt.

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25 Kommentare

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  • Die Arbeitgeber, die sich jetzt darüber beklagen, dass sie keine Leute finden: Die kommen mir vor wie jemand, der für zehn Scheine einen fabrikneuen Porsche kaufen möchte, keinen bekommt, und sich dann über einen Porschemangel beklagt.

    Es gibt keinen Mangel an Arbeitskräften. Es gibt einen Mangel an Gehältern, für die diese Leute zu arbeiten bereit sind.

    Auf einem Markt für Produkte wundert sich niemand, dass Preis, Angebot und Nachfrage sich wechselseitig beeinflussen, und gefragtere Produkte dann eben teurer werden; und auch nicht darüber, daß höhere Preise für eine Ausweitung des Angebots sorgen.

    Und wenn dieselben Mechanismen jetzt auf einmal auch auf dem Markt für Arbeitskräfte sichtbar werden, reiben die Arbeitgeber sich verwundert die Augen; was genau haben die an einer Marktwirtschaft nicht verstanden?

    • @Carcano:

      Dies ist kein Markt, solange die Existenz durch staatliche Alimentation gesichert ist. Wir sind nicht in Manchester.

      • @Adam Weishaupt:

        Sicher ist es richtig, dass der Arbeitsmarkt durch das staatlicherseits mehr oder weniger garantierte Existenzminimum kein völlig freier Markt ist.

        Dennoch wirken zwischen Anbietern (Arbeitnehmern), Kunden (Arbeigebern), der Ware (Arbeitsleistung) und deren Preis (Gehalt) dieselben Mechanismen, die auch auf dem Markt für PKWs oder Kartoffeln wirken.

        Wenn die Kunden die Wahl zwischen mehreren Anbietern haben, können sie den Preis drücken; Anbieter dagegen, die mehrere Kunden zur Wahl haben, können den Preis hochtreiben. Und knappe Ware wie zB Programmieren erzielt höhere Preise als reichlich verfügbare Ware, wie zB eine Bauhelfertätigkeit.

        Bisher war man es gewohnt, dass bestimmte ungelernte Tätigkeiten -- wie zB Kellnern -- reichlich verfügbar sind, und hat also nur niedrige Preise dafür bezahlt. Dies ändert sich anscheinend gerade; die Anbieter können nun entweder höhere Preise bieten, oder stehen halt sonst ohne Ware da ... wie der Typ, der einen Porsche kaufen will, aber nur zehntausend Euro dafür hat. Oder der McDonalds, der um sieben Uhr abend schließen muss, weil er für den Hungerlohn die Schichten nicht mehr vollkriegt.

        Mein Punkt war ja: Wenn der Mangel an einer bestimmten Ware (hier: Arbeitsleistung) beklagt wird, dann idR durch Leute, die einfach nicht bereit oder in der Lage sind, einen marktgerechten Preis dafür zu bezahlen.

        Ein Freund von mir schrieb mal: "Gehen tut alles, es ist oft nur ne Frage der Investitionsbereitschaft."

        Praktisches Beispiel: Suchen Sie eine Servicekraft für zehn Euro die Stunde, und der Zettel mit dem Angebot wird lange in Ihrem Schaufenster hängen. Aber sobald sie zwanzig Euro die Stunde bieten, werden die Leute Ihnen die Bude einrennen; wenn dies kein Marktmechanismus ist, was dann?

  • Angebot und Nachfrage.



    So legten die Hersteller immer ihre Preise fest.



    Nun sind die Angestellten dran, lasst euch einfach besser bezahlen, ihr seid die Mangelware, also seid ihr mehr wert.



    Angebot und Nachfrage gilt auch für Arbeitskräfte.

  • zitat ... :

    ... das bedeutet ein deutlich stärkeres empowerment aufseiten der talents ...

    was für ein neusprech-geschwurbel eines arbeitsvermittlers.

  • Ich habe während meines Studiums als Barkeeper gearbeitet, mit den Trinkgeldern habe ich sehr gutes Geld verdient (mehr als in den ersten Jahren meines Berufes). Allerdings sind die Arbeitszeiten einfach schrecklich und man verliert schnell soziale Kontakte. Ich kann es durchaus verstehen, wenn man sich ein anderes Betätigungsfeld sucht.

  • Es ist schon erstaunlich, wie gesellschflich akzeptiert heutzutage all die Jobs bei Sklaventreibern sind. Für mich sehr erschreckend.

  • taz: "Während der Pandemie haben viele Ar­beit­skräfte aus dem Dienstleistungsbereich die Branche verlassen."

