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Debatte um VerschleierungSehen und sehen lassen

Alexander Diehl
Essay von Alexander Diehl

Der Frauenfeind, das sind immer die anderen: Was steckt hinter der Aufregung übers ach so fremde Kleidungsstück?

Nicht flach und doch Projektonsfläche für allerlei: Tuch um Schülerinnenkopf Foto: Bernd Thissen/dpa

T reffen sich zwei Frauen. Die eine sagt, die andere sei weniger frei, als sie es sein könnte, ja: müsste. Denn diese Zweite trägt ein Kleidungsstück, das eigentlich nicht nötig ist; eines, das vielmehr den Ansprüchen anderer genügen will, denen von Männern – und glaubt auch noch, sie tut das freiwillig. Klarer Fall von Unterdrückung, weiß aber die andere: Unterdrückung, der sich die Unterdrückte naturgemäß gar nicht bewusst sein kann.

Klarer Fall? Und wenn sich dieses Gespräch gar nicht dreht um die so eindeutig als „fremd“ lesbaren, erkennbar anderen „Kulturkreisen“ entstammenden Gesichtsschleier Burka oder Nikab? Nehmen wir an, das heikle Kleidungsstück sei der Büstenhalter – und es unterhielten sich zwei Angehörige unterschiedlicher Generationen von Feminismus. Das textile Joch abzulehnen (und abzulegen), das wäre für die eine dann folgerichtig, sogar zwingend; die andere fände es hingegen übertrieben.

Zugegeben: Klingt nach Whataboutism, dieser insbesondere online so beliebten Ablenkungsrhetorik – „Du wirst auf ein schlimmes X angesprochen? Aber war denn Y nicht mindestens so schlimm?“. Aber die Zutaten lassen sich ja doch dingfest machen, schon in den Diskussionen ums Kopftuch, und erst recht, wenn es um die noch extremeren Verhüllungsvarianten geht. Soll doch die individuelle Burkaträgerin erklären, sie fühle keinen Zwang und werde nicht erniedrigt: Das überzeugt doch keine*n Kritiker*in.

Es ist, pardon, ein Kreuz mit der Verschleierung. Das dahinter stehende Menschen-, besser: Manns-Bild – zum Heulen (außer dass genau die Männer, die es anginge, sich das ja selten erlauben). Weil die beteiligten Typen sich untenrum nicht beherrschen können könnten, müssen die Objekte der potenziell überbordenden Begierde sich verhüllen? Nein, das kann ganz sicher nicht zu uns gehören.

Projektionsfläche Frau

Bloß: Wer sich allzu behaglich zurücklehnt, sich ausruht auf der eigenen, all den Bronzezeitscheiß hinter sich lassenden Fortschrittlichkeit, der liegt auch daneben. Nicht nur ist solches Projizieren von Verantwortung auf die Frau keine exklusive Eigenschaft des Islams. Dass Frauen Leiber haben und die ein Problem darstellen, angeblich: Das haben sie sich in den anderen sogenannten abrahamitischen Religionen ja nun mindestens so sehr erzählt (und tun es noch).

Wie viele derer, die, wo’s passt, weibliche Autonomie vor muselmännlicher Tyrannei beschützen zu wollen vorgeben: Wie viele von denen erlauben denselben Frauen nicht, eine Schwangerschaft abzubrechen? Wie sehr geht es säkularen Frauenfreunden darum, selbst zu kontrollieren – ehe es der ach so andere macht?

Historisch gesehen ist der verschleierte Frauenkörper viel weniger eindeutig eine Sache der Religion, dafür sehr wohl eine der Markierung von Einflusssphäre, von Kontrolle. Ausdrücklich die Abwehr dessen, was damals von Konstantinopel aus als „westliche Einflüsse“ verstanden werden konnte, spielten mit, als im späten 19. Jahrhundert unter Sultan Abdülhamid II. der bis heute anzutreffende Nikab Einzug hielt. Kaum war der Sultan weg vom Posten, 1908, wurden auch die Tücher erst mal wieder weniger.

Und heute? Gehen Expert*innen wie die Gender-Studies-Professorin Anna Mansson McGinty davon aus, dass der Schleier wichtig ist insbesondere für Frauen, die sich selbst für den muslimischen Glauben entscheiden; demnach markiert er – vielleicht eher unterstellte als eindeutig gegebene – spezifisch islamische Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und Sittsamkeit.

