piwik no script img

Urteil zu Neonazi-Überfall in ThüringenJustiz von vorgestern

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Die Männer, die in Thüringen eine Kirmesgesellschaft niedergeprügelt haben, sind vor Gericht zu billig davon gekommen. Das Urteil ist ein Skandal.

Verpixelte Tätowierungen eines Angeklagten im Gerichtssaal Erfurt Foto: Martin Schutt/dpa

A uch Neonazis haben in der Bundesrepublik Deutschland Anspruch auf ein faires Verfahren. Auch für sie ist der Rechtsstaat da und es gilt die Unschuldsvermutung, solange eine Tat nicht erwiesen ist. Und selbstverständlich muss die Unabhängigkeit der Justiz gewahrt sein.

Umgekehrt allerdings muss die Justiz, müssen Richter auch aushalten können, wenn die Öffentlichkeit ihr Vorgehen kritisch hinterfragt. Und das ist im Fall des Urteils gegen Neonazis, die Mitglieder einer friedlich feiernden Gesellschaft in der thüringischen Kleinstadt Ballstädt krankenhausreif geprügelt haben, mehr als geboten. Das Landgericht Erfurt hat es nämlich im Namen des Volkes für rechtens erklärt, dass diese politisch einschlägig bekannten Männer mit Bewährungsstrafen davonkommen. Die Tat sei nicht rechtsextremistisch motiviert, sondern ein Racheakt gewesen, sprach die Richterin.

Ein merkwürdiges Urteil. Da haben Richter und Staatsanwälte inzwischen bundesweit erkannt, dass rechtsradikal motivierte Straftäter mit Härte verurteilt werden müssen. Da erhalten der Mörder von Walter Lübcke und der Attentäter von Halle lebenslange Strafen. Nur im beschaulichen Erfurt hat man offenbar noch nicht erkannt, dass Neonazis keiner Schonung bedürfen. Ihr brutales Vorgehen wird gewertet wie eine beliebige Kneipenschlägerei. Stattdessen ergeht sich die Richterin in Medienschelte gegen die Öffentlichkeit im Allgemeinen und die Nebenklage im Besonderen.

Sieben Jahre sind seit dem Überfall vergangen. In diesen sieben Jahren hat es das Landgericht geschafft, das erste Urteil mangelhaft zu begründen, weshalb der Bundesgerichtshof eine Neuverhandlung bestimmte, und jetzt ein Urteil zu fällen, das den Opfern Hohn spricht und die Täter fröhlich aus dem Gerichtssaal treten lässt. Gericht und Staatsanwaltschaft haben zuletzt einen Deal mit den Angeklagten geschlossen: milde Strafen gegen Geständnisse. Das erspart ein langwieriges Verfahren und verhindert, dass Schuldige möglicherweise mangels Beweisen freigesprochen werden müssen. Jetzt aber tun sie so, als habe die Strafprozessordnung sie zu einem solchen Vorgehen gezwungen. Das ist erstens falsch und vernebelt zweitens die Verantwortung des Gerichts, das den Angeklagten damit die Möglichkeit eröffnete, glimpflich aus der Sache herauszukommen.

Dieses Urteil ist ein Skandal. Es zeugt von einer bemerkenswerten Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen und blendet die vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren aus, indem es die politische Relevanz der Tat unberücksichtigt lässt. Und es gibt ein furchtbares Signal an diejenigen aus, für die Menschlichkeit kein Maßstab ist: Man kann Menschen verprügeln und in Todesangst versetzen – und muss dafür kaum Konsequenzen fürchten. Den Opfern der Gewaltexzesse aber fällt die Erfurter Justiz in den Rücken.

Wir waren da schon mal weiter. Erfurt bleibt hoffentlich ein Einzelfall.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Na Mensch, mal wieder ein gutes Beispiel für den deutschen Rechtsstaat und seine angebliche Neutralität und Verhältnismäßigkeit. Bloß Bewährungsstrafen für Gewalttäter*innen WEIL sie Nazis sind? In einem anderen aktuellen Fall - Lina E. - sitzt jene mittlerweile ein Jahr in U-Haft ohne handfeste Beweise, dass sie die beschuldigte Person wäre, die Nazis angegriffen hätte ...

  • Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Rache (=wegen einem kleinen Sachschaden Menschen zusammenschlagen???) ist für dieses Gericht offenbar ein besseres/edleres Motiv als Politik...

    Unabhängig davon geht die Argumentation, Strafmilderung gegen Aussage wäre nötig, um alle zu verurteilen, doch komplett ins Leere, wenn dann nur Bewährungsstrafen (zu deutsch: ein Dudu) dabei rauskommen. Haarsträubend.

  • "Die Tat sei nicht rechtsextremistisch motiviert gewesen, sondern ein Racheakt gewesen, sprach die Richterin."

    Entschuldigung, aber wenn man aus Rache handelt, darf man Menschen schlagen, treten, über den Tresen werfen und in Angst und Schrecken versetzen und kommt dabei mit Bewährung davon?

    Niemand braucht eine besondere Berücksichtigung des politischen Hintergrunds. Man muss nur die Fakten betrachten und den Kontext richtig herstellen. Die Tatsache, dass jemand aus Rache handelt, kann ihn nicht vor Strafe schützen. Wo kämen wir denn da hin in diesem Land, wenn es so wäre? Eine Affekthandlung ist azszuschließen, denn der Besuch der Kirmes war zeitlich und örtlich von den eingeschlagenen Scheiben entfernt. Die Kirmesbesucher wurden bewusst angegriffen. Zudem ist offensichtlich, dass der geplante Racheakt Einschüchterung für die Zukunft zum Ziel hatte. Da ist unerheblich, dass man es mit Neonazis zu tun hat, deren Ideologie schon an sich eine Einschüchterung darstellt, weil die Gewaltverherrlichung bekannt ist. Es hätten auch die Zeugen Jehovas sein können, oder eine beliebige Gruppe Menschen. Die Typen, die die Kirmes überfallen haben, haben geplant gehandelt, sie wollten Rache üben und einschüchtern. Gerade die Tatsache, dass sie Rache üben wollten - statt etwa bei der Polizei Anzeige zu erstatten - und dafür mehrere Menschen schwer verletzt und andere in Angst und Schrecken versetzt haben , erschwert doch sogar die Tat. Ja, sie wollten Rache(+Einschüchterung) - genau das ist der Inbegriff einer geplanten Gewalttat, mit der Absicht, den Rechtsstaat in diesem Dorf auszusetzen u. andere zu dominieren. Wie im Wilden Westen. Das alles hat mit der Ideologie dahinter zwar natürlich etwas zu tun. Die Justiz braucht aber die Ideologie nicht, um festzustellen was da gelaufen ist und entsprechend schwer zu ahnden. Wenn sie das nicht tut - Rechtsstaat adé.

    Plus: die Pflege gewaltbereiter Ideologien muss auch im privaten Raum juristisch verfolgt werden. Ein Grundproblem

  • Passt doch dazu, dass jemand der weiß ich wie viele Kinderporno anguckt und weitergibt nur 10 Monate auf Bewährung bekommt.

    Ganz ehrlich, da muss man sich auch nicht wundern wenn das Problem mit den Parallelgesellschaften innerhalb der Polizei immer größer wird. Ich weiß, dass sich viele Polizisten, wegen solchen Urteilen entmutigt und im Stich gelassen fühlen. Man hat es immerhin mit solchen grauenhaften Taten zu tun, die dann nicht mal annähernd angemessen bestraft werden. Viele Polizisten fragen sich da dann warum das Ganze? Und fangen an sich in Reichsbürgerlichen Facebook Netzwerken wiederzufinden. Solche Geuppierungen nehmen meist das Leid der Polizisten ernst und man fühlt sich irgendwie gehört.

    Ein grauenhaftes Urteil. Man sollte mal beleuchten wer die Richterin ist und ob es einen solchen Trend bei ihren Urteilen gibt.

