piwik no script img

Die AfD ohne Jörg MeuthenDer seriöse Anstrich blättert ab

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Auch Jörg Meuthen war kein Gemäßigter. Doch nach seinem Rückzug gibt es an der AfD-Spitze niemanden mehr, der sich von Rechtsextremen abgrenzt.

Wahlplakat der AfD: Mehr als eine Million Stimmen hat sie im Vergleich zur Wahl 2017 verloren Foto: David Baltzer

D ie Selbstnormalisierung ist der AfD im Bundestagswahlkampf nicht geglückt. Die Partei wollte sich als harmlos präsentieren, aus der Schmuddelecke rauskommen und auch Wäh­le­r*in­nen ansprechen, die nicht komplett radikalisiert sind. „Deutschland. Aber normal“, hat sie dafür auf ihre Wahlplakate geschrieben. Der Versuch blieb erfolglos: Mehr als eine Million Stimmen hat sie im Vergleich zu 2017 verloren. Noch nicht mal enttäuschte CDU-Wähler*innen, von denen es dieses Mal ja wirklich eine Menge gab, konnte sie unterm Strich in nennenswerter Zahl zu sich ziehen.

Über ihre Kernwählerschaft hinaus gibt es für die AfD also aktuell nichts zu holen. Und das wird sich so schnell wohl auch nicht ändern. Nach dem Abgang von Noch-Parteichef Jörg Meuthen, der am Montag ankündigte, nicht erneut zu kandidieren, wird es die Partei jenseits rechtsextremer Kreise eher noch schwerer haben.

Nicht, dass sich Meuthen in mehr als sechs Jahren an der Parteispitze das ihm oft angehängte Adjektiv „gemäßigt“ verdient hätte. Er paktierte über Jahre mit dem rechtsextremen Parteiflügel, sprach auf dessen Veranstaltungen und protegierte dessen Führungsfiguren. Er sorgte mit dafür, dass Björn Höcke und andere ihre Macht in der AfD ausbauen konnten. Die ideologischen Differenzen zu den Rechtsextremen in der Partei waren zumindest nicht groß genug, um den Schulterschluss von vornherein auszuschließen.

Normale AfD? Mit Meuthens Abgang noch unglaubwürdiger

Aber auch wenn das Image des Gemäßigten nie von den Fakten gedeckt war: Mit Meuthen hatte die AfD zumindest einen, mit dem sie einen Anschein von Seriosität vorgaukeln konnte. Habitus und Lebenslauf machten ihn, den Wirtschaftswissenschaftler aus dem Westen, in Teile des bürgerlichen Lagers hinein noch am ehesten vorzeigbar. Und seine späte Abkehr vom rechtsextremen Flügel war zwar eher taktisch als inhaltlich motiviert, unter anderem mit dem Motiv, eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Aber zumindest konnte sie bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck erwecken, es gäbe neben Höcke und Co. noch eine andere, mit dem demokratischen System kompatible AfD.

Meuthens Scheitern macht die Erzählung von der normalen AfD jetzt noch unglaubwürdiger, als sie es zuvor schon war. Und ein Nachfolger an der Parteispitze, der die Rolle des Gemäßigten überzeugender spielen könnte, ist nicht in Sicht. Auch Alice Weidel galt einmal als moderat, stand im Machtkampf zuletzt aber dem Flügel näher als Meuthen.

Rüdiger Lucassen, als Kandidat gehandelt und ebenfalls vermeintlich gemäßigt, grenzte sich als NRW-Landeschef nicht mal vom Neu-Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich ab, der mit seinen NS-Sprüchen sogar der Fraktion zu weit rechts steht. Und ein ganz anderer, unbelasteter Überraschungskandidat? Ist in einer Partei wie der AfD schwer zu finden – und wird sich ohne Pakt mit den Rechtsextremen auch kaum an der Spitze halten können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
Mehr zum Thema

21 Kommentare

 / 
  • Soweit so gut, aber der Artikel betreibt das übliche Lobbyspiel, unsere Gesellschaftsordnung als demokratisch zu bezeichnen.



