piwik no script img

Antisemitismus und IsraelDas große Poltern

Während es eine neue Antisemitismusdefinition geben soll, versuchen postkoloniale Theoretiker mit allerlei Furor, sich weiter durchzusetzen.

Immer wieder wiederholt, aber dennoch falsch: Der Apartheidsvorwurf gegen Israel Foto: picture alliance/dpa

Kaum war das Dokument vorige Woche öffentlich lanciert, gab es im Netz Reaktionen darauf zu lesen, die irgendwie klangen, als sei es in allerletzter Minute gelungen, ein Verhängnis, ein Missverständnis, einen fatalen Prozess zu bannen: „Endlich!“, „Wie gut …“ oder auch „Erleichternd …“: „The Jerusalem Declaration“. Auch in der taz zustimmend kommentiert, formulierte diese, was so vielen Linken und Linksliberalen auf dem Herzen liegt.

Dass nämlich hinter der sogenannten „Israelkritik“ sich gar nicht „per se“ Antisemitismus verberge, dass die internationale Bewegung namens BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) gar nicht „per se“ antisemitisch sei. Auf dieses „per se“ kommt es in dieser Erklärung, wesentlich mitgetragen etwa auch von deutschen Kultur- und Diskursschaffenden (Aleida Assmann, Friedenspreisträgerin 2018), an – auf dieses „an und für sich“.

Moralisch gebannt werden dürfe nicht mehr (per se) eine Kritik an Israel, die sie wesentlich als mit dem Apartheidsregime Südafrikas vergleichbar versteht; auch „unvernünftige“ Stimmen aus dem palästinensischen Lager, die etwa die Auslöschung Israels wünschen, dürfen nicht gleich zum Bannfluch führen – man solle doch vielmehr ihnen zuhören, ob nicht hinter ihnen ein Leid sich verberge, das zu hören wichtig sei.

Dabei ist diese „Jerusalemer Deklaration“ weder ein Dokument im international-diplomatischen Prozess, noch kann es diesen politischen Rang beanspruchen – es ist ein Schriftstück, wie es unzählbar viele gab in den vergangenen Monaten und Jahren, fast immer mit den gleichen Prot­ago­nis­t*in­nen und dem gleichen Anliegen: Dass es möglich sein müsse, auch „Erzählungen“ (Aleida Assmann) gelten zu lassen, die etwa die Verbrechen des Kolonialismus thematisieren. Als ob das nicht schon immer richtig, nachgerade von buchstäblich allen geteilt worden wäre – abgesehen von völkisch orientierten Leuten, aber die sind für diesen Kontext unwichtig.

Es ging nie um Stigmatisierung

Voriges Jahr ging es ja beim Streit um die Teilnahme des kamerunischen Philosophen Achille Mbembe auch niemals darum, dessen Beiträge aus afrikanischer Perspektive zu stigmatisieren. Woran sich der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, mit einer keineswegs amtsdurchsetzungsfähigen Bemerkung zu einer Rede Mbembes auf der Ruhrtriennale störte, war, dass Mbembe Israel als Staat der Juden und Jüdinnen als eines der gröbsten Übel der Welt verstehe und dass er zwar jederzeit in Deutschland sprechen könne, nur eben nicht bei Veranstaltungen, deren Honorartöpfe steuergeldfinanziert sind.

Antisemitismus – und dazu gehört eben auch die singuläre Dämonisierung eines Staates in der Welt, Israel nämlich – könne nicht verboten werden, aber staatlich subventioniert?

Dass daraus schließlich die Behauptung erwuchs – etwa bei einer (noch eine!, wie viele dürfen noch erwartet werden?) Erklärung der wesentlichen Gatekeeper staatlicher Kultureinrichtungen (Haus der Kulturen der Welt, Einsteinforum, Ruhr­triennale usw. usf.) im Herbst –, Mbembe mit seinen postkolonialen Narrativen solle nicht sprechen dürfen, Cancel Culture von judenfreundlicher Seite quasi, ist kurios genug: Auf der Ruhr­triennale (wegen Corona in analoger Form abgesagt) konnte er seine Lecture sehr wohl halten.

