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Corona und SchuleSo retten wir die Schule

Nächste Woche öffnen bundesweit wieder Schulen. Viele Fragen sind offen. Sechs Tipps, damit das zweite Halbjahr besser läuft als das erste.

Mit Maske und Winterjacke: viele Schulen öffnen noch im Februar Foto: Fabrizio Bensch

Lange mussten Schü­le­r:in­nen und Eltern auf diesen Moment warten. Noch im Februar dürfen nun bundesweit wieder Schulen öffnen. So haben es die Mi­nis­ter­prä­si­den­t:in­nen am Mittwoch gegen die Kanzlerin durchgeboxt, die erst im März zum Präsenzunterricht zurückkehren wollte. Seit Mitte Dezember lernen fast alle Jahrgänge zuhause, Ausnahmen gibt es für Abschlussklassen.

In den nächsten Wochen kommen Schü­le­r:innen also schrittweise in die Schule zurück. Zunächst in Sachsen, dort öffnen die Grundschulen am Montag. Die meisten anderen Länder beginnen eine Woche später damit, Sachsen-Anhalt und Hamburg im März.

Relevanter für das restliche Schuljahr sind jedoch andere Fragen: Ab welcher 7-Tage-Inzidenz sollten Schulen geöffnet und notfalls wieder geschlossen werden? Haben Noten und Schulabschlüsse in diesem Jahr überhaupt noch Sinn? Wie schützt man Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen am besten vor den Mutanten? Und wie kann man Lernrückstände aufholen? Sechs Forderungen, um das Schuljahr noch retten zu können:

1. Endlich verbindliche Kriterien

Einer der größten Streitpunkte bei den Schulöffnungen ist, ob sie sich streng nach Inzidenzzahlen richten soll. Bisher haben die Länder die Entscheidung größtenteils den Lokalbehörden überlassen. Wie wenig das funktioniert, konnte man ihm Herbst beobachten. Viele Kreise sahen auch bei Inzidenzwerten über 200 keinen Grund für Schulschließungen, ja nicht mal für Teilung der Klassen.

Über Wochen weigerten sich die Kultusministerien, dazu klare Vorgaben zu machen – und das tun sie zum Teil noch immer. Die Folgen: Schulen dürften wie vor dem Lockdown im permanenten Wartemodus verharren, bis es neue Vorgaben gibt. Die Schulen brauchen in der Frage aber Orientierung und Sicherheit, forderte kürzlich der renommierte Bildungsforscher Kai Maaz.

Heißt: Jetzt müssen verbindliche und transparente Kriterien dafür her, wann und wie Schulen öffnen dürfen und wann sie wieder schließen müssen. Die Entscheidung sollte sich übrigens nicht allein an den Inzidenzwerten orientieren, sondern auch Impfquoten, Krankenhausbelastung und Verbreitung der Virusmutanten berücksichtigen. Ein paar Länder haben solche Stufenpläne erarbeitet – unter anderen Schleswig-Holstein. Es wird Zeit, dass die anderen nachziehen.

2. Ohne Schnelltest kein Unterricht

Wie aufschlussreich breit angelegte Tests an Schulen sind, hat sich nach den Weihnachtsferien in Bremen gezeigt. Dort wurden die Schulen geöffnet. Die Eltern konnten allerdings selbst entscheiden, ob ihre Kinder in die Schule gehen. Das Ergebnis: An den Schulen (inklusive Kitas) gab es zu dem Zeitpunkt eine Inzidenz von 313 – weit über den diskutierten Richtwerten. Die Zahl verdeutlicht ein Problem, auf das Viro­lo­g:innen schon länger hinweisen: Weil Kinder und Jugendliche seltener Symptome entwickeln, werden sie seltener getestet. Mehrere Studien weisen mittlerweile eine hohe Dunkelziffer an Schulen nach.

Um zu verhindern, dass Infektionsketten unbemerkt bleiben, müssen neben (medizinischen) Masken unbedingt auch regelmäßige Schnelltests zur Verfügung stehen. Bislang haben mehrere Länder zwei Tests pro Woche versprochen – allerdings nur für Lehrkräfte. Die kostenlosen Schnelltests sollten jedoch auch für Schü­le­r:in­nen bereit stehen, wie es Thüringen schon für die Abschlussklassen anbietet. Und sie sollten verpflichtend sein.

