piwik no script img

Kita-Öffnungspläne in NRWKlassenkampf von oben

Kommentar von Frederic Valin

Nordrhein-Westfalen will die Kitas so schnell wie möglich wieder öffnen, obwohl valide Daten für die Ansteckungsrisiken fehlen. Das ist voreilig.

Ein Kind sitzt in der Hängematte Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

M anchen kann es gar nicht schnell genug gehen mit den Lockerungen. Nordrhein-Westfalen will die Kitas wieder öffnen, um jeden Preis. Am Sonntag sagte Joachim Stamp, FDP, man müsse die Kinder so schnell wie möglich wieder in die Einrichtungen bekommen. Warum, sagte er nicht.

Es ist klar, dass es gerade für Familien eine stressige Zeit ist und dass viele Familien mehr Unterstützung bräuchten, als sie gerade erhalten. Doch ebenso ist klar, dass niemand die Frage beantworten kann, ob Lockerungen zum jetzigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung sind. Da können Lindner, Laschet und Konsorten noch so sehr tönen: Es gibt bislang eben noch keine Daten zu Langzeitfolgen, es gibt auch noch kaum Daten dazu, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung spielen. Der aktuelle Stand ist, dass sie gleichermaßen infektiös sind: Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass Kinder keine Langzeitfolgen zu befürchten haben, bürdet man also risikobehafteten Eltern die Entscheidung auf, ihre Gesundheit gegen die gesellschaftliche Teilhabe der eigenen Kinder abwägen zu müssen.

In der jetzigen Situation tasten wir uns schrittweise an eine veränderte Realität heran. Wer sich hinstellt und behauptet, er wisse mit Gewissheit, was richtig ist, belügt sich und alle anderen. Stamp behauptet, die Sicherheit der Erzieher:innen im Blick zu haben, aber wie kann er diese Sicherheit garantieren?

Eltern sollen zurück zur Arbeit

Es werden wohl auch andere Motive eine Rolle spielen. Zum Beispiel jenes, die Eltern wieder zurück an die Arbeit zu bekommen. Während dann die Mittelschicht im Homeoffice sitzt, wird das Pflege- und Betreuungspersonal unter erhöhter Ansteckungsgefahr arbeiten. Was soll das werden, Klassenkampf von oben?

Es ist noch keine informierte Entscheidung möglich. Es kann ehrlicherweise nur darum gehen, sich die Bedarfe anzusehen und individuelle Lösungen zu finden; das ist eine kleinteilige, mühsame und schwere Aufgabe. Ein erster Schritt wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; damit würde man vielen Menschen, Eltern wie Erzieher:innen, Druck nehmen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

14 Kommentare

 / 
  • Über die sanitären Einrichtungen in Schulen hört man viel Schlechtes. Bis die instand gesetzt sind, wird viel Zeit vergehen. Kann man die Schule so lange ausfallen lassen? Wie sauber Kindergärten oder Tagesstätten sind, weiß ich nicht. Seit zwei Wochen wird ständig über die armen Kinder berichtet, die zu Hause nicht genug zu essen bekommen, misshandelt werden oder keine Möglichkeit zum Lernen haben. Das Problem besteht schon länger, auch wenn es durch Corona verschärft wird. Plötzlich interessiert sich aber ausgerechnet die FDP dafür. Das macht mich misstrauisch. Es scheint auch seltene, aber sehr ernst zu nehmende Komplikationen bei Kindern zu geben, Stichwort Kawasaki-Syndrom. Dass den Kindern also keine Gefahr droht, wenn sie Corona bekommen, stimmt nicht. Ist es besser, die Isolation fortzusetzen oder die Kinder in die Schule zu schicken? Es kommt auf den Einzelfall an, aber niemand kann alle Fälle prüfen. Ich bin froh, dass ich diese Entscheidung nicht treffen muss.

  • Ungewollt zeigt sich hier eine sehr problematische Auswirkung, die ein BGE hätte: wenn ein Grundeinkommen damit begründet wird, dass die Kinderbeteuung fehlt, ist die Kinderbetreuung auch verzichtbar, wenn es ein Grundeinkommen gibt. Zumindest in Teilen der Gesellschaft wird dies dazu führen, dass Frauen zurück an den Herd gedrängt werden, wenn ihre Erwerbsarbeit nicht mehr notwendig ist. Zumal dann womöglich Subventionen für Kitas nicht mehr durchsetzbar sind, daa Geld für das BGE muss ja irgendwo herkommen. Das wäre die logische Konsequenz der hier vertretenen Sichtweise.

  • Eher, als dass jetzt oder irgendwann während oder in den Jahren nach der Corona-Krise ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird, haben wir in einem Jahr eine Weltrevolution und vergemeinschaften alle Produktionsmittel... Aber ernsthaft, wir leben ja immer noch im Kapitalismus, und so sehr ich mir wünschen würde, dass das nicht so wäre - dieses System hält den Laden am Laufen, und es wird sicher auch oder gerade in einer Krise nicht ohne Weiteres menschlicher oder gräbt sich sogar wie mit einem BGE selbst das Wasser ab. Das Prinzip, dass Profite SEIN MÜSSEN, lässt sich vielleicht eine Weile durch höhere Staatsverschuldung aussetzen, aber das führt dann in Folge eher zu mehr Ausbeutung, um die Verluste zu kompensieren.



