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EU-Verfahren gegen DeutschlandRote Karte für Rote Roben

Die EU-Kommission ist mit einem früheren Urteil der Karlsruher Richter unzufrieden. Doch es ist unklar, wie das überhaupt geändert werden soll.

Zwei Monate haben Berlin und Karlsruhe nun Zeit, um auf die Beschwerde zu reagieren Foto: imago

Brüssel taz | Die EU-Kommission legt sich mit Deutschland an. Wie die Behörde am Mittwoch in Brüssel mitteilte, geht sie „wegen der Verletzung grundlegender Prinzipien des EU-Rechts“ gegen das bevölkerungsreichste EU-Land vor. Dazu wurde ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Es kann in einer Klage gegen Deutschland und in hohen Strafen münden.

Auslöser des Streits war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den umstrittenen Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. Die Richter hatten auch die Position des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hinterfragt. Im Kern geht es nun um die Frage, wer das letzte Wort hat: Der EuGH in Luxemburg oder die Roten Roben in Karlsruhe.

„Alle Urteile des Europäischen Gerichtshofs sind bindend für die Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der nationalen Gerichte“, sagte ein Kommissionssprecher. Das Bundesverfassungsgericht habe einem früheren EuGH-Urteil „die Rechtswirkung in Deutschland entzogen und gegen den Grundsatz des Vorrangs des EU-Rechts verstoßen“.

Dies will die Brüsseler Behörde, die sich als Hüterin der EU-Verträge versteht, nicht hinnehmen. Wenn ein Land anfange, die Urteile des höchsten EU-Gerichts infrage zu stellen, dann könne dies zu einem „Europa à la carte“ führen, sagte der Sprecher. Man sei deshalb auch schon gegen Frankreich, Italien und Spanien vorgegangen.

Karlsruhe hatte die Richter in Luxemburg kritisiert

Allerdings ist unklar, was Deutschland tun kann, um den Konflikt zu lösen. Das Bundesverfassungsgericht ist unabhängig; seinen Urteilen beugt sich sogar die Bundesregierung. In Berlin gilt es als undenkbar, dass die Politik dem Gericht Vorgaben macht. Das strittige Urteil ungeschehen machen kann sie auch nicht – selbst wenn sie es wollte.

Deutschland hat nun zwei Monate Zeit, um auf die Kritik zu reagieren. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, das Mahnschreiben der Kommission sei angekommen. „Wir werden uns die Bedenken genau anschauen und – wie es das Verfahren vorsieht – darauf schriftlich reagieren.“ Wie eine Lösung des Streits aussehen könnte, ließ er offen.

Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte, aus Sicht der Bundesregierung sei „ein gutes Kooperationsverhältnis zwischen den Gerichten wichtig“. In dem strittigen Fall haben Karlsruhe und Luxemburg jedoch aneinander vorbei geredet. Das Bundesverfassungsgericht warf dem EuGH sogar vor, den Anleihekauf der EZB nur oberflächlich geprüft zu haben.

Der Machtkampf kommt für die EU-Kommission zu einer kritischen Zeit. Die Brüsseler Behörde hat ihre Befugnisse erst kürzlich ausgeweitet – mit dem 750 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds, der erstmals in großem Stil mit EU-Schulden finanziert wird. Offenbar fürchtet man in Brüssel, auch dagegen könne Karlsruhe vorgehen.

„Es geht um eine Fiskalunion“

Zudem hat die EU den Stabilitätspakt für den Euro ausgesetzt, um eine expansive Fiskalpolitik zu ermöglichen. Auch dies könnten deutsche Richter beanstanden. Sollte es darüber zum Streit zwischen Karlsruhe und Luxemburg kommen, so wäre die gesamte EU-Strategie für den Wiederaufbau nach der Coronakrise gefährdet.

„In diesem Gerichtsverfahren geht es um eine Fiskalunion“, schrieb der liberale Europaabgeordnete Guy Verhofstadt auf Twitter. Auch die Grünen im Bundestag begrüßten das Verfahren. Es sei der richtige Weg, um den Streit zu klären, erklärten die Abgeordneten Franziska Brantner und Lisa Paus. Sie stärkten damit dem grünen Europaabgeordneten Sven Giegold den Rücken. Giegold hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im vergangenen Jahr erfolgreich dazu gedrängt, sich mit dem Problem zu befassen.

Seither hängt der Haussegen zwischen Berlin und Brüssel schief. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre ehemalige Ministerin von der Leyen müssen nun die Scherben kitten.

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11 Kommentare

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  • Meines Wissens ist die Thematik nochmals deutlich komplexer.

    Stichwort z.B: Solange-II-Entscheidung des BVerfG (= sinngemäß: solange der EuGH das Maß des Grundrechtsschutzes hoch hält, vergleichbar mit dem des BVerfG,SOLANGE hält sich das BVerfG an die EuGH-Entscheidungen).