Regelmäßige Schnelltests sind wohl die einzige Chance, die Mutanten in den Griff zu kriegen. Neueste Daten aus Israel sollten eine Warnung sein. Wie das britische Medizinjournal The BMJ diese Woche meldete, wurden dort wegen der britischen Mutante B1.1.7 im Januar so viele Kinder und Jugendliche positiv auf Corona getestet wie in keinem Monat zuvor: Jede vierte Neuansteckung betraf ein Kind unter zehn Jahren. Bislang hatte diese Altersstufe als weitgehend ungefährdet gegolten.

3. Bitte sehr, sehr vorsichtig

Die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen müssen dringend ihren Umgang mit unliebsamen Studien überdenken. Nur ein Beispiel: Am Donnerstag rechtfertigte die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) die Öffnungspläne erneut damit, dass Kinder bis zu zwölf Jahren weniger ansteckend sein sollen als ältere Kinder oder Erwachsene.

Die Begründung ist problematisch, weil sie unter Wissen­schaft­le­r:innen umstritten ist. Dasselbe gilt für die monatelange Behauptung der Politik, die Schulen spielten für die Verbreitung des Virus keine Rolle. In beiden Fällen widerspricht übrigens auch der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité. Das sollte nachdenklich stimmen.

Dass sich Po­li­ti­ke­r:in­nen aber auf eine These versteifen, die nicht zweifelsfrei belegt ist, ist unseriös und weckt falsche Hoffnungen. Und selbst wenn Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die eine Million Leh­re­r:in­nen und Er­zie­he­r:in­nen bei den Impfungen vorzieht und das zügig passiert, sind die Schulen damit längst nicht vor Ausbrüchen geschützt. Dass Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz präventiv die Schulöffnungen verschoben haben, ist das richtige Signal. Im Zweifel für den Gesundheitsschutz.

4. Keine Fixierung auf Zensuren

Mit ihrem Mantra, dass Abschlussprüfungen wie jedes Jahr stattfinden, setzen die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen Schüler:innen, Leh­re­r:in­nen und Eltern stärker unter Druck. Aber: Auf Dis­tanz können die Leh­re­r:in­nen nun mal nicht die Stoffmenge vermitteln und prüfen, die laut Lehrplan eigentlich vorgesehen ist. Ergo zählt plötzlich jede Note doppelt. Das führt zu absurden Situationen: Schüler:innen, die nach Wochen endlich mal wieder in der Schule zusammenkommen, besprechen nicht neuen Stoff, sondern schreiben eine Klassenarbeit.

Eine Gruppe von Bildungsfor-sche­r:in­nen und Praktiker:innen, die im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung Empfehlungen für das Schuljahr 2020/21 erarbeitete, bezweifelt, dass solche klassischen Testformate in einer Situation, in der alle unter höchst unterschiedlichen Bedingungen lernen, noch taugen. Sie schlagen vor, Schü­le­r:in­nen lieber häufiger Feedback zu geben und über andere Formen der Leistungsbewertung nachzudenken.

Also: Die Zensurvergabe soll für das restliche Schuljahr ausgesetzt werden, stattdessen führt jede Schü­le­r:in mit jeder Leh­re­r:in ein persönliches Gespräch und bekommt eine schriftliche Beurteilung. Sitzenbleiben entfällt.

5. Lernrückstände abbauen

Was Schü­le­r:in­nen in diesem Jahr wirklich versäumt haben, weiß niemand. Einige Länder wie Brandenburg haben nach dem ersten Lockdown erhoben, wo Lücken sind. Doch bundesweite Erhebungen fehlen. In den Niederlanden wurden nach einem achtwöchigen Lockdown im Frühjahr Schü­le­r:in­nen in Mathe, Rechtschreiben und Lesen getestet. Bei Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern waren die Lernverluste um bis zu 55 Prozent höher als bei den restlichen Schüler:innen. Alarmierende Indizien.

