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Bundeswehrmandat für AfghanistanManche haben Pech gehabt

Nach der Machtübernahme in Afghanistan wirft die Opposition der Bundesregierung Versagen vor. Es hätten früher mehr Menschen gerettet werden müssen.

Luftbrücken-Protest am 17. August 2021 vor dem Bundestag in Berlin Foto: Filip Singer/epa-efe

Die Hektik ist groß, aber kommt sehr spät. Für viele Af­gha­n:in­nen wohl zu spät. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett den Mandatsantrag für den seit Montag laufenden Evakuierungseinsatz der Bundeswehr beschlossen. Demnach können bis maximal zum 30. September bis zu 600 Sol­da­t:in­nen für die Mission eingesetzt werden.

Es handelt sich um ein sogenanntes robustes Mandat, das also auch den Einsatz militärischer Gewalt erlaubt, „insbesondere zum Schutz der zu evakuierenden Personen und eigener Kräfte, sowie im Rahmen der Nothilfe“. Wegen „Gefahr in Verzug“ soll die eigentlich im Vorfeld erforderliche Zustimmung des Bundestags dieses Mal nachträglich eingeholt werden, und zwar am kommenden Mittwoch.

Als Ziel des Einsatzes wird die „militärische Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Afghanistan“ genannt. „Im Rahmen verfügbarer Kapazitäten soll sich die Evakuierung auch auf Personal der internationalen Gemeinschaft sowie weitere designierte Personen, inklusive besonders schutzbedürftige Repräsentantinnen und Repräsentanten der afghanischen Zivilgesellschaft, erstrecken“, heißt es in dem Beschluss weiter.

Zu diesen „weiteren designierten Personen“ zählt die Bundesregierung neben Ortskräften, die direkt bei deutschen Institutionen beschäftigt waren, und ihren Familien auch Mit­ar­bei­te­r:in­nen von NGOs, der Entwicklungshilfe sowie Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen und Frau­en­recht­le­r:in­nen samt Angehörigen. Nicht einbezogen in den Kreis sind hingegen afghanische Helfer:innen, die über Subunternehmen für deutsche Stellen gearbeitet haben. Sie würden „nicht unter dieses Verfahren fallen“, sagte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Marek Wede, am Mittwoch in der Bundespressekonferenz. Sie haben also Pech gehabt.

Das Nadelöhr sind die Taliban

Aber auch für den Kreis der Auserkorenen wird es mehr als eng. Das riesige Problem: Der Großteil der Menschen, die die Bundesregierung evakuieren will, befindet sich nicht auf dem Kabuler Flughafen, sondern im Stadtgebiet von Kabul – oder sogar außerhalb. „Es ist so, dass wir nur in Kabul die Möglichkeit haben, Menschen auszufliegen, und auch dort nur, wenn sie es zum Flughafen schaffen“, sagte Außenamtssprecher Burger.

Wer es also nicht alleine mehr nach Kabul geschafft hat, hat ohnehin keine Chance. Und für die anderen sieht es nur unwesentlich besser aus, wenn sie nicht bereits am Flughafen sind. Denn die Taliban haben einen Ring aus Sicherheitsposten um den Flughafen gelegt und lassen nur Leute mit internationalen Pässen durch. Es sei durchaus möglich, dass es vielen gar nicht erst gelinge, bis zur deutschen Sammelstelle am Flughafen „überhaupt zu gelangen“, musste Burger einräumen.

So wird es in der Realität nur ein Bruchteil schutzbedürftiger Af­gha­n:in­nen in die Bundeswehrflieger schaffen. Wenn Bundesländer nun Aufnahmeprogramme verkünden, wie etwa Nordrhein-Westfalen unter Armin Laschet, mit der Ankündigung, dass 1.000 zusätzliche Plätze für engagierte Frauen aus Afghanistan bereitgestellt werden sollen – dann muss man immer im Blick haben: Das Nadelöhr sind die Taliban. Der deutsche Botschafter in Kabul, Markus Potzel, ist zwar nun in die katarische Hauptstadt Doha gereist, um mit ihnen über Ausreisemöglichkeiten zu verhandeln. Doch die Aussichten sind mehr als ungewiss.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), sprach von einem „Drama“ und einer „Katastrophe“. Die derzeitigen Rettungsaktionen vom Kabuler Flughafen könnten nur stattfinden, „weil die Taliban es noch dulden – und nur sofern die Taliban es dulden“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete am Rande einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses am Mittwoch. Er erkenne auch nicht, was in Gesprächen mit den Taliban „das Druckinstrument des Westens“ sein könnte.

