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Streiks im öffentlichen DienstGetarntes Klasseninteresse

In der Kritik am Arbeitskampf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden eigene Privilegien als Allgemeininteresse verkauft.

Streikaktion in Leipzig: Die Beschäftigten fordern mehr Geld statt Applaus Foto: Sebastian Willnow/dpa

W ie können sie nur? Mitten in der Coronakrise? Es geht um Angestellte im öffentlichen Dienst, also Pflegekräfte, Erzieher:innen oder Müllwerker:innen, aber auch Beschäftigte in der Verwaltung, die in der Pandemie die öffentliche Infrastruktur am Laufen halten. Und sich nun erdreisten, in Tarifverhandlungen und mit Warnstreiks mehr Lohn zu fordern; 4,8 Prozent nämlich, mindestens aber 150 Euro mehr im Monat bei einer einjährigen Laufzeit des Tarifvertrags statt 3,5 Prozent mehr in drei Jahresstufen, wie die Arbeitgeberseite anbietet. Die dritte Verhandlungsrunde begann am Donnerstag.

Dabei hatte doch bisher alles so gut funktioniert in der Pandemie. Die, die auch in Nichtpandemiezeiten für wenig Geld regelmäßig an ihre Grenzen gehen, gingen nun auch noch über ihre Grenzen hinaus; und gehörten so zu jenen Menschen, die das Gemeinwesen zusammenhielten.

Jetzt aber fordern sie mehr Geld statt nur Applaus, weil man sich vom Ersteren auch etwas kaufen kann, und bedrohen mit Warnstreiks scheinbar das Allgemeininteresse, so kritische Stimmen. Dieses Allgemeininteresse meint hier aber Klasseninteresse. Und zwar das jener, die nicht so an ihre Grenzen gehen müssen.

Argumente gegen die Gierigen

Weil die Leute sich aber nicht so leicht verarschen lassen, müssen sich die Vertreter:innen dieses Allgemeininteresses doch noch ein paar Argumente gegen die gierigen Arbeitskämpfer:innen zurechtlegen: Im öffentlichen Sektor verdiene man halt nicht so viel wie im privaten, habe dafür mehr Sicherheit, für einen „neuen sozialen Kompromiss“ müsse deshalb verzichtet werden (taz Futur­zwei); oder es sei ja gar nicht so klar, welche Berufe systemrelevant seien und welche nicht, woraus dann nicht geschlossen wird, dass alle mehr verdienen sollten, sondern dass die, die jetzt fordern, zu Unrecht fordern (Zeit); oder dass ein Großteil der betroffenen Angestellten ja in der Verwaltung arbeiteten und gar keine Krankenpfleger:innen seien – also gar keine wahren Helden! (BR-Magazin „Kontrovers“).

Als ich ein Kind war, hat meine Mutter oft zu mir gesagt: „Lass dir nicht nehmen, was dir zusteht.“ Ich fand das unnötig, übertrieben misstrauisch und auch ein bisschen paranoid, weil ich mir dachte: Erstens bin ich doch kein Idiot! Und zweitens will mir niemand etwas wegnehmen.

Später habe ich gemerkt, dass das so klar nicht ist. Sie wusste offensichtlich, wovon sie spricht: Was einem zusteht, das bekommt man nicht unbedingt einfach so. Manche müssen es sich erkämpfen. Und wer es einfach so bekommt und wer nicht, das hängt davon ab, in welche Klasse man geboren wird.

Kämpfen müssen die einen, weil die anderen nicht müde werden, ihr eigenes Privileg als das aller Menschen, als das gute, alte Allgemeininteresse zu verkaufen. Deshalb: Liebe Lohnabhängige im öffentlichen Sektor und auch woanders, lasst euch nicht nehmen, was euch zusteht!

