Hans Bartosch trägt kurzes graues Haar, lächelt, hat eine Brille und einen schwarzen Schal

Hans Bartosch, Krankenhausseelsorger Foto: Harald Krieg

Beistand im Krankenhaus:Mit Leib und Seele

Hans Bartosch kennt diesen Kloß im Hals, wenn die Angst hochkommt. Auch das Sterben ist ihm nicht fremd. Bartosch ist Krankenhausseelsorger.

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22.12.2020, 13:53  Uhr

Ein Krankenhausseelsorger, der selbst erkrankt ist? Dem jetzt, Monate nach der Infektion, die schwer zu fassenden Spätfolgen von Covid-19 zu schaffen machen, die mit Erschöpfung einhergehen? Eigentlich hatte Hans Bartosch abgewinkt. Er sei doch jetzt gar nicht im Krankenhaus.

Jetzt steht er in der Wohnungstür, kurzes silbriges Haar, Mundschutz im Gesicht. Trotz Maske, die jede Mimik nivelliert, wirkt er freundlich, jünger als 58. Die Küche ist derzeit ohnehin der geeignetere Ort als ein Krankenhaus, in dem seit Ende Oktober Besuchsverbot gilt. Bartosch legt die Maske ab, wird stattdessen immer wieder das große Fenster öffnen. Etwa zwei Stunden, hatte Bartosch geschrieben, so lange könnte er erzählen von seiner Arbeit als Krankenhausseelsorger, als Pastor in Magdeburg.

Seelsorge, Kirche überhaupt, bekam es im Coronajahr 2020 mit heftigen Vorwürfen zu tun. Die Kirche habe versagt und Hunderttausende Alte, Kranke und Sterbende alleingelassen, beklagte sich Christine Lieberknecht im Mai. „Wo war da das Wort der Kirchen?“ Die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen, im früheren Leben Pfarrerin, klang geradezu verbittert. Umgehend wiesen Bischöfe diese Anklage zurück und lobten das kirchliche Engagement.

Erheblich eingeschränkt war es aber schon. „Nur 20 Prozent der Seelsorgenden haben unverändert weitergemacht“, resümiert Hans Bartosch die Lage im Frühjahr. Viele mussten ihre Rundgänge reduzieren oder ganz einstellen. Warum? Sie bekamen von ihren Kirchen oder von den Krankenhäusern Auflagen zum Patienten- oder zum Selbstschutz. Die Angst, dass sie das Virus weitertrugen, war zu groß. „Ausnahmen waren die diakonischen Krankenhäuser“, sagt Bartosch, der selbst bis zu seiner Erkrankung im Krisenstab seiner Einrichtung saß.

Einsatz auch bei Coronapatienten

„Selbstverständlich sind wir zu Coronapatienten gegangen“, erzählt er. Einfach sei das natürlich nicht gewesen. „Wir sahen im Schutzanzug aus wie die Marsmännchen.“ Aber diese Overalls habe es früher auch schon gegeben und Coronapatienten haben nur einen kleinen Teil der Arbeit ausgemacht. „Die größere Gefahr bestand darin, dass andere Patienten unterversorgt blieben: Menschen mit Behinderung, psychisch Kranke.“ Bartosch ist skeptisch, was digitale Seelsorge angeht. In manchen Krankenhäusern konnten Patienten Gespräche online führen. „Aber nichts geht über den persönlichen Kontakt“, ist er überzeugt. Schon gar nicht, wenn Menschen ein so starkes Gefühl beherrscht wie die Angst.

„Man kann die Angst der Seele nicht wegreden. Man kann auch die Angst vor Corona nicht wegreden“

„Es gab große Angst.“ Bilder aus Bergamo, wo Bestatter im Schutzanzug unablässig Särge aus Häusern trugen, haben sich eingebrannt. „Ich hatte auch Angst.“ Wie kann man da arbeiten? Ein Seelsorger habe jedenfalls nicht die Aufgabe, Ängste kleinzureden. „Er soll auch nicht den Betrieb flutschiger machen.“ Trotzdem werde man schnell mal instrumentalisiert, natürlich mit den allerbesten Absichten. „Aber man kann die Angst der Seele nicht wegreden“, sagt Bartosch. „Man kann auch die Angst vor Corona nicht wegreden.“ Nicht bei den Patienten, nicht beim Personal.