    • @curiouscat:

      Die Strafrechtsnovelle für Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ist noch keine drei Monate her und scheint doch schon wieder vergessen. Strafen unter einem Jahr sind grundsätzlich nicht mehr möglich, ebenso eine Einstellung wegen Geringfügigkeit. [1] Vom Richterbund und dem Missbrauchsbeauftragten wird das eher kritisch gesehen weil damit weniger Spielraum für Differenzierung gegeben ist und Verfahren über Vorgänge geführt werden müssen deren tatsächliche Strafwürdigkeit eher fragwürdig ist.



      Auch wenn ich die Kritik an dem im Artikel thematisierten Urteil teile, ist das Problem bei der Frage danach welches Urteil angemessen ist, dass es darauf in den Augen der Öffentlickeit idR nur eines ist und zwar die Höchststrafe. Tatsächlich spricht aber wenig dafür, dass das regelmäßige Verhängen möglichst drakonischer Strafen die vor allem die niederen Reflexe der Bevölkerung adressieren, auch zu einer sichereren Gesellschaft führt.



      [1] www.faz.net/aktuel...ssen-17263319.html

      • @Ingo Bernable:

        Ja, aber eine solche Bestrafung ist am Ende auch keine Lösung. Ich muss sagen gerade im Bereich der Sexualstraftaten ist es besser einmal mehr zum Gericht zu gehen als zu wenig, da es statistisch gesehen sonst zu einer defacto Legitimierung von solchen Straftaten kommt.



        Gerade, weil die Aufarbeiten und Bearbeitung dieser Straftaten manchmal mit Personal geschieht, das nicht wirklich dafür qualifiziert ist und das sogenannte Victim Shaming noch sehr verbreitet ist.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Nichts ist unpolitisch, auch nicht die Justiz.



    Vor dem Hintergrund der Auslese durch die juristische Ausbildung, des damit verbundenen, schon im Studium präsenten Umfeldes an gutbürgerlicher (bis burschenschaftlicher) Welt ist die politische Gesinnung von Juristen nur ausnahmsweise überraschend.



    Sie wird jedoch in der Rechtsprechung unvermeidlich sichtbar.

  • Da könnte doch das Alter der rechtssprechenden Dame vielleicht hilfreich bei der Überlegung sein, ob nur Alt- oder auch schon Jungnazis unter den Schwarzkitteln zu finden sind

  • Haben Polizisten nichts zu tun, teilen sie Hakenkreuzbildchen im Internet...

    Prügeln Neonazis eine ganze Kirmesgesellschaft zusammen, gibt's Bewährung...

    Kochen aber 2 Linke auf dem Bürgersteig Suppe für Obdachlose, kommen 3 Hundertschaften.

    Alles klar.

  • 1. Revision möglich? fehlt im Text! 2. Überlegungen zur Angst der Richterin vor den Folgen "ihres" Urteils - fehlen im Text!

    • @Sarg Kuss Möder:

      Ist Revision möglich? Danke. Wichtige Frage. Mit der Aussage, es habe sich um einen Racheakt gehandelt, Bewahrungsstrafen zu begründen, sieht mehr als komisch aus. Ich denke, auch hier legt wieder eine nicht ausreichende Begründung vor.

  • Hörnmer zum Deal im Strafprozess mal rein:



    “ Deal im Strafprozess



    "Besserung ist leider nicht in Sicht"

    “Der Deutsche Juristentag will Absprachen zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft stärker einschränken lassen. Im SPIEGEL-ONLINE-Interview erklärt BGH-Richter Thomas Fischer, was schiefläuft vor deutschen Strafkammern - und warum viele Deals sogar illegal sind.“



    www.spiegel.de/pan...icht-a-719481.html



    & Fischer legt nach =>



    www.spiegel.de/pan...-862c-02b6b1acc101



    “… Wir sprechen vom Deal im Strafprozess, einer Art Pferdehandel unter Ehrenleuten, bei dem es um die höchsten Güter und die beste Moral geht, die unser Staat zu bieten hat, und der trotzdem einen Weg gefunden hat aus den getäfelten Sälen der Kammern und Senate in die Herrentoiletten und Flure und gelöschten SMS. Das ist der düstere Teil. Dann gibt es noch das, was nicht Deal, sondern »Absprache« oder »Verständigung« genannt werden möchte. Es hat auf diesen bürgerlichen Namen einen Anspruch, seit im Bundesgesetzblatt I von 2009, Seite 2280, das »Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafprozess« veröffentlicht wurde. Das ist etwas Gutes, denn es trägt die Prinzipien der Konsensualität, der Harmonie und des Friedens in sich. Und was, wenn nicht dies, ist Ziel der Strafjustiz?