Solche Tests braucht es auch in Deutschland. Und vor allem Unterstützung für jene, denen das Lernen zuvor schon nicht leichtfiel. Eine nationale Kraftanstrengung. Bund und Länder führen gerade Gespräche über ein groß angelegtes Nachhilfeprogramm mit Sommerschulen und Kulturangeboten. Das geht in die richtige Richtung.

6. Tablets für alle

Eine halbe Milliarde Euro hat der Bund im vergangenen Jahr lockergemacht, damit die Schulen Tablets für Schü­le­r:in­nen anschaffen können, die zu Hause lernen. Also derzeit für fast alle. Das Geld haben die Länder auch schon fast ausgegeben, doch noch längst nicht jede Schü­le­r:in hat nun wirklich ihr eigenes Endgerät. Vom Smartphone mal abgesehen, aber zur Bearbeitung von PDFs taugen die nur bedingt. In Baden-Württemberg etwa hat jede fünfte Schü­le­r:in ein Leihgerät von der Schule bekommen, in Berlin jede sechste, in anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.

Aber Tablets gehören mittlerweile zum Unterricht so wie früher Federhalter, Lineal und Schulbücher. ­Niemand ist bislang davon ausgegangen, dass Schü­le­r:in­nen auch ohne Schulbücher genauso gut mithalten könnten wie Klassenkamerad:innen, die solche besitzen. Also gleiche Chancen für alle, das heißt ein Tablet für jede Schüler:in.

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13 Kommentare

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  • Halbe Klasse an halb so vielen Schultagen reduziert das Infektionsrisiko (in erster Näherung) auf ein Viertel. Dazu weitere infektionsmindernde Maßnahmen, und man ist bei einem Zehntel des Infektionsrisikos bei "Regelbetrieb".



    Der größte Fehler war es, im Oktober diesem Regelbetrieb trotz hoher Infektionszahlen beizubehalten, in Schulen wie in Gaststätten. Hätte man seit Ende September gebremst, wäre der Total-Lockdown vermeidbar gewesen, und wir wären heute in ungefähr gleicher Situation.

  • 0G
    02612 (Profil gelöscht)

    ... scheint ja alles tip top professionell und kompetent für eine erneute Schulöffnung vorbereitet zu sein ... Lehrkräfte und Schüler mit Fortbildungskursen für digitale Unterrichtung weitergebildet. Die gesicherten, geschützten Beförderungen der Schüler zur Schule und wieder zurück. Luftreinigungsgeräte, genügend schnell Tests und die Durchimpfung der Lehrkräfte. Und alles schon ein Jahr nach Ausbruch der Seuche und zum Friseur können auch noch alle fix, vor Schulbegin. Nicht den Blumenstrauß fürs Klassenzimmer vergessen ...DANK der perfekten Regierung...

  • "Schulöffnungen", das heißt in Baden-Württemberg 2 Schultage alle 2 Wochen...



    Mogelpackung!

  • Schulen auf! Damit die Mutationen auch morgen noch kraftvoll durchstarten können.

    Statt noch ein paar mehr Wochen abzuwarten bis die Inzidenzzahl auf einen handhabbaren niedrigen Wert gesunken ist, wird man genau die gleichen Fehler machen wie nach der ersten Welle.

  • 2 schnelltests pro Woche, das würden wir uns im Kitabereich auch wünschen. Dort wird seit Monaten auch auf die zweifelhafte Aussage Kinder seien weniger ansteckend gesetzt - und einfach weiter gearbeitet ...



    ... ohne Masken



    ... ohne Abstände



    ... ohne Teststrategie



    ... ohne das es thematisiert wird.



    Erzieherin*innen haben echt Null Lobby!

    Aber: in Niedersachsen läuft die Schule im Grundschulbereich schon seit einer ganzen Weile... mit recht überschaubarem Stundenplan ... auch darüber liest man nix.

    • @IkM:

      Ich bin auch Erzieher, kann das mit „ohne Masken“ aber nicht nachvollziehen: Notfalls FFP2-Masken auf eigene Kosten besorgen...und nein, Ihr Arbeitgeber kann Ihnen _nicht_ verbieten diese zu tragen!