Der junge Arzt fragt sich, was „das alles“ auf Dauer ergebe. Mit seinen Kindern, seinen Neffen und Nichten. „Die werden doch gerade hängengelassen. Generation Corona und so … Passt alles nicht zusammen. Und dann gucke ich mir immer die Statistik an. Wie viele von uns Ärzten und von der Pflege draufgegangen sind. An Corona. Mensch, weiß man, was da noch auf uns zukommt in der zweiten und dritten und vierten Welle?“*

*Alles kursiv Gedruckte sind veröffentlichte Tagebuchnotizen von Hans Bartosch

Angst ist das, was die Kehle zuschnürt. Den Kloß im Hals kennt jeder. Die Menschen im Alten Testament kannten ihn auch. Sie verorteten die Seele in der Kehle, dort, wo alles fließt – Luft, Blut, Nahrung, selbst der Geist, der sich im Atem kundtut. Näfäsch ist das hebräische Wort für Seele. Seelsorge ist dann das, was die Kehle wieder öffnet. Bartosch findet diese griffige Erklärung großartig. Aber braucht es überhaupt einen Pastor zwischen Krankenhausbetten? Und was macht er da? Krankenhausseelsorge ist eine von wenigen Tätigkeiten, die vom Grundgesetz ausdrücklich geschützt sind. Ein Privileg. Selbstverständlich ist sie trotzdem nicht mehr.

Das Tagebuch

„Seelsorge, das ist eine unfasslich erschließende Kraft“, sagt Bartosch. Jetzt klingt er abstrakt, dabei spricht und schreibt er auch ganz anders. Man kann es nachlesen. In Magdeburg beginnt Hans Bartosch Tagebuch zu führen, er notiert Begegnungen, Beobachtungen. Es ist Vergewisserung, auch so etwas wie Rechtfertigung. Einen Pastor kann man arbeiten sehen, aber einen Krankenhausseelsorger? Selbst wenn Bartosch durch die Klinik gehen könnte, man dürfte ihn nicht begleiten. Die Gespräche unterliegen der Schweigepflicht.

Hans Bartosch

Der Seelsorger Bartosch kommt aus Duisburg. Er arbeitet schon lange in Magdeburg Foto: Harald Krieg

Irgendwann schickte Bartosch Auszüge aus seinen Notizen an Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus, an Ärzte, Pfleger, auch an Freunde, alles anonymisiert und verfremdet, natürlich auch keine seelsorgerischen Gespräche. Doch Stimmungsbilder, das schon, Atmosphärisches aus den Fluren und Krankenzimmern, Erlebtes aus Krieg und Nachkrieg, DDR und Wende, freigelegt im Krankenbett – und dazwischen der Seelsorger. 2018 ist daraus ein Buch geworden: „Was noch erzählt werden muss. Seelsorge am Krankenbett“. Man kann es als Bericht lesen, man kann es als Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache betrachten. Interesse gibt es jedenfalls, unterhaltsam ist es auf jeden Fall. Gerade ist die zweite Auflage erschienen.

Orthopädische Station: „Was sind Sie jetzt genau?“ – „Seelsorger hier im Haus.“ Aha, Pfarrer, ja …, äh … Sorgen müsse er sich jetzt keine speziellen machen, nein? Ach so … so eine Art Rundgang machen Sie hier … ja, wär ich nie drauf gekommen, dass es so was gibt. „Schwester, das ist ja ’n Ding, dass ihr hier ’n Pfarrer laufen habt!“

Von Düsseldorf nach Magdeburg

„1994 bin ich vom Pfarramt in die Diakonie abgebogen“, sagt Bartosch. „Gerissen habe ich mich nicht.“ In Düsseldorf baut er die Notfallseelsorge mit auf, viele Jahre arbeitet er in der Kaiserwerther Diakonie, einem Schwergewicht unter den kirchlichen Krankenhäusern in Deutschland. 2011 wechselte er in die Pfeifferschen Stiftungen nach Magdeburg. Der Wechsel, lässt Bartosch durchblicken, kam eher spontan. Es ist eine diakonische Einrichtung mit Krankenhaus, Altenheimen und Häusern für Behinderte in einer Stadt von 240.000 Einwohnern, wo es zwar einen gewaltigen Dom gibt, die aber nach kirchlichen Maßstäben eher einer Glaubenswüste ähnelt.