    'Dienstleistungsbereich' - Was für ein nettes harmloses Wort. Die Wahrheit sieht doch aber wohl eher so aus, dass diese "Dienstleister" seit Jahren ausgebeutet werden und von ihrem mickrigen Lohn nicht leben können. Nur die Angst vor Hartz IV Schikane treibt die Menschen in solche Ausbeuterjobs und daran will man wohl auch nichts ändern, denn mit § 10 SGB II kann man in den Jobcentern auch weiterhin Menschen zu "Leibeigenen" umwandeln (Sanktionsandrohung) und das obwohl die Leibeigenschaft in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert verboten ist.

    taz: "Es fehlen zurzeit viele Menschen, die in Jobs arbeiten, die man schnell lernen kann, Jobs im Dienstleistungssektor."

    Hier liegt das eigentliche Problem. Jobs die man "schnell lernen kann" sind nämlich keine echten Jobs, sondern schlecht bezahlte Hilfsarbeiterjobs. Und solche "Jobs" kann man auch schnell wieder mit neuen Menschen auffüllen, wenn die vorigen "Dienstleister" ausgebrannt sind oder die Schnauze endgültig voll haben (z.B. Fahrer bei Lieferdiensten). Dieser ganze Dienstleistungsbereich ist doch zu einem großen Prozentsatz nur Ausbeutung, damit sogenannte "Arbeitgeber", die keine anständigen Löhne zahlen wollen, ordentlich Reibach auf Kosten der kleinen Leute machen können. Und wenn ein kleiner Gastwirt keine anständigen Löhne zahlen kann, weil er dann nicht mehr Konkurrenzfähig ist, dann muss er seine Gastwirtschaft eben schließen und bei Gorillas als 'Rider' anfangen.

    Gerhard Schröder (SPD) 2005 vor dem World Economic Forum in Davos: "Wir müssen und wir haben unseren Arbeitsmarkt liberalisiert. Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt." - Vielen Dank, Herr Schröder.

  • "In Berlin gebe es zurzeit Tausende unbesetzte Stellen in der Gastronomie, sagt er." Und die Ampel will es Hartz4-Empfängern leichter machen, die Annahme eines Jobs zu verweigern. Verkehrte Welt.

    • @Adam Weishaupt:

      Dann mach ihn doch!

    • @Adam Weishaupt:

      Schon mal in der Gastronomie gearbeitet? Glaube kaum. Ansonsten würden sie sich nicht beklagen, dass Arbeitslose nicht mehr so sehr gezwungen werden können, solche Jobs anzunehmen. Habe es ein paar Jahre während meines Studiums gemacht. Nebenbei war es okay, aber als fest Angestellter im Leben nicht. Körperlich sehr anstrengend, scheiß Arbeitszeiten und am Ende eines Arbeitslebens Grundsicherung im Alter weil die Löhne zu niedrig sind.

      • @Andreas J:

        Nicht den mindesten Ehrgeiz, für den eigenen Lebensunterhalt selbst sorgen zu können? Kein Problem damit, sich unter Kuratel der Behörden zu begeben. Traurig.

        • @Adam Weishaupt:

          Hauptsache bei einem selbst läuft es. Der Rest soll zusehen. "Das" ist traurig. Ich sorge schon mit Arbeit für meinem Lebensunterhalt. Mir geht es gut. Das gönne ich aber auch jedem anderen. Unterbezahlte Dienstleistungslakaien mit schlechten Arbeitsbedingungen, die den Besserverdienenden den Arsch hinterhertragen sind ein Schandfleck für jede Gesellschaft. ich denke Gemeinwohlorientiert!

          • @Andreas J:

            Hier geht es um die Alternative: Schlechtbezahlter Job, aber auf eigenen Füßen oder vom Amt alimentiert, aber dem Amt unterworfen. Da gibt es offensichtlich unterschiedliche Ansichten darüber, was von beiden unwürdiger ist.

  • Brain-Drain,



    Fachktäftemangel.



    Arbeirkräftemangel

    aber wir lassen keine Verfolgten ins Land und viele Harz-IV-Empfänger finden nicht in den Arbeitsmarkt zurück.

    Da sag ich doch Chapaeu !

  • „Mitarbeiter haben während Corona gelernt, dass Freizeit wunderbar ist.“

    SKANDAL1!11

    Wie auch immer, dass die Politik bei den steigenden Löhnen ganz unten einfach nur tatenlos zusieht glaube ich ja nicht. Wo kämen wir hin, wenn sowas einreißt? Geht ja garnicht!

    Btw. Auch wenn es viele nicht gerne hören, die Wohnungsknappheit würgt halt den fortwährenden Zustrom immer neuer Billiglöhner doch ab. So lange man keinerlei funktionierendes Konzept zum sozialen Ausgleich für die untere Hälfte der Bevölkerung hat, könnte es böse ausgehen einfach nur den Wohnungsmangel zu beseitigen. Die Leute haben jetzt nicht nur gelernt wie wunderbar Freizeit ist, sondern auch was ein künstlich herbeigeführter Überschuss an Arbeitskraft für sie bedeutet…

    • @Nafets Rehcsif:

      Genau ist ein Grund von dem Situation: Ungerechte Immobilien-Verteilung in Deutschland..