„Es ist eine Schande“

Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Omid Nouripour. „Jede Verhandlung mit den Taliban ist jetzt in einer Situation, in der die Taliban das Sagen haben“, sagte er. Ohne einen hohen Preis würden die Taliban niemanden mehr aus der afghanischen Bevölkerung in den Kabuler Flughafen hineinlassen. Nouripour warf der Bundesregierung ein „Komplettversagen“ vor. „Das wäre alles vermeidbar gewesen, wenn die Bundesregierung rechtzeitig gehandelt hätte“, empörte er sich.

„Merkel und Maas haben zwar angekündigt, den zu rettenden Personenkreis auszuweiten“, sagte der Europaabgeordnete Erik Marquardt der taz. „Aber es gibt einen riesigen Gap zwischen der Ankündigung und der Realität.“ Er bekomme viele Nachrichten von NGO-Mitarbeiter:innen und anderen, die in Kabul festsäßen und nicht weiterwüssten. „Das Auswärtige Amt antwortet nicht auf Mails, die Leute werden von einer Telefonnummer zur anderen verwiesen.“

Statt Pragmatismus herrsche deutsche Beamtenmentalität, kritisiert Marquardt. „Die Rettungsaktion muss unbürokratisch laufen.“ Die Bundeswehr müsse mehrere hundert Leute, die in Kabul durch die Taliban-Posten kämen, zum Flughafen ordern. Dort könnten jene versorgt und dann peu a peu ausgeflogen werden.

Es brauche einen Puffer, so Marquardt, damit die Flugzeuge immer voll seien. „Im Zweifel müssen schutzsuchende AfghanInnen mitgenommen werden, die schon am Flughafen ausharren. Kein Platz darf leer bleiben.“ Am Montagabend war eine A400M mit nur sieben Evakuierten an Bord aus Kabul abgeflogen.

„Es ist eine Schande, dass nach wochenlanger Untätigkeit und Blockade jetzt Tausende Helferinnen und Helfer in dem von den Taliban kontrollierten Afghanistan im Stich gelassen werden und um ihr Leben bangen müssen“, kritisierte Sevim Dağdelen, Obfrau der Linksfraktion im Auswärtigen Ausschuss.

Bis Mittwochmittag hatte die Bundeswehr 450 Menschen ausgeflogen: 189 Deutsche, 59 Angehörige von anderen EU-Staaten und 51 Angehörige anderer Staaten. Platz gefunden haben zudem 202 Afghan:innen, neben Familienangehörigen von Deutschen auch einige Ortskräfte.

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13 Kommentare

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  • Die Bundeswehr war in Masar-i-Sharif, Kundus und Feisabad stationiert. Lt. googlemaps sind diese Orte theoretisch per Auto 424 km, 336 km und 432 km von Kabul entfernt. Es ist doch anzunehmen, dass die unterstützenden Ortskräfte auch in der Nähe der Bundeswehrlager wohnen. Wie sollen sie denn überhaupt bis nach Kabul kommen, seit die Taliban das ganze Land unter ihrer Kontrolle haben? Es ist menschliches Drama, dass die Bundesregierung zu verantworten hat.

  • Die deutsche Selbstüberschätzung findet kein Ende. Die Taliban verhandeln nicht, ob die Deutschen nun "Druckmittel" haben oder nicht. Die Taliban reden und warten ab. Und gewähren noch ein paar Tage mehr für die Flucht. Wieso auch nicht? Die Frage ist eher ob Deutschland wirklich überhaupt jemals alle retten wollte, die vielleicht zu retten gewesen wären. Und wen überhaupt? Die "tausende Helfer"? Wie hätte man das machen wollen? Mit einer wochenlangen Luftbrücke und der Rest Afghanistans sieht zu? Nein, aus dieser verlogenen Mission konnte man nie sauber rauskommen und die jetzige Aufregung dient auch dazu, dies zu übertünchen und zu leugnen. Man hat halt gehofft, dass der Vormarsch der Taliban länger dauern würde, die Lüge bleibt aber dieselbe.

  • Muss man sagen, mit einem derart schnellen Durchmarsch hat NIEMAND gerechnet.

    Dass Deutschland sehr bürokratisch und unflexibel ist, ist kein Geheimnis. Das ist kein Rassismus oder "Blockade". Das ist halt Deutschland. Wir haben auch in den Feldlagern Fahrzeuge stillgelegt, weil der TÜV abgelaufen war oder die Abgaswerte zu hoch.

