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Superspreader GottesdienstBeten und arbeiten

Alles muss ab Montag schließen, damit das Coronavirus sich nicht mehr so schnell ausbreiten kann. Und was ist mit den Kirchen?

Gemeinsam mit Dutzenden Gottesdienstbesucher:innen zu beten bleibt erlaubt Foto: Rene Traut/imago

Um das Coronavirus einzudämmen, wurde in den vergangenen Monaten auf Eigenverantwortung statt Beschränkungen gesetzt. Das Ergebnis? Steigende Infektionszahlen und erste Krankenhäuser an ihren Belastungsgrenzen. Es ist also verständlich, dass Bund und Länder diese Woche einen „Lockdown light“ beschlossen haben.

Auf der Terrasse vor dem Restaurant einen Burger essen, ein Museumsbesuch mit Abstand und Maske, ein Konzert in der zu nur 30 Prozent besetzten Elbphilharmonie anhören – all das ist nun verboten. Gemeinsam mit Dutzenden Gottesdienstbesucher:innen auf knarzenden Holzbänken zu knien und zu beten ist dagegen weiterhin erlaubt. Ebenso wie dem Orgelspiel in einer Kirche zu lauschen, wenn man es nur als Gottesdienst und nicht als Konzert deklariert.

Es ist absurd, Gottesdienste von den Coronabeschränkungen auszunehmen. Die Kirchen haben sich trotz Hygienevorschriften in den letzten Monaten als Superspreader hervorgetan.

200 Infizierte nach einem Gottesdienst in einer Baptistengemeinde in Frankfurt am Main, 24 positiv Getestete nach einer Andacht in einer Karlsruher Freikirche. Stralsund, Westertimke, Berlin-Neukölln: Die Liste der Orte von Gottesdiensten als Infektionsherden ließe sich weiter ausführen. Infektionsfälle solchen Ausmaßes gab es in Kinos, Theatern oder Opernhäusern nicht.

Kein Grundrecht auf Präsenz

Warum also dürfen Gottesdienste weiterhin stattfinden? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder argumentiert mit dem Grundrecht auf Religionsfreiheit. Ohne Frage ein hohes Gut. Doch erstens gibt es kein Grundrecht auf Präsenzgottesdienste – wie alles andere könnte man auch diese ins Digitale verlegen.

Und zweitens werden auch andere Grundrechte während der Pandemie beschnitten. Vom Grundrecht auf Berufsausübung können aktuell beispielsweise nur wenige Künstler:innen Gebrauch machen.

Die Entscheidung, alle kulturellen Einrichtungen zu schließen, Kirchen aber offen zu lassen, ist also eine Prioritätenabwägung – und reinste Lobbypolitik. Inspirieren ließen sich Bund und Länder bei ihrer Entscheidung wohl von benediktinischen Klöstern des Spätmittelalters, denn das, was wir im November tun dürfen, ist: beten und arbeiten.

Sicher, auch in Kinos und Co. wird es in den letzten Monaten zu Infektionen gekommen sein. Die Einrichtungen temporär zu schließen kann also eine sinnvolle Maßnahme sein. Aber dann muss es konsequenterweise auch heißen: Macht die Kirchen zu!

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21 Kommentare

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  • Das ist ja wie im Kindergarten:

    "Mama schau mal, wir dürfen nicht spielen und die da drüben schon!"

    Den Artikel finde ich gelinde gesagt kleinkariert.

  • Wieso hat es die Sachlichkeit im öffentlichen Diskurs in Deutschland so schwer? Warum sollten denn nun ausgerechnet "die Kirchen" (natürlich ohne jede Differenzierung) geschlossen werden? Wo immer ich hinkomme, besuche ich Kirchen, katholische und evangelische, in Gottesdiensten oder außerhalb, und in all den vielen, die ich seit der Wiederöffnung nach dem ersten Lockdown besucht habe, wurde peinlichst genau auf die Einhaltung der Abstände, die Registrierung der BesucherInnen usw. geachtet. Überall, selbst in der kleinsten Dorfkirche, sind die raren Plätze, die besetzt werden dürfen, genau markiert.Das kann man doch nicht allen Ernstes mit der Situation in der Gastronomie vergleichen, wo allein schon aufgrund der räumlichen Gegebenheiten mit minimalen Abständen gearbeitet wurde. Ja, es hat Gottesdienstfeiern gegeben, die zu einer Verbreitung der Pandemie beigetragen haben, aber immer in kirchlichen Gemeinschaften, die sich nachweislich nicht an die geltenden Bestimmungen gehalten haben. In einer katholischen oder evangelischen Kirche in Deutschland hat man im Gottesdienst und außerhalb mehr Platz als irgendwo sonst im öffentlichen Leben. Da müsste man eher den gesamten Handel dicht machen.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • Die Kirchen arbeiten, obwohl sie bis auf die Freikirchen meist riesige Hallenbauten zur Verfügung haben, mit gewaltigen Abständen zwischen den Gläubigen, Gesangsverboten, Handdesinfektion und Masken. Unter diesen Umständen ließe sich ehrlich gesagt kein Kino, kein Konzertsaal und kein Opernhaus kostendeckend betreiben.

