Debatte um Sterbehilfe: Jedes Leben ist lebenswert
Der assistierte Suizid wird kommen. Doch in evangelischen Einrichtungen sollte er nicht möglich sein. Auch aufgrund der deutschen Geschichte.
D er legale assistierte Suizid wird kommen. So hat es das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 26. Februar 2020 vom Gesetzgeber eingefordert. „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und in Anspruch zu nehmen“, so die Begründung des Bundesverfassungsgerichts. Das wird nun umgesetzt, gewiss mit hohen Auflagen. Aber wir werden es mit einer erheblich veränderten Rechtspraxis zu tun haben. Es drängt sich daher aktuell eine weiter gehende Frage auf: Wie reagiert die evangelische Kirche?
Darf oder gar soll auch in evangelisch-diakonischen Krankenhäusern, Altenheimen, Hospizen, ambulanten Diensten, Wohneinrichtungen von Menschen mit sogenannten Behinderungen, soll auch dort assistierter Suizid möglich sein? Weil Bewohnerinnen, Hospizgäste und Patienten dies schlicht wollen und demnächst ein Recht darauf haben. Diese Frage ist nicht nebensächlich. Wir sprechen hier über den Lebens-und Arbeitsalltag von weit mehr als einer Million Menschen sowie die PatientInnenperspektive von einer weiteren Million Menschen.
Für katholische Einrichtungen stellt sich diese Frage nicht. Da gibt es ein ganz klares Nein. Für die evangelische Kirche aber haben namhafte TheologieprofessorInnen sowie Diakoniepräsident Ulrich Lilie in einem viel beachteten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 11. Januar etwas gänzlich anderes gefordert. Im Namen der Selbstbestimmung und der Freiheit müsse assistierter Suizid gerade auch in der Diakonie möglich gemacht werden, natürlich in sorgfältiger qualitätsvoller Prüfung und möglichst auch begleitet durch besonders ausgebildete Seelsorgerinnen und Berater. Auch Landesbischof Ralf Meister unterstützt diese Position.
Ich persönlich sage zu diesen Vorschlägen: Nein. Als Christ sagt mir meine persönliche Glaubensvorstellung: Es gibt vor Gott kein nicht lebenswertes Leben. Es gibt ausschließlich lebenswertes Leben. Menschen, die sich suizidieren, sind zu achten und moralisch null und gar nicht zu verurteilen. Kirche und Diakonie bleiben aber gut beraten, von jeglicher Mitwirkung an assistiertem Suizid die Finger zu lassen.
stammt aus dem Duisburger Norden. Er hat Evangelische Theologie und Diakoniewissenschaft studiert. Seit 1989 ist er als Pfarrer tätig, mit dem Schwerpunkt der Krankenhaus-Seelsorge in der Diakonie. Seit 2012 lebt er in Magdeburg.
Palliativpflege ausbauen
Ist dies herzlos? Diese Frage ist absolut berechtigt. Gar nicht so selten höre ich als Krankenhaus-und Hospizpfarrer:„Bitte sorgen Sie mit dafür, dass mein Leid bald ein Ende hat, so wie in Holland, so wie in der Schweiz. Warum denn geht das hier nicht!?“ Nein, ich predige dann niemandem, sie müsse durchhalten, oder gar Gott würde ihn ablehnen, wenn sie den Suizid begehren. Weiß ich denn, wie ich selbst, wenn ich wirklich und schon lange gar nicht mehr kann, wie ich dann schreien, elendig sprechen würde?
Was ich aber aus jahrzehntelanger klinischer Praxis weiß: Niemand muss unendlich und mit unerträglichen Schmerzen weiterleben, wenn er oder sie das nicht will. Es gibt so viele Mittel. Ärztinnen und Ärzte wissen von Jahr zu Jahr mehr über die Segnungen der Morphiumtherapie. Und sie trauen sich immer mehr, damit klug umzugehen.
Unser Problem in Deutschland ist viel weniger der nichtselbstbestimmte Tod, sondern der einsame Tod oder der als zu früh erlebte Tod oder jener Tod vor dem Tod, den viele demenzerkrankte Menschen zu erleben und deren Familien zu erleiden haben. Die Hospizbewegung und die weltweite palliative care arbeiten mit großer Weisheit und Mut daran, genau an jenen Toden nicht vorbeizuschauen. Politisch ist es unabdingbar, diese Entwicklungen noch viel weiter auszubauen, deren Finanzierung zu sichern und die Ausbildungen medizinischer und sozialer Berufe daraufhin noch weiter zu verbessern.
Ich habe einen Bruder, der heißt Rolf. Und seine ärztliche Diagnose lautet auf schweren Schwachsinn. Außerdem war er sehr lange ein Schreikind. Vor einem Jahr war ich mit ihm bei einer Gedenkveranstaltung in seiner diakonischen Stiftung Scheuern bei Koblenz, am 27. Januar, dem Auschwitz-Gedenktag. Weil auch aus Scheuern Menschen dereinst in grauen Wägen zur Vergasung gefahren wurden. Weil Leben als „nicht lebenswert“ galt. Vielleicht hole ich dieses heftige und möglicherweise fragwürdige Argument auch nur daher hervor, weil die evangelische Kirche und ihre Diakonie in den zwanziger Jahren des vorherigen Jahrhunderts in gewiss – auch – unschuldigem Engagement sich für „Gnadentod“ aus eugenischen Gründen starkgemacht hat und weil sie nach dem Krieg lange Jahrzehnte gebraucht hat, sich damit ehrlich und demütig auseinanderzusetzen.
Wer ein kirchliches Haus betritt, sollte dort sicher sein
Natürlich will niemand, der dem assistierten Suizid das Wort redet, in jene Zeit zurück. Es wäre unfair und töricht, dies auch nur annähernd zu unterstellen. Aber ich empfinde: Die Wände sind dünn, der Schoß ist noch fruchtbar und unser aller Herzen schwankender, als wir oft uns allzu sicher wähnen.
Also: Finger vom assistierten Suizid, auf jeden Fall in kirchlichen Häusern. Wir kennen dort, in Diskretion und Demut, viele andere Wege zum Sterben. Zur Not die palliative Sedierung, auch in Grauzonen zuweilen barmherzige Wege, die ins ärztliche Standesrecht gehören, nicht ins Straf- und Erlaubnisrecht. Viele unserer Pflegenden und Ärztinnen sind im allerhumansten Sinne „Fachleute für den Tod“. So wie man in kirchlichen Altenheimen auch gut „den Löffel abgeben“ kann, also das tun, was heute oft „Sterbefasten“ heißt.
Wer ein kirchliches Haus betritt (in dem – fraglos – auch mancher Mist passiert, das brauchen wir hier nicht kitschig zu malen), wer ein kirchliches Haus betritt, der und die sollte sicher sein dürfen: Nie stirbt hier jemand durch eines anderen Menschen Hand. Hier wird jedes Leben geschützt. Weil jedes Leben, jedes!, lebenswert ist.
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