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Koalitionsausschuss zu GeflüchtetenGroKo springt zu kurz

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Berlin fällt nichts Besseres ein, als sich mit dem brutalen Verhalten an der EU-Außengrenze zu solidarisieren.

Griechenland, Lesbos: Ein Kind spielt in einem provisorischen Zeltlagerin der Nähe des Camps Moria Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

D ie Große Koalition will in der Flüchtlingspolitik für „Ordnung und Humanität“ stehen. Dieser – übrigens von den Grünen geklaute – Slogan steht ganz vorne in dem Beschluss, auf den sich die Spitzenleute von CDU, CSU und SPD in der Nacht geeinigt haben. Aber das ist nicht mehr als ein hübscher Euphemismus. Mit der Humanität der Groko ist es nicht weit her und mit der Ordnung auch nicht, denn sie akzeptiert weiter das Chaos an der Außengrenze der EU.

Die Koalition will nun „Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1.000 bis 1.500 Kindern auf den griechischen Inseln unterstützen“. Das klingt nach mehr, als es ist. Die Groko wird nämlich nicht alle diese Kinder ausfliegen, schnell und unbürokratisch. Stattdessen will Deutschland nur einen „angemessenen Anteil“ übernehmen und nur dann, wenn sich unter den EU-Staaten eine Koalition der Willigen findet, die mithilft.

Das ist nicht nichts. Im Flüchtlingscamp Moria leben 20.000 Menschen im Dreck. Traumatisierte Kinder spielen zwischen Müllbergen und frieren nachts in unbeheizten Zelten. Jedes Kind, das dort herausgeholt wird, zählt. Aber für das reichste und stärkste Land der EU ist das Angebot kleinkrämerisch und unwürdig. Die Groko lobt sich dafür, ein paar hundert Kinder einfliegen zu wollen – obwohl hier 140 Kommunen seit Monaten freiwillig die Betreuung von mehr Geflüchteten anbieten.

Das Kontingent, das die EU-Koalition der Willigen retten soll, ist viel zu klein. Es handele sich um Kinder, die an einer schweren Erkrankung litten und dringend behandlungsbedürftig seien, schreiben die Koalitionäre. Oder um solche, die unbegleitet und jünger als 14 Jahre seien – die meisten davon Mädchen. Damit definiert die Groko die Gruppe derer, die Hilfe verdient, sehr eng.

Willkürliche Grenzen

Was ist mit dem 15-jährigen Jungen, der auch krank und ohne Eltern unterwegs ist? Der Vorschlag der EU-Staaten krankt an dem Dilemma eines jeden Kontingents. Die Grenze, hinter der Humanität nicht mehr greift, ist willkürlich gezogen – und lässt viele Schutzsuchende zurück. Das wäre übrigens auch bei ambitionierteren Vorschlägen der Fall, etwa dem der Grünen, 5.000 Geflüchtete von den griechischen Inseln nach Deutschland zu holen.

Über all dem schwebt eine große Frage, die die Groko nackt dastehen lässt. Warum erst jetzt? Nun, da Erdoğan tausende Geflüchtete an die griechische Grenze schickt, da also die deutsche Gemütlichkeit bedroht scheint, entdeckt sie plötzlich ihre Hilfsbereitschaft. Dabei sind die Zustände in den griechischen Flüchtlingscamps seit Jahren bekannt. Die Bundesregierung wusste, dass dort europäische Standards missachtet werden, dass die hygienischen Zustände eine Katastrophe sind, dass Familien mit Kindern leiden.

Es interessierte sie aber nicht, weil es in Deutschland nur ein kleiner Teil der WählerInnen mitbekam. Die jetzt demonstrierte Hilfsbereitschaft dokumentiert also auch die bewusste und selektive Ignoranz in den Jahren davor.

Interessant ist auch das, wozu die Koalition *nichts* sagt. Mit keinem Wort kritisiert sie das brutale Vorgehen der griechischen Regierung an der EU-Außengrenze. Grenzschützer treiben dort Geflüchtete aggressiv zurück, sie beschießen sie mit Blendgranaten und Tränengas. Mitarbeiter der griechischen Küstenwache schlagen mit Stangen auf Menschen in Schlauchbooten ein.