  • 1G
    15797 (Profil gelöscht)

    Es wird zuviel und zu oft ein Schuldiger gesucht. Die Menschen sollten verstehen lernen, dass das Virus schon da ist und nicht erst in der Kirche da auf Menschen übergesprungen ist. Es ist nur einer der vielen Wege der Verteilung. Wenn die Kirche zu ist, verteilt es sich auf einem Weg.



    Solange Menschen mehr oder weniger mit anderen Menschen in Kontakt kommen, solange wird es bleiben.



    In irgendeiner Studie, noch nicht so alt, hiess es, 1/10 ist ein Superspreader. Bei 9 Menschen passiert wohl (fast) gar nichts und der 1, der steckt die andere an, egal wo oder was er arbeitet, betet oder isst.

  • Zitat:

    „Aber dann muss es konsequenterweise auch heißen: Macht die Kirchen zu!“

    Das ist mit dem Grundgesetz genauso wenig vereinbar, wie die abgewandelte Forderung:

    Aber dann muss es konsequenterweise auch heißen: Macht die Moscheen zu!

    Oder:



    Aber dann muss es konsequenterweise auch heißen: Macht die Synagogen zu!

    Erweiterbar auf alle Religionsgruppen.

    Das ist auch gut so, dass solche Forderungen nicht möglich sind.

    Ich kein gläubiger Mensch und besuche entsprechend auch keine religiösen Veranstaltungen, der Gleichheitsgrundsatz im GG ist aber ein hohes Gut, dass vor allem Minderheiten gegen Mehrheiten schützt und entsprechend aber auch auf Mehrheiten Anwendung findet.

    Der von Ihnen erwähnte Ausbruch in Neukölln wurde ja auch in der Taz thematisiert



    taz.de/Haeuserbloc...rantaene/!5690043/

    und gerade von rechten Gruppen ausgeschlachtet, wie auch alle Ausbrüche in Moscheen oder im Ramadan.

    In Deutschland wird ja eher wenig Statistik geführt, in anderen Ländern dafür mehr.

    In den USA sind die Blacks die religiöseste Gruppe (auch nur in christlichen Glaubensrichtungen), gefolgt von den Hispanics, den Whites und den Asian.



    Die Gruppe der Whites hat die wenigsten Mitglieder in einer christlichen Glaubensgemeinschaft:

    Blacks: NET Christian: 79%.



    Hispanics: NET Christian: 77%.



    Asian: NET Christian: 71%.



    White: NET Christian: 70%.

    www.pewresearch.or...istian-protestant/

    Ihre Forderung, von einer weißen Frau wäre dort wohl eher weniger gut angekommen.

  • Kirchenschelte ist in manchen kreisen ja immer gut. Im Frühjahr wurde dne Kirchen vorgeworfen, dass sie die alten Menschen alleine gelassen hätten und vorschnell den ganzen Betrieb eingestellt hätten (was so vor allem an der kirchlichen Basis nicht stimmte). Jetzt wird ihnen vorgeworfen, dass sie weiter Gottesdienste feiern ... Gerichtsurteile im Frühjahr haben festgestellt, dass die Grundrechte der Religionsfreiheit wie auch der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit zum Beispiel bedeuten, dass Gottesdienste und auch Demonstrationen und Kundgebungen auch in einer Pandemie nicht völlig verboten werden können, allenfalls coronakompatibel reguliert, was ja auch geschieht. Vielleicht (ich hoffe es sogar) gibt es demnächst auch Gerichtsurteile zum Schutz der Kultur. Von TAZ-Lesern würde ich erwarten, dass sie sich immer über dne Schutz von Grundrechten freuen, statt in ein kindisches "Wenn die einen nicht dürfen, dürfen die andern aber bitte auch nicht" zu verfallen ...

