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Profit-Wahn von Ver­mie­te­r*innenDie Trickkiste des Kapitalismus

Wohnraum vermieten ist vor allem eins: eine Einladung zur Profitproduktion. Warum der Mietenwahn in Städten eine politische Intervention erfordert.

Der erste Schritt in die Abhängigkeit: Schlüsselübergabe für eine neue Wohnung Foto: Thomas Trutschel/photothek/imago

E ine Vermieterin besitzt eine Zweizimmerwohnung in einer beliebten Wohngegend in Berlin, sie will – weil es herrscht ja Kapitalismus – das Maximum an Profit aus ihrem Besitz rausschlagen. Damals, im Jahr 2019, gilt noch der Berliner Mietendeckel, und die bundesweite Mietpreisbremse gibt es ja auch. Also lässt sich die Vermieterin einen Trick einfallen, um mehr als doppelt so viel wie die zulässige Miete abzukassieren.

Im Mietvertrag steht, dass die Wohnung für 526 Euro vermietet wird, hinzu kommen 96 Euro Nebenkosten. Direkt unter diesen beiden eher üblichen Kostenpunkten wird ein „Kunstwerk“, das sich in der Wohnung befindet, erwähnt und separat vermietet. Zusätzliche Kosten pro Monat: 578 Euro. Die verzweifelten Mieter*innen, die aus dem Ausland zugezogen und dort Wucherpreise für Wohnraum gewohnt sind, unterschreiben den Vertrag. Der Fall wird später vor einem Berliner Gericht landen.

Gelesen habe ich das alles in der entsprechenden Gerichtsakte. Und diese Geschichte ist nur eine kleine Illustration, wie der Mietenwahnsinn in deutschen Städten längst um sich gegriffen hat. Die Liste mit dreisten Abzocken von Ver­mie­te­r*in­nen ist lang: Falsche Qua­drat­meter­angaben in Mietverträgen, angebliche „freiwillige Zusatzzahlungen“ in nachträglichen Vereinbarungen, zu denen Mie­te­r*in­nen rechtswidrig gedrängt werden, willkürlich angesetzte und einbehaltene Kautionen, nötige Reparaturen werden nicht durchgeführt, Mie­te­r*in­nen leben in verschimmelten Wohnungen.

Auch bezeichnend: Über das erteilte Lastschriftmandat ziehen Ver­mie­te­r*in­nen in mehreren Fällen einfach mehr Geld ein, so wie es ihnen gefällt. Hinter diesen und unzähligen anderen Berichten stecken mal private Ver­mie­te­r*in­nen und mal große Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen oder Vonovia. Der Markt regelt das schon – im Sinne der Ver­mie­te­r*in­nen oder ihrer Aktionär*innen.

Keine Intervention der Politik

Sie denken jetzt: Wie geschmacklos kann es eigentlich noch werden? Na ja: Beim vermieteten „Kunstwerk“ für 578 Euro (in Worten: fünfhundertachtundsiebzig Euro) handelt es sich um eine Art Wandtattoo, das angeblich von der Vermieterin selbst in einem Zimmer angebracht wurde.

Das „Kunstwerk“ erinnert an eine stilisierte Blume, wie von einem Kinder-Tattoo-Sticker aus der Bravo in den neunziger Jahren. Dabei wäre das hässliche Wandtattoo meiner Meinung nach ein guter Anlass für eine Mietminderung von mindestens 100 Prozent (in Worten: hundert Prozent).

Die betroffenen Mie­te­r*in­nen sind längst ausgezogen und haben – mit viel Glück – eine andere Wohnung gefunden. Weil die politischen Parteien keine effektive Regelung gegen diesen Mietenwahnsinn auf dem deutschen Wohnungsmarkt einbringen wollen oder können, ist es auch das einzig effektive Mittel derzeit: Glück muss man haben um ei­ne*n an­stän­di­ge*n Ver­mie­te­r*in zu finden.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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4 Kommentare

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  • Zitat: „Glück, muss man haben, um ei­ne*n an­stän­di­ge*n Ver­mie­te­r*in zu finden.“

    Glück? Was hat denn Glück mit den Folgen der Kapitalisierung wichtiger Lebensbereiche (Gesundheit, Wohnen, Bildung etc.) zu tun? Seit wann ist denn einer gesamtgesellschaftlichen Fehlkonstruktion mit persönlichen glücklichen Zufällen beizukommen?