    Wir sind keine Demokratie, was wir haben ist Parlamentarismus. Wie sind ja kaum von einem Feudalsystem zu unterscheiden.

    In einer Demokratie hätten Faschisten es schwer an Macht zu kommen. In einem undurchsichtigen parlamentarischen System, in dem die Unterschicht den Reichtum der Reichsten bezahlt hingegen, da können Faschisten gedeihen.

  • Ich stimme mit der Aussage des Autor nicht überein. Die leichte Absenkung auf Bundesebene implementiert für mich noch lange nicht eine "Niederlage" der AFD ("Über ihre Kernwählerschaft hinaus gibt es für die AfD also aktuell nichts zu holen"). Oder gar ein nicht ausnutzen der "Schwäche" der CDU. In den Neuen Ländern wechseln sehr wohl einige Wahlkreise von schwarz zu blau.

    Außer ich definiere die neuen Länder als "Kernwählerschaft" perse, dann kann ich den Fakt natürlich ignorieren.



    2017 hatten die AFD 94 Sitze im Bundestag, 2021 83 Sitze - Ich sehe hier den "Gewinn" für Demokratie und Deutschland nicht.

    Wenn ich mir die Wahlergebnisse der Erst- und Zweitstimme ansehe, sehe ich hier einen deutliche Zunahme der gewonnen Gemeinden und Wahlkreisen, in denen die AFD stärkste Kraft war, in den neuen Ländern.

    Wechsel der zwischen 2017/2021 und jeweils Erstimme und Zweitstimme.



    (Anmerkung: Wechsel Wahlkreis und GEmeinde nur in 2017 möglich, wird dann bei Wechsel auf 2021 übernommen).

    LINK:



    interaktiv.tagessp...lkreise-gemeinden/

  • Ursprünglich mal gegründet als "braune FDP", geht es seitdem im strammen Stechschritt fröhlich mehr und mehr Richtung NPD2.0

  • Wir Deutschen, haben im Vergleich mit unseren Nachbarn, die wenigsten Rechten in den Parlamenten.

    Und mit 85 % Demokraten (BundesVerVassungsGericht!), sind wir wohl auch Weltspitze!

    Pegida, gibt es dauerhaft, nur in Dresden. Und da sind es man grad genug, dass sie sich zusammen auf die Strasse trauen.

    Irgendwann, werden sie einfach ausgestorben sein!

    In Frankreich droht LePen...

    • @HOPERealizer:

      "Irgendwann, werden sie einfach ausgestorben sein!"

      Das haben wir schon mal geglaubt... und dann kam die nächste Generation...

  • Die AfD ist gekommen um zu bleiben, jetzt wird es wahrscheinlich eine Ampel geben für 4 Jahre die das Erbe der Coronanachbeben antreten darf. Aktuell steigen alle Preise was gerade in den niedrigen Lohnbereichen die Lage verschärfen wird. Grüner Weltverbesserungswahn wird das ganze noch forcieren und die FDP wird sich wie üblich auf die Seite des Unternehmertums stellen was schlecht für einen höheren Mindest lohn ist. SPD ist schon seit Helmut Schmidt nicht mehr das was Sie einmal war, Schröder hat das eindeutig gezeigt. In sagen wir mal 8 Jahren sehe ich die Afd als Koalitionspartner der CDU inkl. FDP. Ich blicke in eine rosige apokalyptische Zukunft.

  • Dafür erfindet sich jetzt die NPD neu. Mal sehen was in ein paar Jahren daraus wird.

  • Vielleicht ganz gut so - und kostet (hoffentlich) Zustimmung und Wählerstimmen. Protestwähler und die, die es den Etablierten "zeigen" wollten, überlegen es sich jetzt vielleicht doch, für die Ableger des 3. Reichs zu votieren.

  • Vielleicht hat der Wirtschaftswissenschaftler (?!) Meuthen sich ja auch ,,verzockt‘‘:



    Wenn man die Arbeit von ,,Correctiv‘‘ - correctiv.org/ - ein kleines bisschen verfolgt, kann man noch mehr im Zusammenhang mit illegaler Parteienfinanzierung wissen.



