piwik no script img

SPD-Streit über Rassismus in der PolizeiDas große Schweigen

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Äußerung der SPD-Chefin zu Rassismus in der Polizei war nicht spektakulär. Die Aufregung darum spiegelt eher parteiinterne Kämpfe.

Polizeiausbildung in Saarbrücken Foto: Becker&Bredel/imago

D ie Polizei in der Bundesrepu­blik ist in erfreulich ziviler Verfassung. Sie hat, unter massivem Druck der liberalen Gesellschaft, seit den Zeiten von RAF und Antiatombewegung viel dazugelernt. Nicht nur in den USA, auch in anderen europäischen Ländern findet sich in den Reihen der Polizei mehr ungebrochener Korpsgeist.

SPD-Chefin Saskia Esken hat der Polizei kürzlich bescheinigt, es gebe in ihren Reihen latenten Rassismus. Der müsse bekämpft werden, nicht zuletzt im Interesse der großen Mehrheit der Ordnungshüter, die sich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber korrekt verhalten, unabhängig von deren Ethnie. Dafür sei eine unabhängige Beschwerdestelle nötig.

Das ist nun keine besonders spektakuläre Aussage. Es existieren zwar keine exakten Studien darüber, ob Polizisten häufiger als der Durchschnitt zu rassistischen Mustern neigen. Aber man kann vermuten, dass Menschen in hierarchischen Organisationen anfälliger für autoritäre und ausgrenzende Verhaltensweisen sind als in Ökoläden.

Umso erstaunlicher ist die wütende Reaktion mancher SPD-Innen­minister, die sich jetzt tapfer vor die Polizei stellen und von latentem Rassismus nichts wissen wollen. Die Riege der (meist männlichen) Polizeibeschützer reicht von Horst Seehofer bis zu ­Links­frak­tions­chef Dietmar Bartsch. Ihre Aufregung klingt einigermaßen hohl, weil Esken die Polizei ja gar nicht unter Generalverdacht gestellt hat.

Was macht eigentlich Kevin Kühnert?

Das staatliche Gewaltmonopol ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Die Ausübung dieses Monpols gilt es aber zugleich besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dabei können Beschwerdestellen, die es in der Hälfte aller Bundesländer bereits gibt, nützlich sein. Die von ziemlich mutwilligen Missverständissen geprägte Debatte um Esken führt nicht weiter. Sie bedient nur alte Reflexe und scheint eher SPD-interne Kämpfen zu spiegeln als die Sache selbst. Erstaunlich ist allerdings, dass kein SPDler die Parteichefin unterstützt hat. Was macht eigentlich Kevin Kühnert?

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Danke

    Wer wie der niedersächsische Landesinnenminister Boris Pistorius nahelegt, Bundeswehr, Polizei, Bundesgrenzschutz Korpsgeist schütze Soldaten. Polizisten, Grenzschützer irrt. Korpsgeist erzwingt gegenseitig Komplizenschaft bei Vergehen in eigenen Reihen samt Schweigekartell zulasten von Transparenz hinsichtlich Einhaltung des Legalitätsprinzips unserer Rechtstaatlichkeit, d. h. Korpsgeist beschwört mehr Gefährdungen für den Einzelnen, sich gesetzeswidrig zu verstricken, zu fremdem Zweck erpressbar zu sein, seelisch belastet zu erkranken.

    Wenn Polizeigewerkschaft Vorsitzende Rainer Wendt. den manche wie Jakob Augstein im Freitag einen rechten Poltergeist nennen, zu Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Entscheid vor einigen Jahren, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Hautfarbe zum Gegenstand polizeilicher Maßnahmen werden dürfen – Racial Profiling –, bollerte, das sei nichts als „schöngeistige Rechtspflege“, die sich nicht an der Praxis ausrichte, dann verstößt er gegen seine kollegialen Pflichten als Gewerkschafter, Kollegen*nnen nicht in Gefahr zu zwingen, Racial Profiling im Namen von Korpsgeist beizubehalten.

    www.freitag.de/aut...korpsgeist-geht-um

  • Leider ist das mit der unabhängigen Beschwerdestelle nicht so einfach. Auf ein Fehlverhalten eines Amtsträgers und sind auch Polizisten als Teil der Exekutive, erfolgt in den meisten Fällen erstmal eine Dienstaufsichtsbeschwerde an den Vorgesetzten. Der ist auch Polizist und die Dienstellen internen Ermittlungen würde ich nicht unbedingt als unabhängig bezeichnen. Die judikative kommt erst späte ins Spiel oder garnicht.



    ... beim Thema Rassismus bin ich leider anderer Meinung. Im Osten wurde während der DDR nur wenig über Rassismus gesprochen, es hat nichts geholfen. Auch das totschweigen des Nationalsozialismus in den 50iger und 60iger Jahren hat leider nicht zum verschwinden nationalistischer Ideen geführt. Wenn wir eine Begriff verbannen entwickelt sich nur ein Neuer für die selbe Einstellung, also das selbe Problem.

