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Nach der Flugzeugkaperung in BelarusJenseits aller roten Linien

Kommentar von Barbara Oertel

Das belarussische Volk ist in kollektiver Geiselhaft. Doch für die EU war erst eine Flugzeugentführung nötig, um das Land wieder auf die eigene Agenda zu setzen.

Machthaber Ale­xander Lukaschenko spricht am Mittwoch vor dem Parlament in Minsk Foto: Sergei Shelega/BelTA/ap

S pätestens seit der aberwitzigen Kaperung einer Ryanair-Maschine über Belarus, um eines regimekritischen Bloggers habhaft zu werden, müsste nun auch der/die Letzte verstanden haben: Der sogenannte belarussische Präsident Ale­xander Lukaschenko setzt immer noch einen drauf.

Jüngstes Beispiel dafür sind seine hanebüchenen Äußerungen, um diesen staatsterroristischen Akt zu rechtfertigen. Da ist von rechtmäßigem Handeln aus Sicherheitsgründen die Rede. Schuld sind, wie üblich, die inneren und äußeren Feinde von Belarus, die rote Linien sowie die Grenzen des gesunden Menschenverstandes und der menschlichen Moral überschritten hätten. Menschliche Moral, geht’s noch?

Was Lukaschenko unter „Moral“ versteht, ist bereits seit der gefälschten Präsidentenwahl im vergangenen August zu besichtigen. Moralisch ist offenbar nur, was seinem Machterhalt dient. Das ist gleichbedeutend mit einer Art Freifahrtschein, jede/n, der oder die sich tatsächlich oder vermeintlich in den Weg stellt, zu demütigen, zu foltern – ja notfalls sogar zu töten.

Um sich das täglich vor Augen zu führen, bedarf es lediglich der Lektüre einschlägiger Nachrichtenportale. Die kommen mit der Auflistung menschlicher Schicksale schon längst nicht mehr hinterher.

Fast ein wenig zynisch

Angesichts dieser kollektiven Geiselhaft eines ganzen Volkes – noch dazu quasi vor der Haustür Europas – muten die vielen anerkennenden Worte für die „schnelle und einmütige“ Reaktion der EU auf Lukaschenkos Flugzeugentführung fast ein wenig zynisch an. Denn offensichtlich bedurfte es erst der jüngsten Grenzüberschreitung, um Belarus wieder auf die Tagesordnung zu setzen, sich nicht in mäandernden Debatten zu verlieren, sondern weitere Strafmaßnahmen gegen Minsk zu verhängen.

Doch von deren möglichen Auswirkungen einmal abgesehen, ist Lukaschenkos jüngste Botschaft eindeutig: Für ihn gibt es überhaupt keine roten Linien mehr. Im Klartext heißt das: Der „Griff nach den Sternen“ dürfte nicht seine letzte Verzweiflungstat gewesen sein.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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20 Kommentare

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  • es fällt auf wie oft sich der wertewesten mit neofaschistischen nationalisten solidarisiert nur weil sie russophob sind

    www.jungewelt.de/a...d-der-neonazi.html

    • @satgurupseudologos:

      Untertitel des von Ihnen verlinkten Artikels:

      "Festgenommener Blogger hat im faschistischen Bataillon »Asow« in der Ukraine gekämpft und ist im State Department empfangen worden".

      Zwei Tatsachenbehauptungen. Als Beleg für "hat gekämpft" wird auf den belarussischen Geheimdienstchefs Tertel verwiesen. Eine sehr vertrauenswürdige Quelle.

      Belegt ist tatsächlich nur, und Herr Pratasewitsch hat in der Vergangenheit kein Geheimnis daraus gemacht, dass er 2014/2015 das Bataillon Azow als Journalist und Fotograf begleitet hat.

      Zweite Tatsachenbehauptung: Wurde "im State Department" empfangen. Beleg: Selfie. Mag also stimmen. Ja und, was soll das jetzt "beweisen"?

      Was das für ein Besuch war, beschreibt der Bericht in bewusst verdrehender und vager Form:

      "Obwohl der US-Kongress schon 2015 jede direkte US-Unterstützung des Asow-Bataillons wegen dessen faschistischer Orientierung verboten hatte, gelangte Pratassewitsch in den Genuss von US-Stipendien zur »Talentförderung«; dabei wurde er, wie Selfies von ihm zeigen, 2018 sogar im US-Außenministerium empfangen."

