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Über Leiden sprechenSpaß ist nur die halbe Geschichte

Die Krise erlaubt als Outlet nur Positive Thinking. Dabei können gesellschaftliche Problem nur gelöst werden, wenn man sie auch laut äußert.

Queeres öffentliches Auftreten strahlt meist Lust und Selbstbewusstsein aus Foto: Thilo Schmülgen/reuters

N ehmen wir an, die Coronakrise könnte man sehen und anfassen. Nicht das Virus an sich, das würde auch einiges erleichtern, aber ich meine etwas anderes: die Krise insgesamt. Sämtliche abstrakten, kurz- oder langfristigen Auswirkungen würden an uns kleben? Dann würde man vielleicht zueinander sagen: „Oh nein, du hast ja ganz schön viel Krise an dir, das tut mir leid.“ Und vielleicht auch: „Bei mir geht’s heute. Nur bisschen hinter den Ohren – also sag gern, wenn ich helfen kann!“

Oder nehmen wir an, Homo- und Transphobie wären kein abstraktes Aggregat aus Vorurteilen, Gesetzen und unglücklich gewählten Formulierungen, sondern sichtbar und greifbar. Dann wäre es für hetero und cis Menschen nicht so leicht, sie immer wieder zu vergessen.

Es ist so aber nicht. Wir sehen – zum Glück – in diesen Breiten selten eindeutig erkennbares Leid von queeren Menschen. Nicht die Art von Leiden, mit dem man auf Brot-für-die-Welt-Plakaten arbeiten kann. Dieses äußerliche Elend, das Mitleid erzeugt. Homo- und Transphobie macht Leiden im Körper, in der Psyche, im privaten Bereich. Queeres öffentliches Auftreten dagegen ist „Pride“: Lust, Selbstbewusstsein, Trotz. Und es stimmt ja, queer sein macht Spaß, aber das ist nur die halbe Geschichte. Nur hat niemand Bock darauf, queeren Schmerz in Paraden vorzuführen. Zu sehr gehört das definierte Leiden, die „Pathologisierung“, zur queeren Geschichte.

Leiden solle bitte privat bleiben

Und zu oft ist von „Opferhaltung“ und „Lust am Leiden“ die Rede, als dass sich aussprechen ließe: „Hey, ich leide, und ich sag euch auch, warum.“ Stattdessen werden wir mit Vorbildern beworfen. „EILT: Die erste [Adjektiv] Minister*in/ Moderator*in/ Serienfigur!“ Das ist wichtig, aber es heilt nicht. Denn diese „Ersten“ können ja auch nicht sagen, wenn es ihnen scheiße geht. Sie performen Erfolg und passen höllisch auf, dass sie es den „Zweiten“ nicht versauen.

Es wird oft behauptet, dass Sprechen über Leiden dasselbe sei wie Leiden zu „genießen“. Daraus klingt der Wunsch, dass Leiden bitte privat bleiben soll. Aber gesellschaftliche Probleme können nicht privat gelöst werden. Doch wer Leiden anführt, muss sich vorwerfen lassen, erpresst zu haben. Klar, das liegt daran, dass man Leiden nicht messen kann, dass es subjektiv ist und erfunden sein könnte. Aber „Sorgen“ kann man auch nicht messen, und trotzdem heißt es immer wieder, wir mögen die „Sorgen der Menschen ernst nehmen“. Da geht es aber nie um alle Menschen. Die einen sorgen sich laut, die andern leiden still.

Gerade erleben wir, queer oder nicht, wie sehr es nervt, wenn man nicht offiziell leiden kann. Die Krise erlaubt als Outlet nur Positive Thinking oder Aggression gegen Phantasmen. Schön wäre, wenn wir lernten, dass Leiden und Betroffenheit Quellen sind für Wissen und Ressourcen für Fortschritt. Wenn „Opfer“ kein Schimpfwort wäre, sondern bloß Teil der komplexen Geschichte einer*eines jeden.

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Peter Weissenburger
Freier Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, queeres Leben, Wissenschaft.
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1 Kommentar

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  • Zitat: „Schön wäre, wenn wir lernten, dass Leiden und Betroffenheit Quellen sind für Wissen und Ressourcen für Fortschritt.“

    Ich verstehe nicht: Was macht der Konjunktiv in diesem Satz?

    Niemand unter uns hatte immer nur Spaß. Wir alle haben auch Leid erfahren, der eine mehr, der andere weniger. Und wir alle nutzen dieses Leid als Quelle von Wissen. Das Problem ist nur, dass Wissen nicht gleich Wissen ist.

    Manches Wissen ist keineswegs „Ressource für Fortschritt“, sondern destruktiv. Wenn Leid so stark ist, dass die Betroffenen nie wieder Opfer sein wollen, sondern lieber Täter werden, als noch einmal so zu leiden, kann diese Entscheidung auch auf „Wissen“ beruhen. Dem Wissen nämlich, dass so etwas funktionieren kann in eine Gesellschaft wie unserer. In einer, die Erfolg gleichsetzt mit dem Sieg über andere.

    Selbst die unter uns, für die „Opfer“ kein Schimpfwort ist, leben unter Wettbewerbsbedingungen. Selbstbehauptung ist das A und O in westlichen Gesellschaften. Unter solchen Umständen ist Solidarität mitunter eher „Hilfe zur Selbsthilfe“.

    Wenn sie einem anderen „Gutes tun“, richten manche Menschen damit vor allem ihr eigenes geknicktes Ego wieder auf. Damit das funktioniert, müssen sie zunächst postulieren, sie selbst wären dem anderen überlegen, weil sie gerade keine Opfer sind. Anschließend müssen sie sich das beweisen. Etwa, in dem sie ihrem Gegenüber nicht zuhören, nicht fragen, wie ihm zu helfen wäre, sondern alleine entscheiden. So, wie viele Spitzenpolitiker derzeit.

    Wer hier und heute erkennbar leidet, riskiert, von solchen Leuten zwangsgerettet zu werden - und hinterher schlechter dran zu sein als zuvor. Ich möchte das nicht (noch einmal) riskieren. Und ich bin überzeugt: Mit dieser Vorsicht bin ich nicht allein.

    Wer die verkehrten Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, so viel steht fest. Daran, finde ich, müssen wir arbeiten. Nur: Wie soll das gehen, wo jeder jedem Konkurrent ist um knappe Ressourcen? Irgendwelche Ideen, liebe taz?