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Antisemitismus und StrafrechtKomplexe Abgrenzungen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Wenn es um Israel geht, ist wenig einfach und eindeutig. Das sollte auch die Berliner Polizei bei ihren Ermittlungen berücksichtigen.

Kritik an der israelischen Regierungspolitik ist erlaubt, antisemitische Hetze ist verboten, Demo in Berlin am 15. Mai Foto: M. Golejewski/Adora Press

K ritik an der israelischen Regierungspolitik ist erlaubt, antisemitische Hetze ist verboten. Das ist weitgehender politischer Konsens in Deutschland. Allerdings ist die Grenze oft schwer zu bestimmen.

Polizei und Justiz sollten sich daher auf eindeutige Fälle konzentrieren. Es gibt leider genug und viel zu viele. Wer sich vor einer Synagoge versammelt und „Scheißjuden“ brüllt, kann sich nicht darauf berufen, dass er eigentlich die Politik von Israels Ministerpräsdent Netanjahu anprangern wollte.

Wer aber vor der israelischen Botschaft „Kindermörder Israel“ skandiert, ist Teil des politischen Diskurses zur Gewalteskalation in Nahost. Die Meinungsfreiheit schützt auch widerwärtige, extrem einseitige, dumme und polemische Äußerungen.

Dass die Abgrenzung rechtspolitisch und in der Praxis komplex ist, zeigt das Beispiel der Flaggenverbrennung, die in Deutschland erst seit einem Jahr strafbar ist. Eigentlich drückt das Verbrennen einer ausländischen Flagge die Kritik an diesem Staat aus, zwar zugespitzt und aggressiv, aber die Flagge ist eigentlich eindeutig ein staatliches Symbol.

Arabische Israelis Bürger zweiter Klasse

Allerdings enthält die israelische Flagge mit dem Davidstern auch ein Symbol für das Judentum. Und das Verbrennen dieser Flagge kann in seiner zerstörerischen Symbolik leicht auch als Verneinung des Existenzrechts Israels verstanden werden.

Zugleich ist die Definition Israels als „jüdischer Staat“ aber auch eine politische Entscheidung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse macht und deshalb auch kritisierbar sein muss. Dass sich Deutschland zum Existenzrecht Israels bekennt, ist wegen der übergroßen Schuld des Holocaust selbstverständlich.

Aber es ist auch bequem, dasselbe von Palästinensern (und ihren Sympathisanten) zu verlangen, für die die Gründung und Expansion des Staates Israel durchaus dramatische Folgen hatte. Wenn es um Israel geht, ist wenig einfach und eindeutig. Das sollte die Berliner Polizei berücksichtigen, wenn sie gegen „israelfeindliche Parolen“ vorgeht.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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13 Kommentare

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  • "Aber es ist auch bequem, dasselbe von Palästinensern (und ihren Sympathisanten) zu verlangen, für die die Gründung und Expansion des Staates Israel durchaus dramatische Folgen hatte. Wenn es um Israel geht, ist wenig einfach und eindeutig. Das sollte die Berliner Polizei berücksichtigen, wenn sie gegen „israelfeindliche Parolen“ vorgeht."

    Im übertragenen Sinn müsste der Autor dann auch folgende Abwägungen von der Justiz fordern beim Vorgehen gegen:

    Hetzjagd auf Migranten:



    Stammen der oder die Verdächtigen aus den neuen oder alten Bundesländern...

    Verkehrsdelikt unter Alkoholeinfluss?



    In Bayern ist Bier nunmal ein Grundnahrungsmittel...

    Verstoß gegen das Waffengesetz?



    Für US Bürger schwer nachvollziehbar, was in D alles nicht erlaubt ist...

    Maskendeals?



    Gehören in der CDU doch zum guten Ton...

    Sie sehen, was ich meine.

    Gesetze und Regeln gelten immer und für alle. Oder man kann gleich auf sie verzichten.

  • Fehlt Ihnen denn nun tatsächlich jeder historische Hintergrung, warum es nach dem Holocaust aber auch nach dem Exodus der Juden aus den arabischen Staaten (das haben die sich nicht ausgesucht) wenigstens einen einzigen Staat geben muss, in dem eine jüdische Community kollektiv in der Lage ist, verfolgte Juden aufzunehmen, um sich der eigenen Haut wehren zu können? Von Georges Bensoussan: "Die Juden der arabischen Welt - Die verbotene Frage-" oder von Nathan Weinstock "Der Zerrissene Faden" zu lesen, ist das denn wirkich zu viel verlangt?



    Die Denkweise der Menschen, ist nicht ideal, dem stimme ich zu.....aber so ist es halt, Perfektion verlangen wir Christen, zumal deutsche Christen, in erster linie von den Juden.

  • Flaggen verbrennen an sich finde ich persönlich jetzt nicht so ein Drama. Aber dass israelische Flaggen vor Synagogen verbrannt werden, statt (z.B.) vor Konsulaten, zeigt die antisemitische Grundhaltung der Täter. Einfach nur widerwärtig.

  • „Wer aber vor der israelischen Botschaft „Kindermörder Israel“ skandiert, ist Teil des politischen Diskurses zur Gewalteskalation in Nahost.“

    In dem Fall müsste es ja auch zulässiger Teil des politischen Diskurses zur Gewalteskalation sein, wenn man sich hinstellt und „Kindermörder Palästina“ brüllt. Oder? Btw, der „Diskurs zur Gewalteskaltion“ ist zwar wohl anders gemeint, aber dennoch richtig, was wir da sehen ist ein Beitrag zur Eskalation...

    „Die Meinungsfreiheit schützt auch widerwärtige, extrem einseitige, dumme und polemische Äußerungen.“

    Hass ist eine Meinung? Immer noch, oder schon wieder? Man blickt da langsam nicht mehr durch...

