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Debatte um CoronakostenDas Virus, der soziale Spaltpilz

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Die Grundrente wackelt und Altmaier will weniger Steuern für Firmen. Das droht soziale Ungleichheit zu verstärken.

Ein Gabenzaun für Hilfsbedürftige wie hier in Greifswald sollte eigentlich überflüssig sein Foto: Stefan Sauer/dpa

D ie Coronadebatten erinnern derzeit an einen Karnevalsschlager aus der Nachkriegszeit: „Wer soll das bezahlen? … Wer hat so viel Geld?“ Denn die jüngste Steuerschätzung hat schockiert. Hundert Milliarden Euro werden dem Staat in diesem Jahr fehlen; bis 2024 dürften es mehr als 300 Milliarden Euro sein. Gleichzeitig steigen die Ausgaben ständig, was das Minus weiter vergrößert. Aus der schwarzen Null ist ein tiefrotes Loch geworden.

Dieses Milliardenminus löst einen altbekannten Reflex aus: Wenn das Geld fehlt, muss der Staat den Gürtel eben enger schnallen! Unionspolitiker wissen auch schon, wo sie den Rotstift als Erstes ansetzen würden: bei der Grundrente für arme Ruheständler, die eigentlich im Januar 2021 eingeführt werden sollte.

Die Grundrente würde etwa 1,4 Milliarden Euro im Jahr kosten. Man muss kein Rechenkünstler sein, um sofort zu erkennen, dass sich damit ein Loch von 100 Milliarden garantiert nicht stopfen lässt. Vor allem aber fällt auf, dass die Sparfüchse aus der Union sofort sehr freigiebig werden, wenn es darum geht, die Wohlhabenden zu beglücken. So wird CSU-Chef Markus Söder nicht müde zu fordern, dass der „Soli“ komplett abgeschafft werden soll. Dies würde satte 9 Milliarden Euro im Jahr kosten – und allein die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung begünstigen.

Grundrente für die Armen oder Soli-Entlastung für die Reichen? Wie ein Brennglas bündelt dieser Streit, wie die Konfliktlinien in den nächsten Monaten verlaufen werden. Der Staat will viele Milliarden Euro ausgeben, um die coronageschwächte Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dabei wird die Frage immer sein: Wer profitiert, wer verliert?

taz am wochenende

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Wenn es nach CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier ginge, sollen die Unternehmen „strukturell“ entlastet werden. Da müssen alle Alarmglocken schrillen. „Strukturell“ ist nämlich nur das latinisierte Wort für „immer“. Die vorübergehende Coronakrise soll also genutzt werden, um die Kapitaleigner auf Dauer zu begünstigen. Altmaier stellt sich „Steuererleichterungen“ vor. Konkreter wurde er bisher nicht, aber schon dieses Wort reicht, um zu wissen, dass sich der Wirtschaftsminister auf Abwegen befindet.

Denn Steuererleichterungen kurbeln die Konjunktur garantiert nicht an, wie US-Starinvestor Warren Buffet immer wieder betont. Er würde niemanden kennen, so ließ er verlauten, der investiert, weil er Steuern sparen will. „Man investiert, um Gewinne zu machen.“ Es sei ziemlich uninteressant, wie hoch die Steuern seien, die anschließend auf diese Profite zu zahlen sind.

Gewinne fallen aber nicht vom Himmel. Profite sind nur möglich, wenn sich Waren und Dienstleistungen absetzen lassen. Es muss also Käufer geben. Die Grundrente wäre eine geeignete Maßnahme: Die Rentner würden das zusätzliche Geld bestimmt nicht sparen, sondern sofort lang gehegte Wünsche verwirklichen. Genauso sinnvoll wäre es, wenn der Staat verstärkt in den Klimaschutz investiert und beispielsweise die Gebäudedämmung voranbringt. Davon würde die Bauindustrie weit mehr profitieren als von Steuersenkungen.