      Es wird suggeriert, er habe ein Stipendium bekommen, WEIL er Faschist und Asow-Söldner sei und er sei deshalb in State Department "empfangen" worden.

      Wenn man den Verschwörungssprech entfernt: Patrasewitsch hat Journalismus studiert, wurde aus politischen Gründen zwangsexmatrikuliert und arbeitet für verschiedene unabhängige belarussische Medien. 2017/18 erhielt er ein Stipendium des Vaclav Havel Journalism Fellowship in Prague, in dessen Rahmen er in Prag studierte, bei Radio Liberty volontierte und (zusammen mit den anderen Stipendiaten) eine Bildungsreise in die USA unternahm. Finanziert werden diese Stipendien vom Tschechischen Staat, Radio Liberty (Hauptsitz: Prag) und aus dem Erbe Vaclav Havels, also kein "US-Stipendium", sondern ein tschechisches.



      Link zu den Stipendiaten 2017/18 (Foto: Empfang im tschechischen Außenministerium - sehr verdächtig):

      pressroom.rferl.org/a/29589350.html

    • @satgurupseudologos:

      Russophob (also irrationale Angst vor Russen) ist wieder so ein wunderbarer Nonsensbegriff der mit der illegalen Okkupation der Krim als Totschlagargument herhalten muss für alles und jede Person die sich kritisch über die russische Regierung und ihre schwer bewaffneten Auslandsurlauber äußern.



      Deshalb gilt das ja auch nicht für die AfD. Deren Vertreter bekommen sogar noch einen russischen Freundschaftsorden und werden als echte Antifaschistischen bezeichnet...also wissen wir AfD heißt in Wahrheit Antifaschistischen für Deutschland.



      Es fällt auf wie gerne sich die Partei "Einiges Russland" mit neofaschisrischen Nationalisten solidarisiert nur weil sie das "Referendum" über die Abspaltung der Krim für rechtmäßig erklärt haben.

      Außerdem erklären einige linke Personen damit nur



      -wir sind pro Geheimdienste



      -wir sind pro Einsatz von Kriegswaffen



      -wir sind pro Folter



      ... solange es gegen Leute geht die wir nicht mögen.



      Andernfalls ist es aber unmoralisch.

      • @FriendlyBlob:

        ohne die unterstützung antirussischer nationalistischer und teilweise sogar offen faschistischer kräfte in der ukraine durch den westen wäre es gar nicht zu dem konflikt gekommen

        als reaktion auf die unterstützung von antirussischen nationalistischen kräften durch den westen



        unterstützt russland bedauerlicherweise nationalistische kräfte in der eu die diese zum scheitern bringen sollen

        im rahmen einer entspannungspolitik sollte vereinbart werden dass jede unterstützung nationalistischer kräfte von beiden seiten eingestellt wird

  • Wenn sich Guevara, Castro, Lenin oder alle anderen Revolutionäre an die „roten Linien“ gehalten hätten, dann stänke die Ungerechtigkeit doch heute überall zum Himmel. Von daher ist Verhaftung dieses Kriminellen ein Segen. Zudem hat er doch schon gestanden.

    • @Torben Sindermann:

      Ich war den ganzen Tag offline. Sein Geständnis ist ja schon ein paar Tage her, aber ist Lukaschenko jetzt tatsächlich verhaftet worden? Haben sie einen Link dazu ? Mein Google findet nichts.

    • @Torben Sindermann:

      In gerader Linie von Lenin zu Lukaschenko. Interessant.

      Aber sehe ich da auch eine Implikation dass sich durch das Wirken solcher Herren die Ungerechtigkeiten in der Welt verringert haben?



      Verzeihen Sie bitte da ich kein Absolvent der Josef-Stalin-Schule für Geschichtsverdrehung bin aber ich war immer der Ansicht dass diese illustren Herren selbst eine Menge Ungerechtigkeiten in der Welt erschaffen und erhalten haben.

      Und welches Verbrechens soll sich denn Herr Protasewitsch schuldig gemacht haben? Zweifel am geliebten Führer?



      Für welche Länder dieser Welt gilt eigentlich dieser Straftatbestand? Für alle postsowjetischen Länder die außerhalb der EU sind?

    • @Torben Sindermann:

      Was ist kriminell daran, seine Meinungsfreiheit wahrzunehmen und Demonstrationen zu organisieren?