Hass? Nein! Kritik? Ja!

Der Star der Postkolonialen schrieb jüngst wieder in Jeune Afrique in diesem Sinne wahrheitswidrig: „In Deutschland und Frankreich versuchen hasserfüllte Menschen, die Denkströmungen mit einem Bann zu belegen, die unseren Aufstieg in die Menschheit (uns: Afrikas, d. Red.) begleitet haben“. Hass? Nein. Kritik? Öfters.

Mbembe weiter: „Sie benutzen Lügen als Knüppel“ – und mit „sie“ gemeint sind hier alle, die darauf hinweisen, dass weder die Narrative zum Antisemitismus und zum Holocaust noch die zum Rassismus und Kolonialismus konkurrent verhandelt wurden: Nur, dass aktuell wesentliche Teile des Antisemitismus eben auch an die Verteufelung Israels geknüpft sind. Und dass der europäische Hass auf das Jüdische sich aus jahrhundertealten Erzählungen speiste, nicht, zynisch formuliert, aus einer kolonialen Diskursgrille unter vielen anderen.

Die „Jerusalemer Erklärung“, die mitnichten – abgesehen von Michael Wildt – vom Gros der zum Thema Antisemitismus forschenden His­to­ri­ke­r:in­nen getragen wird, missachtet obendrein, dass Israel als Staat aus der jüdischen (Holocaust-)Erfahrung heraus gründete: Irgendwo muss es einen sicheren Ort, einen Letzthilfeort, eine Rettungsstelle für Jüdinnen und Juden geben, durchaus nicht in falscher Landschaft.

Jürgen Zimmerer und Michael Rothberg gehen in der aktuellen Zeit genau auf diesen Punkt auch nicht ein, vielmehr plädieren beide für eine neue globale Erinnerungskultur, die jüdische und postkoloniale Narrative zusammenzudenken wisse. Nun, das passiert ja längst, das ist keineswegs ein Undergroundprojekt, ein Gros deutscher (und europäischer) Kulturinstitutionen widmen sich der Aufarbeitung kolonialer Politiken, das heißt: imperialer Verbrechen.

Gegeneinander ausspielen

Problematisch wird dies noble Ansinnen deshalb, weil es faktisch gegen die Kritik des Antisemitismus ­ausgespielt wird: Kolonialismus hat seine Wurzeln in damals wissenschaftsunterfütterten Versuchen, Afrika, Lateinamerika und Asien auszubeuten; Antisemitismus lebte als ideologische Wahnwelt immer von der Verteufelung der aufkommenden Moderne – ein Dämonisierungsprojekt durch und durch, unausrottbar, meist von rechts, sehr oft von links.

Und was die von Rothberg so verfochtene „multidirektionale Erinnerung“ anbetrifft, eine, die nicht allein Jüdischem (nicht nur) in Deutschland gewidmet werden möge: Ja, das soll doch sein, gern und immer wieder – aber muss es, dieses hölzerne Wortgeschöpf namens „multidirektionale Erinnerung“, immer wieder sich gemein machen, Israel als Vorhof des Bösen zu markieren? Ist so viel historische Unterinformiertheit hinnehmbar?

Im Kern geht es auch um die Erlaubnis, endlich nach Herzenslust Israel und seine Politik kritisieren zu dürfen – was in der gewünschten Unverhohlenheit in Israel selbst schon getan wird –, ohne als antijüdisch zu gelten: Also darum, die „Erzählung“ zu etablieren, dass Antisemitismus nur eine Spielart des Rassistischen sei, ein Unterkapitel aus dem Buch „Woran Weiße Schuld tragen – per se“.