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Volkan Agar
Redakteur taz2
Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.
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11 Kommentare

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  • Nun ist es ja so, dass das Wesen eines Streiks darin liegt, den Finger in die Wunde zu legen, dahin, wo es weh tut; Verbesserungen der Beschäftigten durchzudrücken. Als (ehem.) Gewerkschaftsmitglied kann ich nicht nachvollziehen, warum der Streik im öffentlichen Dienst in der Öffentlichkeit so niedergemacht wird. Die BRD ist ja trotz Deutscher Einheit etc. nicht gerade für ihre Solidarität bekannt. Und ja, Corona spaltet obendrein. Aber: Gilt es nicht gerade jetzt zu verhindern, dass, wo es geht, Abstriche vermieden werden? Die gleiche Solidarität, welche man von KindergärtnerInnen oder AltenpflegerInnen bei der Versorgung erwartet, können diese auch in der Entlohnung einfordern. (Trotzdem läuft nicht alles 100prozentig, das liegt in der Natur jeder Sache.) Indessen gilt es zu verhindern, einen Futterneid aufkommen zu lassen, welcher ALLE über kurz oder lang ins Elend führt. Das Motto soll lauten: Gemeinsam für bessere Zeiten! Dafür stehen auch die Gewerkschaften.

  • Ich halte es nicht für notwendig, dass die gewerkschaftlichen Forderungen einer bestimmten Branche in der Allgemeinheit nachvollzogen werden. Dazu sollte ein Hinweis auf Artikel 9 Abs. 3 GG genügen, eine Errungenschaft übrigens, die erst 1945 zum demokratischen Grundrecht wurde. Es handelt sich um eine besondere Form von "Minderheitenschutz", die in der Identitätspolitik oft unterschlagen wird. Arbeitende Menschen haben also, egal wer und egal wo, das Recht, sich zu Gewerkschaften zusammenzuschließen, Tarifverträge zu fordern und zu deren Durchsetzung auch die aktive Arbeit einzustellen (das nennt man Streik). Was die sog. "Allgemeinheit" darüber denkt und in Fernsehkameras nuschelt (oder ob sie vom Balkon applaudiert), ist für Erfolg oder Misserfolg der Aktion nachrangig. Entscheidend ist die "Solidarität", die sich im Zusammenhalt der Betroffenen ausdrückt. Das gilt auch für die "Lokführergewerkschft" GDL, die aktuell das gute Recht hat, trotz coronabedingter Probleme im Nahverkehr eine bessere Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen einzufordern.

  • Liebe Diskutanten/innen,



    mir ist die Diskussion hier zu eingeengt auf die unteren Lohngruppen der Angestellten im Öffentlichen Dienst. Diese können durchaus anders behandelt werden!



    In der Realität geht es hier aber auch um den Beamtenapperat und um höher gruppierte Angestellte, die gar nicht so schlecht bezahlt sind.



    Vergleicht man zum Beispiel Ingenieure in kleinere Büros (nicht Großbetrieben) mit Ingenieuren im öffentlichen Dienst, da sieht es beim effektiven Lohn pro geforderter Leistung bzw. Arbeitszeit gar nicht so schlecht aus für den öffentlichen Dienst!



    Meines Erachtens kann man den Beamtenapparat mit seiner weitgehend ganz ordentlichen Besoldung und seinem fürstlichen Ruhestandsgehalt sowie die bessere bezahlten Angestellten mit ihren doch meist sehr sehr sicheren Arbeitsplätzen gleich behandeln wie wir anderen in der freien Wirtschaft!. Ich bekomme zum Beispiel 0 % Lohnerhöhung in diesem Jahr und finde das angemessen wenn man die Situation des Unternehmens bedenkt! (Ingenieur in einem Büro mittlerer Größe!)

    • @Fridolin:

      "In der Realität geht es hier aber auch um den Beamtenapperat und um höher gruppierte Angestellte, die gar nicht so schlecht bezahlt sind." (Fridolin)



      Definitiv NEIN ! - Aber diese ausgelutschte alte Propagandakamelle wird immer wieder gerne unters Volk gejubelt. Wird mittlerweile aber dankend zurück gegeben. Ist Quark und zieht nicht mehr!

      • @LittleRedRooster:

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        LITTLEREDROOSTER ANTWORTEN

        Propaganda von wem wofür? Ich stimme dem Fridolin zu. Ich würde mich zu den Angestellten im öffentlichen Dienst zählen, die höher gruppiert sind und besser verdienen... Und ich finde die Forderung von 4,8% für jemanden mit meinem guten Einkommen in der aktuellen volkswirtschaftlichen Lage überhaupt nicht adäquat, sondern eher unsolidarisch gegenüber den vielen, die völlig unverschuldet in wirtschaftliche Existenzkrisen geraten. Lohnsteigerung für Pflegende oder Boni für Mitarbeiter_innen der Gesundheitsämter machen für mich Sinn, aber warum für den -wie Fridolin zu Recht sagt- gut entlohnten Teil des öffentlichen Sektors?

