Forderungen nach dem Anschlag von Halle: Politik reagiert auf Terrortat
Nach dem antisemitischen Anschlag in Halle fordert die Politik mehr Härte gegen Online-Hetzer, Überwachung und Verbote. Auch Gamer sind im Fokus.
Am Mittwoch hatte der Rechtsextremist Stephan B. versucht, schwer bewaffnet die jüdische Synagoge in Halle zu stürmen. Als dies misslang, erschoss er eine Passantin und später einen Mann in einem Dönerimbiss. Seine Tat übertrag er live ins Internet. Der 27-Jährige wurde schließlich festgenommen und gestand die Tat.
Die Behörden beteuerten hinter den verschlossenen Türen der Ausschüsse laut Teilnehmern erneut, dass Stephan B. bisher nicht nicht auffällig war. Dass sie den Attentäter nicht auf dem Schirm hatten, wird für sie nun aber auch zum Problem: Denn B. war politisch ja durchaus aktiv – offensichtlich als Teil einer rechtsextremen Onlinekultur, auf sogenannten Imageboards. Die Forderungen, welche die Politik nun erhebt, haben damit zu tun – aber nicht nur.
Vorgehen gegen Online-/Gamer-Plattformen
Bundesinnenminister Horst Seehofer kündigte an, die Gamer-Szene „stärker in den Blick zu nehmen“. Nach prompter Kritik präzisierte der CSU-Mann: Nicht alle Gamer seien das Problem, aber ihre Plattformen würden von Rechtsextremisten „als Bühne für ihre rechtswidrigen Inhalte missbraucht“. Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster ging weiter: „Braucht die Menschheit ein Spiel, wo es darum geht, Punkte zu sammeln, wenn man möglichst viele Menschen tötet? Ich glaube, diese Frage darf man stellen.“
Opposition und SPD hielten dagegen. „Das Problem heißt Rechtsextremismus, nicht Gamer oder sonst was“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Auch CSU-Verkehrsminister Markus Scheuer warnte vor „Pauschalurteilen“.
Tatsächlich werden auf einigen Online- und Gaming-Plattformen auch Rechtsterroristen gefeiert. Auf einem postete auch Stephan B. vor seiner Tat seinen Anschlagsplan, auf dem Streamingdienst Twitch übertrug er den Angriff live. Die Behörden reagierten auf diese Szene spät. Denn schon der NSU-Terrorist Uwe Mundlos soll über Teamspeak kommuniziert haben, das Gamer für ihre Chats nutzen. Und auch David S., der 2016 in München neun Migranten erschoss, bewegte sich auf Spieleplattformen wie Steam, seine Waffe bezog er über das Darknet.
Der Verfassungsschutz sprach zuletzt von mehreren hundert Internetprofilen der rechtsextremen Szene, die man im Blick habe. Die Zahl der Kanäle und deren Fluktuation sei aber hoch. Es sei unmöglich, alles im Blick zu haben. Der CDU-Vorstand beschloss am Montag ein Maßnahmenpaket, in dem nun der Einsatz von Software zur Analyse von „big data“ gefordert wird – eine Art digitale Rasterfahndung. Damit könnte das Netz nach bestimmten Stichworten oder IP-Adressen durchsucht werden.
Der Verfassungsschutz will zudem, laut einem internen Papier, demnächst ein „digitales Lagebild“ erstellen. Relevante Plattformen sollen dafür systemisch ausgewertet, und mit einem „Zielpersonen-Monitoring“ soll auch gezielt nach Radikalisierungen einzelner Nutzer Ausschau gehalten werden. Auch das Bundeskriminalamt kündigte den Aufbau einer „nationalen Zentralstelle“ an, um die Verfasser von Hasspostings zu identifizieren und zu verfolgen. Diese Maßnahmen wurden indes bereits nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke angeschoben – bei dem die Behörden den Täter ebenfalls nicht auf dem Schirm hatten.
Vorgehen gegen Hasspostings
Hier sind sich Seehofer und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) einig: Hasspostings auf Internetportalen müssten konsequenter bestraft werden. Bei Hetzbeiträgen sollten Provider verpflichtet werden, die IP-Adressen der Nutzer an das Bundeskriminalamt übermitteln, so Seehofer. Auch sollten Strafen für Hasspostings verschärft werden.
Geschehen müsste dies über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem Betreiber wie Facebook verpflichtet werden, Hasspostings zu entfernen. Aber: Online-Gaming-Portale sind von der Koalition, anders als anfänglich geplant, davon gar nicht umfasst. Nun solle das Gesetz erweitert werden, heißt es im CDU-Papier.
Mehr Überwachung durch den Verfassungsschutz
Der Vorschlag liegt schon lange auf dem Tisch: Der Verfassungsschutz soll verschlüsselte Nachrichten von Messengerdiensten wie Whatsapp mitlesen dürfen. Zudem soll dem Amt erlaubt werden, Online-Durchsuchungen auf PCs durchzuführen. Gleiches soll auch für die Bundespolizei gelten. Über einen solchen Gesetzentwurf streitet das Innenministerium seit Monaten mit dem Justizministerium. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) bekräftigte am Montag, die Behörden dürften im Digitalen „nicht blind und taub sein“. Aber: Stephan B. hätten diese überhaupt erst mal im Blick haben müssen, um ihn zu überwachen – was ja nicht der Fall war.
Die CDU fordert zudem die Rückkehr der Vorratsdatenspeicherung. Telefon- und Internetfirmen müssten dann speichern, wann und mit wem Kunden kommunizierten. Der Europäische Gerichtshof hält die Speicherung aber für unverhältnismäßig. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber warnte davor, nun „pauschal die anlasslose und automatisierte Auswertung von Kommunikation zu ermöglichen“. Dies wäre ein tiefer Einschnitt in die Grundrechte auch von unbescholtenen Bürgern.
Verbote
Schon nach dem Lübcke-Mord kündigte Seehofer Verbote von rechtsextremen Gruppen an, namentlich etwa Combat18. Dies bekräftigt er nun: Derzeit liefen sechs Verbotsprüfungen.
SPD-Politiker forderten nun auch ein Verbot der Identitären – welche die geistigen Brandstifter für die Tat seien. Ein direkter Bezug von Stephan B. zu den Gruppen ist bisher nicht bekannt. Allerdings wetterte auch B. in seinem Tatvideo gegen „Masseneinwanderung“ – das Leitthema der Identitären.
Auch die AfD steht im Fokus: Mehrere Innenpolitiker forderten, die Partei komplett unter Beobachtung zu stellen. Bislang prüft der Verfassungsschutz nur eine Beobachtung des rechtsextremen „Flügels“ in der Partei. Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte die AfD als „politischen Arm des Rechtsradikalismus“ bezeichnet. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak warf der Partei am Montag das Schüren von Hass vor.
Schutz jüdischer Einrichtungen
Schon direkt nach der Tat beschloss Sachsen-Anhalt, künftig alle Synagogen im Land rund um die Uhr durch Polizisten zu beschützen. Inzwischen gilt das auch für Moscheen. Seehofer will zudem Synagogen bundesweit baulich besser schützen.
Bei dem Anschlag in Halle war die Synagoge nicht von Polizisten geschützt. Die Gemeinde hatte kritisiert, dass ihr trotz Anfragen Schutz verwehrt wurde. Stahlknecht sagte, er könne nachweisen, dass man keine Bitte ausgeschlagen habe. Man sei im Gespräch mit der Gemeinde.
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