Achille Mbembe ist im Übrigen nie in Deutschland Persona non grata gewesen: Er ist zu Gast bei Veranstaltungen, er ist ein Star geworden, er war auch zum taz lab mehrfach eingeladen worden. Mehr multidirektionaler Fame geht kaum.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

22 Kommentare

 / 
  • Hr. Feddersen hat das Thema verfehlt. Bei was es um die „Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus“ (JDA) wirklich geht wird garnicht erwähnt in seinem Artikel. Es geht um die IHRA-Definition, die vor allem mit ihren beigefügten Beispielen Antisemitismus mit Antizionismus und Kritik an israelischer Politik den PalästinenserInnen gegenüber vermengt. Sie wird landauf landab von PolitikerInnen als Instrument benutzt Kritik an israelischer Politik zu verurteilen, weil diese nach der schwammigen IHRA-Definition dessen was Antisemitsmus ist, fast immer antisemitisch sein könnte.



    Selbst der Hauptautor der IHRA-Definition, Kenneth Stern, hat die Annahme der Definition als Richtlinie für Hassreden z.B. an Universitäten, mit dem Argument abgelehnt, dass sie „nicht nur pro-palästinensischen BefürworterInnen, sondern auch jüdischen StudentInnen und Lehrkräften sowie der Wissenschaft selbst schaden wird“ (www.middleeasteye....itism-colonialism).



    Die JDA ist auch kein Schriftstück wie es schon unzählige viele gab in den letzten Monaten, wie Feddersen behauptet! Den AutorInnen der JDA geht es darum, eine klarere Antisemitismus-Definition zur Verfügung zu stellen, als die IHRA-Definition es tut und die Vermengung von Kritik an israelischer Politik und Antisemitismus zu vermeiden.



    Die palästinensische Zivilgeselschaft hat die JDA begrüsst, jedoch auch einige Kritik an ihr geäußert. Es wäre richtig auch ihre Stimme zu Wort kommen zu lassen (bdsmovement.net/A-...iety-Critique-JDA).

    jerusalemdeclaration.org



    deutsch



    jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/2021/03/JDA-deutsch-final.ok_.pdf

  • Lieber Jan Feddersen, sie haben gut geschrieben!



    Man könnte es auch direkt sagen. Antisemitismus und Kolonialismus zu einem Brei verüren zu wollen hat nur einen Sinn: Das singuläre Verbrechen des Holocaust zu relativieren.



    Dazu noch mal Alan Posener

    "Indianer und Maori, Hereros und Araber, Slawen und Juden – alles Opfer eines „weltgeschichtlichen Phänomens“ namens Kolonialismus, das dadurch wie nebenbei jeder differenzierten Betrachtung entzogen wird, während das Spezifische des Judenmords und seiner Täter im Weltgeschichtlichen verschwindet. Das ist nicht Theorie, das ist Ideologie.

    Zitat Ende

    starke-meinungen.d...ert-den-holocaust/

  • Was mich berührt, ist der zunehmende Disconnect des linken akademischen Diskurses zu den wahren Fortschritten in der Realität. Mindestens sechs arabische und muslimische Staaten sind nicht mehr im Kriegszustand mit Israel und probieren unterschiedliche Grade der friedlichen Koexistenz. Internationale Bemühungen arbeiten mit Deeskalationsstrategie, Konfliktmoderation und Instrumenten, die in Südafrika und Nordirland erfolgreich waren. Stattdessen konzentriert sich die heutige akademische Linke immer mehr auf Theoriegebilde, die keine Lösung kennen, und ein Konfliktmodell, das einzig Eskalation, Steigerung des gegenseitigen Misstrauens und Abbruch von Gesprächen explizit verlangt. Die Linke ist heute der Darth Vader unter den politischen Kräften. Warum, weiß ich nicht. Aber man hat die Wahl.