    • @IkM:

      In Kitas hilft auch schon der Verzicht auf Früh- und Spätbetreuung mit aus mehreren Gruppen zusammengewürfelten Kindern.

      Die 2 Schneltests pro Woche gibt es nur für Lehrer, gegen Infektionen der Lehrer durch Schüler hilft das sehr wenig.

      • @meerwind7:

        Die Trennung der Gruppen läuft ja eh seit Wochen. Trotzdem sieht die Realität weiter so aus: im Schnitt 2 Fachkräfte über Stunden mit 20-25 Kindern und damit Haushalten auf engem Raum ohne jegliche Schutzmaßnahmen - kein Abstand, keine Masken, etc.



        In anderen Bereichen völlig unvorstellbar!

        • 0G
          02612 (Profil gelöscht)
          @IkM:

          Die Belastung ist ja auch bei den Eltern sehr gross. Da hilft nur nach der Kita ein schnell Test bei den Kurzen.

  • Liebe Taz, gute Punkt in dem Artikel!

    Einziger Kritikpunkt:

    Ihr solltet Euch mal ein bisschen kritischer mit dem auseinandersetzen, was es derzeit so auf dem Markt an Tablets gibt und wie die so gebaut sind.

    Mein Vorschreiber @ZMX52 hat das ja schon ganz gut beschrieben.

    Ich könnte zur Datensammelei noch die Lock-In Marketing-Modelle der großen Hersteller hinzufügen: Alle Software-Installation bei iOS z.B. läuft über den Apple-Store, damit Apple da bei allen App-Herstellern 30% Gewinn abziehen kann. Nebenbei entsteht dabei ein krass gefährliches Zensurmonopol.

    Und die Umweltproblematik bei fast allen Herstellern: Alle Komponenten verklebt, (geplante) Obsoleszenz nach spätestens fünf Jahren. Als ob wir drei Planeten hätten.

  • "Sitzenbleiben entfällt."



    Das dürfte der perfekte Weg sein den Kindern die in Folge der Maßnahmen derzeit den Anschluss verloren haben auch den Rest ihrer Bildungsbiographie zu zerstören. Nach der automatischen Versetzung sehen sie sich dann mit Stoff konfrontiert für den ihnen bereits die Grundlage fehlt und können dann nur noch ihre restliche Schulzeit absitzen um anschließend festzustellen, dass sie nur mit einem Abgangszeugnis auf dem Arbeitsmarkt ohne jede Aussicht sind. Sitzenbleiben ist keine Strafe, sondern eine zweite Chance. Entsprechend sollte man im Gegenteil breite Möglichkeiten schaffen das Schuljahr 20/21 wiederholen zu können und dieses Jahr ggf. auch auf die Rente anrechnen.



    "doch noch längst nicht jede Schüler:in hat nun wirklich ihr eigenes Endgerät."



    Wenn mein Kind auch nach so langer Zeit mangels Hardware immer noch nicht am Unterricht teilnehmen könnte, wäre ein gebrauchter PC vermutlich das Erste das ich als Elternteil vom Kinderbonus kaufen würde. Das wäre dann im Gegensatz zu einem Tablet immerhin auch ein reelles Arbeitsgerät.

    • @Ingo Bernable:

      Wie man auf Tablets kommt, verstehe ich auch nicht.



      In einem großen Teil der Haushalte ist es unproblematisch, dass das Kind einen Laptop oder PC zum Arbeiten nutzen kann, wenn auch längst nicht überall. Ein Tablet ist da kein ebenbürtiger Ersatz.

      Bzgl. Rente sind sie aber sehr optimistisch. Ich werde bald 40 und gehe vorsichtshalber mal nicht davon aus, dass ich merklich Rente zu erwarten habe.



      Davon abgesehen: Wenn wir es in den nächsten 20 Jahren immer noch nicht zum Grundeinkommen geschafft haben, dann vermutlich, weil das Licht aus ist.

  • Tablets taugen nix, die sind smart und dazu da, Menschen zu überwachen, sie zu verblöden und sie zu mehr Konsum zu verführen. Laptops müssten es schon sein. Überhaupt fehlt noch immer ein Digitalkonzept für den Bildungsbereich. Technisch sowieso, aber auch pädagogisch.