    • @Barnabas:

      Die Heiligen Kulinariker der letzten Lockdowntage könnten schon bald die größte Glaubensgemeinschaft Deutschlands sein.

      "Um trotz Lockdown öffnen zu können: Restaurants gründen eigene Religion"

      www.der-postillon....e-kulinariker.html

    • @Barnabas:

      Ich käme nie auf die Idee, Kirchen einen Vorwurf zu machen, wenn diese ihren Betrieb einstellen. Ganz im Gegenteil!

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Heutzutage gehen dich nur noch die härtesten Gläubigen in die Kirche. Das sind bei Evangelen und Katholen wenige bei großen Kirchen. Freikirchen, man nennt sie auch Sekten, haben ein breites genetisches Spektrum auf engen Raum vorzuweisen. Da ist nicht nur die alte Oma vertreten. Ganze Familien werden zum stundenlangen "Gottes"Dienst verpflichtet. Und gesungen und laut gebetet wird auch.

  • Ich bin Pfarrer an einer Schule. Ich unterrichte in einem normalen Klassenzimmer bis zu 30 SchülerInnen von der 5. Klasse bis zur Q1.



    In eine Kirche für 500 Menschen dürfen nach den internen Vorschriften der Landeskirche 34 SchülerInnen für ein Gedenken der Reichsprogromnacht, dass wir abhalten wollen.



    „Die“ Kirchen sind keine Superspreader.



    Und ja: dass Museen und Theater geschlossen werden, halte ich für unmöglich!!!



    Gaststätten , Bars und Hotels allerdings können vier Wochen bei 75% im November aushalten. Echt jetzt.

  • Möchte mal den Aufschrei hören, wenn er heißt : Deutsche Politiker schließen Moschen



    Weil wenn es um Kirchen geht, wird es sicherlich nicht nur um Christliche gehen ...

    • @Günter Witte:

      Im März wurden ALLE Kultstätten (i.e. Kirchen, Moscheen und Synagogen) geschlossen. Und das war auch gut so!

  • Sie werfen alle Kirchen und wahrscheinlich auch noch muslimische Gemeinden in einen Topf. Vorfälle gab es bei den Christen in Deutschland bis jetzt nur bei Freikirchen, wo zu viele in einem zu kleinen Raum waren oder sich umarmt oder gemeinsam gegessen haben. Ich schließe mich meinem Vorposter an: Ziemlich sicher waren Sie nach dem Lockdown nicht mehr in einer Kirche, die evangelischen Landeskirchen oder die katholischen Bistümer haben Abstände



    und Regeln eingeführt, da wären in einem Kino 10 Zuschauer im ganzen Saal.

  • Ich gehe mal davon aus, dass Sie schon lange nicht mehr in einer Kirche waren. In unserer Gemeinde lässt eine riesige Kirche (bis zu 800 Plätze) 90 Besucher zu. Alle sitzen in riesigem Abstand, gesungen wird nicht. Was soll da gefährlich sein?



    In einer kleinen benachbarten Kirche sind selten mehr als 10 Personen, in weitem Abstand sitzend. Warum sollte das verboten werden?

    • @benwolf:

      Aus genau dem gleichen Grund weswegen andere Einrichtungen wie Theater Kinos usw. auch schliessen müssen.



      Wie auch im Artikel geschrieben und auch in den Medien vielfach verbreitet handelt es sich wohl oftmals um Gemeinden von Freikirchen und Baptisten. Da wird reichlich und inbrünstig gesungen (Was auch meistens gut klingt).

    • @benwolf:

      ließe sich wie oben beschrieben aber eben auch auf Restaurants beziehen.



      Wann waren Sie denn das letzte Mal in einem solchen?



      Die müssen aber dicht machen.

      Also: Abgesperrt die Kirchentür!



      Video-Gottesdienst bitte gern!

      • @Ra Ka:

        Das mit dem Restaurant ist bei mir noch gar nicht so lange her. Und man saß schon recht dicht beieinander. Aber ich stimme zu: wenn genug Platz ist, sollten die Restaurants auch öffnen dürfen.

  • Die Gläubigen könnten auch einfach mal zu Hause bleiben und NICHT zum Gottesdienst gehen - Eigenverantwortung und so.

    Aber FREIHEIT ist ja so wichtig in unseren westlichen Demokratien.

    • @gyakusou:

      Ich beobachte, dass die meisten Gläubigen das auch tun.

  • Frau Schwarz ich segne Sie im Namen J.Ch.

  • Wenn schon, dann doch: Macht alle Gotteshäuser zu.