    Marcus Bensmann von ,,Correctiv“ schreibt zum Beispiel:



    ,,Aber es ist nicht nur der verlorene Machtkampf, der über Meuthens politischem Werdegang lastet. Die Spendenaffäre zieht immer engere Kreise um den Noch-AfD-Vorsitzenden. Die Recherchen von CORRECTIV und ZDF-Frontal führten dazu, dass das Europaparlament

    correctiv.org/in-e...&mc_eid=ec684e6ebd

    darüber befindet, die Immunität des AfD-Abgeordneten aufzuheben. Und die neuesten Auswertungen der Buchungsunterlagen des Außenwerbers Ströer zeigen

    correctiv.org/aktu...&mc_eid=ec684e6ebd

    dass Meuthens Freund aus der Schweiz für die AfD eine millionenschwere Unterstützungskampagne organisierte.‘‘

    correctiv.org/aktu...&mc_eid=ec684e6ebd

  • Es ist zu erwarten, dass noch weitere „Gemäßigte“ die AfD verlassen werden, bis am Ende eine NSDAP 2.0, mit oder ohne „freundlichem Gesicht“ übrigbleibt. Geführt aus dem Osten, z.B. vom PG Höcke!



    Rückblick: Die DDR-Staatspartei SED pries ihren Staat bei allen Gelegenheiten als „Hort des gelebten Antifaschismus“. Neonazis gab es gemäß der DDR-Propaganda nur in Westdeutschland.



    Hat eigentlich mal jemand untersucht, wieso wenige Jahre nach dem Ende der DDR neofaschistische Ideologien im Osten auf fruchtbareren Boden fielen als im Westen? Inzwischen erzielt die AfD im Osten mehr Prozente als im Westen.



    Man hätte erwarten können, dass sich die Linkspartei, Nachfolgerin der damaligen SED, dazu äußert. Aber das tut sie nicht, sondern macht nur die gegenwärtige Regierungspolitik verantwortlich. Das ist einfacher.

    • @Pfanni:

      Ja, das hat jemand untersujcht bzw von einem ganzen Team untersuchen lassen und die Ergebnisse kurzweilig im Fernsehen präsentiert.



      Hier der Ausschnitt bei youtube



      www.youtube.com/watch?v=du2nIqy0Hjw

    • @Pfanni:

      "Hat eigentlich mal jemand untersucht, wieso wenige Jahre nach dem Ende der DDR neofaschistische Ideologien im Osten auf fruchtbareren Boden fielen als im Westen?"

      Ich persönlich würde das daran festmachen, das die Bevölkerung in der DDR ziemlich homogen war. Über Nacht wurde dann plötzlich jeder Dritte arbeitslos und die Zukunft war dann doch nicht so rosig wie man es sich ausmalte, da kamen ein paar Migranten gerade recht zum Frustabbau.

      Die Flüchtlingskrise hat im Osten das Stadtbild schlagartig verändert. Ich würde es vergleichen mit der Zeit als die Gastarbeiter in den 60ern in die BRD kamen. Das war ungewohnt und wirtschaftlich ging es vielen Menschen im Osten auch noch nicht so prall und da gibt es ja auch noch HartzIV das Menschen dafür abstraft keine Arbeit zu haben in einer Region wo es keine Arbeit gibt. Man fühlte sich als Verlierer/Vergessener und als man dann plötzlich sah wie geschlossene Schulen und Kindergärten wieder aufgemacht hat um Flüchtlingen eine bleibe zu geben, ist bei vielen das Fass übergelaufen. "gucke an, der Sozialstaat hat keinen Heller für mich aber für die Ausländer macht er alles". Da kam eine große Neiddebatte auf, forciert von Medien wie die "Bild" und durch ein massives aufkommen von Fake News in sozialen Netzwerken, die das zusätzlich befeuert haben.