Der Koalition fällt nichts besseres ein, als sich mit diesem skandalösen Verhalten zu solidarisieren. Griechenland habe eben die Aufgabe, „diese Außengrenze zu schützen“, schreiben CDU, CSU und SPD. „Griechenland hat dabei unsere Unterstützung und Solidarität.“

Für diesen zynischen Satz kann man der Koalition fast dankbar sein, weil er ihre Haltung geradezu perfekt beschreibt.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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13 Kommentare

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  • Schleswig-Holstein, damals mit 1.5 Mio Einwohnern, hat es nach dem 2. WK geschafft, eine Million Flüchtlinge größtenteils aus Osteuropa aufzunehmen. Die sprachen zwar einen Dialekt des Deutschen, brauchten aber auch Essen, Arbeit, Schulen, Kindergärten, Obdach...

    Man hat damals auf die Flüchtlinge geschimpft, sich also nicht etwa mit ihnen solidarisiert weil sie ja Deutsche wären, sondern sich über die dreckige Bande aus den Wellblechhütten aufgeregt. Trotzdem hat es geklappt.

    Gemessen daran könnte Deutschland doch wohl mindestens 30 Mio. Menschen zusätzlich aufnehmen. Es ist nicht das Nicht-Können, sondern schlicht das Nicht-Wollen. "Können wir nicht" ist nachweislich falsch. Damit kann sich keiner rausreden.

  • So ein Quatsch, die Groko springt nicht zu kurz, sie betreibt das alte Spiel. Verantwortlich sind immer andere. Da es auf EU Ebene keine Einigung geben wird, bleibt alles wie es ist. Ähnlich habt es Merkel einst bei den Grenzwerten für KfZ-Chadstoffe gemacht. Auf Druck der SUV-Industrie sorgte sie in Brüssel dafür, dass die grenzwerte raufgesetzt wurden - bei Kritik wurde hier dnn rumgejammert, die EU stehe einr Verschärfung entgegen. Vielleicht gehen die Hörrn Redakteure mal ins Archiv und recherchieren.....

    • @Philippe Ressing:

      Was ist Ihre Lösung? Deutschland wird zum Land für die Migranten, welche die anderen Länder nicht aufnehmen? Leider geht das so eben auch nicht.

      • @Monika Frommel :

        1. Detschland war immer ein Land der Ein- und Durchwanderer - von der Völkerwanderung bis heute. 2. Ich kenne die Zustände auf Chios und das ist Barbarei, die von uns nicht nur geduldet, sondern auch gefördert wird. 3. Und alles nur aus Angst vor den Höckes und Identitären, die den altbekannten arisch-deutschen Träumen der Rassereinheit hinterherhängen.



        Was Tun: Vor allem aus den Lagern auf den Inseln die Schwächsten herausholen.

      • @Monika Frommel :

        Sie kennen nicht einmal den Unterschied zwischen Migranten und Flüchtlingen. Vielleicht sollten Sie, als Tochter einer Mutter auf deutscher Scholle, einmal eine Suchmaschine kontaktieren!

        • @Drabiniok Dieter:

          Flüchtling ist, wer bei Rückkehr in sein Heimatland, Verfolgung ausgesetzt ist. Das trifft auf die wenigsten Afghanen zu.

  • Die Humanität der GROKO? Das sind doch SPD-Träume. Deals wie Aufnahme von Migranten-Kindern gegen Wirtschaftsförderung. Solche Moralpolitik hat schon einmal beide Parteien in Schwierigkeiten gebracht. Und es wird weiter Widerstand geben!

  • Mit den Aspekten, die der Artikel beleuchtet, ist das Verhalten unserer Politiker natürlich zynisch oder unmenschlich. Komplexer wird es, wenn an versucht auch die anderen Aspekte zu gewichten.

    Ich denke, dass eine Schwierigkeit bei der Hilfe die unbegrenzten Forderungen der "Linken" sind. Die letzten 5 Jahre kamen 1 Mio, dann 200.000 pro Jahr, es gab viel Maßnahmen. All das war nie annähernd genug, es war immer unmenschlich. Es wurde vielen geholfen, die nicht so bedürftig waren, um den Preis, dass bei anderen die Luft ausgegangen ist. Als Idee war oft nicht die Hilfe dahinter, sondern die Idee der "Einen Menschheit", aber ohne die Migranten gefragt zu haben, ob sie die "Eine Menschheit" wollen oder erstmal nur einen besser bezahlten Job.

