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Diversität in neugewählten LandtagenVon Migrantischen kaum eine Spur

In den neugewählten Landtagen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sitzen kaum migrantische Menschen. Wie lässt sich daran etwas ändern?

Weiß, männlich, keine Spur von Migrationshintergrund: Deutsche Parlamente haben ein Problem Foto: Marijan Murat/dpa

Berlin taz | Giorgina Kazungu-Haß ist nicht mehr allein. Bisher war die SPD-Politikerin die einzige Abgeordnete mit Migrationshintergund im Landtag Rheinland-Pfalz, sie hat kenianische Wurzeln. Nun, nach der Wahl Mitte März, kommt mit Josef Winkler ein grüner Abgeordneter hinzu, dessen Mutter aus Indien stammt. „Froh“ sei sie darüber, sagt Kazungu-Haß, und selbst über das Telefon merkt man, dass hinter dem schlichten Wort „froh“ echte Freude steckt. Doch, und das lässt die Politikerin auch durchblicken: Es reicht ihr nicht.

Mit 2 von insgesamt 101 Abgeordneten liegt die Quote migrantischer Menschen im künftigen Landesparlament Rheinland-Pfalz bei 2 Prozent. Damit ist der Landtag weit davon entfernt, die Bevölkerung des Landes proportional zu repräsentieren, wie aus Zahlen des Pressedienstes Integration hervorgeht. Immerhin machen Menschen mit Migrationshintergrund etwa 27 Prozent der Bevölkerung aus.

In Baden-Württemberg ist die Lage nur ein bisschen besser. Dort sitzen im nächsten Landtag 14 migrantische Abgeordnete, wo es bisher 7 waren. Von ihnen gehören 9 zu den Grünen, 2 zur AfD und jeweils ei­ne:r zur FDP, SPD und CDU. Die Quote migrantischer Menschen im Parlament steigt damit auf rund 9 Prozent, in der Bevölkerung liegt sie bei fast 34 Prozent.

Ähnlich ist es auch in den anderen Bundesländern. Nirgendwo stimmt der migrantische Anteil der Bevölkerung mit dem in den Parlamenten auch nur annäherungsweise überein. Wie kann das sein?

Welche Schuld trifft die Parteien?

Eine Rolle dabei spielen vermutlich die Hürden im Bildungssystem, die schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Mandat sowie fehlende Vorbilder – und teilweise auch Sprachprobleme. Das bestätigen migrantische Abgeordnete und Expert:innen, mit denen die taz zu diesem Thema gesprochen hat. Migrantische Gruppen mit ihrer schwächeren Sozialstruktur sind gesellschaftlich benachteiligt, die überdurchschnittlich migrantische Arbeiterschicht in den Parlamenten generell unterrepräsentiert.

Außerdem hemme etwa das fehlende Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer:innen die Diversität in der Kommunalpolitik, sagen sie. Und die Coronakrise mache es politischen Newcomern im Moment besonders schwer, etwa im Straßenwahlkampf.

Dann ist da aber noch die Frage, welche Rolle die Parteien selbst dabei spielen, dass so wenige migrantische Menschen in den Parlamenten sitzen. Immerhin rekrutieren sich Po­li­ti­ke­r:in­nen in Deutschland primär über die Parteiorganisationen.

Kazungu-Haß, die jetzt nicht mehr ganz allein im Landtag Rheinland-Pfalz sitzt, wird vorsichtig, wenn man sie danach fragt. Es handele sich um „eine Tiefenproblematik“, sagt sie bloß vage. Es gebe allgemein viele Hürden für Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr neuer Kollege Josef Winkler wird da schon konkreter und mutmaßt, dass sich lokale Parteiverbände gegen migrantische Kan­­di­­­dat:in­nen entscheiden könnten, weil sie fürchteten, diese könnten weniger Stimmen erhalten als Po­li­ti­ker:in­nen ohne Migrationshintergrund. „Da geht man eventuell lieber auf Nummer sicher, gerade in Zeiten der AfD.“

Kommt die Quote?