Es dürfte für einen Seelsorger, der im bürgerlich soliden Düsseldorf gearbeitet hat, jedenfalls eine Herausforderung sein, sich im kirchenfernen Osten um die Seelen zu kümmern. In der Regel merken die Leute sofort, dass er aus dem Westen kommt, sagt Bartosch. „Das habe ich unterschätzt.“ Irgendein Detail, irgendein Wort gebe seine Herkunft immer preis. Etwa wenn er Führerschein sagt statt Fahrerlaubnis. Auch seine Brille verrät ihn, er deutet auf die Gläser, randloses Modell. Für viele zu schick, vielleicht auch zu teuer.

„Es ist unausweichlich, mit all diesen Differenzen umzugehen.“ Es gibt aber auch Momente, wo es sich mit einem Fremden leichter reden lässt. Bartosch war bei einem Generalmajor der NVA am Krankenbett, bei einem Offizier der Grenztruppen, einem Stasi-General. Doch was ist mit dem, der ihm kurz zuvor von der Flugblattaktion erzählt hat, die ihn in den DDR-Knast brachte? Der könnte solche Nähe schon als Verrat empfinden. „Darum ist Seelsorge so politisch“, sagt Bartosch.

Die Seelsorge: Etwa 2.400 Krankenhausseelsorgerinnen und -seelsorger gibt es in Deutschland. Sie sind in allen größeren kommunalen, öffentlichen und privaten Krankenhäusern im Dienst. Auf evangelischer Seite sind es hauptsächlich ausgebildete PfarrerInnen. Die katholische Kirche entsendet meist PastoralreferentInnen. Die KrankenhausseelsorgerInnen werden von den Kirchen eingestellt und bezahlt. Teilweise werden die Stellen auch von den Krankenhäusern refinanziert. Neben den großen Kirchen bieten auch kleinere christliche Gemeinschaften, muslimische und jüdische Gemeinden Krankenhausseelsorge an.

Die gesetzliche Grundlage: Der Artikel 141 im Grundgesetz liefert die gesetzliche Grundlage für die Krankenhausseelsorge (wie auch in den Gefängnissen und beim Militär). Es ist eine Übernahme der Weimarer Reichsverfassung von 1919. Nach Infektionsschutzgesetz § 30, Absatz 4, muss Seelsorgern auch Zutritt zu Infektionskranken gestattet werden.

Zum Weiterlesen: Hans Bartosch: „Was noch erzählt werden muss. Seelsorge am Krankenbett“, Info3 Verlag. (taz)

Alle, selbst die ältesten Konflikte finden am Krankenbett ihr Echo – Krieg, Flucht und Vertreibung, deutsche Teilung, deutsche Einheit, Flüchtlinge. „Bis hin zu Merkel und Trump.“ Mal ist der Seelsorgealltag etwas ruhiger, mal etwas aufgewühlter. „Es gibt so Wellen.“ Die letzte große Welle war 2015/16, als Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, die Monate der AfD-Kundgebungen. Bartosch hat sie sich angeschaut, die Auftritte von Höcke, Petry, Gauland vor dem Magdeburger Dom. „Richtig bedrohlich.“

Innere Medizin: „Wegen Ihnen bin ich aus der Kirche ausgetreten.“ – „?“ – „Na, weil ihr die ganzen Islamisten reinlasst.“ – „?“ – „Tun Sie doch nicht so doof. Ihr lasst sie doch alle rein. Früher war ich mal in der Kirche. Da hat der Pfarrer was Anständiges gesagt, sich aus der Politik rausgehalten, war in der DDR-Zeit. Heute aber, nur Politik und nur die ganze Scheiße mit den Moslems.“ – „Haben Sie persönlich schlechte Erfahrungen gemacht?“ – „Mit der Scheißfrage kommt ihr immer.“ – „Wissen Sie, ich komme aus Duisburg, war nicht leicht da mit so vielen von weither, aber es ging.“ – „Ach, auch noch aus ’m Westen … von den Klugscheißern.“

Hans Bartosch, Krankenhausseelsorger

„Es gibt Dinge, da verlasse ich den Raum. Meistens höflich“

„Es gibt Dinge, da verlasse ich den Raum. Meistens höflich.“ Einmal platzte Bartosch allerdings der Kragen. Zuvor hatte ihn ein Patient angebrüllt, dass alle Wessis an die „Wand und abgeballert“ gehörten. Bartosch wurde selbst so laut, dass Schwestern auf den Flur eilten. Bartosch dürfte für manchen ein ideales Feindbild abgeben – gut bezahlter Job, stabiles Weltbild und, zumindest bis Corona, topfit. Dazu noch ein Sendbote aus dem privilegierten Teil Deutschlands mit seinen DAX-Konzernen, seiner Dominanz und, ganz aktuell, seinen angeblich so aufgeblähten Rundfunkanstalten. So einer kann vom Schicksal nur begünstigt sein.

