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Queere Reinigungskräfte in Berlin„Es fällt eine Hemmschwelle weg“

Die Mitarbeiter_innen der Queeren Haushaltshilfe Berlin stören sich nicht daran, wenn in der Wohnung Sextoys offen herumliegen.

Die queeren Haushaltshilfen putzen auch für Heteros Foto: Sofia Burdin
Andreas Hergeth
Interview von Andreas Hergeth

taz: Herr Baumgärtel, Berlins erste queere Haushaltshilfe – braucht es die wirklich?

Marius Baumgärtel: Ja, weil queere Menschen mit anderen queeren Menschen leichter in Kontakt treten und sich einfacher eine Vertrauensbasis entwickelt. Es fällt eine bestimmte Hemmschwelle, eine Hürde weg. Mensch ist eben Teil der gleichen Community und hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine Reinigungskraft dringt ja in einen intimen Bereich ein, in den privaten Haushalt, putzt das Schlafzimmer, die Toilette, die Küche – da braucht es ein Vertrauensverhältnis. Und nicht die Vorstellung, die Reinigungskraft könnte aufgrund von eigenen Überzeugungen die der Kund_innen verurteilen.

In Ihrem Pressematerial finden sich eindrückliche Beispiele dafür, was gemeint ist: Niemand müsste die Sextoys oder Medikamente wegräumen …

Es geht da auch um die Angst, sich über seine Medikamente zu outen und vielleicht Ablehnung zu erfahren, das gilt zum Beispiel für Menschen, die schon länger mit HIV leben und daher die gesellschaftliche Ablehnung aus früheren Zeiten noch erinnern.

Wie kamen Sie auf die Idee für das Unternehmen, kommen Sie denn selbst aus der Reinigungsbranche?

Ich habe Unternehmungsgründung in Berlin studiert, habe seit zehn Jahren eine kleine Werbeagentur und arbeite nebenbei für das queere Stadtmagazin Siegessäule in der Anzeigenakquise. Und mein Vater hat seit 15 Jahren eine Reinigungsfirma, in der ich als Jungspund als Reinigungskraft gearbeitet habe.

Tatsächlich?

Ja, auch in der Verwaltung. Nun habe ich in dieser Krise für mich entschieden, dass es in der Welt ein paar positive Impulse braucht. Wir können uns doch nicht nur darüber aufregen, was alles nicht stimmt, sondern müssen einfach auch mal anpacken und etwas tun und ein gutes und ein gesundes Unternehmen in die Welt setzen, das für die Menschen da ist.

Im Interview: Marius Baumgärtel

Marius Baumgärtel29, ist Gründer und Betriebswirt und hat die Queere Haushaltshilfe Berlin gegründet.

Ein gutes Unternehmen, da knüpfe ich an: Stimmt es, dass Sie freiwillig Ihre Mitarbeiter*innen übertariflich bezahlen? Und warum? Kürzlich streikten ja die Reinigungskräfte an den Berliner Schulen für fairen Lohn und bessere Arbeitsbedingungen …

Bei privaten Haushaltshelfern gibt es keinen Tariflohn, nur den Mindestlohn. Tariflohn gibt es nur für Gebäude­reiniger, die den Beruf gelernt haben. Ich habe entschieden, dass mir völlig egal ist, wo jemand herkommt. Wenn er oder sie seine/ihre Arbeit gut macht, kriegt er/sie übertarifliche Bezahlung auch für die Arbeit in Privathaushalten, da diskutiere ich gar nicht. Alles andere darunter ist einfach ein Lohn, von dem mensch nicht leben kann. Vom Mindestlohn kann niemand vernünftig leben! Wir gewähren auch mehr Urlaubstage.

Wie viele?

Aktuell 27 Tage plus Betriebsurlaub. Und wir haben eine private Unfallversicherung, die alle Fälle abdeckt, die die gesetzliche nicht abdeckt, wenn man in der Raucher- oder der Mittagspause ist, wenn man auf der Toilette sitzt, und auch alle privaten Unfälle, die nicht im Arbeitskontext passieren könnten. Eine zusätzliche Absicherung aller Arbeitnehmer, denn für mich war wichtig, wenn ich ein Unternehmen gründe, dass es dann wirklich für die Menschen da ist und nicht für den Profit. Ich selber hab ja mein Einkommen, dafür gehe ich als Angestellter arbeiten, und was ich hier aufbaue, soll für das Team da sein.

Wie groß ist das Team? Sie sind im Juni, mitten in der Coronapandemie, gestartet.

Aktuell sind wir fünf Leute, ab nächster Woche [letzte Oktoberwoche ist gemeint – Anm. d. A.] sechs. Und wir stellen weiter ein.

Wie war das so, mitten in der Coronazeit? Ich frage deshalb: Was ist gerade eigentlich wichtiger in Ihrer Arbeit – Desinfizieren oder Reinigen oder doch beides zusammen?

