Vorstandswahl der AfD-Fraktion: Gerade noch so durchgeweidelt

Alice Weidel und Tino Chrupalla führen die neue AfD-Fraktion im Bundestag an. Ihre Wahl lief mit einigen Kontroversen ab.

Weidel und Chrupalla verlassen Arm in Arm die Fraktionssitzung

Waren sichtlich mitgenommen nach langwierigen Diskussionen auf der endlosen Fraktionssitzung Foto: Kay Nietfeld/dpa

BERLIN taz | Nach zähen Diskussionen und Streit innerhalb der neuen AfD-Fraktion sind Alice Weidel und Tino Chrupalla als Doppelspitze mit 50 zu 25 Stimmen als Vorsitzende gewählt worden. Im Vorfeld der Wahl am späten Donnerstagnachmittag hatte es deutlich rumort in der neu konstituierten Bundestagsfraktion. Eigentlich hätte die Abstimmung bereits am Vortag über die Bühne gehen sollen. Das hatten allerdings Streit über die Tagesordnung sowie Änderungsanträge zur Arbeitsordnung der Fraktion verhindert – mit dem offenkundigen Ziel, Weidel zu schwächen.

Bereits am Mittwoch hatte Weidel nach gerade mal einer Stunde Diskussion die wegen Coronaregeln im Plenarsaal des Bundestags stattfindende Fraktionssitzung kurz verlassen und dabei genervt gerufen: „Was ist das hier für ein Laden?“ Die neue und radikal geschrumpfte AfD-Fraktion hat 82 Abgeordnete, von denen 25 neu im Bundestag sind. Ihr erstes Aufeinandertreffen zeigt, dass der Job von Chrupalla und Weidel kein leichter sein dürfte. Das Zerstrittensein hinterlässt innerhalb verschiedener Teile der rechtspopulistischen Partei die Sorge, inwiefern die AfD-Fraktion in der nächsten Legislatur unterzugehen droht.

Zum Vergleich: 2017 war die Partei mit der Gauland-Ansage „Wir werden sie jagen!“ und deutlich besserem Wahlergebnis erstmals ins Parlament eingezogen und wurde schließlich Oppositionsführerin – mit dem Recht, direkt auf die Kanzlerin zu antworten. Jetzt ist man in der AfD nach durchwachsenem Wahlergebnis besorgt, wie man sich überhaupt noch im Bundestag profilieren soll – vor allem wenn die Union Oppositionsführerin werden sollte. Möglich wären weitere Radikalisierung und Maximalforderungen, wie man sie bereits aus dem Wahlprogramm kennt. 2017 waren Weidel und Gauland im Doppelpack zu den Fraktionsvorsitzenden gewählt worden.

Hauchdünn gescheiterte Änderungsanträge

Um Weidel zu schwächen, hatte ein Teil der Abgeordneten während der Mammut-Fraktionssitzungen jedenfalls einiges getan: Es gab den Vorschlag, den Vorstand nicht im Doppelpack zu wählen, sondern entweder nur einer Person den Vorsitz zu überlassen oder über die Doppelspitze einzeln abzustimmen. Als gesichert galt dabei die Wahl von Tino Chrupalla, weil dieser mit seinem verteidigten Direktmandat im sächsischen Görlitz großen Rückhalt genießt. Weidel indes dürfte erleichtert gewesen sein, dass es letztlich dabei blieb, dass die Fraktionsspitze als Duo in einfacher Abstimmung gewählt wurde. Änderungsanträge dazu scheiterten allerdings denkbar knapp: Mit 37 zu 37 Stimmen fand die Einzelwahl hauchdünn keine Mehrheit.

Das nur knappe Ergebnis und die langwierigen Auseinandersetzungen zeigen, dass sich Zerrissenheit und permanente Flügelkämpfe der Partei auch in der Fraktion widerspiegeln. Andererseits zeigt der positive Ausgang für Weidel, dass der Einfluss des innerhalb der AfD als gemäßigt geltenden Parteisprechers Jörg Meuthens auf die Bundestagsfraktion begrenzt ist.