Gebeutelte Seelen mit DDR-Vergangenheit sollten sich allerdings nicht so sicher sein. Nicht nur, dass Duisburg-Marxloh mit seinen Hochöfen, wo Bartosch aufwächst, keine Postkartenidylle ist. Bartoschs älterer Bruder stirbt nur wenige Stunden nach der Geburt. Und bei seinem jüngeren Bruder diagnostizierten die Ärzte „Schwachsinn“. So hieß das in den sechziger Jahren. Der kleine Bruder schreit, kommt von den Windeln nicht weg, kann nicht sprechen und schlägt sich andauernd selbst. Irgendwann ist er fort. Die Eltern, ein Pfarrerehepaar, haben ihn, als er fünf Jahre alt war, in ein weit entfernt liegendes Heim abgegeben. Dort lebt er noch heute.

So hat Hans Bartosch beide Brüder verloren. Von einer unbeschwerten Kindheit lässt sich da nicht mehr reden. Wer weiß das schon, der mit seinen sichtbaren und unsichtbaren Wunden bei „Pfeiffers“ liegt. Verbinden tut es trotzdem. Und die Frage, die Bartosch im Theologiestudium umtreibt, lautet: Wie kann die göttliche Schöpfung geistige und psychische Behinderung zulassen? Eine erschöpfende Antwort kann keiner erwarten. Hans Bartosch ist jedenfalls kaum zufällig in die Krankenhausseelsorge abgebogen.

In der Krise wird der Ruf nach Seelsorgern lauter

„Wir haben Seele im Angebot“, sagt Bartosch. „Wir können das nicht immer gut“, sagt er, aber selbst Kirchenferne haben bei dem Wort Seelsorge eine Vorstellung. Und es betrifft ja nicht nur das Krankenhaus. Die Zahl der Anrufe bei der Telefonseelsorge sind im ersten Lockdown in die Höhe geschnellt. Nach einer Beruhigung steigen sie seit November wieder, Hauptthemen Einsamkeit und Angst. Und Polizisten sind dankbar, wenn ein Notfallseelsorger sie begleitet, wenn sie eine Todesnachricht zu überbringen haben.

Umso befremdlicher, dass sich die Kirche von dem Wort „Seelsorge“ verabschieden will. Der Begriff „Pastoralpsychologie“ macht schon seit 1968 Karriere, erzählt Bartosch. Heute ist immer öfter von Spiritual Care die Rede, ein Ausdruck, der vor wenigen Jahren noch unbekannt war. Was professionell und innovativ klingen soll, ist vor allem für ein Gesundheitswesen kompatibel, das sich an einen multispirituellen Kunden wendet, der dem Buddhismus möglicherweise mehr zutraut als der Bibel, sagt Bartosch. „Da fehlt mir das Selbstbewusstsein der Kirche. Dabei stellt die Coronakrise doch nur diese eine Frage: Wie steht es um unsere Seele?“ Andere haben das schnell begriffen. „So wird ihre Seele stark und glücklich“ – schreibt die Bild-Zeitung und gibt Tipps für eine starke Abwehr in Coronazeiten.

Bartosch ist aufgestanden, lässt frische Luft in die Küche. Im Nebenzimmer hat seine Frau, sie ist Malerin, großformatige Grafiken ausgelegt. Die Entscheidung, nach Magdeburg zu wechseln, war für den Pfarrer eine Reise in die Zukunft. Deutschlandweit traten 2019 270.000 Mitglieder aus der evangelischen Kirche aus. So viele wie noch nie. Dazu kommen 340.000 Sterbefälle. Knapp 25 Prozent sind in der Bundesrepublik heute noch evangelisch, dazu kommen etwa genauso viele Katholiken. In Magdeburg ist man da schon weiter. Nur noch gut 8 Prozent zählen sich hier zur evangelischen Kirche, absoluter Tiefstwert für eine deutsche Großstadt.