  • 2013 wurde die Bolivien-Maschine auf Wunsch der USA zu Boden gezwungen. 2016 wurde die Belarus-Maschine von Jägern der Ukraine zu Boden gezwungen. Beide Länder sind unsere Freunde. Jetzt ist es etwas anderes, das kleine Weißrussland kann der EU nicht wehtun, daher die Muskelspiele. Was war von der EU zu hören, als China ganz brutal den GB-Vertrag zu HongKong gebrochen hat. Nichts, weil die EU China nicht verärgern will. Immer wenn es gegen schwache Staaten geht, bläst die EU die Backen auf, ansonsten lammfromm.

    • @schoenerrhein:

      Wie oft muss man sich diesen über diverse Foren verbreiteten Unsinn jetzt noch anhören? Morales hatte keine Überfluggenehigung für eine Reihe von Staaten über die zu fliegen er beabsichtigte. Präsidentenmaschinen brauchen die genauso wie Militärmaschinen, da sie eben nicht unter die Abkommen für die Zivilflugfahrt fallen. Sollte man eigentlich wissen.

  • Primitiv-Diktatoren können nur mit Gewalt regieren. Haben wir das jetzt verstanden?

  • „Das ist gleichbedeutend mit einer Art Freifahrtschein [für Lukaschenko], jede/n, der oder die sich tatsächlich oder vermeintlich in den Weg stellt, zu demütigen, zu foltern – ja notfalls sogar zu töten“



    In diesem Sinne kann ich mir gut vorstellen, dass die Folterspuren im Gesicht von Protassewitsch mit Absicht in dem Video nicht vollständig retuschiert worden sind. Die übrigen Oppositionellen sollten ruhig sehen, was auch ihnen blühen kann, wenn sie sich unbotmäßig gegenüber ihrem geliebten Führer – äh, Präsidenten – verhalten!

  • Was will Frau Oertel denn?



    Soll Belarus mit der NATO auf Linie gebracht werden, damit der Protest von einigen tausend gut gekleideten Jungunternehmer*innen und deren Forderungen nach neoliberalen Reformen und Privatisierungen im Stamokap-Land erfüllt werden?

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Khaled Chaabouté:

      Wie ich an ihren Kommentaren sehe mangelt es in Deutschland nicht an Quislingen links wie rechts.

      Was die Menschen fordern ist das ein korrupter, inkompetenter Mörder abgesetzt wird und Meinungs und Wahlfreiheit. Aber klar sind alles böse Kapitalistenschweine.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Bei uns im Rheinland sagt man zu jemandem, der mit Quisling-Vergleichen kommt: "De is en fiesen Möp!"

    • @Khaled Chaabouté:

      Ich glaube Frau Oertel will nur darauf aufmerksam machen, dass es sich bei diesem Regime um eine menschenverachtende Diktatur handelt.

      Und ob die Demonstranten gut gekleidet sind oder nicht, werden sie verhaftet, geht es ihnen an den Kragen.

      • @Jim Hawkins:

        Ich bin für Special Forces und namenlose, artverwandte Organisationen was Ale­xander Lukaschenko anbelangt!

        • @Ringelnatz1:

          Einverstanden Herr Ringelnatz1 und am Besten Lukaschenko mit Woelki zusammen ab innen GULAG!



          Gibt ja noch mehr Kandidaten, aber wäre ja schon mal was...

  • Ich freue mich, dass das Erzwingen von Flugzeuglandungen um einen missliebigen Passagier zu verhaften von uns mittlerweile geächtet und nicht mehr akzeptiert wird.

    2013 war man noch der Meinung, es sei rechtlich völlig in Ordnung die Maschine des bolivianischen Präsidenten in Wien zwangslanden zu lassen um eines Dissidenten namens Snowden habhaft zu werden. Auch 2016 gab es keinen Aufschrei als die Ukraine einen Linienflug einer belarusischen Fluggesellschaft arg verkürzte und umleitete, um einen Oppositionellen nach der Landung zu verhaften (siehe www.flightglobal.c...37/143872.article).



    Schön dass solche Wildwestmethoden endlich ausgedient haben!

    • @Bernd Berndner:

      Da wurde nichts erzwungen. Es fehlten schlichtweg einige Übrerfluggenehmigungen. Morales hätte ja auch eine andere Route nehmen können.