Der hatte sich bereits Anfang der Woche auf offener Bühne mit Weidel und Chrupalla gefetzt, nachdem er die Stimmenverluste auf den radikalen Kurs zurückführte und das schlechte Wahlergebnis kritisierte. Beim denkwürdigen Auftritt hatte er sich auch dafür ausgesprochen, dass die Ämter in der AfD besser einzeln gewählt werden sollen. Wer noch nicht wusste, dass Weidel und Meuthen, beide aus dem Landesverband Baden-Württemberg, sich nicht ausstehen können, wusste es spätestens nach dieser Pressekonferenz.

Mit Weidels Wiederwahl mehren sich die Anzeichen dafür, dass Meuthens Stand innerhalb der Partei immer schlechter wird. Zum Showdown im Flügelkampf zwischen radikaleren und gemäßigteren Kräften innerhalb der AfD wird es im Dezember kommen, wenn der Parteivorstand neu gewählt wird. Meuthen lässt bislang offen, ob er antritt. Als Nachfolger des gemäßigteren Lagers stünde jedenfalls NRW-Chef Rüdiger Lucassen bereit, wie dieser bereits sagte.

Unumstritten ist Weidel allerdings auch im radikaleren Lager nicht: Den Änderungsantrag im Vorfeld der Fraktionssitzung stellten etwa die Abgeordneten Martin Renner und Dirk Spaniel, die zur völkischen Strömung der Partei gehören. Über die Lager hinweg wird Weidel mangelnde Leistungsbereitschaft nachgesagt. Tatsächlich hat Tino Chrupalla deutlich mehr Wahlkampfauftritte absolviert – obwohl beide Spit­zen­kan­di­da­t*in­nen waren.

„Das freundliche Gesicht des NS“ ist raus

Die Fraktion war bei ihren ersten Aufeinandertreffen aber nicht nur über Weidel uneins, sondern auch über zwei ihrer Neumitglieder: Nach ausufernder Debatte am Mittwoch verließ schließlich Matthias Helferich, für NRW gewählte Abgeordneter, vorzeitig die Fraktionssitzung. Er verzichtete freiwillig auf die Mitgliedschaft der Fraktion, nachdem Privatchats von ihm leakten, in denen er unter anderem ein Foto von sich mit „das freundliche Gesicht des NS“ kommentierte und sich mit Roland Freisler verglichen hatte, den berüchtigten NS-Richter, der auch Teilnehmer der Wannsee-Konferenz war. Der Bundesvorstand hatte deswegen eine Ämtersperre gegen ihn verhängt, allerdings kein Parteiausschlussverfahren.

Ebenso war die Aufnahme des ehemaligen Mitarbeiters der Fraktion und jetzigen Abgeordneten Matthias Moosdorf umstritten, weil er den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland dafür kritisiert hat, dass dieser zu viel Verständnis für radikalere Ausfälle innerhalb der AfD habe. Moosdorf hingegen wird Teil der neuen AfD-Fraktion sein.

Eine weitere interessante Abstimmung betraf ebenfalls Gauland: Die Fraktion wählte ihn zwar zum Ehrenvorsitzenden, gleichzeitig stimmte sie dafür, dass er im Fraktionsvorstand kein Stimmrecht haben sollte. Der 80-jährige Gauland war aus Altersgründen nicht erneut als Fraktionsvorsitzender angetreten.

Die Stell­ver­tre­te­r*in­nen von Weidel und Chrupalla sind Sebastian Münzenmaier, Beatrix von Storch, Leif-Erik Holm, Corinna Miazga und Norbert Kleinwächter. Als Erster parlamentarischer Geschäftsführer wurde Bernd Baumann wiedergewählt. Ihm zur Seite stehen Stephan Brandner, Götz Frömming und Enrico Komning.

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