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Verzweifelte KonservativeDer Zukunft abgewandt

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Weil ihnen die Deutungshoheit über Zukunftsthemen abhandenkommt, versuchen führende Unionspolitiker die Grünen zu diskretitieren. Mitleiderregend!

Markus Söder (CSU) über die Grünen: auf dem Deutschlandtag der Jungen Union am 12. Oktober Foto: Harald Tittel/dpa

D er deutsche Konservatismus gibt im Moment ein jämmerliches Bild ab. Stellte Franz Josef Strauß seinerzeit fest, konservativ sein heiße, „an der Spitze des Fortschritts“ zu marschieren, vergraben sich seine Parteifreunde heute tief im vergangenen Jahrhundert. Der klimapolitischen Herausforderung begegnen führende Unionspolitiker mit einer Ignoranz, die an Realitätsverweigerung grenzt.

Ein aktuelles Beispiel liefert CSU-Chef Markus Söder in einem Spiegel-Interview, in dem er sich in bester Rote-Socken-Manier an den Grünen abarbeitet. Jene, tönt Söder, forderten „ein sofortiges Heizungsverbot“, Fleisch- und Flugverbote und wollten 5 Euro pro Liter Benzin. Nichts davon ist wahr. Die Grünen möchten den Einbau neuer Ölheizungen unterbinden, alle alten dürften natürlich weiter betrieben werden. Eine CO2-Steuer von 40 Euro pro Tonne, die die Grünen vorschlagen, würde den Sprit nur im Cent-Bereich verteuern. Und Robert Habeck käme nicht mal im Traum darauf, den Deutschen ihr Schnitzel verbieten zu wollen.

Söder lügt also wissentlich, um politische Wettbewerber zu diffamieren. So, wie es auch Donald Trump tut. Überhaupt liegt Söder die Show mehr als reales Handeln. Der CSUler präsentierte sich noch im Sommer als ergrünter Staatsmann, der Plastiktüten verbieten und Klimaschutz im Grundgesetz verankern wollte. Und die Realität? Es war Söders CSU, die in der Großen Koalition Bemühungen hintertrieb, das dürftige Klima­paket engagierter zu gestalten.

Auch der CDU-Nachwuchs richtet sich gedanklich im Mief der 50er ein. Generalsekretär Paul Ziemiak wirft den Grünen vor, einen anderen Staat schaffen zu wollen. Einer wie Habeck, „der Vaterlandsliebe nicht kennt“, solle nie Verantwortung für das Land bekommen. Nun: Der Grünen-Chef war fünf Jahre lang Minister in Schleswig-Holstein, er trug also recht viel Verantwortung, zumindest wenn man Ziemiaks Wirken als Messlatte nimmt. Habeck schrieb zudem ein ganzes Buch über linken Patriotismus, der nötig sei. Man kann das mögen oder nicht, zur Kenntnis nehmen sollte man es aber schon.

Die Unions-Angriffe sind Ausdruck zunehmender Verzweiflung. Konservative glaubten lange, die Deutungshoheit zu haben, etwa in der Wirtschaftspolitik. Weil große Teile der Gesellschaft inzwischen Klimaschutz als wichtigste Frage des 21. Jahrhunderts sehen, verliert die Union den Anschluss. Den Grünen traut eine liberal-progressive Mitte adäquate Lösungen zu. Diesem Trend zu begegnen, indem man den Ökos die Vaterlandsliebe abspricht, ist so dürftig, dass es fast Mitleid erregt.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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27 Kommentare

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  • Hase & Igel: dem LindnerChristian sein US-ghostwriter hatte den schupadollen Slogan vom "Schnitzelverbot" (nehmt dies Kabarettisten, der klaut bei euch) früher als Söder. Und es war ja auch 1A Erfolgreich: die FDP bei knapp 5%. Und überall sonst gefühlte 25%... na ja. Der nächste Hitzeterrorsommer und GroKo schwarze0-Nichtstun ist mächtiger als jedes Angstklischee. So ein Pech. Na, erst mal 1 Schluck Glyphosat auf den Schreck.

