Corona für freie Himmel: Keine Flieger über Tegel
Meine Utopie: Ich will, dass es so bleibt. Und Nachtzüge durch ganz Europa fahren. Und der Staat keine Fluglinien oder Großveranstalter subventioniert.
Nur dass bewusste Menschen jetzt mehr darüber sprachen, eigentlich nicht mehr fliegen zu wollen. Aber es dann doch taten. Um noch mal Sonne zu tanken. Oder weil es mit dem Auto so lange dauert. Und Bahnfahren nicht nur teuer ist, sondern auch unbequem. Der Hauptgrund ist sicher, dass Fliegen ein Garant für die große Freiheit ist, immer überall hinzukönnen, schnell, bequem und günstig. Reisen sind ein Konsumgut, immer zugänglich und online buchbar.
Empfohlener externer Inhalt
Über zwanzig Jahre lang arbeite ich schon in der Reisebranche. Seit es Billigflieger gibt, also etwa seit der Jahrtausendwende, sind „Reise“ und „Fliegen“ für viele Menschen nicht mehr hinterfragte Synonyme. Von Jahr zu Jahr fragen Kund*innen seltener nach alternativen Anreisemöglichkeiten. Dabei sollte Reisen viel mehr sein, als schnell und billig von A nach B zu kommen. Ein besonderes Erlebnis, ein Ausgleich zum Alltag. Vielleicht sogar ein Abenteuer.
Seit Beginn der Coronakrise erlebe ich den Beginn meiner persönlichen Tourismusutopie: Es gibt kaum noch Flugverkehr. Als Touristikerin, die jetzt Reisen absagt, statt zu planen. Aber auch privat. Denn ich wohne in der Einflugschneise von Berlin Tegel. Alle ein bis zwei Minuten donnerten sonst Flugzeuge über unser Haus. Jetzt meldet Tegel einen Rückgang des Flugverkehrs um 95 Prozent. Bei uns zu Hause ist es so ruhig wie noch nie. Die eingeschränkte Reisefreiheit ist für uns ein maximaler Zugewinn an Lebensqualität. Ich möchte, dass es so bleibt.
Ein europaweites Nachtzugnetz
Es ist an der Zeit, den Tourismus im Sinne des Klimaschutzes auch von staatlicher Seite neu zu denken. Dann würden nicht Fluglinien oder die TUI mit Milliardenkrediten subventioniert. Der Flugverkehr würde rasant abnehmen, die verbleibenden Flüge würden massiv teurer, hohe Klimaschutzabgaben obligatorisch. Dafür würde die Bahn endlich billiger und es gäbe ein europaweites, gut ausgebautes Nachtzugnetz. In Deutschland würde nicht nur in Schnellstrecken zwischen Ballungszentren investiert, sondern auch Urlaubs- und Erholungsregionen wären bequem per Bahn erreichbar.
In diesem Sommer können wir andere Urlaubsformen ausprobieren, weil wir dazu gezwungen werden von einem Virus.
Sicher packt uns trotzdem hin und wieder das Fernweh. Aber vielleicht merken wir auch, dass es nicht immer ans andere Ende der Welt gehen muss. Vielleicht reichen auch ein paar Zug- oder Autostunden, um Neues zu erleben. Und dann sehen wir eine Fernreise vielleicht auch wieder als ein Abenteuer. Und Abenteuer bucht man nicht dreimal jährlich günstig im Internet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Angriffe auf israelische Fans
Sie dachten, sie führen zum Fußball