    • @Mark2013:

      "Die Linke ist heute der Darth Vader" und Benjamin Netanjahu und Donald Trump mit ihrem letzten Friedensplan sind jetzt Mahatma Ghandi und Nelson Mandela. Wie? Wenn es nicht so ernst wär könnte man Tränen lachen. Desweiteren, zum mitmeißeln, damit Sie es auch noch mitbekommen: Israel hat sich mit der VAE, Bahrain, Marokko nie im Kriegszustand befunden. Man hat schon seit langem sehr gute Geschäfte miteinander gemacht. Die jetzige Normalisierung der Beziehungen bezeichnet als "Friedensverträge" waren daher nichts als ein PR-Stunt für Netanjahu und Trump. Als Gegenleistung gab es für die beiden Emirate Zugang zu Waffen, an die sie bislang nicht randurften, z.B. die F35 Kampfflugzeuge. Donni konnte dann zu Hause sagen er hat viele amerik. Industrieprodukte verkauft und amerik. Arbeitsplätze geschaffen. Die eklatanten Demokratie- u Menschenrechtsdefizite v. VAE u Bahrain will keiner sehen. Bibi hat sie sogar in den Kreis der "Advanced Democracies" aufgenommen. (den Palästinensern will er aber so lange keinen Staat geben bis die nicht demokratisch geworden sind. Ha!). Ach ja und Marokko hat im Gegenzug die Anerkennung der Westsahara als marokkanisch bekommen. Trumpisch- Netanjahusche Kuhhändel, die als seriöse Außenpolitik firmieren. Leider waren sehr viele Journalisten nicht in der Lage da mal ein bisschen Hirnschmalz zu investieren und die ganze Darstellung zu hinterfragen. Ist bei den beiden ja eigentlich ein Muss. Würde man doch bei Tönnies auch machen, wenn der plötzlich von klima- und arbeitnehmerfreundlicher Fleischproduktion redet. Ich hoffe ich konnte etwas zur Aufklärung ihrer Ratlosigkeit beitragen und die Welt wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Hätten Sie auch selbst drauf kommen können, oder?

  • Im Kern geht es doch darum, ob der Nahe Osten der Gegenwart nüchtern zur Kenntnis genommen und kommentiert werden darf, oder ob dies mit Verweis auf den Holocaust unterbunden werden kann.

    Wer sich lösungsorientiert Gedanken über den Nahen Osten macht und dabei auch die Belange der Palästinenser sieht, kann nicht anders, als eine israelische Politik zu kritisieren, die darauf abzielt, den Palästinensern den Verbleib in ihrer Heimat durch immer mehr Siedlungen und immer größere Brutalität der Besatzungsarmee so unerträglich wie möglich zu machen.

    Vielfach wird allein das als Antisemitismus bezeichnet. So hat der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein inzwischen auch den "linksliberalen Antisemitismus" als beachtenswerte Form des Antisemitismus ausgemacht.

    Durch Verwendung des Antisemitismusvorwurfs wechselt man in der Regel aber von der sachlichen Ebene auf die ebene der persönlichen Angriffe und Diffamierungen. Man redet dann nicht mehr über den Nahen Osten, sondern darüber, was bei den Menschen, die sich mit dem Nahen Osten befassen, nicht stimmt.

    Eine sachliche Diskussion über den Nahen Osten der Gegenwart ist in Deutschland kaum noch möglich. Das liegt aber an denjenigen, die glauben, bei der Verteidigung der israelischen Politik ohne den Antisemitismusvorwurf nicht mehr auskommen zu können.

    • @Lenning Köstler:

      Eine Frage zu (meinem) Verständnis: Meinen Sie unter - nach Selbstdefinition - linken Menschen wäre auch Rassismus, Frauenfeinlichkeit oder Feindseligkeit Juden gegenüber existent, oder nicht?

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Das ist ein ziemlich großes Fass.



        Man kann beispielweise aus einer linken Perspektive die Rückständigkeit islamischer Gesellschaften und die Benachteiligung der Frau kritisieren.



        Wenn man dies aber dazu benutzt, um den Ausschluss, beispielsweise der palästinensischen Bevölkerung in den Besetzen Gebieten, von Grundrechten zu legitimieren, die wir als westliche Wertegemeinschaft als universell postulieren, dann ist man rechts.



        So würde ich zum Beispiel die "Antideutschen" als Teil der islamophoben Neuen Rechten einordnen, obwohl die selber das vielleicht anders sehen.