  • Den Grünen sollte langsam klar werden, daß es soviel grüne Politik wie mit Merkel (AKW-Ausstieg, Ehe für alle, Migration) auf lange, lange Zeit nicht mehr geben wird - und der CDU/CSU auch.

    Die Kopfschmerzen über das Klarwerden dürften bei CDU/CSU bedeutend größer sein.

  • Herr Fissner, auch ich bin der Meinung, dass der Benzinpreis und der vom Diesel sowieso viel zu niedrig ist. Wenn das Autofahren für den Durchschnittsbürger dann nur noch mehr in Ausnahmefällen möglich ist und diese dann als naheliegende Handlung ihre Autos verkaufen, werde ich und andere nicht Notleidende endlich den ihnen zustehenden Parkplatz bekommen und die freie Fahrt auf allen Strassen geniesen können. Halt ganz so, wie es in den kommunistischen Staaten auch gang und gäbe war und ist! Der Bürger wird es mit all den damit verbundenen Nachteilen zu schätzen wissen.

  • Wer glaubt, dass mit ein paar zehnmtausenden Migranten zusätzlich jedes Jahr das Umweltproblem auch nur im Ansatz zu lösen ist, hat nichts begriffen.



    Alleine der Wohnungsbau, mit den immensen energieaufwendigen Arbeiten und Herstellungsmethoden, Zement, Fliesen, Ziegel, Kies, muss Alles gefördert, bearbeitet, gebrannt werden, tausende von Transportkilometern sind nötig, auch die Möbel wachsen nicht fertig auf den Bäumen, was scheinbar vielen Grünen-Anhängern nicht klar ist.



    Man soll sich nichts vormachen: SOO gehts nicht!

  • Die 40 Cent pro Liter, die die Grünen als selbst erklärte „Sofortmaßnahme“ wollen, können natürlich nur der Anfang sein und müssen deutlich erhöht werden.

    Söder hat da schon irgendwie recht, wenn er langfristige Zahlen nenn oder in den Raum stellt, auch wenn wohl Gegenwehr dahintersteckt.

    Es ist wichtig, zu benennen worauf es hinauflaufen muss. Wer denkt das wir mit ein paar Cent die Klimakurve schaffen, hat das Problem nicht verstanden.

    • @Rudolf Fissner:

      Haben Sie Leseschwierigkeiten oder wollten Sie nur auch ein wenig södern?

      40€ pro Tonne CO2 , was den Forderungen aus der Wissenschaft entspricht.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Hessisches Fragewort mit zwei Buchstaben: Hä?

    Mehr vielleicht morgen. Jetzt gibt es erst einmal andere Präferenzen. Jaaaaaa ...

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Als Erwiderung an

      @ Normalo.

  • Hat Söder die taz auch als inoffizielles Parteiorgan der Grünen Partei bezeichnet? In diesem Fall hätte er nämlich Recht.

  • „Der deutsche Konservatismus gibt im Moment ein jämmerliches Bild ab.“

    Hallo, Herr Schulte, nun tun sie mal nicht schon wieder so, als ob das jemals anders war.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Rainer B.:

      Für jeden nicht-konservativen Menschen ist dies doch ein sprudelnder Quell der Hoffnung.

      Lange Jahre haben die Schwarzen doch nur von der Unfähigkeit und Zerstrittenheit ihrer politischen Gegner in Einheit mit der Glückgöttin Fortuna profitiert.

      Schön, dass sich Fortuna abgewandt hat.

      Bei Berichten über den Parteitag der JU musste ich mir Pampers anlegen. ;-)

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Herr B. hat natürlich vollkommen recht, Herr Leiberg:

        Konservative von der Union waren immer schon bigotte Spießer, die hilflos gegen den Fortschritt anruderten - zumindest aus der unfehlbaren Sicht ihrer politischen Gegner. (Ebenso verknöcherte Linke dagegen sind natürlich weiter Ausbünde an Kreativität...) Deshalb kann man auch - nachdem diese Knochen nun von gut 60 Jahren Bundesrepublik grob geschätzt 40 das Kanzleramt besetzt haben - niemals nicht etwas anderes als Glück und die momentane Unfähigkeit ihrer Gegner als Rechtfertigung anführen, um den doch nicht so völlig desolaten Zustand des Landes und seiner Bürger zu erklären...