Eine noch drastischere Analyse liefert Delal Atmaca, Geschäftsführerin des Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen DaMigra. Die Parteien seien nicht durchlässig genug, die Entscheidungsgewalt liege immer noch in weißen, männlichen Händen, kritisiert sie. „Diese Eliten wollen die Macht nicht teilen“, sagt sie auch.

Sowohl der Zugang als auch die internen Aufstiegsmöglichkeiten seien migrantischen Menschen oft verschlossen. „Die Parteien regulieren das sehr gezielt über die Listenplätze.“ Atmacas Lösung: „Der Staat muss eingreifen.“ Eine gesetzliche Quote für die Parlamente müsse her. Nur so ließen sich die vielen Faktoren ausgleichen, die migrantische Menschen im Moment aus der Politik fernhalten.

Be­für­wor­te­r:in­nen einer solchen Quoten-Regelung verweisen oftmals auf den Erfolg der Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände in der Wirtschaft. Die zeige, dass nur verbindliche Regeln wirklichen Fortschritt bringen könnten.

Die migrantischen Abgeordneten, mit denen die taz gesprochen hat, lehnen eine Quote für migrantische Menschen aber ab. SPD-Abgeordnete Kazungu-Haß sagt: „Ich würde lieber direkt über Diskriminierung und Privilegien sprechen.“ Ihr Grünen-Kollege Winkler: „Irgendwann wird es unübersichtlich, wo sollen wir aufhören mit Quotenregelungen?“ Ein Parlament könne niemals eins zu eins das Spiegelbild der Bevölkerung sein.

Definitionsprobleme und juristische Hürden

Tatsächlich gibt es nachvollziehbare Einwände gegen eine Quotenregelung, etwa Definitionsprobleme. Wer zählt als Mensch mit Migrationshintergrund? Was ist mit Afrodeutschen sowie Sin­ti:­ze und Rom:nja, die unter Diskriminierung leiden, in Parlamenten unterrepräsentiert sind, deren Vorfahren aber schon lange in Deutschland leben?

Eine Quotenregel könnte außerdem auf juristische Probleme stoßen. Paritätsgesetze, die eine geschlechtergerechte Besetzung der Landtage vorschrieben, scheiterten letztes Jahr in Brandenburg und Thüringen an den jeweiligen Landesverfassungsgerichten. Ob, wie und wann eine solche Quote jemals Realität wird, ist wegen solcher Probleme ungewiss.

Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um dafür zu sorgen, dass bald mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Parlamente einziehen? Devrimsel Deniz Nergiz, Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), fordert von den Parteien eine langfristige Strategie. Ein solcher Plan fehle bisher: „Nur vor den Wahlen entdecken die Parteien das Thema immer wieder kurz für sich.“

Vielen migrantischen Menschen, die an einer Karriere in der Politik interessiert seien, mangele es an Netzwerken in den Parteien und der Wähler:innenschaft, die gerade für kommunale Politik so wichtig sind. „Es fehlt der Onkel, der schon lange im Stadtrat sitzt.“ Zugänge und Unterstützung für Migran­t:in­nen müssten deshalb aktiv geschaffen werden. Außerhalb der Parteien müssten die rechtlichen Hürden etwa beim kommunalen Wahlrecht für Nicht-Eu-Ausländer:innen abgebaut werden, eine diversere Wäh­le­r:in­nen­schaft führe auch zu diverserer Politik.

Aber, betont Nergiz, es gebe mittlerweile auch „sichtbare Entwicklungen in die richtige Richtung“. Eine neue Generation migrantischer Po­li­ti­ke­r:in­nen sei parteiintern besser aufgestellt und etabliere sich langsam aber stetig auch in den Parlamenten. Das klingt verhalten optimistisch. Der Blick nach Rheinland-Pfalz aber zeigt: Auch wenn es in die richtige Richtung geht, der Weg ist noch lang.

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9 Kommentare

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  • Das ist völlig normal und unspektakulär.