    Mietverträge wie diesen unterschreiben die Leute nicht ganz ohne Not. Es sei denn, sie wissen, wie deutsche Gerichte entscheiden, und fühlen sich clever genug und moralisch berechtigt, einer all zu gierigen Vermieterin ihre Grenzen aufzeigen zu lassen. Zum eigenen Vorteil, versteht sich (und zu dem der taz).

    In den aller meisten Fällen ist es das Machtgefälle, das sich aus Geld ergibt, das Geld „heckt“. Nicht jeder Mensch ist Mensch genug, Macht nicht zu missbrauchen, wenn er sie denn hat. Wer nicht rechtzeitig gelernt hat, von seiner Macht so viel abzugeben, dass gar kein Gefälle entsteht, wird immer gefährdet sein. Er wird den Verlockungen nie widerstehen, Menschen in Not abzuzocken. Dafür bräuchte es Mitgefühl, und das hat manch eine*r unter uns nicht. Weil (gefühlt) keiner je mit ihm Mitgefühl hatte noch hat.

    Gerechtigkeit lässt sich nicht in Menschen hinein prügeln. Sie lässt sich nur dadurch erlernen, dass Menschen sie selber erfahren. Am eigenen Leib quasi. Wer also will, dass die Leuten nich blind auf ihr Glück hoffen, sondern so was wie Verantwortungsgefühle entwickeln, der sollte von Machtambitionen absehen und ganz konkret anpacken, wo Hilfe gebraucht wird. Arbeitsteilung sollte nicht vertikal oder horizontal erfolgen, sondern entsprechend konkretem Bedarf. Die Rosinen-Pickerei der Reichen macht nicht nur die Armen wütend, sie macht auch die Reichen noch dümmer, als sie ohnehin sind.

  • Insgesamt herrscht in Deutschland keine Wohnraumknappheit, es gibt weite Teile in OstDeutschland da stehen Immobilien leer und verfallen, weil sich keine Mieter mehr finden.



    Auch in Westdeutschland findet man abseits der großen Städte relativ einfach eine Wohnung und viele Vermieter haben durch aus Probleme ihre Wohnungen zu ihr geringen Preisen los zu bekommen.

    In den großen Städten aber herrscht Wohnraummangel, weil alle dort wohnen wollen.

    Der Platz ist begrenzt und das ist erst mal ein physikalisches Problem, auch wenn bei einer angesagten Band mehr Zuschauer kommen wollen als es Plätze im Konzertsaal gibt herrscht ein Mangel.

    Die Frage ist jetzt wie man einen Mangel gegenüber der Nachfrage am besten verhandelt?



    Gibt es bessere Möglichkeiten als den Preis? Also zum Beispiel „Vitamin B“(so wie es im Sozialismus in der Realität war) ?



    Ich denke nicht, der Preis ist immer noch die beste Möglichkeit Mangel versus Nachfrage zu verhandeln

    • @Paul Rabe:

      Ich wohne da, wo ich arbeite. Wo die Mieten (sehr) niedrig sind, ist die Arbeit (sehr) knapp. Einfach mal den Immobilienmarkt beobachten und den ein oder anderen Immobilienbericht lesen, der sich Entwicklungen und Zusammenhängen widmet.

  • Na na na! Man kann nicht behaupten, dass der Gesetzgeber gar nichts unternimmt. Nach dem Parteiprogramm der Capitalistischen Demokratiefeindlichen Union (CDU) soll in der nächsten Legislaturperiode die Schaffung von Wohnraum (=Möglichkeit noch mehr Mieten einzutreiben) staatlich stärker als bis jetzt gefördert werden.