    Und in Sachen „expansive Fiskalpolitik“ besteht eigentlich Konsens darüber,dass die Verschuldung von Deutschland (z.B. zum Schutz der nationalen Handlungsfähigkeit & zum Überschuldungsschutz nachfolgender Generationen) NICHT so weit getrieben werden darf,wie dies DIE „expansive Fiskalpolitik“ konkret zur Folge hat.

    AUS DIESEM GRUND hatte ja auch das BVerfG in Sachen „EZB-Anleihe-Ankaufprogramm“ geurteilt,dass die damit einhergehende Verschuldung & Zahlungsverpflichtung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei.

    Und als Hüterin des GG kann somit das BVerfG überhaupt nicht anders,als wie geschehen zu urteilen.

    Zudem ist mit dieser Problematik auch noch eine historische Komponente verbunden.Denn seinerzeit schien es feststehend,dass die Osterweiterung nur nach Ratifizierung der Nizza-Verträge erfolgen würde,was wiederum im Nachgang die Ratifizierung der EU-Verfassung hätte nach sich ziehen sollen.

    Doch u.a. Dank HartzIV-Gerhard & Taxi-Joschka wurde die Osterweiterung ohne die Nizza-Verträge durchgezogen,& scheiterte auch die EU-Verfassung.

    Diese EU-Entwicklungsbrüche & -fehler wirken sich daher jetzt zunehmend aus;also insbes. wenn aufgrund von „Krisen“ die von unserem GG definierten Grenzen angetastet werden;z.B. im Hinblick auf die Verschuldensquote.Und wenn dann auch noch,wie vom BVerfG dem EuGH vorgeworfen,der EuGH in diesem relevanten Punkt unzureichend prüft,dann kann das BVerfG überhaupt nicht anders entscheiden,wie geschehen.

    Daher ist aus meiner Sicht dieser Streit nicht wirklich lösbar, & hätte die Politik letztlich nicht ihre Zustimmung zum „EZB-Anleihe-Ankaufprogramm“ geben dürfen, wenn damit definierte Grenzen unseres GG überschritten werden,welche dann das BVerfG rügen muss.

    ;-)

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Das Problem hat mehrere Level:

    Das EuGH entscheidet oft zugunsten der EU auch wen die Regeln eigentlich das Gegenteil sagen. Genau hier ist so ein Fall man hätte die Regeln ändern müssen, das will man aber nicht weil es politisch nicht opportun ist also bricht man sie mit faulen Ausreden. Will der EuGH aber als Gericht anerkannt werden darf er damit nicht d'accord gehen.

    Es gibt keine Europäische Verfassung, die über der deutschen steht, daher kann der EuGH nicht Dinge erlauben die gegen die deutsche Verfassung gehen.

    Dem EU Parlament fehlt die Legitimität (es müsste umstrukturiert werden und um eine zweite Kammer ergänzt werden) und die Macht als das es Entscheidungen treffen dürfte die gegen die Verfassung Deutschlands gehen.

    Will man das der EuGH wirklich glaubhaft entscheiden kann muss das EU Parlament ein wirkliches Parlament werden, dass die EU Kommission wählt, sowie mehr die Bevölkerung repräsentieren der Rat der Staatschefs muss durch einen gewählten Senat ersetzt werden.

  • "Nur oberflächlich geprüft" wurde offenbar auch dieser Artikel, da der Absatz, der mit "Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte ..." beginnt, gleich 4x hintereinander kommt ;-)

  • Unabhängig von dem konkreten Urteil werde ich doch sehr skeptisch, wenn eine Organisation meint, über dem BVerfG zu stehen. Das ist in D grundgesetzlich die letzte Instanz. Falls Verträge das in Frage stellen sollten, sind eher die Verträge verfassungswidrig als dass das Gericht ausgehebelt würde.



    Letztlich würde das nämlich die Ewigkeitsklauseln des GG umgehen und das GG teilweise ohne entsprechende Änderungen aussetzen.



    In wessen Namen urteilt der EUGH eigentlich und wer beruft seine Mitglieder?



    Aus jeden Fall ist es ganz hilfreich, die Hierarchie klarzustellen. Selbst wenn es nur ein nebeneinander ist...

  • Die nationalen Verfassungen sind durch die Eurpäischen Verträge nicht ausser Kraft gesetzt worden.



    Und die Überwachung der Einhaltung und die Auslegung der Verfassung liegt, so vorhanden von den nationalen Verfassungsgerichten.



    Spätestens an dieser Stelle kann der EuGH gar keinen höheren Rang beanspruchen, da ihm schlicht die Kompetenz fehlt.

