Weihnachten in der Pandemie: Unser erstes Weihnachten
Weihnachten ist eine Herausforderung. Warum man in Berlin trotz Kontaktbeschränkungen weniger einsam ist als anderswo, und was eine Psychologin rät.
Das ist gar nicht mal unbedingt so gemeint, dass die einen sich dieses Jahr zu Weihnachten noch die teure Uhr schenken können, weil der Job sicher ist und bleibt und die anderen sich dieses Jahr lieber bloß zum Schrottwichteln auf Zoom verabreden. Weihnachten in der Pandemie legt, als sogenanntes Familienfest, gnadenlos offen, wer hat – also eine Familie, und wer eben nicht. Und wie es um diese Familie bestellt ist.
Denn es ist ja längst nicht mehr so, dass da wie zu Aschenbrödels Zeiten die traditionelle „Kernfamilie“ unterm Tannenbaum beisammen sitzt, Geschenke auspackt, streitet und gemeinsam Kartoffelsalat isst. Familie kann queer sein, oder sich spontan auf der Tanzfläche eines Clubs verbrüdern, oder im Vereinshaus sitzen oder im Kirchenkreis. Familie ist jedenfalls nicht unbedingt miteinander verwandt.
Das Berliner Infektionsschutzgesetz ist dabei durchaus bemerkenswert an diesen Lebensrealitäten orientiert: „Für den Zeitraum vom 24. Dezember bis zum Ablauf des 26. Dezember 2020 sind private Veranstaltungen nur im Kreise von Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern, Angehörigen des eigenen Haushalts oder mit Angehörigen von bis zu vier weiteren Haushalten gestattet“, ist dort formuliert. Maximal fünf Menschen dürfen es werden unterm Tannenbaum, plus Kinder bis 14 Jahre.
Explizit nicht drin steht in der Berliner Verordnung, was etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern festgehalten ist: Dort ist das „Zusammentreffen“ mit weiteren Hausständen nämlich auf „zum engsten Familienkreis gehörende Personen“ beschränkt, und der ist definiert als „Verwandte in gerader Linie“. In der Realität mag die Kernfamilie ein überholtes Konstrukt sein, politisch wird sie bevorteilt – auch in der Pandemie. Nur in Berlin ist man, zum Glück, im Zweifel etwas weniger einsam.
Aber noch auf einer anderen Ebene stellt diese Pandemie die Ressourcenfrage. „Weihnachten ist ohne Frage immer auch ein emotionaler Höhepunkt, an dem zwischenmenschliche Konflikte tendenziell zunehmen“, sagt Ulrike Lüken, Diplompsychologin und Psychotherapeutin an der Humboldt-Universität und dort stellvertretende Leiterin der Hochschulambulanz für Psychotherapie und Psychodiagnostik. Mit KollegInnen hat sie ein Onlineberatungsprogramm für Menschen aufgebaut, die in der Pandemie verstärkt unter Stresssymptomen leiden – Schlaflosigkeit, Depressionen, Gedankenkreisen. Rund 700 Menschen hätten sich seit September bereits an die Anlaufstelle gewandt, sagt Lüken.
Gerade dieses Pandemiejahr berge ein erhöhtes Konfliktpotenzial, die Gesellschaft sei inzwischen stark polarisiert bei dem Thema und das werde natürlich auch in die Familien getragen: „Die Frage, wie man es mit dem Masketragen und den Kontaktbeschränkungen hält, daraus können sich Streits entwickeln, die sehr erbittert geführt werden.“
Häusliche Gewalt hat zugenommen
Erbittert, und nicht selten auch verletzend: Häusliche Gewalt gegenüber Kinder und Frauen haben in der Pandemie zugenommen. Laut einer Antwort der Senatsverwaltung für Gesundheit auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Benedikt Lux registrierte die Polizei bis zum 30. November 14.051 Fälle von häuslicher Gewalt – 2,6 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das Gros der gemeldeten Vorfälle machte Gewalt gegen Frauen aus: 9.255 Meldungen, ein Plus von 1,6 Prozent.
Andere Stellen wie die Gewaltschutzambulanz der Charité berichteten bereits im Juni von einem Anstieg von 30 Prozent der registrierten häuslichen Gewaltvorfälle im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die (angezeigten) Fälle von Kindesmisshandlungen seien im ersten Halbjahr 2020 um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. ExpertInnen warnen zudem alle Jahre wieder, dass an Feiertagen das Risiko für häusliche Gewalt – die Enge, der Alkohol, alte und neue Konflikte – zunehmen. Insofern ist Weihnachten dieses Jahr für viele Menschen doppelt gefährlich.
Lüken sagt, es sei wichtig, „Weihnachten möglichst nicht zu überhöhen“. Die Frage sei doch: „Sind wir in der Lage, flexible Lösungen finden zu wollen?“ Man könne das Weihnachtsfest vielleicht einfach als Familienfest im Sommer nachholen, oder es auch als schlicht entlastend empfinden, dass mit dem abgesagten Familientreffen vielleicht ein Stück weit Termin- und Shoppingdruck wegfalle. Das sei dieses Jahr eine „Chance“, sich zu überlegen: „Was brauchen wir wirklich?“
Allerdings muss man das eben auch erst mal klar sagen können, möglichst ohne persönliche Verletzungen zu hinterlassen. Die Psychotherapeutin rät „zum ehrlichen Kommunizieren“ der gegenseitigen Bedürfnisse. In der Beratung erlebe sie die Menschen dann „eher entlastet, wenn zum Beispiel Missverständnisse über die Bedürfnisse der anderen geklärt werden können“.
Das klingt einleuchtend – und ist in der Praxis vermutlich viel schwieriger umzusetzen als es theoretisch klingt.
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