        Was man übrigens auch nicht vergessen sollte: Die Zeit dieser verzweifelten Bewegungsverweigerer ist bereits seit dem Amtsantritt Kiesingers endgütlig abgelaufen. Das war zumindest damals allen Linken in Deutschland sonnenklar und muss ergo stimmen. Denn die wussten WIRKLICH Alles am Besten von allen. Was Sie heute beobachten, können folglich nur Phantomschmerzen eines längst abgeschlagenen, überflüssigen Gliedmaßes der Demokratie sein. In Wahrheit gibt's den Söder gar nicht. Der ist nur ein gespenstischer Nachhall vom Strauß.

        Fazit: Sage weiter tot, wessen Existenz (und Rückhalt bei den Wählern) Du nicht erklären kannst. Das bringt Dich zwar keinen Schritt näher an die Realität der Demokrateie, aber wer braucht diese Nähe schon, wenn er genug Ideale hat... ;-)

        • 8G
          80576 (Profil gelöscht)
          @Normalo:

          Like it. :-)

        • @Normalo:

          Sorry, Zahlenrdreher, es sind natürlich ca. 50 von 70 Jahren...

  • Pffft. Das berühmte Pfeifen im Walde. Obs nun eine Krise des Konservatismus oder doch eher eine Krise der etablierten Parteien ist, sei mal dahinhgestellt. Die Parteien, die es bislang nicht geschafft haben sich neu zu definieren und ein glaubwürdiges Konzept für die Probleme der Zukunft zu entwickeln, befinden sich im freien Fall. Fest steht, der CDU/CSU geht gehörig die Muffe, man könnte genauso abschmieren wie die SPD. Hat man allerspätestens im Umgang mit diesem Rezo Video gesehen. Unsouverän, panisch, peinlich, aus der Zeit. Schaut man sich die Wahlergebnisse nach Altersstruktur an, hat die Union die Jugend, die Zukunft so gut wie verloren. Erst hat man erfolglos versucht am rechten Rand zu fischen, jetzt versucht man sich billig und durchschaubar als der kompetentere Baumumarmer. Man schnallts einfach nicht, dass man nur noch reagiert. Die Zeit des ruhigen Verwaltens und der fetten Mehrheiten ist vorbei. Die Grünen sitzen mitlerweile in genauso vielen Landesregierungen wie die CDU. Wenn die Union die Kurve nicht kriegt, wird sie auf lange Sicht zwischen AfD und Grünen zerrieben werden.

  • Wegen zweier Äußerungen von Söder und Ziemiak eine Krise des Konservativismus ausrufen? Da scheint eher der Wunsch Vater des Gedankens zu sein.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Lockenkopf:

      Zwei Äußerungen? Ach, Loggeköppsche. Schon beim kleinen EinmalEins die Waffeln gestreckt?

      Sie haben sicherlich den selbstredenden Auftritt der Großen Vorsitzenden beim JU-Parteitag mitbekommen - oder?

      Jede Aussage ist erlaubt. Sofern sie ein Minimum an Wahrheit enthält.

      Darum geht es im Kern - und um nichts Anderes. Habe fertig.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Im obigen Artikel werden nun mal (nur) zwei Äußerungen als Beleg für die steile These des Autors herangezogen. Zudem könnte man wohl täglich eine Krise irgendeiner politischen Richtung ausrufen, wenn man den strengen Maßstab des Autors an alle Äußerungen führender Politiker anlegen würde. Ein bisschen Polemik gehört nun mal zum Politikgeschäft dazu, und zwar auf allen Seiten.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Lockenkopf:

          Sie haben - wie so oft - recht: eine Krise des Konservativismus kann es gar nicht geben. Weil es dazu erst einmal einmal einen solchen geben müsste.