    Selbst jenseits von Verfassungsfragen gibt es nach wie vor genug Bereiche, die der nationalen Rechtsauslegung vorbehalten sind, und in denen das EuGH nur insoweit Kompetenzen hat, wie die nationalen Obersten Gerichte pragmatisch und im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung in der EU ihm diese zubilligen.

    Dass die Kommission ein Interesse hat, eine klarere Hierarchie der Gerichte zu etablieren, ist verständlich.



    Das ist aber lediglich ein konkurrierendes Interesse und nicht dem Interesse der Mitgliedsstaaten an der Wahrung ihrer Verfassungen übergeordnet.

    Die EU ist nunmal ein Gebilde eigener Art, dass sich mit den Massstäben herkömmlicher Staatswesen, seien sie zentral- oder bundesstaatlich, immer nur näherungsweise erfassen lässt.

    • @flip flop:

      Es gibt dort eine konkurrierende Gesetzgebung, das ist falsch. Es gibt ja eindeutige Verträge, die die Mitgliedsstaaten geschossen haben. Wenn man diese Verträge bricht, entscheidet der EUGH. Das ist vertraglich so geregelt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich darüber hinweggesetzt, was eigentlich nicht geht. Machen aber örtliche Gerichte auch oft, wenn es z. B. um die freie Berufsausübung geht. Deswegen ist eine Klärung dieses Sachverhaltes wichtig.

      • @Surfbosi:

        "Das Bundesverfassungsgericht hat sich darüber hinweggesetzt, was eigentlich nicht geht. "

        Es GEHT schon. Die EU muss halt schauen wie sie damit politisch umgeht, aber der Dissens zwischen nationalem Verfassungsgericht und EuGH ist im System als Möglichkeit angelegt, und in Bezug auf den betroffenen Mitgliedsstaat geht national auch das eigene Gericht vor.

        Das Problem ist, dass es keine Europäische "Verfassung" gibt, die den nationalen Verfassungen vorgeht. Es läuft Alles über Verträge zwischen den Regierungen, und die kann eine nationale Regierung nur im Rahmen ihrer eigenen jeweiligen verfassungsmäßigen Befugnisse schließen. Die schließen naturgemäß verfassungswidriges Verhalten nicht ein, also kann auch keine Regierung die EU wirksam ermächtigen, etwas zu tun, was sie selbst verfassungsrechtlich nicht dürfte.

        Wenn also vetragskonformes Verhalten gegen die nationale Verfassung verstößt und auch der EuGH nicht die notwendigen Maßstäbe ansetzt, die deren Integrität sichern, dann kann und muss das nationale Verfassungsgericht einschreiten und die Mitwirkung seines Heimatstaates an der EU insoweit einschränken. Die EU kann dann sanktionieren, aber erzwingen kann sie den Bruch der nationalen Verfassung nicht.

      • @Surfbosi:

        Das mag in den Verträgen so drinstehen - das heißt nicht, dass es in Deutschland gültig ist. Das Bundesverfassungsgericht hat (wie der Name sagt) Verfassungsrang. Es kann nicht einfach überstimmt werden, auch wenn die Bundesregierung so etwas unterschreibt, schlicht weil die Regierung nicht über dem Bundesverfassungsgericht und schon garnicht über dem Grundgesetz steht (welches das Bundesverfassungsgericht in der jetzigen Form vorsieht) . Genausowenig könnte die Bundesregierung rechtsgültig Verträge unterzeichnen, die hierzulande die freien Wahlen verbieten.

      • @Surfbosi:

        Fein geschossen: Die ultra vires machens - entre nous - 🥵 -



        & Däh -



        Frankie & sein Spießgeselle & Vossibär



        www.tagesschau.de/...vosskuhle-101.html

        unterm—— ansonsten 2x verpaßt - 😱 -



        Vossibär hatte dann doch was besseres vor!;) & die Perle aus Karlsruhe - “betrifft ja nicht direkt meinen Senat!“;) - verschlafen - aber backstage - tricky 🌍

  • Finde den Artikel informativ, aber unvollständig. Habe die meiner Meinung nach fehlenden Informationen hier einmal ergänzt:

    'Ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte, aus Sicht der Bundesregierung sei „ein gutes Kooperationsverhältnis zwischen den Gerichten wichtig“. In dem strittigen Fall haben Karlsruhe und Luxemburg jedoch aneinander vorbei geredet. Das Bundesverfassungsgericht warf dem EuGH sogar vor, den Anleihekauf der EZB nur oberflächlich geprüft zu haben.'

    (Ihr habt den Absatz viermal in den Artikel eingebaut, liebe Redaktion. Bitte nachbessern. ;-) )

    • Bruno , Moderator
      @Snip Snap:

      Danke dir