        • @Lenning Köstler:

          Danke für Ihre Antwort. Hm, genauso kenne ich es. Darum hatte ich nach der Selbstdefinition gefragt. Sobald Einstellungen zum Vorschein kommen, die eigentlich sehr "unlinks" sind - ich denke, da sind wir uns einig - heißt es, diese Linken wären in Wahrheit gar keine, sondern irgendetwas ganz anderes.

          • @Henriette Bimmelbahn:

            Ich würde sogar soweit gehen: anhand ihrer häufig assoziativen Logik, lassen sich Antideutsche auch als die Querdenker des kapitalismuskritischen Teils der Bevölkerung verstehen. Ob man sie, bei den Schlüssen, die sie ziehen (außer das ganze System abschaffen bringt alles nix) und Koalitionen (Irak ist antisemitisch und Bush tut mit seinem Krieg das einzig Richtige) allerdings als irgendwie links verstehen muss, nur weil sie auch linke Quellen verarbeiten, wäre ein Aspekt, der für mich nicht klar beantwortet ist.

            • @Volker Maerz:

              Das ist also Ihre Meinung. Die Art sie zu formulieren erinnert stark an die Art, in der im "Leben des Brian" die Judäische Volksfront die Volksfront zur Befreiung Judäas kritisiert hat. Aber, wie heißt es so schön? Wir leben in einem freien Land.



              Nur - das war nicht meine Frage. Ich fragte, ob selbsterklärte Linke auch rassistische, antisemitische und frauenverachtende Ansichten vertreten. Die Antwort ist schlicht: ja. Bei Lenning Köstler erkenne ich schon Nachdenklichkeit, bei Ihnen nichts davon.



              Ich lasse Ihnen den billigen Trick, Unangenehmes einfach "outzusourcen" und mit dem Finger auf Andere zu zeigen nicht durchgehen! Stehen Sie doch zumindest dazu!

  • "Antisemitismus – und dazu gehört eben auch die singuläre Dämonisierung eines Staates in der Welt, Israel nämlich"

    Der Autor kritisiert Antisemitismusdefinitionen, liefert dann aber eine, die besonders dämlich ist. Ich will keinen Staat der Welt dämonisieren, kann aber Gottesstaaten (die Religionsfreiheit nicht garantieren und dort den Gleichheitsgrundsatz ihrer Bürger aufweichen), wie Iran, Israel und Saudi-Arabien, durchaus kritisieren, ohne antisemitisch zu sein. Genauso kann man die kolonialer Vergangenheit Deutschlands, die Säkularisierung und die daraus folgenden undemokratischen Privilegien der großen deutschen Kirchen kritisieren ohne antideutsch oder antichristlich zu sein.

    Es geht doch wie immer nur um zwei extreme Positionen: a) Ihr hasst Israel, seit antisemitisch und werdet damit von jeglicher Diskussion ausgeschlossen und b) Israel ist ein rein jüdischer Unrechtsstaat, hat keine Existenzberechtigung und will jegliche Kritik als antisemitisch brandmarken, um am status quo nichts ändern zu müssen und die Unterdrückung fortführen zu können.

    Wir sollten aus dieser Diskussions- und Kompromissverweigerung endlich rauskommen, weil sie allen Seiten schadet und alle Grautöne ausblendet.

    • @Dorian Müller:

      Die singuläre Daemonisierung Israels ist leider immer noch und immer wieder anzutreffen. Dazu gehört die Gleichsetzung Israels mit dem Nationalsozialismus, die Ablehnung des Existenzrechts des Staates Israel (wird seitens BDS geleugnet), die zahlreichen UNO-Resolutionen gegen Menschenrechtsverletzungen Israels aber nicht gegen andere Staaten, die Verurteilungen israelischer Militärschläge bei gleichzeitigem Verschweigen oder Vernachlässigen von vorherigen palästinensischen Angriffen (übrigens auch häufig in den Überschriften unserer Medien zu finden, in letzter Zeit zum Glück weniger) oder auch die einseitige Kritik an Israel im Umgang mit Palästinensern bei gleichzeitigem Schweigen über brutale Unterdrückung von Juden und Andersdenkenden in den arabischen Nachbarstaaten.