          Im Vergleich zu den Sozen sind die CDU/CSU lediglich die Partei, die weniger dramatisch vom Wahlvolk für Inhaltslosigkeit und Beliebigkeit abgestraft wird.

          Wenn ich mir die heutigen Parteien anschaue (wir hatten das Thema erst kürzlich) frage ich mich, wofür wir DIESE Parteien brauchen. Geld rauswerfen und nichts bringen können auch die meisten Anderen.

          Polemik gehört dazu. Wie wahr. Wer wollte Ihnen da widersprechen???

          Ein Hoch - tatatata - auf die SCHWARMDUMMHEIT, mein momentanes Lieblingsthema. Aber bitte: nichts darüber lesen. Könnte nur verwirren.

  • Konservatismus als politische Kraft ist - seit 1789 - der organisierte Versuch die Forderungen unterdrückter und exkludierter Teile der Gesellschaft nach Teilhabe und Gleichstellung abzuwehren. Mehr ist da nicht, mehr war da nie.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Der "Erfolg" von Konservativen und Konservatismus in Deutschland verdankt sich zwei Faktoren:

    erstens der "Gnade" von Momenten unverdienten historischen Glücks, für die sie selbst keinen Finger krumm gemacht haben,

    zweitens der argumentativen Schwäche ihrer/ seiner Gegner seit 1949.

    Für mich sind sie deshalb die Raub- und Glücksritter der Neuzeit.

    Genug. Vor Ort wartet ein einflußreicher Rechtsaußen der CDU Hessen auf eine angemessene verbale Breitseite ...

  • Ist das nicht der normale deutsche Umgang mit anderen Sichten auf und Zielen für die Gesellschaft?

    Auch bei "Links-Grün" findet man glaube ich leicht stimmen (auch in führenden Positionen), die die CSU als Dummköpfe sehen, die *total* abschotten wollen, das Klima *komplett leugnen*, rückwärtsgewandt national denken etc. etc.

    Soweit also alles normal.

    • 0G
      06137 (Profil gelöscht)
      @Markus Michaelis:

      Genau. Zur Illustration siehe Beitrag weiter unten. Es täte allgemein gut, zu einem respektvollen Diskussionsstil überzugehen. Gerade wenn man die Utopie verfolgt, die ganze Menschheit solle ihren Lebensstil ändern.

  • 9G
    99140 (Profil gelöscht)

    Da aber die Konservativen mit Regierungsmandat herrschen, solkte man sich sein Mitleid sparen und Konservative stattdessen uberall mit den im Artikel korrekt wiedergegebenen Sachverhalten konfrontieren. Gerne mit bzw. vor Publikum, da dergestalt eine Veranderung der Wahrnehmung bei politisch unbedarften Mitburgern aka Wählern zu erreichen ist. Und somit ein verändertes Wahlverhalten.

    • 0G
      06137 (Profil gelöscht)
      @99140 (Profil gelöscht):

      "Politisch unbedarfte Bürger" aka "Wähler" ? Mit solchen pauschalen Beleidigungen überzeugt man keinen.

      • 9G
        99140 (Profil gelöscht)
        @06137 (Profil gelöscht):

        Da mir die politisch unbedarften Wähler/ Mitbürger nicht alle namentlich sind - und ich den Verdacht hege, das deren umfängliche Nennung den hier zu Verfügung stehenden Platz sprengen würde - habe ich mir erlaubt eine rhetorisch lockere, doch hinlänglich bekannte Floskel zur Benennung zu nutzen. Das dies bei Ihnen zu einer Missinterpretation führte nehme ich erstaunt zu Kenntnis. Wer sich denn angesprochen fühlt, darf das Gefuhl behalten.

        • 0G
          06137 (Profil gelöscht)
          @99140 (Profil gelöscht):

          Sorry, nur zur Klärung: Was wäre denn die richtige Interpretation, wenn Wähler pauschal mit politisch unbedarften Bürgern gleichgesetzt werden (aka)?