    Auch wennvich mir eine Gesellschaft mit BGE vorstellen kann, sie wäre eine komplett andere, und nicht bloß eine Modifikation der heutigen. Man lasse sich das nur mal auf der Zunge zergehen: Der materielle Zwang, zum Überleben die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, wäre ausgeschaltet! Dieser Zwang ist aber DIE Grundlage schlechthin für das kapitalistische System! So lange dieses System existiert, werden wir kein bedingungsloses Grundeinkommen sehen! Auch wenn das Gedankenexperiment noch so verlockend ist.

  • Es geht eben um eine Güterabwägung und nicht um eine reine Infektionsbekämpfung. Dazu allein könnte man uns alle China-mäßig einsperren.



    Und eine Güterabwägung muss bei Kindern anders aussehen als bei Erwachsenen. Und die dürfen nun schon wieder Gottesdienste feiern, wo man doch von erwachsenen Leuten erwarten könnte, dass sie ihre Nächstenliebe anders ausdrücken. Kinder jedoch kann man nicht so lange warten lassen.

  • "Ob wir erkranken, ist vor allem auch sozial determiniert. Der berühmte Sozialmediziner Rudolf Virchow hat schon vor weit über hundert Jahren erkannt, dass die Lebenserwartung stark abhängig ist von der sozialen Stellung. Frische Luft und Bewegung sind ebenfalls immens wichtig zur Stärkung der Abwehrkräfte. Deshalb ist es ja so unsinnig, die Schulen geschlossen zu halten, Kinder nicht im Freien spielen zu lassen und alte Menschen in Heimen zu isolieren."

    Ulrich Keil war Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster

  • Man könnte auf die Idee kommen, Schweden sei einreicht valides Beispiel für offene Bildungseinrichtungen.



    Jedenfalls erheblich valider als ein BGE.



    Außerdem hat eins mit dem anderen nicht viel zu tun: Berufstätigkeit für Kinder aufgeben zu müssen, war bereits überwunden...

  • Beim BGE würde ich den vollständigen Belohnungskoeffizienten für komplette Lebenslügen abziehen. Aber sonst ganz in Ordnung.

  • Sie wollen ernsthaft die Kitas geschlossen halten, bis es valide Daten zu Langzeitfolgen gibt? Wie lang soll das dauern? 10 Jahre? 20 Jahre? Dann wissen wir auch gleich, was es für Langzeitfolgen hat, wenn (Einzel)kinder jahrelang keinerlei Kontakt zu anderen Kindern haben, nie mit anderen Kindern spielen und toben. Es geht nämlich durchaua auch, um die Interessen der Kinder und keineswegs "nur" um die Wirtschaft und um die Interessen der Eltern. Oder sind die Ihnen völlig egal?

  • Von voreiligen Öffnungen zum Grundeinkommen. Nicht schlecht. Erinnert mich an die Stoßstange. Da schafft man es auch, von gekündigten Arbeitnehmern zur kommunistischen Weltrevolution zu schreiben.



    Macht leider solche wichtigen Artikel vollkommen unglaubwürdig.

    • @schwarzwaldtib:

      Und was ist nun Ihre Meinung?

      Finden Sie die Öffnung richtig und verantwortbar?

      • @Jim Hawkins:

        Meine Meinung ist irrelevant. Derzeit bin ich skeptisch, ob Kindergärten UND Schulen überhaupt öffnen sollten. Eine Schließung bis zu den Sommerferien wäre konsequent, ehrlich und vor allem planbar gewesen. Aktuell wissen wir nicht, wie lange wir die Kinder zu Hause haben werden und wie diese Zeit sinnvoll überbrückt werden kann. Das nervt etwas.

  • Von "wir müssen vorübergehend die Grundrechte einschränken um die Kurve abzuflachen". (Was übrigens gelungen ist, Gratulation, Mission erfüllt) Zu "In der jetzigen Situation tasten wir uns schrittweise an eine veränderte Realität heran." und "Ein erster Schritt wäre die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens; damit würde man vielen Menschen, Eltern wie Erzieher:innen, Druck nehmen."

    Das eskalierte schnell.....................

    Zum Grundeinkommen: man muss schon in einen extrem hohen Elfenbeinturm wohnen, wenn man nicht begreift, daß wenn es so weiter geht, bald niemand mehrvda sein wird, der so etwas finanzieren könnte.

    • @Tobias Schmidt:

      "...Was übrigens gelungen ist, Gratulation, Mission erfüllt..."

      Eben noch nicht. Sie kann sehr schnell wieder ansteigen...

  • Könnte es daran liegen dass Herr Laschet sich auf Teufel komm raus irgendwie für den CDU Vorsitz proflilieren möchte und zudem ist ja da noch die FDP mit Herrn Lindner im Rücken dabei.