  • In Frankreich wird so etwas als "déformation profesionnelle" bezeichnet. Polizei und Justiz haben in hohem Maße im Alltag mit Menschen zu tun, die Straftaten begehen und gleichzeitig schwarz oder "türkisch-arabisch" aussehen. Dass weiße - organisierte - Kriminelle, wie die Vorstände der VW-Unternehmen nur wenig im Alltag bei Straftaten erwischt werden und an sich zu "uns", also der weißen Mehrheitsgesellschaft gehören, blendet sich für die vor Ort im Alltag tätigen Polizist*innen aus. Genau diese scheinbar objektive Wahrnehmung führt dazu, dass nicht nur schwarze, sondern auch andere, nicht offensichtlich der weißen Mehrheitsgesellschaft zuzuordnende Menschen als "vermutlich kriminell" wahrgenommen werden. Und genau das ist latenter Rassismus. In der Nähe des Görlitzer bParks oder der Hasenheide wird von Polizist*innen jeder nichtweiße und im Zweifel männliche Mensch aufgrund vermeintlicher Erfahrungen als potenzieller Straftäter wahrgenommen werden, auch wenn er /sie nur bei Karstadt einkaufen will. Dieser Rassimus findet sich selbst bei Polizeibeamt*innen, die den barühmten Migrationshintergrund haben. Sie laufen Gefahr, sich als die "besseren Deutschen" profilieren zu wollen.

  • Die unabhängige Beschwerdestelle für Fälle von Polizeigewalt gibt es bereits. Wir haben in Deutschland Gewaltenteilung! Die dritte Staatsgewalt (die Justiz) ist verpflichtet, tätig zu werden, wenn es hinreichend Verdacht auf ein Verbrechen gibt. Das gilt auch, wenn ein Verbrechen durch Polizisten verübt wurde!

    Im Übrigen: Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig, dass es überhaupt keine menschlichen Rassen gibt. Umso erstaunlicher also, dass dieser Begriff immer noch im Grundgesetz steht und alle so tun, dass es doch Rassen gibt... Hat uns die Corona-Krise nicht ein wenig gelehrt, auf die Wissenschaft zu hören? Wer sich also (wie zur Zeit fast alle) an der Rassismus-Debatte beteiligt, sollte vielleicht lieber mal einen Fakten-Check machen.

    Ich halte es lieber mit Morgan Freeman: "The only way to end racism is to stop talking about it."

    • @Winnetaz:

      Das Spezielle am Rassismus ist ja gerade, dass es ihn nach wie vor gibt, obwohl es doch gar keine Rassen gibt. Er geht auch nicht weg, indem man ihn nur nicht mehr thematisiert. So einfach ist es leider nicht.

    • @Winnetaz:

      Ja, in der Theorie ist das so mit der Kontrolle durch die justiz. In der Praxis klappt das nur nicht, weil Staatsanwaltschaft und Polizei ein kollegiales Verhältnis haben, da sie gemeinsam an der Strafverfolgung beteiligt sind. Was in der Regel dazu führt, dass den Aussagen von Polizist*innen fast immer geglaubt wird und so die meisten Opfer von Polizeigewalt, die versuchen sich juristisch zu wehren, zusätzlich zu den Verletzungen und Demütigungen noch eine Verurteilung wegen Widerstands gg. Vollstreckungsbeamte schlucken müssen. Es ist die Regel, das Bullen die wegen Gewalt angezeigt werden, eine Gegenanzeige wegen Widerstand stellen und damit in ca. 99% der Fälle durch kommen. Eine Krähe hackt der anderen eben kein Auge aus...



      Und bei all jenem könnte eine von der sonstigen Strafverfolgung entkoppelte Beschwerdestelle helfen. Übrigens auch jenen ca. 3,7 Cops, die sich immer brav an die Regeln halten und gegen den Korpsgeist der Kolleg*innen nicht ankommen.

  • Rassismus ist für Rassisten meist selbst gar nicht mehr erkennbar, weil sie ihn gewöhnlich schon für ganz „normal“ halten.

  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Warum gibt es keine linken oder grüne Polizisten, dann wäre das Problem mit dem Rassismus ja gelöst.

  • Es gibt keine Polizeigewalt in Hamburg, nein, ganz sicher nicht ... Und warum gibt es dann solche Berichte und Videos?

    www.24hamburg.de/w...r-zr-90003367.html

  • "Was macht eigentlich Kevin Kühnert?"

    Der verhält sich vermutlich karrierebewusst zurück, weil die neue SPD-Spitze nicht wirklich "zündet" und die meisten Fraktions- und Regierungsmitglieder sie gegen die Wand laufen lassen. Man könnte den Eindruck haben, dass es keine Sozialdemokratisierung der SPD geben wird.



    Im Übrigen hat Frau Esken Recht mit ihrer Behauptung, die ja nun wirklich nicht spektakulär ist.