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Corona und die FolgenAus der Armbeuge hervorkrächzen

Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause wegen Corona ist kein Wunder. Zynisch bleibt sie aber schon.

Wuhan, am 10. März: Die chinesischen Behörden haben die Quarantänebestimmungen wieder gelockert Foto: reuters

Z u Hause bleiben, auf alle „unnötigen“ Sozialkontakte verzichten – alles, was gerade dringend geboten und vernünftig ist, klingt für introvertierte Leute wie mich auch erst mal verlockend. Das meine ich ganz unzynisch und in vollem Bewusstsein des Ernsts der Lage. Da bin ich auch nicht allein, das haben in den letzten Tagen hinreichend viele beschrieben und gepriesen. Endlich Homeoffice und Netflix und sonst Ruhe. Durchgezogen hat es bislang – Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause ist da echt kein Wunderzumindest in Berlin – noch keiner so richtig, man könnte ja was verpassen. Fomo (für die Risikogruppen: Fear of missing out) schlägt unser Herz.

Die mehr oder minder leise Freude über eine anstehende Zwangspause ist da echt kein Wunder, so wie die meisten von uns sich ihre Tage zuballern mit allem, was man machen muss (arbeiten) und zu müssen glaubt (sinnlos lange im Büro Anwesenheit demonstrieren), und dem, was man eigentlich will (sich die Decke über den Kopf ziehen) und wollen zu müssen glaubt (fügen Sie hier bitte sozialen Druck Ihrer Wahl ein).

Liebe

Wenn Ihnen das misanthropisch vorkommt, irren Sie sich. Für mich wenigstens kann ich sagen: Ich kenne Momente, es sind nicht so wenige, in denen mich die Liebe zur Menschheit überwältigt, so richtig hardcore-hippiemäßig und ganz ohne MDMA. Manchmal reicht es, wenn ich Fremde in der S-Bahn halb verschämt, halb lustvoll ein Stück Kuchen verschlingen sehe, zack, schon möchte ich sie und alle anderen umarmen. Gerade deshalb braucht man aber auch – wie in jeder guten Beziehung, ab und an ein bisschen Distanz zu all diesen Menschen und Gefühlen. Weil aus der Liebe ja auch immer so viele Sorgen entstehen.

Aus der Distanz heraus mache ich mir dann aber auch wieder Sorgen. Um die, die jetzt ernsthaft krank werden und in Isolation krank sein müssen. Um die, die sich um die ernsthaft Kranken kümmern müssen. Um die, die bei der ganzen Panik vergessen werden. Gestrandete und Geflüchtete in Syrien, der Türkei und Griechenland, nur so zum Beispiel. Denen es nicht nur an medizinischer Versorgung mangelt, sondern am Geringsten, an dem, was jedem Menschen, vor allem anderen zusteht: ein bisschen Empathie seitens ihrer (europäischen) Mitmenschen. Gut, das Elend dieser Menschen war hier schon vor Corona leicht weit wegzuschieben, jetzt ist man sich eh – aus Notwendigkeit (!) selbst am nächsten.

Ruhe

Und wenn man mal fünf Minuten Ruhe hat vom Sichsorgen, etwa weil man beim Händewaschen konzentriert Happy Birthday singt (zweimal, das dauert), fallen einem die langfristigen Fragen ein, die sich mit der Corona-Quarantäne-Gesellschaft auftun. Was wird diese ganze Phobie mit der ohnehin schon an Phobien (Xeno,- Homo-, Klaustro-, you name it) nicht armen Gesellschaft machen.

Skepsis

Man ist den Anderen gegenüber, wer auch immer das für Sie sein mag, eh schon skeptisch genug, jetzt sind sie neben allen Gefahren, die sie so mit sich rumschleppen, auch noch potenzielle Virenschleudern. Dass uns das alle ein bisschen gleicher macht – also gleich eklig, gleich gefährlich –, können Sie vergessen. Das ist ein frommer Wunsch. Falsch benehmen sich auch hier nur die Anderen. Die, die sinnlos Panik verbreiten, oder die, die sinnlos rumhusten. Auch aus der Armbeuge heraus kann man noch hervorkrächzen, wie’s richtig wäre.