    „Zugleich ist die Definition Israels als „jüdischer Staat“ aber auch eine politische Entscheidung, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung arabische Israelis zu Bürgern zweiter Klasse macht und deshalb auch kritisierbar sein muss.“

    Die Verbrennung Israelischer Flaggen in Berlin ist Kritik am politischen Bekenntnis der israelischen Regierung zum jüdischen Staat? Falscher Zeitpunkt, falscher Ort, falscher Kontext. Thema verfehlt, 5.

  • "Aber es ist auch bequem, dasselbe von Palästinensern (und ihren Sympathisanten) zu verlangen, für die die Gründung und Expansion des Staates Israel durchaus dramatische Folgen hatte."

    Bitte was?!

    Für unmittelbar betroffene Palästiner lässt sich dieses Argument gerade noch durch eine linke Brille erklären.



    Welche folgen aber hatte diese Entscheidung den für Migranten mit türkischen Wurzeln in Deutschland. Oder Algerier, Tunesier oder Syrer? Oder die "biodeutschen" kommunistischen Akteure die bei den Demonstrationen mitgelaufen sind.

    Warum wird jetzt verzweifelt versucht diese Vorfälle zu relativieren? Damit helft ihr wirklich niemanden.

    • RS
      Ria Sauter
      @UNKE:

      Das trifft genau den Punkt!

    • @UNKE:

      Bei der TAZ sitzt halt ganz hinten links, nicht ganz versteckt, der Antisemitismus.

  • Folgendes fände ich interessant zu diskutieren: Migranten sind ja auch oder in erster Linie Deutsche (geworden). Was heißt das in diesem Fall? Kann oder soll nicht gefordert werden, dass sie sich als Deutsche nicht auch unbedingt zu der historisch begründeten Verantwortung gegenüber Israel bekennen müssen? Muss das nicht von jede/r, die/der hier lebt, übernommen werden und erübrigt sich damit der im Artikel geforderte Respekt vor ekligen, aber noch von der Meinungsfreiheit gedeckten Meinung indirekt betroffener Migrant/innen?

    • @Raphi:

      "Kann oder soll nicht gefordert werden, dass sie sich als Deutsche nicht auch unbedingt zu der historisch begründeten Verantwortung gegenüber Israel bekennen müssen?"

      Das ist genauso. Und im Gegensatz zu den angestammten Deutschen, die in dieses Land hineingeboren wurden, haben sich die Migranten bewusst für dieses Land entschieden und müssen nun auch die negativen Facetten mittragen.

  • Ist die Abgrenzung anderenorts denn besser? Wenn jemand die Flagge der Türkei verbrennt, ist das fremdenfeindlich? Oder nur der Ausdruck von Kritik an den diversen Mißständen der türkischen Politik?



    Heikler: Wie sieht es mit der Flagge von Saudi-Arabien aus? Auch dort gibt es unheimlich viel zu kritisieren, allerdings beinhaltet auch diese Flagge eine religiöse Komponente...

    Es würde mich sehr überraschen wenn brennende Flaggen Saudi Arabiens durch die Medien gehen ohne dass die Worte "Rassismus", "Fremdenfeindlichkeit" oder "Islamophobie" fallen

    • @Questor:

      Wie oft sehen Sie denn Bilder von Demonstrationen in Deutschland, bei denen eine dieser Flaggen verbrannt wird? Tatsächlich sind zwei Flaggen weltweit wahrscheinlich für 99,9 % aller verbrannten Flaggen verantwortlich. Die israelische und die US amerikanische Flagge.

      Sobald der von Ihnen geschilderte Fall ein relevantes Problem/Thema ist, lässt sich sicherlich darüber diskutieren.

      Von daher: Schönes Gedankenspiel aber reiner Whataboutismus.

  • Oh je, die Linken Deutschlands stecken wenige Monate vor der Wahl wahrlich in einer Glaubwürdigkeits-Zwickmühle.

    Einerseits ist der Vorwurf des Antisemitismus gegen den politischen Gegner ja sehr bequem und gerne auch unterstrichen mit teilweise mit der Lupe gesuchten Argumenten wie letzens bei Maaßen schnell zur Hand.

    Andererseits muss man nun plötzlich die in allen Medien zu sehend unverhohlene Hetze gegen Juden und Angriffe auf jüdische Einrichtungen durch die sonst so protegierten muslimischen Migranten maximal relativieren, und schwurbelt in Angesicht von vielfach dokumentierten Sprechchören (die unmissverständlich fordern Israel von der Landkarte zu tilgen) davon, dass die Proteste ja "leicht auch als Verneinung des Existenzrechts Israels verstanden werden" könnten. Stattdessen wird die Polizei hier offen dazu aufgerufen, Rechtsbeugung zu betreiben und die Straftatbestände wegen der "wenig einfach und eindeutigen" Weltsituation zu ignorieren.



    Die öffentlich rechtlichen Medien erklären dazu, dass sie nicht wissen wer dort demonstriert und nicht ausschließen können dass auch Rechtsexrtreme auf den Demos mitmischen (vielleicht meinten sie ja die grauen Wölfe, deutsche Nazis sieht man üblicherweise nicht mit Palestinenser- oder Türkeifahnen rumlaufen). Dass im linken Spektrum offener Antisemitismus auch vorkommt, schweigt man sowieso gerne tot.

    Einen Ausweg aus der Situation zu finden wird schwer sein, die Welt ist wohl doch etwas zu kompliziert um einfach alle Akteure pauschal in gut und böse einzuteilen. Die Glaubwürdigkeit der Linken und der Medien ist jedenfalls wieder einmal stark angekratzt...