      Hier wird regelmäßig mit zweierlei Maß gemessen und natürlich ist diese Daemonisierung antisemitisch. Selbstverständlich kann man Israel kritisieren, aber bitte so, wie jeden anderen Staat auch. Kritik ja, Hass nein.



      Danke, Herr Feddersen, für den guten Artikel!

      • @Fupe:

        " oder auch die einseitige Kritik an Israel im Umgang mit Palästinensern bei gleichzeitigem Schweigen über brutale Unterdrückung von Juden und Andersdenkenden in den arabischen Nachbarstaaten"

        also sollen wir aufrechnen? und dabei noch gleich die palästinenser in sippenhaft nehmen für sauerein anderer araber?

        "Selbstverständlich kann man Israel kritisieren, aber bitte so, wie jeden anderen Staat auch"

        aber genau das haben sie doch grad noch als "antisemitisch" denunziert. denn wenn man z.b. d kritisiert, muß man ja nicht auch f kritisieren

    • @Dorian Müller:

      Dämonisieren ist auch Quark. Andererseits sollte man doch rein *jeden* Staat kritisieren dürfen, wohlbegründet bitte.

    • @Dorian Müller:

      Das stimmt. Und wenn wir dritte meinen ob ihrer Integrität bewerten zu müssen, müssen wir, vor allem wenn sie nicht in unserer Region aufgewachsen sind, ihre Perspektive nachvollziehen. Dann können wir sie beurteilen. Lassen wir mal das antijüdische weg, nehmen wir zur Kenntnis: in vielen Teilen Afrikas sieht man Israel als ein Relikt der britischen, der europäischen, der weißen Kolonisation. Ein Land, was aus Sicht vieler Afrikaner ein privilegierter Aussenposten weißer Vorherrschaft ist. Wirtschaft, Waffen, etc.. Wie weit trifft dieses Bild zu? Dazu gibt es viele Ansichten. Das wichtigste ist meiner Meinung nach, dass Israel und seine arabischen und afrikanischen Nachbarn zueinander finden. Das wird ein langer Weg für beide Seiten. Wir stehen denn in vielen Fällen im Weg. Wir begleichen nicht einmal unsere Schulden gegenüber den „Parteien“. Politisch machen wir tatsächlich Israel zu unserem Vorposten, was ich nicht richtig finde. Divide et impera. Oder erklärt mal, warum in vielen EU Projekten man die sehr guten israelischen Wissenschaftler, vor denen ich großen Respekt habe, ins Boot holen kann, aber gleichzeitig andere in der Region außen vor sind? Warum wohl? Weil wir sie binden möchten. So sehe ich das, so sehen es viele in Afrika. Uns kann das egal sein, theoretisch. Wir führen liebe tolle Diskussionen um cancel culture um die Zeitungen zu füllen. Danke fürs posten lassen.

    • @Dorian Müller:

      Im Ernst? Israel ist sicher in der Oraxis kein laizistischer Staat; aber die Aufzählung in einem Atemzug mit dem Iran und Saudi-Arabien erklären Sie mal Angehörigen der Bahai oder von mir aus auch des Katholizismus, die versuchen, ihre Religion dort auszuüben. Ich habe kein Problem mit Kritik an der aktuellen israelischen Politik, aber Israel zu dämonisieren und in eine Reihe mit z.B. den genannten Staaten zu setzen, macht mich schon nachdenklich, ob an den Antisemitismusvorwürfen gegenüber solch apologetischen Kritiker*innen nicht doch was dran ist.

  • Danke, Herr Feddersen!



    Wie Sie richtig schreiben hat Michael Wildt die Erklärung unterschrieben, viele renommierte Holocaust-Forscher, wie Yehuda Bauer, Peter Longerich, Saul Friedländer, Christopher R. Browning, Ulrich Herbert, oder Deborah Lipstadt haben eben *nicht* unterschrieben. Matthias Küntzel schreibt dazu "Von diversen Instituten, die den Antisemitismus weltweit untersuchen, sind nur zwei - das Berliner Zentrum und das Birbeck-Institut aus London - vertreten. Es ist weniger der spezifische Sachverstand, die die diversen Unterzeichner dieser Erklärung zusammenbringt, als vielmehr der politische Wille den Israelhass vom Stigma des Antisemitismus zu befreien." Das trifft es ziemlich gut.

