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Neonazi-Demo nach GerichtsurteilReichsflaggen in Bremerhaven

Am Freitag erlaubte das Oberverwaltungsgericht in Bremen das Zeigen von Reichsflaggen. Tags darauf marschierten 40 Neonazis in Bremerhaven.

Erkennungszeichen der rechten Szene: Reichsflagge, hier bei einer Corona-Demo Ende August in Berlin Foto: dpa

Bremerhaven taz | Das Zeigen von Reichsfahnen ist durch die Meinungsfreiheit gedeckt: Das urteilte das Oberverwaltungsgericht in Bremen vergangenen Freitag. Tags darauf, am Samstag, demonstrierten knapp 40 Neonazis in Bremerhaven, rund 700 Menschen protestierten dagegen.

Eigentlich hatte das Land Bremen Mitte September einen Erlass erwirkt, der das Zeigen von Reichsfahnen und Reichskriegsfahnen verbietet. Das aber ist nicht so einfach. Unter dem Motto „Kein Verbot stoppt Schwarz-Weiß-Rot“ mobilisierte die rechtsextreme NPD nun nach Bremerhaven.

Unter Hinweis auf den Erlass, der die Reichsfahne als Symbol rechter Gruppierungen bezeichnet, hatte das Bremerhavener Ordnungsamt die umstrittenen Fahnen auf der Veranstaltung verboten. Dagegen klagte die NPD – erfolgreich. Daran änderte auch das Eingreifen der Stadt Bremerhaven nichts: Sie hatte versucht, die Fahnen auf der Demonstration durch eine Beschwerde gegen das Urteil doch noch zu verbieten. Die im Grundgesetz gesicherte Meinungsfreiheit dürfe lediglich durch Gesetze begrenzt werden, heißt es im Urteil des OVG; und ein Erlass ist kein Gesetz.

Die Neonazis, die sich in Bremerhaven sammelten, schienen entsprechend euphorisch gestimmt. Nicht nur schwenkten sie Fahnen: Auch schwarz-weiß-rote Handtaschen hatten sie dabei, waren in diesen Farben teils auch gekleidet.

Übermächtige Gegenkundgebung

Auf dem Theodor-Heuss-Platz fanden sich neben NPD-Mitgliedern auch solche der Partei „Die Rechte“ und Reichsbürger ein. Prominenteste auftretende Nazi-Größe war Sebastian Schmidtke, Mitglied im NPD-Bundesvorstand. Man habe das Bremer Verbot der Reichsfahne zu Fall gebracht und wolle dies nun auch in anderen Bundesländern tun, so Schmidtke. Laut träumte er von Reichsfahnen an deutschen Rathäusern, leugnete das Coronavirus und äußerte Geschichtsrevisionistisches.

„Unter der Reichsfahne sammeln sich Akteure aus verschiedenen Spektren“, sagt André Aden von der Mobilien Beratung gegen Rechtsextremismus: selbsternannte „Querdenker“, Reichsbürger, parteigebundene Rechte und andere organisierte Neonazis. „Die Fahne ist eines der letzten gemeinsamen Symbole der rechten Szene“, so Aden.

Insofern träfe der Bremer Erlass die rechte Szene eigentlich an einem wunden Punkt. Nun stellt sich jedoch die Frage, wie wirksam dieses Instrument ist. Eine Stellungnahme der Bremer Innenbehörde dazu stand bei Redaktionsschluss aus.

Zufrieden waren die Organisator*innen der Gegenkundgebung: „Wir sind froh, dass die Nazis in geringer Zahl angereist sind und wir in einer solchen Übermacht waren“, so Hannelore Beutel vom Bündnis „Bremerhaven bleibt bunt“.

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14 Kommentare

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  • „Die Fahne ist eines der letzten gemeinsamen Symbole der rechten Szene“

    Jo. Verbieten und schon gehts bergab mit den Rechten. Weltfremde Symbolpolitik zum Schulterklopfen ist das, nix weiter.

    Wieviele Codes und Symbole hat man denn die letzten 30 Jahre verboten? Und was hats gebracht? Faschos kann man optisch kaum noch von Autonomen und anderen Subkulturen unterscheiden.



    Die NPD hat fertig, dafür sitzt die AfD in allen Landtagen und im Bundestag. Hippies und Esoteriker laufen mit Regenbogenfahnen Seite an Seite mit Rechtsextremisten. Auf den Shirts steht jetzt HKNKRZ statt des Swastikasymbols, Che Guevara statt Hess, Palitücher statt Bomberjacken, Hipstertolle statt Spiegelglatze, Rap statt Rechtsrock, vegane Küche statt H*tlerschnitzel, auf den Kennzeichen steht 444 statt 88.