    Nun gut, man könnte sagen: Strafjustiz kommt zum Frieden mit den Mitteln des Kampfs, und der fängt für gewöhnlich nicht schon mit einer Kapitulation des weißen Ritters an. Aber das Zauberwort »Konsensualität« ist natürlich trotzdem schön: Es klingt danach, dass der Bürger und sein Staat gemeinsam an einem Strang ziehen, obwohl der doch um den Hals des Bürgers läuft. Außerdem klingen noch andere schöne Worte an: Beschleunigung, Erledigung, Strafmilderung, Verzicht, Rechtskraft, Unkontrolliertheit, Geld, Ruhm und Ehre…“ & Rest - LESEN

  • Aus aktuellem Anlass:



    Die vor wenigen Tagen gestorbene Esther Bejarano hat wohl noch immer recht mit ihrer Lebenserfahrung "Es gab keine Entnazifizierung".



    Dabei klammerte Sie ganz bewusst die Justiz nie aus. Eine stetig wachsende Reihe von gerichtlichen Begebenheiten nähren und bestätigen Esther Bejarano`s Lebenserfahrung im Justizbereich.

  • Das ist kein Urteil, sondern eine Einladung es wieder zu tun. Unsere Gerichte sind allenfalls Orte des Lamentierens mit Urteilen banaler Geschwätzigkeit.

  • Ist denn erwiesen, das Härte der Justiz etwas gegen rechtsextreme Gewalt bringt?

    • @FancyBeard:

      Vielleicht sollte es mal ein Gericht damit versuchen?

  • RS
    Ria Sauter

    Manches ist so unvorstellbar, wie dieses und andere Urteile.



    Entweder haben diese Richtet:innen auch braunes Gedankengut oder sie werden eingeschüchtert und bedroht.

  • 9G
    91751 (Profil gelöscht)

    "Da erhalten der Mörder von Walter Lübcke und der Attentäter von Halle lebenslange Strafen. [...] Wir waren da schon mal weiter. Erfurt bleibt hoffentlich ein Einzelfall."

    Ich habe nicht das Gefühl, dass das ein Einzelfall ist. Nach dem Mord an Walter Lübcke und dem Anschlag in Halle war das Medienecho gewaltig und hat auch international Aufmerksamkeit bekommen.



    Dieser Überfall hat nicht dieselbe Aufmerksamkeit bekommen und ist nun auch schon sieben Jahre her, wodurch die Täter einen Anspruch auf Strafmilderung haben und die Beweisführung immer schwieriger wird.



    Bei anderen Verfahren, wie z.B. dem Naziüberfall in Connewitz, dem Nordkreuz-Bullen Marko G., dem Mord an Oury Jalloh (und dem in der JVA Kleve verbrannten Amed A.) und sogar bei den Beihelfern des NSU (oder dem Oktoberfestattentat) war es auch nicht anders. Ermittlungen versanden oder es kommen lächerlich geringe Bewehrungsstrafen.



    Und andersrum? Mordermittlungen wegen eines Fußtrittes an Silvester in Leipzig (weil es vermutlich "die Linken" waren), dessen Folgeverletungen ambulant behandelt werden mussten. Man kann Regeln und Gesetze halt schon drehen, wie man sie gerade braucht.

    • @91751 (Profil gelöscht):

      Nun was sonst würden Sie sonst als "Richterliche Unabhängigkeit" anerkennen, wenn nicht die Bewertung von Staftaten vornehmen und den gesetzlichen Spielraum bei Straftaten und strafprozessuale Winkelzüge anzuwenden ?



      Sarkasmus aus.

  • Offensichtlich zu viel braune Denkstruktur in der Richterschaft in den fünf neuen Bundesländern siehe Frankfurt/Oder und Dresden!!



    Erst wenn dem BGH es zu braun wird tut sich etwas!!