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Liebe Henriette, sehe ich genauso, dass es Matthias Küntzel auf den Punkt gebracht hat. Vielen Dank für den Hinweis!!

  • Ein Grund warum ich nicht die taz abonniere ist nicht die Meinung, die vertreten wird, sondern die Emotionalität bei bestimmten Themen.

    Achille wird wieder ein Zitat vorgehalten. Im Deutschlandfunk Kultur wurde indes in einer sehr guten Sendung vielmehr darauf eingegangen, welche Parallelen es doch in der historischen Behandlung von Juden und Afrikanern gibt. Pseudowissenschaften die dies rechtfertigen sollten gab es übrigens bei Juden und Afrikanern gleichermaßen. Und auch die andere Variante, ohne Pseudowissenschaft: das Gegenüber einfach zum Tier zu erklären ist sicher nicht einmal pseudowissenschaftlich. Wir sollten uns als diejenigen, die erwiesenermaßen anderen Menschen die größten Schäden durch unseren antisemitismus und Rassismus zugeführt haben und zuführen (!) mal endlich um die Punkte kümmern, die sie anprangern, statt ihre Gegensätze und sicherlich vorhandenen Abneigungen herauszupopeln. Das geschieht nicht. Andersherum würden es sich die Europäer sicher auch wieder gerne gemütlich machen, wen ein Israeli Antisemitismus kritisiert und dabei PoC nicht mag.



    Angeblich ist es Angst, das falsche Botschaften Gehör finden. Ok, dann nehmt den Rest der Botschaft und verbreitet ihn! Aber ich fürchte eher, es geht darum, die ganze Botschaft durch einzelne Mängel an der Person zu diskreditieren. Zumindest rutscht die Botschaft in den Hintergrund bzw. wird nicht mehr auf dem Niveau (ein betroffener findet Gehör! Es wird nicht mal wieder wie üblich durch Weiße über Afrika gesprochen!).



    Last not least: dumme Meinungen und stereotypen über Menschen die sie nicht kennen findet man bei fast allen Menschen. Wie differenziert ist unser Bild von Chinesen zum Beispiel?

  • Die Formel "Hass - Nein! Kritik - Ja!" gefällt mir und es würde wohl theoretisch genügen, wenn sich alle genau daran orientieren. Dass Kritik an einem demokratischen Staat von außen und von innen erlaubt sein muss, sollte selbstverständlich sein. Israel ist eine Demokratie - weit und breit die einzige in der Region, umringt von viel Hass und von einer Art von Kritik, die sich buchstäblich als "vernichtende Kritik" versteht. Wenn aber Hass und Kritik übergangslos vermischt werden, dann funktioniert auch die Formel nicht mehr.

  • Typisches Apologetengeschwafel:

    "Dass es möglich sein müsse, auch „Erzählungen“ (Aleida Assmann) gelten zu lassen, die etwa die Verbrechen des Kolonialismus thematisieren. Als ob das nicht schon immer richtig, nachgerade von buchstäblich allen geteilt worden wäre"

    Solange sich keine Konsequenzen daraus erleiten, richtig? Aber gegen staatlich organisierte Konsequenzen gegen die, die die durch den Staat Israel forcierten Apartheidzustände kritisieren, hat er nichts. Und genau dafür ist die IHRA-Definition konzipiert.

    Ersetzen wir doch den Fokus auf das "per se" um vom eigentlichen Inhalt abzulenken mal mit, ratet: Inhalt:

    Nicht antisemitisch sei dagegen faktenbasierte Kritik an Israel als Staat oder der Hinweis auf systematische, rassistische Diskriminierung im Umgang mit den Palästinensern. Auch die Initiative „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) sei nicht per se antisemitisch.