Der Arbeitsplatz

Am östlichen Elbufer, weit weg von Bartoschs Wohnung, erstrecken sich über ein ganzes Viertel die Pfeifferschen Stiftungen, 1889 gegründet von Gustav Adolf Pfeiffer. Der Pfarrer war erschrocken über die soziale Lage der Arbeiter in der prosperierenden Industriestadt. Das ganze Ensemble, die Häuser mit den biblischen Namen in Fraktur, wirken wie eine christliche Kolonie. Berührungsängste gab es dennoch nie.

Zu DDR-Zeiten feixten Pastoren, dass SED-Genossen sorgsam darauf achteten, bei „Pfeiffers“ eingewiesen zu werden, um sich von den christlichen Ärzten und Schwestern behandeln zu lassen. Vor allem wegen der besseren Diagnostik, die Technik kam schließlich aus dem Westen, aber nicht nur. Auch die Motivation galt als vorbildlich.

Christoph Sterl kennt diese Anekdote und legt sie für die Gegenwart aus. „Die Kirche ist mehr als die Institution“, sagt er. „Wir machen Arbeit, wir putzen, waschen, pflegen. Das ist das Reich Gottes.“ Sterl ist hier der zweite Seelsorger und kommt aus Westfalen. Auf den ersten Blick wirkt er pastoraler als Bartosch. Das verliert sich schnell bei der Führung über das Gelände.

In der Mitte das moderne Klinikum, ringsum verteilt Altenheime, Wohnheime für Behinderte, Werkstätten, die Krankenpflegeschule, eine Großküche, ein Hospiz für Erwachsene und noch eines für Kinder, das einzige in Sachsen-Anhalt. Was viele für ein gut ausgestattetes Unternehmen im Gesundheitswesen halten, ist für Sterl gelebter Glaube. Und das, obwohl weniger als 40 Prozent der Beschäftigten überhaupt noch einer Kirche angehören. „Selbst die Wäscherei“, Sterl deutet auf das Wirtschaftsgebäude, „kann zu einem spirituellen Ort werden.“

Vielleicht. Das Hospiz ist es ganz bestimmt. Bei einer Aussegnung versammeln sich die Angehörigen noch einmal um den Toten. Die Seelsorger feiern dieses schlichte Ritual mehrfach in der Woche – eine Kerze, ein Gebet, dazu Vaterunser und Segen, ein Kreuz hängt sowieso an der Wand. Wer will, könne mitbeten, hatte Bartosch erzählt. Erstaunlich viele nehmen die Einladung an. Das Krankenabendmahl hingegen, einst selbstverständlich Sakrament für die letzte Reise, führt ein kümmerliches Dasein. Nur einmal in neun Jahren hat es jemand von Bartosch erbeten.

In seiner Arbeit unterscheidet sich das Kinderhospiz von dem Hospiz für Erwachsene, macht Sterl klar. Während dort Palliativpatienten ein friedliches Sterben ermöglicht werden soll, stehe im Kinderhospiz eher die Entlastung der Familien mit ihrem schwerkranken Kind im Vordergrund. Viele kommen regelmäßig für einige Wochen ins Hospiz, um sich zu erholen. Besuche der Seelsorger gehören dazu. Doch wenn schon die Eltern kaum noch etwas von Kirche verstehen, sind ihre Kinder Unwissende, hat es Hans Bartosch beschrieben. Magdeburg ist ein Blick in die Zukunft. Trostlos stimmen muss er allerdings nicht.

Im Kinderhospiz werde ich von Schwester L. dem 14-jährigen P. vorgestellt. „Guck mal, P., das ist der Pfarrer, der besucht Dich mal.“ – „Was ist das, Pfarrer?“ – „Ach, weißt Du gar nicht?“ – „Nee, was is ’n Pfarrer? Repariert der so?“ – „Ich arbeite in der Kirche.“ – „Mmh.“ – „Weißt Du, was eine Kirche ist“, versucht es noch mal Schwester L. „Das Haus mit den Glocken?“ – „Richtig, das Haus mit den Glocken!“ entfährt es mir glücklich. „Und die reparierst Du, die Glocken, Pfarrer?“

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