      Die "billige" Servicekräfte sollen weit weg von der Stadt leben. Und jeden Tag zig km Bahn/Bus/Auto fahren...

      Während Mehrimmobilien-Besitzer müssen super teure Miete bzw. Verkaufpreise kassieren... Und das Leben genießen...

      • @Robert Boyland:

        In Paris leben einige die in der Stadt in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig sind, in Zelten und Autos. Für sie sind die langen und täglichen Fahrten von Gegenden mit günstigen Wohnraum bis ins Zentrum zu weit oder zu teuer. Wenn es hier mit den Mieten so weiter geht, wird das auch bei uns immer häufiger vorkommen. Die Preise ziehen auch außerhalb der Städte an.

  • Mehr Lohn bezahlen in der Gastrononomie klingt einfach, ist es aber nicht. Das Hauptproblem ist, dass es für Gastronomen nur eine Einnahmequelle gibt, nämlich den Kunden. Und Fressen in Deutschland muss ja bekanntlich immer zwei Sachen sein: viel und billig.

    Wenn man als Gastronom bei fester Kostenstruktur seinen Mitarbeitern höhere Löhne bezahlen will, dann gibt es da zwei Stellschrauben: entweder man verkauft mehr, oder erhöht die Preise.

    Mehr verkaufen wird für viele schwer werden, also müsste man eigentlich die Preise auf der Speisekarte dann um Einiges erhöhen. Genau das aber werden viele Kunden eben nicht mitmachen.

    Und damit beißt sich dann die Katze in den Schwanz, das ist das Dilemma der Branche.

  • Ich empfinde die Entwicklung als positiv. Firmen, deren Jobangebote darauf fußen, dass unterbezahlte Mitrbeiter die Firma nach oben bringen sind nicht zukunftsfähig. Wundere mich sowieso, dass derlei usbeuter-Firmen von hippen Großstädtern auch noch beauftragt werden ihnen Pizza und andern Trash zu bringen. Dann bleiben auch genug Leute übrige die in korrekt arbeitender Restaurants oder Clubs eine Beschäftigung finden.

  • Mehr Gehalt bieten und gute Arbeitsbedingungen, dann findet man auch Mitarbeiter:innen. Der Markt regelt doch immer alles…

    • @Gnutellabrot Merz:

      Oh Gott, dann muss ja der Chef seinen Lebensstandart senken. Kein dickes Auto, schöne große Wohnung und teure Statussymbole. Habs während meines Nebenjobs in der Gastronomie im Studium oft genug erlebt.

  • Im Artikel wird argumentiert Menschen, die Jobs die keine große Vorbildung benötigen ausüben, würden von einem Arbeitskräftemangel direkt profitieren. Wurde nicht von unserer Seite jahrelang das Gegenteil behauptet und die unabdingbare Notwendigkeit eines stetigen Nachschubs für den Niedriglohnsektor besungen? Wer immer in den letzten Jahren angedeutet hat, dies sei unter Umständen nicht ganz so vorteilhaft für bestimmte Teile der Bevölkerung wurde da regelmäßig rasiert. Es ist jetzt also endlich wieder Konsens, dass ein Arbeitskräftemangel in einer Branche sehr viele Vorteile für die Arbeitnehmer bietet?

    • @Šarru-kīnu:

      Ja ne, da braucht es glücklicherweise keinen Konsens. Die Leute können es oft nicht artikulieren, aber sie kapieren halt doch was läuft. Eine Linke die den Rammbock der Kapitalinteressen spielt bekommt bei den Generationen die das selbst erlebt haben keinen Fuß mehr auf den Boden.

      Die Frage kann daher nur sein, wollen wir nur noch Lifestyle-Themen machen und uns im 10%-Jammertal einrichten, oder stellen wir uns endlich entschieden gegen den ausbeuterischen Internationalismus der Kapitalisten?

  • Der Artikel erwähnt schon einen wichtigen Punkt zur Verursachung dieser Krise: Niedrige Gehälter..

    Und einen Anderen vermisst aber der Autorin: SEHR TEUERE Immobilien in der Städte und der Kreise.



    Die Servicekräfte sollen auch unter einem Dach leben, oder?

    Und mit der Wohnungs- bzw Miet-Preise so hoch, müssen die Servicekräfte sehr sehr weit weg von der Städte leben. München und Stuttgart sind sehr gute Beispiele...



    Vom Eigenhaus nichts zu besprechen... Die Servicekräfte mit deren Gehälter können nur davon träumen...

    Dann findet man keine Servicekräfte mehr... Was für eine Überraschung!!!!!