      Dennoch muss man aber auch sagen das man den Osten differenzierter betrachten muss. Denn die Ironie bei der Sache ist, das gerade in Sachsen die sich wirtschaftlich besser entwickelt haben(Porsche Werk Leipzig, AMD Chipfabrik Dresden) als der Rest im Osten, jetzt am lautesten krakelen. Sachsen und Thüringen haben eine lange Geschichte im vergleich zu den Verwaltungseinheiten wie Sachsen-Anhalt zb. Die Geschichte der Freistaaten hat man versucht wieder neu zu beleben, um den Menschen etwas neues zu geben auf das man stolz sein kann und womit man sich identifiziert, nach dem es die DDR nicht mehr gab und man sich ungehört fühlte in der BRD. gefundenes Fressen für die AfD

    • @Pfanni:

      Ist Höcke nicht irgendwie Sauerländer?! Und hatte in Hessen als Beamter im Schuldienst Unterschlupf gefunden?! Und sind nicht so einige andere ,,Identitäre" nach dem Mauerfall aus Westdeutschland ,,in den Osten'', um sich hinter Apfelbäumen und Honig zu tarnen?

      • @gleicher als verschieden:

        Sicher, Höcke und Co. kommen oft aus den westlichen Bundesländern. Diese Leute finden aber in den östlichen Bundesländern, sprich ehemalige DDR, deutlich mehr Zuspruch als im Westen.

        • @steschlieb:

          Geht noch besser als bei Höcke. Der Herr Gauland kommt ursprünglich irgendwo aus der Ecke Sachsen/Thüringen und ist nachdem Mauerbau nach Westdeutschland geflüchtet, hat dann wohl ca. 1 Jahr in einer Flüchtlingsunterkunft dort gelebt, sich dann sein Studium finanzieren lassen vom Staat und nun 50 Jahre später stellt er sich in der EX DDR hin als einer der fordert das Flüchtlinge abgeschoben werden sollen.

      • @gleicher als verschieden:

        Ändert ja nix das im Osten die Wähler auf die afd abfahren...

        Vielleicht sind die auch soweit links das sie recht rüber gefallen sind

        • @Gretchen Müller:

          Was die Wählerwanderung bei BTW 2021 wieder gezeigt hat.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Wenn jetzt die CDU ihre Arme in Richtung AfD ausstreckt um sie zu integrieren, hat der Meuthen eine feine Position als rechter Wingman und Parteibuchausteiler an abspringende AfDler.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      na das ist doch schon etwas weit hergeholt,glaube ich, so dumm kann selbst die CDU/CSU nicht sein uns sich in Richtung einer bläulich angemalten brauner wählerschaft zu näheren. Ich hoffe doch das dies für alle "demokratischen" Parteien in unserem Land gilt. Denn das sollte schon jedem klar sein,auch wenn ein Ferkelchen in einem Schafstall geboren wird, so bleibt es doch ein Ferkelchen und wird nicht zum Lämmchen. Also weiterhin Augen auf und Hirn einschalten!

  • Meuthens weitere politische Karriere ohne AfD geht mit persönlich, ehrlich gesagt, komplett am Allerwertesten vorbei … mit Interesse schaue ich jedoch nach Sachsen und Thüringen; knallen dort vielleicht schon die Sektkorken, weil man die wirtschaftsliberalen und nationalkonservativen Störenfriede endlich los ist und jetzt ungeniert in NSDAP 2.0 machen kann?

  • Die Sache ist doch die, dass Leute wie Meuthen und seinesgleichen - wie vordem auch schon Lucke und Petry - die AfD im bürgerlichen Spektrum erst salonfähig und über den rechtsextremen Kern hinaus attraktiv gemacht haben … wenn man die jüngste Bundestagswahl mal außen vor lässt, ist es der AfD bis dahin doch gut gelungen, deutlich ins konservative Lager hinauszugreifen.



    Die überzeugten rechtsextremen Wähler hatten nie ein Problem mit dem „bürgerlichen Anstrich“ dieser Partei … sie sehen wohl eher den Vorteil, den ihnen eine 10%-AfD gegenüber den faschistischen Ghetto-Parteien wie NPD oder III.Weg bieten kann (Marsch durch die Institutionen, parlamentarische Verankerung usw.).