Vielen Bürgern wird mulmig, dass der Staat ständig neue Kredite aufnimmt und dabei praktisch aus dem Nichts neues Geld entsteht. Sie fürchten, dass es zu einer rasanten Inflation kommen könnte. Doch diese Angst ist derzeit unnötig. In einer Krise steigen die Preise nicht, weil Firmen und Läden um jeden Kunden ringen. In Deutschland lag die Inflation im April bei 0,8 Prozent.

Nicht die Geldentwertung ist gefährlich – sondern dass eine falsche Coronapolitik, die die Ungleichheit zwischen Arm und Reich weiter verschärft. Die Krise darf nicht genutzt werden, um die Wohlhabenden hinterrücks „strukturell“ zu entlasten. Ökonomisch wäre es unsinnig und politisch bedrohlich. Schon jetzt ist die Verbitterung über die „Eliten“ groß. Demokratien können aber nur funktionieren, wenn die Bürger ihren Politikern vertrauen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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20 Kommentare

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  • Leute die durch den Wegfall des Soli mehr Geld haben werden dieses sicherlich zum Teil in Konsum investieren. Das selbe was der Grundrente-Bezieher auch mit seinen zusätzlichen Einnahmen macht.

    Diejenigen die am meisten von Wegfall des Soli pofitieren sind der Mittelstand, also der Hauptfinanzier unseres Staates.

    Für Ideologen ist es anscheinend immer wieder schwer erträglich dass Menschen von dem Leben was sie selber erarbeiten und nicht von staatlichen Transferleistungen.

    • @Poseidon:

      Sorry, das ist falsch.



      In dieser Einkommensklasse führt etwas mehr nur zu höheren Sparanteilen, weil der Konsum schon so hoch ist, wie man will. Konsumanteil Max. 10%.



      Bei armen Rentnern wird Mehreinkommen direkt für frisches Gemüse, mal Essengehen oder ein Geschenk für die Enkel ausgegeben. Unerfüllte Bedürfnisse gibts genug und sparen hat keinen Sinn mehr. Konsumanteil eher 90%.



      Das ist schon ein ganz erheblicher Unterschied ...

  • Haben wir durch die Krise nicht genug neue Schulden? Von der Rezession der Wirtschaft ganz zu schweigen. Was haben Länder und Gemeinden mit den Steuerüberschüssen der letzten Jahre gemacht? Wir Steuerzahlere müssen das alles finanzieren, selbst den Lebensunteerhalt aller Politiker.

  • „Coronakosten“? Was heißt denn hier „Coronakosten“?



    Sobald ich liefern kann, gibt's bei mir Corona ganz umsonst. Versprochen! (;-))

  • Wer in den letzten Wochen seinem Luxus nicht frönen konnte, nicht in die Oper, ins Theater, ins Luxusrestaurant konnte und die Hotelsuite auch nicht buchen konnte, den muss die Allgemeinheit doch jetzt wenigstens damit trösten, dass das alles über die Krise gerettet wird und wieder parat steht. Schließlich liegt das Geld, das während Corona für den Luxus nicht ausgegeben wurde, jetzt ja auf der hohen Kante, und wo sollen sie denn hin damit?!



    Also, ob es nun Reichen-, Vermögens-, Einkommenssteuer oder sonstwie heißt: Wenn man diese Krise nun schon kapitalismusimmanent weiterdenkt, dann sollen wenigstens die zahlen, die billigerweise ihrem Luxuskonsum auch mal über eine Naturkatastrophe helfen können.

  • Prima Kommenta, vielen Dank. Zum Glück ist die Bundestagswahl nicht schon in diesem Jahr sondern erst in gut 15 Monaten. Bleibt die Hoffnung, dass die Diskussion um faire Lastenverteilung im Zentrum stehen wird. CDU und FDP werden zwar alle Ablenkungsmanöver versuchen, um das zu verhindern, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

  • Die Lebenshaltungskosten sinken angeblich - weil Schutzmasken nicht im Warenkorb enthalten sind.