Für so richtig Aufgeklärte ist freilich die Konversion nur die besonders krasse Ausprägung eines größeren Problems, das Glauben heißt. Warum aber ist, was diese Leute für Religionskritik halten, mitunter so gar nicht zu unterscheiden von der Gängelung derer, die einer – und oft nur einer bestimmten – Religion anhängen?

Nicht von ungefähr hat der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, der katholische Theologe Heiner Bielefeldt, im April 2015 das da recht frische Burkaverbot in Frankreich kritisiert: Es behandele die Trägerin „als Opfer und zugleich als Störerin“. Auch hat er gerade die Religionsfreiheit als „säkulares Menschenrecht“ bezeichnet, und aus dieser Paradoxie gibt es, scheint es, keine leichten Auswege. „Ich bin gegen die Burka“, hat Bielefeldt das auch noch formuliert, „und gegen ein Burkaverbot.“

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Alexander Diehl
Redakteur taz nord
Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.
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13 Kommentare

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  • Es ist schon erstaunlich, wie um das Wesentliche herumgeredet wird.



    Es geht schlich und einfach darum, dass Frauen nicht gewillt sind, um des gesellschaftlichen Friedens willen den Hijab (Kopftuch, Nikab, Burka) in bestimmten Situationen und bestimmten Bereichen abzulegen, weil Gott es so will. Dabei werden über 200 Jahre Aufklärung in der Diskussion geflissentlich ignoriert. Das hat wenig mit einer offen Gesellschaft zu tun, die doch so gerne gepriesen wird.



    Das ist ein erschreckender Punkt in der ganzen Angelegenheit.

  • Die Formel am Schluss gefällt mir sehr gut: "Ich bin gegen die Burka und gegen ein Burkaverbot." Es braucht Überzeugungsarbeit und Hilfs- und Bildungsangebote für die betroffenen Frauen. Verbote bewirken oft das Gegenteil von dem, was erreicht werden soll.

    Der Autor nennt ja auch das Beispiel der Abtreibungsdebatte. Auch hier ist so eine Formel sehr angebracht: "Ich bin gegen Abtreibung und gegen ein Abtreibungsverbot", könnte ich so sofort unterschreiben. Konkret Frauen helfen und unterstützen hilft auch hier tausendmal mehr als Kriminalisierung.

  • Dass das Verbot von Gesichtsschleiern und anderen Verhüllungsmitteln nicht gegen die Menschenrechte verstößt, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bereits geklärt:

    2017 Belcacemi und Oussar; Dakir gegen Belgien, Verbot der Vollverschleierung in der



    Öffentlichkeit. Religionsfreiheit nicht verletzt. (EGMR Nrn. 37798/13 und 4619/12).

    2017 Osmanoğlu und Kocabaş gegen Schweiz, Nichterteilung einer Dispensation für den



    gemischtgeschlechtlichen Schwimmunterricht an der öffentlichen Schule aus



    religiösen Gründen. Religionsfreiheit nicht verletzt. (EGMR Nr. 29086/12).

    2014 S.A.S. gegen Frankreich Verbot der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit.



    Religionsfreiheit nicht verletzt (EGMR Nr. 43835/11), Grande Chambre.

    2008 Dogru und Kervanci gegen Frankreich, Ausschluss von Schülerinnen aus der Schule aufgrund der Missachtung des Kopftuchverbots während des Sportunterrichts. Religionsfreiheit nicht verletzt. (EGMR Nrn. 27058/05 und 31645/04).

    2006 Köse und 93 andere gegen Türkei, Kopftuch-Trageverbot gegenüber Schülerinnen an einer öffentlichen Schule.Beschwerde unzulässig. (EGMR Nr. 26625/02).

    2006 Kurtulmus gegen Türkei Kopftuch-Trageverbot gegenüber einer Universitätsprofessorin.



    Beschwerde unzulässig. (EGMR Nr. 65500/01).

    2005 Sahin gegen Türkei Kopftuch-Trageverbot gegenüber Studentinnen an türkischen Universitäten. Religionsfreiheit nicht verletzt. (EGMR Nr. 44774/98), Grande Chambre.

    2001 Dahlab gegen Schweiz, Kopftuch-Trageverbot gegenüber einer Lehrerin an einer öffentlichen Schule. Beschwerde unzulässig. (EGMR Nr. 42393/98).