    Ins Parlament kommen etablierte politisch aktive Menschen, die überdies die Zeit und Kraft für das zunächst zusätzliche Hobby Politik haben.



    Diese Spielräume haben Menschen, die ihre Zeit und Kraft für den Alltag brauchen, nicht.



    Das gilt in ähnlichem Maße für Migranten, Arme, Berufseinsteiger, Alleinerziehende, abgeschwächt für Familien mit kleinen Kindern allgemein und viele weitere Gruppen.



    Das ist allerdings trotzdem nicht diskriminierend, sondern entspricht einfach der Tatsache, dass ohne hohes Engagement nichts zu erreichen ist.



    Und ein Sitz im Parlament wird nun mal durch Wahlen vergeben, die Wahlkampf erfordern - also sehr viele freiwillige Helfer, die selbst nicht vom Erfolg profitieren. Das nötige soziale Netz muss vorher erarbeitet werden (s.o.).

  • Nicht nur Migranten sind unterrepräsentiert. Es sitzen auch wenig Arbeiter und Bauern in diesen Häusern. Dafür gibt es überproportional viele Parteimitglieder, die aber nur 1,2% der Bevölkerung ausmachen. Gut 10% der Abgeordneten arbeiten sogar beruflich für die vertretenen Parteien. Hinzu kommen Staatsdiener, die gegen die Gewaltenteilung verstoßen. Alles in Allem kann man von einer Kaste sprechen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Warum will man das unbedingt ändern?

    Berlin ist ein gutes Beispiel dafür, dass es auch ohne Quote geht und auch keinen Druck benötigt.



    Mir gehen Forderung, wie in diesem Artikel aufgestellt, total auf den Senckel.



    Als ob es ein Recht gäbe für Menschen mit Migrationshintergrund automatisch in der Politik mitzumischen. Was soll das?

    Hier spielt wieder einmal die Sucht nach Selbstgeißelung der Deutschen eine Rolle, so scheint es.

  • "In den neugewählten Landtagen [..] sitzen kaum migrantische Menschen. Wie lässt sich daran etwas ändern?"

    Vielleicht indem man die Einschüchterung migrantischer Kandidaten konsequent strafverfolgt?

  • 1G
    14390 (Profil gelöscht)

    Der Artikels leidet an einer bedauerlichen begrifflichen Unschärfe: er vermischt den Begriff der "Bevölkerung" mit dem Begriff des "Volkes" im Sinne von Art. 20 II 1 GG.



    "Bevölkerung" bezeichnet die Gesamtheit aller Einwohner eines Bundeslandes/der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, wohingegen "Volk" im Sinne von Art. 20 II 1 GG nur die Gesamtheit der (volljährigen) deutschen Staatsbürger umfaßt, die in einem Bundesland/in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz haben.



    Da nur volljährige deutsche Staatsbürger das aktive und passive Wahlrecht bei Landtags- bzw. Bundestagswahlen haben, müßte der Artikel, um die Prozentzahlen korrekt zu vergleichen, darauf abstellen, wieviele volljährige deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund in den Bundesländern/der Bundesrepublik Deutschland leben, da die Abgeordneten der Landtage/des Deutschen Bundestages nur aus diesem Personenkreis gewählt werden können.



    Am einfachen Beispiel Baden-Württembergs erklärt: 2015 lebten in Baden-Württemberg knapp 3 Mill. Menschen mit Migrationshintergrund, was bei einer Gesamtbevölkerung von 10,72 Millionen einem Bevölkerungsanteil von ca. 28% entsprach. Von diesen 3 Millionen Einwohnern mit Migrationshintergrund besaßen aber nur 1,6 Millionen die deutsche Staatsbürgerschaft und waren daher - sofern sie volljährig waren - überhaupt bei Landtags- bzw. Bundestagswahlen wahlberechtigt. Dies entspricht nur noch einem Anteil von 17% am "Volk" im Sinne von Art. 20 II 1 GG; bezieht man in die Überlegung weiterhin ein, daß der Anteil von Deutschen mit Migrationshintergrund in der jüngeren Alterskohorte deutlich höher ist als in der älteren, ist anzunehmen, daß dies den Anteil wahlberechtigter Deutscher mit Migrationshintergrund noch unter 17% drücken dürfte.