  • was ist denn so schwierig an



    erbschaftssteuer



    vermoegenssteuer



    finanztransaktionssteuer



    ?

    • @the real günni:

      "erbschaftssteuer" - Gibt es.



      "vermoegessteuer" - Ist zwar ein beliebtes linkes Schlagwort, aber absoluter Schwachsinn.



      "finanztransaktionssteuer" - Müsste mind. EU-weit gelten, wobei man selbst dann auf die amerikanischen oder asiatischen Handelsplätze ausweichen könnte. Aktuelle Vorschläge bestrafen zudem in der Regel nur Kleinanleger und bringen wenig Geld rein.

    • @the real günni:

      Die Einkommensteuer fehlt dabei. Die drei Steuern gehen vor allem auch an Betriebsvermögen, gefährden also auch Arbeitsplätze.

      Was ist so schwierig daran, die realen Einkommen jedes einzelnen zu berücksichtigen?

    • @the real günni:

      Schwierig wäre im Falle der Erhebung dieser Steuern, die konzertierte Gegenmeinung der meisten Medien zu ertragen und die Propaganda der PolitikerInnen, die ihre Aufgabe in erster Linie darin sehen, das Vermögen



      gegen Steuergerechtigkeit zu verteidigen.

      Nicht zu vergessen die Wirtschafts"experten", die befreit von empirisch belastbaren Beweisen einfach behaupten, dass diese Steuern zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen. Quasi eine ökonomische Verschwörungstheorie.

  • Der New Deal Roosevelts 1933-1941, verbunden mit Glass Steal Act, Trennung von Investitions- , Sparbanken, Eigenhandel mit Kundengeldern zu verbieten, Spekulation einzuhegen, Kaufkraftabschöpfung mangels vorhandener Güter außer Grundbedarf, Rüstung, per Erhöhung Einkommensteuer auf 96 %, stotterte zunächst aus der Depression, bescherte der Welt US militärisch-industriellen Komplex, nahm mit 2. Weltkrieg Fahrt auf, führte erst durch Koreakrieg- , Vietnamkrieg- , Nachkriegskonjunktur Wiederaufbau Europas West, Japan bis 1972 zu US systemrelevanter Konsumkraft, weil es 1933 an Kaufkraftbelebung durch Lohnerhöhung fehlte. Was lernen wir daraus, es ist ersten menschenfreundlicher, zweitens in Corona Pandemie effizienter gleich glokal Kaufkraft zu erhöhen, Geldumlauf, Produktion über Grundbedarf hinaus zu sichern, statt Irrweg der Aufrüstung wie 1933- 1945, danach im Kalten Krieg Strategie des Totrüstens der Wirtschaft anderer Länder zu gehen

    Wer jetzt mit Ulrike Herrmann Nachkriegsschlager singt „wer kann das bezahlen, wer hat so viel Pinke, Pinke, wer hat so viel Geld, gleichzeitig plädiert, Kaufkraft, durch Grundeinkommen, Grundrente, Hebung sozialversicherungspflichtiger Löhne voran in helfenden Berufen, bei Dienstleistern zu administrieren, ahnt wohl, dass in einer globalen Welt wirtschaftlicher Interdependenzen nationale Rettungspakete nicht reichen. Da müssen international abgestimmte Maßnahmen über IWF, Weltbank, WTO, Bank für Internationalen Zahlungsverkehr, Zentralbanken, FED, EZB greifen, mit dem Ziel Staaten, Unternehmen, Privathaushalte in Corona Pandemie global auch ohne vorhandene Sicherheiten bis Ende der Pandemie bedarfsorientiert kreditwürdig zu stellen, um glokal Kaufkraft, Versorgung mit Mobilität, Gütern täglichen wie medizinischen Bedarf sicher zu sichern. Warum Kredite, weil die der schnellste Weg sind, den Geldumlauf weltweit aufrechtzuerhalten, um nicht in globale Depression zu geraten beginnend mit Deflation, gefolgt von Hyperinflation?