  • Dann mal ein paar Fakten:

    der Niqab ist nur in einem kleinen Teil der muslimischen Gesellschaften traditionelles Kleidungsstück. Sehr wohl aber ist er überall auf der Welt in salafistischen und extremistischen Strömungen des Islams nicht selten anzutreffen. Er ist schlicht und einfach nicht bloß Zeugnis des individuellen Glaubens, sondern einer ganz bestimmten Glaubensrichtung, die überdies fast immer auch politisch ist und reaktionäre und frauenfeindliche Positionen vertritt. Das wird auch in den muslimischen Gesellschaften, in denen er keine Tradition hat - also den weitaus meisten - genau so verstanden. Unter anderem deswegen ist er zB in Marokko komplett verboten.Ein Niqab kann genausowenig neutral sein wie Thor-Steinar-Klamotten. Die kann man zwar auch nicht verbieten, aber sie zeigen nun einmal auch eine Geisteshaltung, die mit dem Selbstbild einer Universität in der Regel nicht vereinbar ist.

    • @Suryo:

      was genau ist denn das selbstbild einer universität?

      • @christine rölke-sommer:

        Mit Sicherheit hat es eher etwas mit Aufklärung zu tun als mit reaktionärster religiöser Dogmatik.

        Wenn es völlig okay ist, die Träger bestimmter rechtsextremer Kleidermarken zumindest sozial auszugrenzen (wie viele Stundenten tragen wohl sowas an der Uni?), warum dann nicht auch die Trägerinnen extremer religiös-politischer “Marken”?

        • @Suryo:

          was Ihr "mit Sicherheit..." angeht, wäre ich mir nicht so sicher. schließlich wurde die älteste uni der welt - Al-Qarawiyyin in Fes - von einer muslima gegründet.

          • @christine rölke-sommer:

            Es geht hier um heutige, moderne, europäische Universitäten. Die ja vielleicht nicht ganz ohne Grund heutzutage ein kleines bisschen bedeutender sind als die in der islamischen Welt, nachdem Al Ghazalis Lehre jedes Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis vernichtet hat.

             

            Kommentar gekürzt. Bitte bleiben Sie sachlich.

            Die Moderation

            • @Suryo:

              wenn ich's richtig erinnere, is al ghzali nu auch schon ne kleine weile tot - die uni in Fes hingegen gips immer noch. könnte also sein, dass ihm nicht gelungen ist, das "Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis" zu vernichten.



              das zum einen.



              zum anderen wüßte ich gern, wie es sich mit "wissenschaftlicher Erkenntnis" verträgt, frau unter burka/niqab von selbiger auszuschließen. das gips ja nich ma inne muslimische welt!

              • @christine rölke-sommer:

                Im übrigen ist ein niqab an der Uni in Fes verboten. Wie überall in Marokko, weil er nämlich klar als extremistisch betrachtet wird. Wissen ausgerechnet wir es besser?

              • @christine rölke-sommer:

                Klären wir doch mal, wo wir beide stehen. Ich halte den Niqab für keineswegs politisch neutral und für ein Kleidungsstück, dessen Prämissen zutiefst reaktionär und unaufgeklärt sind. Was denken Sie?

                • @Suryo:

                  ich denke, dass niqab+burka+so etwas älter sind als das, was wir heute politischen islam nennen. es fehlt uns allerdings so etwas wie eine kulturgeschichte dieser kleidungsstücke. hätten wir die, wären wir mit einordnungen wie Ihr " zutiefst reaktionär und unaufgeklärt" vielleicht etwas vorsichtiger.



                  was marokko angeht: ich verstehe, dass der king bestimmte politische strömungen nicht goutiert, halte das niqab-verbot aber dennoch für dusslig - und untauglich.

    • @Suryo:

      Würde ich auch so sehen. Gleichzeitig mache ich mir aber auch zu eigen, was der Theologe Bielefeldt sagt:

      „Ich bin gegen die Burka und gegen ein Burkaverbot.“

      Natürlich demonstriert eine Burka-Trägerin, dass sie mit unserer Gesellschaft nichts zu tun haben will.



      Na schön, ich will auch nichts mit ihr zu tun haben.

      Es sind ja nur sehr wenige Frauen, die das Teil tragen, bzw. tragen wollen.

      Was mir mehr Sorge macht, ist der religiöse Roll Back in den vergangenen Jahren insgesamt. Also auch die massive Zunahme der Kopftücher.

      Hurra, wir werden religiös, das ist ja keine gute Nachricht.