Unternehmen scheitert vor Arbeitsgericht: Gorilla mit Knebel

Der Lebensmittellieferrant Gorillas darf die Gründung eines Betriebsrats nicht verhindern. Für die kämpferische Belegschaft ist das ein großer Erfolg.

Blick ins Gericht: Mann mit Gorillas-Jacke

Ob Gorillas den Gang zum Landesarbeitsgericht macht, war am Mittwoch noch nicht klar Foto: dpa

BERLIN taz | War es eine vorschnelle Sektlaune oder der grundsätzliche Ausdruck einer überheblichen, arbeitnehmerfeindlichen Stimmung in der Managementabteilung von Gorillas? Am Dienstagabend jedenfalls verschickte diese eine Rundmail an alle Beschäftigten, in der es hieß, dass die für nächste Woche geplante Wahl des Betriebsrates nicht stattfinden wird. Doch die Start-up-Führungsriege hat ihre Rechnung ohne das Berliner Arbeitsgericht gemacht. Das nämlich entschied am Mittwoch: Gorillas muss die gewerkschaftliche Organisierung seiner Mit­ar­bei­te­r:in­nen zulassen.

Etwa 50 Fah­re­r:in­nen und Beschäftigte der Warenlager, darunter auch der gewählte neunköpfige Wahlvorstand, waren vor dem Gerichtsgebäude in Tiergarten erschienen. Der Prozess markierte den vorläufigen Höhepunkt ihres Engagements für bessere Arbeitsbedingungen. Immer wieder hatte das Gorillas Workers Collective in den vergangenen Monaten Proteste und Streiks organisiert, nun sollten die eher anarchistischen Strukturen in die Gründung eines ordentlichen Betriebsrates münden. Doch gegen die geplante Wahl war Gorillas mit einer einstweiligen Verfügung vorgegangen.

Gorillas hatte in einem noch am Dienstag eingereichten Schriftsatz argumentiert, seine 18 Berliner Lager, im Konzernsprech Warehouses genannt, nun in eigenständige Unternehmen umgewandelt zu haben; die Angestellten mussten vergangene Woche entsprechende neue Verträge etwa mit dem Warehouse Steglitz unterschreiben, wie ein Fahrer aus dem Wahlvorstand der taz sagte.

Laut Gorillas sei die anberaumte Wahl damit hinfällig, da nicht klar sei, für welchen Betrieb nun ein Betriebsrat gegründet werden solle. Doch das Gericht folgte der Argumentation der Verteidigung: Gorillas habe keinerlei Informationen zu den neuen Betriebsstrukturen vorgetragen. Es sei damit nicht nachvollziehbar, dass das ursprüngliche Unternehmen nicht mehr existiere.

Auch weitere Vorbehalte hielt das Gericht nicht für ausreichend, um nun in den Wahlvorgang einzugreifen. Gorillas hatte etwa eine fehlerhafte Information zur Wahl des Wahlvorstandes angemerkt, da der Aushang in der Zentrale der Führungsetage gefehlt habe, und den Ausschluss einiger leitender Angestellter von der Wahl. Gorillas bliebe gleichwohl die Möglichkeit, im Nachhinein in einem ordentlichen Verfahren die Wahl anzufechten.

Kein Sozialpartner

Der Anwalt des Wahlvorstandes, Martin Bechert, sprach von einem großen Erfolg: „Eine Wahl ist auch von solchen Arbeitgebern nicht zu stoppen“, sagte er. Von Montag an werden die Beschäftigten nun erstmals in dem Unternehmen eine Interessenvertretung wählen können. Kommenden Samstag sollen die Stimmen öffentlich ausgezählt werden. Bechert warf dem Unternehmen „Union Busting“ vor, also die systematische Bekämpfung gewerkschaftlicher Strukturen. Mit solchen Unternehmen existiere „keine Sozialpartnerschaft“, sagte er.

Hätte Gorillas seine Betriebsstrukturen für die aufgesplitterten Unternehmen dargelegt, wäre es ihnen wohl gelungen, die Wahl zu verhindern. Den Beschäftigten droht damit die Gefahr, dass es schließlich einen gewählten Betriebsrat ohne Betrieb gibt. Doch Bechert gab sich optimistisch. Sollte Gorillas Informationen über die Strukturen, über Mitarbeiter und Leitungsgremien in den neuen Unterfirmen liefern, sei dies „Gold wert“. Er stellte für diesen Fall die Wahl von 18 Betriebsräten für jedes Lager und für die Konzernmutter in Aussicht. Auch für Wahlvorstand Camilo Alvarez klingt das vielversprechend: „Wenn wir an jedem Standort einen Betriebsrat hätten, wären wir viel besser vernetzt.“

So weit will Anna Hicks dagegen noch nicht denken. Die junge Wahlvorstandsvorsitzende und Betriebsratskandidatin sprach nach der Gerichtsentscheidung davon, die Arbeit im Betriebsrat unmittelbar nach der Wahl aufzunehmen. Dringlichste Aufgabe sei es sicherzustellen, dass die Angestellten korrekte Bezahlungen erhielten.

Keine Macht den Beschäftigten

Gorillas beschäftigt derzeit etwa 2.000 Mit­ar­bei­te­r:in­nen allein in Berlin, 75 Prozent davon sind Fah­re­r:in­nen oder Lagermitarbeiter:innen. Über genaue Zahlen, auch über Berlin hinaus, schweigt sich Gorillas aus. Kürzlich wurde bekannt, dass sich das wachsende Unternehmen nun unter dem Dach einer niederländischen Holding organisiert.

Für Maren Ulbrich, Gewerkschaftssekretärin von Verdi, „liegt der Verdacht nah“, dass Gorillas so die „mögliche Wahl eines Aufsichtsrats umgehen will“. In diesem würden neben Ver­tre­te­r:in­nen der Unternehmensseite auch Beschäftigte die Geschäftsleitung und unternehmerische Aktivitäten kontrollieren.

Bei einem Protest der Gorilla-Beschäftigten und ihrer Un­ter­stüt­ze­r:in­nen am Dienstagabend in Kreuzberg mit deutlich mehr als der erwarteten 200 Teil­neh­me­r:in­nen wurde vielstimmig die wütende Forderung nach einem Boykott von Gorillas laut. Dies teilen nicht alle. Ferhat S., Mitglied des Wahlvorstandes sagte der taz: „Es geht nicht um Zerstörung von Gorillas, sondern um gute Arbeitsbedingungen.“ Mangelhafte Ausrüstung und fehlerhafte Gehaltsabrechnungen sind die größten Kritikpunkte, die Gorillas-Angestellten seit Monaten vortragen und für die sie mehrmals Lager blockierten. Gorillas hatte daraufhin Anfang Oktober Dutzenden Streikenden gekündigt.

Ihren Kampf bezeichnet das Kollektiv der Gorilla Ar­bei­te­r:in­nen als den einer „migrantischen Arbeiterklasse“. Denn ein Großteil der Fah­re­r:in­nen stammt etwa aus Südeuropa oder auch Chile und sei teilweise nur mit Touristen- oder Studierendenvisa im Land – entsprechend international ging es auf der Demo zu.

„4,5 Millionen Mal haben Rider im letzten Jahr ihr Leben und ihre Gesundheit riskiert, damit jemand Reiches in 10 Minuten seine Einkäufe bekommt!“, hieß es in einem bejubelten Redebeitrag. Später ging es mit „Whats disgusting? Unionbusting!“-Rufen durch den Kiez. An einen Erfolg vor Gericht mochten da viele noch nicht denken.

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