  • Hilfe zur Selbsthilfe, so war der Auftrag zur Förderung der Wehrhaftigkeit. Der Petersberg-Prozess war historisch nur ein kleiner Funke der Hoffnung. Waffen einsammeln zur Deeskalation ist passé, das besorgen die Taliban. Mit Drohnen zu drohen ist sicher keine gute Lösung für die Zukunft. Die Resilienz der Zivilgesellschaft und eine freiheitliche Demokratie, sie blieben und bleiben vielerorts Fremdworte des wohl zu selbstgerechten Westens, denn: Viele Afghan:innen haben traditionell andere Wertekodizes. Weise war vielleicht die wirkmächtige Entscheidung, nicht zu kämpfen, schon wegen der erwartbaren Zahl an Opfern, auch und insbesondere unter Frauen und Kindern. Das sog. administrative Expertentum der EU und NATO hat komplett falsch gelegen. Bitter, blutig und beängstigend ist die Bilanz dieser zwei Dekaden. Rücktritte aus politischer Verantwortung wären jetzt die logische Konsequenz (wie hist. Rudolf Seiters) für die deutsche Exekutive. Der Westen hat mangels Aufklärung und Information in der Prognose der dynamischen Lage und bei der Logistik des Rückzuges komplett versagt, ein globales Desaster der Troika Politik, Militär und Nachrichtendienste: Dieser Exitus letalis für das Vertrauen in mögliche politische Hilfen für Entrechtete und Unterdrückte ist exemplarisch. Berlin: Quo vadis - Entente fatale? Die Stunde der NGOs wird sicher kommen, wegen humanitärer Engpässe.

  • 18. August 2021 - Regierungspressekonferenz | Bundespressekonferenz | BPK



    www.youtube.com/watch?v=4RgWdIhFydM

    Schwer, sehr schwer zu ertragen!

    ..ich habe zu den letzten Punkten keine Informationen..



    ..zu den aktuellen Zahlen sagen wir nichts..



    Herr Burger, für mich leicht in Führung.!



    Interessante Persönlichkeiten, die in erhöhter Position vorne sitzen.

  • Die müssen alle gerettet werden völlig richtig!



    Wieviele der Demonstrant:Innen haben denn der Bundestagsverwaltung ihre Adresse hinterlassen um Flüchtlinge bei sich zu Hause aufzunehmen, wie es Martin Patzelt und seine liebe Frau getan haben??!!



    www.martin-patzelt...ffener-Brief-.html

  • Schnelligkeit und Pragmatismus können die Deutschen eben nicht.



    Erst wenn 10 Formulare mit jeweils 5 Stempel vorliegen, bewegt sich der Deutsche.

    • @Anna Schneider:

      Sorgt auf der anderen Seite für eine gründliche Prüfung und Ordnung. Oder soll der lauteste oder der mit dem dicksten Geldbündel/Einfluss zuerst bedient werden?

  • "Statt Pragmatismus herrsche deutsche Beamtenmentalität", wie beim Thema impfen.

    Nicht verimpfter Impfstoff wird vernichtet, als diesen an hilfsbedürftige abzugeben - nicht mit Deutschen besetzbare Sitzplätze in der Luftwaffenmaschine bleiben leer, bevor einer der lebensbedrohten Menschen ohne bürokratische Erlaubnis mitgenommen wird. Ist das beides nicht unterlassene Hilfeleistung?

    • @Sonnenhaus:

      Zum Impfstoff da ist Europa selbst Schuld weil sie sich scheinbar diesen Punkt aufdiktieren lassen hat von Pfizer und Co. Aber auch heute fragt ja niemand mehr nach warum Biontech und Co. nicht seine Impfstoffe mit mehr Haltbarkeit versehen wollen. die klinischen Studien sind mittlerweile ca. 12 Monat her, sprich die könnten auf 12 Monat erweitert werden. Aber hey, das würde ja den Absatz für die arme deutsche Biontech bedeuten. Das könnte man ja schon nicht bei Produktionskapazitätenaufbau eingehen...

      Das Kapital ist halt wichtiger, so wie auch alte Waffen an die afgh. Armee verkauft wurde, man die letzten Gelder aus Afghanistan rausgeholt hat, und man sich jetzt wundert warum die mit dem alten Zeug nicht die Taliban aufhalten können.

    • @Sonnenhaus:

      "Bürokratische Erlaubnis".

      Ich wäre tatsächlich dankbar, wenn nur beglaubigte Hilfskräfte mitgenommen würden, anstatt Taliban-Schläfer oä.

    • @Sonnenhaus:

      Das Hauptproblem scheint mir: statt Lösungen zu suchen wird erst Mal ein Schuldiger gesucht.



      Wenn rauskommt, dass jemand Leute impft, die noch gar nicht an der Reihe waren, weht schnell der nächste shitstorm, ...



      wenn rauskommt, dass Asylsuchende eingeflogen wurden, die bei gründlicher Prüfung dann doch keine "Ortskräfte" waren, oder -- bewahre -- gar Taliban, möchte man auch nicht der sein, der unbürokratisch, ohne Auftrag, geholfen hat ... Also immer schön nach dem Motto: wer nichts tut, macht auch nichts falsch ...

      • 1G
        17900 (Profil gelöscht)
        @Chr66:

        Nein, das Hauptproblem ist Merkel & Co.