Das ist ganz spannend. Es gibt sehr unterschiedliche Ansichten der Kund_innen. Ich geh da sehr individuell darauf ein. Bei der Erstbesichtigung, die kostenfrei ist, frage ich, ob jemand zu einer Risikogruppe gehört, Hautunverträglichkeiten hat oder Allergien. Wir gehen detailliert auf die Leute ein, das sind die von anderen Reinigungsfirmen gar nicht gewohnt.

Hautunverträglichkeiten, warum?

Um zum Beispiel, wenn es nötig ist, ein bestimmtes Reinigungsmittel von den Oberflächen wieder runterzuholen, damit niemand einen Ausschlag bekommt. Das Desinfizieren nach der klassischen Reinigung bieten wir zusätzlich an, die Toilette zum Beispiel oder die Fenstergriffe, Türklinken, Lichtschalter … Wir haben ein Hygienekon­zept seit Ende Juni, das sich an den Vorgaben des RKI orientiert. Es gibt klare Anweisungen, wie etwa das Stoßlüften während der Arbeit zu erfolgen hat. Und sollte jemand aus einer Risikogruppe beim Reinigen zu Hause sein, wird die ganze Zeit mit Maske gearbeitet, und man geht bereits mit Handschuhen in die Wohnung.

Ihre Kunden?

Wir haben noch nicht so viele Kund_innen. Aktuell ist es so, dass wir etwa zu 60 Prozent in privaten Haushalten arbeiten, rund 40 Prozent in Büros. Momentan liegt der Schwerpunkt auf Privathaushalten von queeren Personen, sowohl von Pärchen als auch von Singles. Wir haben auch heterosexuelle Kund_innen.

Denn Sie sind ein heterofreundliches Unternehmen und weisen das auch extra aus.

Ja, ich hab gedacht, dass ich den Spieß einmal komplett umdrehe. Alle sind gayfriendly und Regenbogen – da können wir als queeres Unternehmen doch offen für Heteros sein.

Sie fassen den Begriff Haushaltshilfe recht weit, das finde ich super. Ihr Angebot beinhaltet zum Beispiel auch eine Spaziergangbegleitung für ältere Menschen. Eine soziale Komponente.

Wir besprechen die Aufgaben ja individuell. Wir machen auch Botengänge, gehen einkaufen, leeren im Urlaub den Briefkasten, gießen die Blumen, helfen im Garten, und ich putze die Fenster.

Sie putzen die Fenster?

Fensterputzen liebe ich über alles. Und so kann ich mit den Kund_innen, die ich selber gar nicht betreue, also wo ich nicht selbst putzen gehe, in Kontakt bleiben und sehe die ein paar Mal im Jahr. Damit da auch eine echte Bindung da ist. Und wenn sich jemand das Spazierengehen wünscht, dann erfüllen wir diesen Wunsch. Da muss ich dann natürlich eine dafür passende Person aus dem Team finden, die langfristig im Unternehmen bleiben möchte, wo das von der Chemie her passt. Warum auch nicht? Wenn ich Fenster putzen gehe, dann bitte ich darum, gerade bei den älteren Damen, die alleinstehend sind, sich dazuzusetzen, und sage dann: Unterhalten Sie sich doch bitte mit mir! Ich muss ja nicht stumm vor mich hin arbeiten, wir können uns auch unterhalten.

Da geht einem ja das Herz auf.

Ja, so ist das auch tatsächlich. Das ist klasse. Da sagt die eine: Ich hab gar nichts zu erzählen, ich hab so viel Elend erlebt. Ich sage dann: Wir finden schon ein schönes Thema, fangen Sie mal an, ich hab Zeit.

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3 Kommentare

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  • Das nag eine nette und lukrative Marktlücke sein aber politisch finde ich es ziemlich bedenklich. Hier wird eine konstruierte Identität zu einrm abgrenzenden Marketingfaktor genacht. Wenn wir eine offene und tolerante Gesellschaft wollen, dann ist es alles andere als zielführend, wenn wir uns als Schwule abkapseln und in einer Patalellwelt mit einer eigenen Infrastruktur leben. Die hier genannten Argumente, warum eine "queere" Reinigungskraft für "queere" Kunden besser sein sollte, sind an den Haaren herbeigezogen, allein die Annahme, Schwule seien per se toleranter und würden andere nicht verurteilen, ist ziemlich weit weg von der Realität. Und nein, weil Menschen eine ähnliche sexuelle Orientierung haben, formen sie noch keine Community und und haben gemeinsame Erfahrungen.

    • @Ruediger:

      Ähem, queer ist soviel mehr als „nur“ schwul...

    • @Ruediger:

      Ja und? Das ist doch überall so. Vom Fitness-Studio für Frauen bis zum Sparten-Radiosender für katholische Senioren ... ich kann hieran nichts entdecken, was nicht bei 1000 anderen Beispielen gleichermaßen bedenklich wäre.