Was die ganze Isolierung auf lange Sicht mit dem ohnehin verkrüppelten Liebesleben hierzulande anstellt, stelle ich mir derzeit gern vor. Es macht mich, zusätzlich zu meinen ganzen Sorgen, auch noch herrlich melancholisch. Mit Wärme und Herzlichkeit hatten wir es in Berlin schon vor Corona nicht so, hier regierte schon immer so eine rüde Mischung aus provinzieller deutscher Stieseligkeit und von antifaschistischem Kampfgeist gestählter Kader-Kühle. Nicht gemeckert war hier schon immer Lob und Liebe genug. Nur unser Hang zum harten Hedonismus hat darüber hinweggeholfen.

Schrulligkeit

Damit ist es aber nicht erst vorbei, seit die Clubs diese Woche mit allen anderen Einrichtungen geschlossen wurden. Das wurden sie nämlich auch schon vor Corona, nur da nicht aus guten Gründen, sondern aus stadtplanerischer Geistesschwäche. Das wird sich jetzt rächen, denn wo konnte bisher der eigentlich zur Vereinzelung und Abschottung tendierende Großstädter die Menschen und das Leben lieben lernen, wenn nicht in der Kunst, in der Musik, im Rausch? Weil’s da aber schon lange kränkelt, dürfte es vielen gerade nicht nur an Klopapier mangeln, sondern auch an jemandem, der mit ihnen die Vorzüge des Homeoffice (Sex in der Mittagspause) teilt.

Klar, irgendwann wird die Sache mit Corona vorüber und vergessen sein. Aber Einsamkeit – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – macht schrullig. Ich bin gespannt, wie verspannt und überdreht wir alle aus der langen Quarantäne zurückkommen.

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19 Kommentare

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  • da die taz immer so schön aus dem innern, weiblich schreibt. und nich sex-, buisness- crimemäßig, auch nich reisserisch, soll ihr vergeben sein, der pandemie gutes abzugewinnen. wann und wie der day one nach corona kommt, will man sich überraschen lassen.

  • "Vorzüge des Homeoffice (Sex in der Mittagspause)"

    Das ist ehrlich gesagt auch nur am Anfang aufregend, dann ist es eben was es ist, Sex Zuhause.

    Dafür gibt es mir die vielleicht einmalige Chance, meine Faszination für digitale Welten zu teilen.



    Und auch wenn am Anfang gemault wurde, das sei doch bestimmt langweilig, wird hier gerade mit Hingabe Ori and the Blind Forest gezockt und wie mir die Kreditkarte und Steam mitgeteilt haben, sind wir inzwischen auch Besitzer von Teil 2.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Spiele auch meine Steambibliothek durch. Muss mich wegen ner anderen Erkrankung vom Rest des Landes isolieren.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Und was ein Skandal ist, warum gibt es noch keinen Corona Sale bei Steam?

        Und gute Besserung!

        • 8G
          83379 (Profil gelöscht)
          @Sven Günther:

          Absolut, andererseits sollen die lieben Leute die da arbeiten auch besser daheim bleiben als einen Sale zu organisieren. Und Danke geht schon besser eine Woche noch dann ist das gröbste rum.

  • Die berechtigte Angst vor der momentan schwer einschätzbaren, jedoch, wenn man die Briefe der Ärzt*innen aus Norditalien auf sich wirken lässt, wahrscheinlich für nicht Wenige lebensbedrohliche Virusinfektion, als "Phobie" zu bezeichnen, und dann umgehend dies in Analogie mit Xenophobie zu setzen, ist leider wieder einmal ein unerträgliches Beispiel der Begriffsschlampigkeit, die leider auch in der taz immer häufiger wird. Schade. Werden die Beiträge nicht mehr redigiert?

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @Ignaz Wrobel:

      Wenn schon dann Xenolasie Xenophobie ist nur Angst vor Fremdem.



      Ersteres ist Fremdenfeindlichkeit.

  • Meine Frage wäre: Droht uns eigentlich ein Blackout wenn ganz Europa zuhause vor PC, TV mit Licht, etc. sitzt?

  • also...

    ich sage es mal so:

    als die aids-phobie aufkam -die problematik als solche, die vorstellung jeder sei potentiell ein gefährder-, dauerte es mindestens jahre, bis die gesellschaft wieder auf kurs kam und sich untereinander vertraute.

    gleiches erwartet uns jetzt.

  • Mindestens zwei Statistiken werden am Jahresende eine deutliche Steigerungsrate aufweisen:

    1. Häusliche Gewalt

    2. Geburtenzahlen

    Mit zwei identischen Ursachen:

    Langeweile und kein/e Fußball/Sportschau

    • @Drabiniok Dieter:

      Und eine Zahl wird sich signifikant verringern: die der Menschen mit Übergewicht.