    Ich glaube es sind auch die unbeschränkten Forderungen der "Linken", die einerseits natürlich zu Hilfe antreiben, andererseits manche bessere Lösung verhindern.

    • @Markus Michaelis:

      Diese Zahlen sind schlichtweg falsch und übertrieben. de.statista.com/st...schland-seit-1995/

      • @wirklich?:

        Warum sind die Zahlen übertrieben? Wenn ich auf den Statista-Link klicke, sind die Zahlen in etwa so - etwas höher, wenn man es genau nimmt.

        Und wenn die Zahlen niedriger wären, was würde das Ihrer Meinung nach sagen? Dass es gut ist, dass nicht soviele nach D kommen? Dass eigentlich mehr kommen sollten und es ein Unding ist, dass die Gegner schon bei diesen niedrigen Zahlen sich aufregen?

        Das Argument, dass eigentlich nicht viele Menschen kommen, gekommen sind und kommen wollen, ist zwar oft genannt, aber mir etwas zu unscharf.

  • Wohlstandsfaschismus wäre die treffendere Bezeichnung für diese Politik der "Koalition der Willigen". Sind ja nicht die eigenen Kinder und Enkel. Sind ja keine deutschen Kinder. Sie haben ja noch keinen Nutzen. Sind noch nicht ausgebildet und also wertlos für unsere Wirtschaft.

    Die Angst vor den völkisch nationalistischen Antidemokraten ist so groß, dass man ihre menschenfeindlichen Politik vollstreckt! Es wird ja nicht an der deutschen Grenze auf Flüchtlinge geschossen!

  • Der EU-Flüchtlingspakt sieht 9,00 € je Flüchtling und Monat zur Versorgung von Flüchtlingen in er Türkei vor. Mit 9,00 € im Monat lässt sich kein Flüchtling menschenwürdig versorgen, auch nicht in der Türkei!



    Bei dieser Beurteilung spielt es keine Rolle ober Präsident Erdogan „böse“ oder „gut“ ist. Es geht um



    schutzbedürftige Menschen die im Dreck der überfüllten griechischen Lager auf den Inseln und um das Grenzgebiet zur Türkei festsitzen.



    Asylrecht in Griechenland ausgesetzt. Was bedeutet das? Die Ursula von der Leyen (CDU) lobte sogar diese Vorgehensweise, indem gegenüber dem griechischem Premier Kyriakos Mitsotakis erklärte, „Die Griechen seien nun Europas Schild an den EU-Aussengrenzen“.



    Seit 2016, vegetieren z,B. auf der Insel Lesbos 19 000 Asylsuchende aus , in einem Lagher das nur für 2200 Menschen geschaffen wurde. Das ist die Folge der völlig planlosen europäischen Migrationspolitik. Seit die Balkanroute geschlossen ist, sitzen jene, die es noch aus der Türkei auf EU-Territorium schafften, in Griechenland fest. Die dortigen Behörden bearbeiten faktisch alles mit der griechischen Art, nämlich gar.

    Wenn das Wertegerüst der EU noch irgend einen Wert haben soll, dann muss sofort aufhören, das auf schutzbedürftige Menschen mit Tränengasgranaten geschossen wird. Es muss sofort aufhören, dass die griechische Marine Mschinengewehrsalven auf Flüchtlingsboote abfeuert.

    Die Menschenrechte müssen unter allen Demokraten in der EU als unverrückbare Konstante stehen.



    Deshalb kann die Anerkennung von Asylbewerbern, wer in Europa ein Recht auf Schutz hat, nicht irgendwelchen Sicherheitskräften mit Tränengas und Bürgerwehren mit Knüppeln in Griechenland überlassen werden.



    Wenn der Knüppel darüber in der EU darüber entscheidet, wer Asyl bekommt, ist es das definitiv der Anfang vom Ende der Werte EU.

  • "Was ist mit dem 15-jährigen Jungen, der auch krank und ohne Eltern unterwegs ist? "



    Ich verstehe den Koalitionsbeschluss so, dass:



    - unter 14-jährige



    - kranke Minerjährige (also unter 18)



    aufgenommen werden sollen