    Die Strategie der Rechten, Szenen und deren Symbolik zu okkupieren oder sich hinter bürgerlicher Fassade zu verschnazen geht seit Jahren besser auf, als die Aufmärsche von Skins in Springerstiefeln.

    Wenn die Reichsflaggen verboten sind, wird halt die Wirmerflagge geschwenkt. Vielleicht gibts demnächst auch Regenbogenflaggen mit braunem Streifen, wer weiß.....

    • @Deep South:

      Wirmerflagge? Die Flagge des Widerstandes gegen Hitler. Antifaschistischer geht es nicht mehr.

      Die Regenbogenflaggen wurde übrigens beim ersten deutschen Aufstand dem "Deutscher Bauernkrieg 1524 bis 1526" verwendet. Sie ist also auch ein deutsches nationales Symbol.

      Ich frage mich wirklich wie weit die Verbote noch gehen sollen, wenn die AfD mal ins Geschichtsbuch schaut, wird dann die Regenbogenflagge verboten.

    • @Deep South:

      Was ist denn ein H*tlerschnitzel?

    • @Deep South:

      Als bei der Gegenkundgebung Dabeigewesener (700 vs. 30) habe ich erfreut festgestellt, dass natürlich auf die S/W/R-Fahne eingegangen wurde in den Redebeiträgen, aber letztlich klar war, dass es ein Protest gegen die menschenverachtenden Einstellungen derer ist, die sich irgendwie mit der Fahne identifizieren können. So groß das Risiko bei Symbolpolitik auch immer sein mag, die eigentlichen Probleme unangetastet zu lassen und sich ob der eigenen Großtat moralisch wohlfeil in den Lesesessel zurückzuziehen - bei dem Protest ging es darum, dass niemand den Rassisten und Faschisten unwidersprochen eine Bühne überlassen wollte.

    • @Deep South:

      Eines dürfte bei allem Zweifel an „Symbolpolitik“ doch unstrittig sein - mehr Nazisymbolik auf den Straßen und Plätzen führt hier ganz sicher nicht dazu, dass es „bergab mit den Rechten“ geht.



      Wer öffentlich vordemokratische Strukturen verherrlicht, der muss in einer lebendigen Demokratie permanent auf Widerstand stoßen.

      • @Rainer B.:

        Nur sind Flaggen des 2. Reiches keine Nazisymbole. Im zweiten Reich wären Anhänger des dritten Reiches wohl eher in eine geschlossene Anstalt gebracht worden und der Führer war obdachlos in Wien.

        • @Prokyon:

          Nun, dann hätte der Faschismus in Deutschland ja wohl gar keine Chance gehabt. Nein, im Gegenteil - das Deutsche Kaiserreich mit seinen Obrigkeitsstrukturen war der Humus, auf dem der Nationalsozialismus ideale Wachstumsbedingungen fand.

  • Bleibt festzuhalten: Das Oberverwaltungsgericht in Bremen begreift Geschichtsrevisionismus als Meinung.

    • @Rainer B.:

      Und?

      Man könnte den Geschichtsrevisionismus doch satirisch verbacken. Menschen dabei auf dem Müll verorten und so ...

      Was wäre eigentlich ihre geringste Schwelle, ab der sie solche Idioten verfolgt sehen wollen?

      • @Rudolf Fissner:

        Ist das eine Frage, oder eine vorgezogene Täter-Opfer-Umkehr?

        • @Rainer B.:

          Eine Frage natürlich!

          Ab wann schlägt bei Ihnen Geschichtsrevisionismus in eine ahndungswürdige Tat um. Ist in Satire verpackter Revisionismus ahndungswürdig? Ab welchem Level ist Ihnen Meinungsfreiheit schnuppe.

          Oder wollten Sie sich mit dem Vorwurf der Täter-Opfer-Umkehr nur aus der Affäre stehlen?

          • @Rudolf Fissner:

            Geschichtsrevisionismus ist keine Meinung, sondern eine Aufforderung an alle Unbedarften, die Fehler und Verbrechen der Vergangenheit noch einmal zu wiederholen. Das kann kein vernünftiger Mensch gutheißen - oder sehen Sie das anders?

  • Ja wie? Papa-Heuß-Platz - ist ja nicht unflott gewählt - wa.

    • @Lowandorder:

      Wohl wahr!



      „Die Ausstattung des Dritten Reiches wird aus einem Großausverkauf von neulackierten und aufgeputzten Ladenhütern der wilhelminischen Epoche bezogen sein, und davon, meine Herren, haben wir, denke ich, genug gehabt.“ (Theodor Heuss)