      • @boidsen:

        Genau das glaub ich nicht. Wer nicht mal mehr morgens zum Bus sprinten muss, hat schon ordentlich Bewegungsmangel. Kann man mit Kaubewegungen teilweise kompensieren.

  • In ein paar Tagen spätestens dürften sowohl die Verharmloser, als auch die Panikmacher verstummt sein...

  • Dass die Clubs geschlossen wurde, ist jedenfalls positiv zu bewerten. Nun können sich auch gesund gebliebene Werktätige abends ausruhen und einen verdient ruhevollen Feierabend und ein Wochenende im Kreis der Familie oder der Parteigenossinnen genießen. Viel wichtiger ist doch, wie der Kampf gegen den Klimawandel und für eine sozial gerechte Gesellschaftsordnung weitergeht.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    "Aber Einsamkeit – das kann ich aus eigener Erfahrung sagen – macht schrullig."



    schrulligkeit macht einsam.

  • Alls völlig korrekt, aber das ist halt ein Notfall. Man kann das durchaus mit einem Krieg vergleichen, nur halt gegen ein Virus. Das wird Traumatisierte hinterlassen und so manche Normalität wird sich nur sehr langsam oder nie wieder ungetrübt einstellen. Übrigens ähnlich wie bei AIDS/HIV: Die Unbekümmertheit beim Sex in der Zeit zwischen der Pille und HIV war schnell vorbei.

    Ein Riesenglück ist allerdings das Internet samt Smartphones etc., das macht die soziale Distanz ein wenig erträglicher.

    Aber das ist alles auch eine Frage der Framings, wie es so schön heißt: Vier Wochen Urlaub auf Balkonien. Spazierengehen geht auch noch, mit Abstand. Lesen, Filme und Serien sehen, Yoga. Hobbies pflegen. Einen Roman schreiben. Eine Trickfilm drehen. Mal vier Wochen Egoismuspause machen.

    Wenn das alles wieder vorbei ist, wird es noch genug zu tun geben. Und vielleicht brauchen wir mal eine Pause und eine Neubewertung vieler Dinge. Die Luft wird sicher besser werden. Vielleicht hilft ein gemeinsamer Feind auch beim Sehen von Gemeinsamkeiten in der Gesellschaft und zwischen Ländern. Und ähnlich wie bei der Klimafrage ist diese Pandemie eine sehr deutliche Lektion, dass frühes und sinnvolles Handeln einem viel Ärger erspart bzw. erspart hätte.

    • @Mustardman:

      Telekommunikation ist erstens nicht einmal ansatzweise ein Ersatz für soziale Kontakte, denn Menschen sind Rudeltiere und Rudeltiere MÜSSEN sich riechen, fühlen, spüren, Auge in Auge gegenübersitzen. Außerdem ist bei der Dynamik der Entwicklung kaum absehbar, ob es demnächst noch das Internet oder überhaupt eine funktionierende Stromversorgung geben wird. All das bindet enorm viele Arbeitskräfte, die evtl. sehr bald anderswo gebraucht werden. Schneller als wir uns heute ausmalen können, könnte es darauf ankommen, wer eine Kuh von Hand melken, Kartoffeln anbauen oder Pferde anspannen und führen kann...



      Wir erleben gerade, wie extrem fragil unsere hochtechnisierte Gesellschaft ist.

      • @boidsen:

        "Außerdem ist bei der Dynamik der Entwicklung kaum absehbar, ob es demnächst noch das Internet oder überhaupt eine funktionierende Stromversorgung geben wird."



        Sowohl Stromversorgung als auch Telekommunikation sind Teil der kritische Infrastruktur. Für diese gibt es detailierte Notfallpläne die dafür sorgen werden, dass sie auch noch funktioniert, wenn vieles andere es nicht mehr wie gewohnt tut. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es absolut keine Begründung, etwas anderes anzunehmen. Außer Panikmache.

      • @boidsen:

        Vielleicht könnte ich die Kuh melken - Strip strap stroll, bald ist der Eimer voll. Bloß gibt's hier weit und breit keine Kuh.



        Autos kann man nicht melken (davon gibt's sehr genug), ist ja eh so, dass die Auto(Fahrer) die Gesellschaft melken.