    Selbst bei einer Hochrechnung auf die aktuellen Zahlen von 2021 ist dieser Bevölkerungsanteil wohl weit entfernt von den 34%, die im Artikel als Referenzwert genannt werden.

    • @14390 (Profil gelöscht):

      Danke für die Klarstellung.

      Der Artikel vermittelt eben kaum Infos, sondern Meinung(en).

      Wobei er doch kurz vor Schluss zu einem wesentlichen Punkt kommt:

      "...etwa Definitionsprobleme. Wer zählt als Mensch mit Migrationshintergrund? "

      Das ist eine völlig ungelöste Frage.



      - bis zu welcher Generation zählt ein M-Hintergrund?



      -Was ist das überhaupt? Hat ein Kind eines US Besatzungsoldaten und einer deutschen Frau einen M-Hintergrund?



      - Eine M- aus der Türkei zählt, oder? Auch eine aus Ungarn? Auch eine aus Österreich? Auch eine aus Bayern?

      Für einen Artikel reicht es, wenn man glaubt, der andere versteht einen schon. Aber für das Wahlrecht müsste man das schon genau definieren. Und wer will sich schon damit definieren lassen (zB als D mit 25% M-Hintergrund)?

  • Sorry, das zeigt einmal wieder, wo die Schwachstellen von Quotenideen liegen:



    1. 34% in BW haben einen Migrationshintergrund. Wichtig wäre aber nicht die Frage, wie viele einen M-Hintergrund haben, sondern wie viele Deutsche Staatsbürger haben einen Migrationshintergrund. Sorry, ein Parlament vertritt das Staatsvolk.



    2. Abgeordneter zu werden ist oft das Ergebnis einer kleinen Karriere in Jugendverband, Ortsverein, Kreisverband, Stadt- und Kreisräten usw. Dies braucht Zeit. Daher reflektiert ein Parlament die Zeit von vor ca. 15-20 Jahren, also welche Menschen damals in die Jugendverbände gegangen sind.

    • @Kartöfellchen:

      3. Die Alterszusammensetzung ist ebenfalls von Bedeutung. In den Parlamenten sind überwiegend Leute zwischen 45 und 65, wie hoch ist das der M-Anteil?

      4. Die sozialen Gruppen wurden bereits benannt. Wie hoch ist der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund unter den Lehrern, Juristen und Politologen außerhalb des Parlamants?

      5. Abgeordnete kommunizeren viel. Sprachkenntnisse sind da wesentlich - in Baden-Württemberg braucht man nicht einmal hochdeutsch.

      6. Eine Unterrepräsentierung bei der Listenaufstellung kann ja erst dann eintreten, wenn man (als passiv wahlberechtigter) in eine Partei eingetreten ist.

      7. Sieht es bei den unterschiedlichen Stufen (Gemeinderat, Kreistag, Landtag, Bundestag) sehr unterschiedlich aus?

      Statt zu jammern, sollten also Zahlen ermittelt werden, an welcher Stufe eventuell "ausgesiebt" wird, und bei wem. Beispielsweise sind unter den OberbürgermeisterInnen in Deutschland die Menschen mit dänischem Migrationshintergrund vermutlich überrepräsentiert.

      zu 1: Ein Parament vertritt die Wahlberechtigten. In Deutschland gehören dazu bei Kommunalwahlen auch nichtdeutsche EU-Bürger. Die Staatsbürger unter 18 sind nicht vertreten, und vier Jahre nach der letzten Wahl alle Staatsbürger unter 22.

  • RS
    Ria Sauter

    Wenn eine Quote kommt, dann bitte für alle Menschen, die hier leben!



    Es fehlt generell an einer gerechten Zusammensetzung.



    Das Ganze jetzt einseitig zu betrachten ist nicht fair!