        • @Schlorch:

          "(...) ich finde die Forderung von 4,8% für jemanden mit meinem guten Einkommen in der aktuellen volkswirtschaftlichen Lage überhaupt nicht adäquat, sondern eher unsolidarisch (...)" (Schlorch)



          Zum Einen: Es hindert Sie mit Sicherheit niemand daran Gehaltszuwächse, die Sie für Ihre Person für unangemessen halten, an irgend eine von Ihnen frei wählbare caritative Einrichtung zu spenden. Sie könnten dies sogar noch von der Steuer absetzen. Also lassen Sie sich nicht davon abhalten.



          Aber Sie wissen natürlich auch, dass es hier nicht darum geht die ohnehin Übersättigten gegen deren Willen zu mästen. Sie wissen sehr wohl auch dass die Lage für Kranken-und Altenpflegerinnen sowie Erzieherinnen (udgl.) aber völlig anders aussieht. (Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie für ein derartiges Gehalt des Morgens erst gar nicht aufstehen würden?) Diese aber wieder einmal mit einer einmaligen Bonuszahlung abspeisen zu wollen gerät gerade in Corona-Zeiten und der damit verbundenen Gefährdungslage dieser Berufsgruppen zu einem zynischen und menschenverachtenden Unterfangen.



          Um zum "Wurstprofessor": Sobald Sie mir eine Krankenschwester mit A12 vorstellen können, können wir weiter reden. Bis dahin aber sind wir solche Einwürfe eben auch "Wurst"!

      • @LittleRedRooster:

        Wollen Sie behaupten, die Akademiker A12 und höher wären vergleichsweise arm dran, oder was ist der Sinn Ihrer etwas atemlosen Suada?

  • @HOLGER666: Mal Bock bei einem Gesundheitsamt beim Tracking aszuhelfen?

    Scheint derzeit ein sehr entspannter Job zu sein.

  • Lieber Herr Strolch, eine sehr eigene Interpretation der Umstände im öffentlichen Sektor während der Corona Krise. Offenbar ist ihr letzter Besuch in der Verwaltung schon etwas antiquiert, sonst würden Sie nicht so anmaßend über Last und Leichtigkeit während der Krise urteilen. Ich verrate Ihnen aber soviel...wenn Sie ernsthaft glauben, der Rest des öffentlichen Dienstes hätte bitte ausschließlich nur die Leistungen der Pflege anzuerkennen und nur diesem Berufszweig einen berechtigten, monetären Zuwachs zuzusprechen, weil sie ansonsten nix gemacht haben, außer sich die Eier(stöcke) zu kraulen, seien Sie bitte versichert, dass Sie auf Irrwegen wandeln. ;)

  • Streikende KiTA-Mitarbeiter haben tatsächlich keine Solidarität von mir. Die wenigsten Gemeinden haben KEINE Kurzarbeit eingeführt, obwohl es aufgrund der Kita Schließungen nichts oder erheblich weniger zu tun gab. Unmittelbar darauf dieses Geschenk zu vergessen, um zu streiken, finde ich etwas dreist. Und ja, es gibt Mitarbeiter die hatten während Corona weniger zu tun (Kita, Rathäuser) und andere, die unter der Last bald zusammenbrachen (Pflege). Ich hätte daher gutes Verständnis, wenn der letzten Berufsgruppe eine dicke Einmalzahlung zukommt. Und das wäre auch Solidarität von den Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die zugestehen, dass sie keine Last zu tragen hatten, sondern ihre Kollegen.

    • @Strolch:

      Was hat eigentlich die Tatsache das wegen der Coronaverordnungen Kitas geschloßen wurden,damit zu tun, das Erzieher ein zu niedriges Gehalt bekommen und deswegen streiken? Ob Sie solidarisch sind oder nicht ist eh nicht von Belang. Von Solidarität alleine kann man sich nichts kaufen."Eine Mark wär mir lieber"