  • Ein sehr guter Kommentar!

    Jetzt muss ein Nachfrageschub das Werk anschieben, nicht vorzeitiges Wegwerfen von Investitionen. Es gibt ja keinen Investitionsstau.

    Ausnahme sind Tourismus, Gastro und Handel. Aber die Investitionen in Plexiglas, Desinfektionsspray und Webshops sind gering.

  • War wohl nichts mit Ende des Neoliberalismus durch die Coronakriese.



    Mit der Repräsentativen Demokratie einfach nicht machbar.

  • Hat denn jemand ernsthaft geglaubt, dass die armen Rentner nicht zuerst dran glauben müssen, wenn der Staatshaushalt wegen der Corona-Schulden saniert werden muss? Der deutsche Interessenvertreter für Reiche und Superreiche kann gar nicht anders denken.



    Auffällig auch die absurden Begründungen, warum Vermögende und Superreiche nicht zu einer Sonderabgabe gezwungen werden dürfen.



    Da werden Wirtschaftswissenschaftler oder solche, die sich dafür halten, zu echten Verschwörungstheoretikern, wenn sie völlig befreit von Empirie behaupten, dass eine solche Abgaben zu schweren ökonomischen Verwerfungen führen würden.



    Die NiedriglohnempfängerInnen ArmutsrentnerInnen und die in Armut lebenden Kinder müssen sich warm anziehen, wenn es darum geht, die Zeche für Corona zu zahlen. Und dann kommt noch die CO2 Steuer, die gerade diese Menschen erheblich trifft.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Rolf B.:

      Was das Warm-Anziehen angeht, bitte nicht übertreiben: schließlich leben wir in Zeiten des Klimawandels. Da ist dicke Kleidung nicht mehr notwendig. ;-)

      Doch Ernst beiseite: außer einer faden Triebabfuhr bleibt uns hier auch nichts.

      Ich habe bereits der CDU - Bundesgeschäftsstelle entsprechende Vorschläge gemacht, wie das Sparpotenzial noch optimiert werden kann.

      Eine Yacht pro Milliardär ist doch ein Skandal. Sie sollten schon eine größere Auswahl haben ...

  • Haben wir durch die Krise nicht genug neue Schulden? Von der Rezession der Wirtschaft ganz zu schweigen. Was haben Länder und Gemeinden mit den Steuerüberschüssen der letzten Jahre gemacht? Wir Steuerzahlere müssen das alles finanzieren, selbst den Lebensunteerhalt aller Politiker.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Mit der Arrm-Reich-Schere heute ist es wie mit den Arbeitslosenzahlen in den 1980ern in der alten BRD. Es wurde gewettet, wie viele Arbeitslose das Land verkraftet. Bei den Armen zeigt sich ein ähnlicher Verlauf.

    Wobei: Das Land muss nicht die Armen verkraften, sondern umgekehrt die Armen das Land - und seine Nutznießer. Wie so oft eine Frage des Blickwinkels.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Seitdem die Sozialdemokratie erklärt, Milliarden für die Reichen wäre Solidarität mit Arbeitslosen, fehlt eine ausgleichende Kraft. Eine Partei, die die Interessen sozial Schwacher vertritt, könnte das Problem lösen. Da sich Linke und Grüne schön machen für eine Koalition mit den Neoliberalen, wird es wohl die AfD werden. Verraten von ihren Ex-Parteien werden viele die rechte Krot schlucken, wie bei Trump.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @ben99:

        Cassandra calling?

        Ich halte dagegen. Die AfD wird sich selbst zerlegen, weil

        - Impulskontrolle endlich ist,



        - die Kreidevorräte zur Neige gehen,



        - sich auf Dauer Qualität durchsetzt.

        Auch fehlende Qualität kommt ans Tageslicht. Selbst wenn es etwas länger dauern sollte.