piwik no script img

Kommentar Regierungskrise in WienZutiefst antidemokratisch

Sabine am Orde
Kommentar von Sabine am Orde

Sebastian Kurz' Vorhaben, die FPÖ in der Regierung zu zähmen, ist gescheitert. Derartige Koalitonen sind der Ausverkauf der eigenen Werte.

Rechtsextremen zuhören? Österreichs Kanzler Kurz (l.) und sein ehemaliger Vize Strache Foto: ap

6 lange Stunden brauchte der österreichische Kanzler Kurz, bis er am Samstagabend dann doch das einzig Richtige tat: Er beendete die Koalition mit der FPÖ und kündigte Neuwahlen an. Bedenklich aber, dass diese Entscheidung so lange dauerte. Heinz-Christian Strache, bis Samstag FPÖ-Chef und Vizekanzler, und sein Vertrauter Johann Gundenus hatten auf Ibiza auf eindrückliche Weise den Kern der FPÖ offenbart: mit illegalen Parteispenden mindestens liebäugelnd, zu Machtmissbrauch bereit, für Korruption und russischen Einfluss offen, dazu zutiefst antidemokratisch. Mit einer solchen Partei darf ein Kanzler, der von sich behauptet, konservativ zu sein, keine gemeinsame Sache machen.

Dass Kurz wohl aber dennoch erwog, die Koalition mit ausgetauschtem FPÖ-Personal fortzusetzen, zeigt, wie machtstrategisch getrieben er ist. Erst als ihm klar wurde, dass eine Fortführung des ohnehin von zahlreichen FPÖ-Affären gebeutelten Regierungsbündnisses auch seinem Ansehen und seiner politischen Karriere schaden würde, zog er die Reißleine. Nun muss er eingestehen: Sein Vorhaben, die FPÖ durch Regierungsbeteiligung zu zähmen, ist gescheitert.

Hätte es dafür noch eines Beweises bedurft, so lieferte Strache diesen bei seiner Rücktrittserklärung selbst: Er verharmloste sein über sechs Stunden andauerndes Fehlverhalten als „b'soffene Geschicht'“, kritisierte die Falle, in die er getappt war, als „gezieltes politisches Attentat“, gab etwas Verschwörungstheorie hinzu und griff die Medien an. Wirkliche Fehleranalyse bei sich selbst? Fehlanzeige. Schuld sind immer die anderen. Ein Muster, das man auch von der AfD kennt. Dazu passt auch, dass AfD-Chef Meuthen den Skandal als „singuläre Angelegenheit“ verharmloste.

Neuwahlen in Österreich

Nach dem Platzen der Koalition aus ÖVP und FPÖ sollen die Österreicher Anfang September ein neues Parlament wählen. Dies kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. (dpa)

Nun kann einem bei der perfekt geplanten und auf die Schwächen der beiden FPÖ-Männer abgestellten Falle durchaus unwohl werden. Auch wirft die große Zeitspanne zwischen der Aufnahme 2017 und der Veröffentlichung kurz vor der so wichtigen Europawahl Fragen auf, die man gern beantwortet hätte. Das alles aber mildert das Verhalten von Strache und seinem Gehilfen nicht: Für das Ausgeplauderte sind sie nun einmal ganz allein selbst verantwortlich.

Christdemokraten in Sachsen, Brandenburg und Berlin, die mit Entsetzen auf die Umfragewerte der AfD für die Landtagswahlen im Herbst starren, sollten sich die Geschehnisse in Österreich sehr genau anschauen. Das gilt auch für alle anderen europäischen Konservativen, die mit einer Koalition mit radikal Rechten liebäugeln. Der Preis dafür ist hoch: Es ist der Ausverkauf der eigenen Werte.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Sabine am Orde
Innenpolitik
Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.
Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • Aktuell denke ich, der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz ist aus dem selben Holz geschnitzt wie sein Koalitionspartner FPÖ.

  • "Nun kann einem bei der perfekt geplanten und auf die Schwächen der beiden FPÖ-Männer abgestellten Falle durchaus unwohl werden. Auch wirft die große Zeitspanne zwischen der Aufnahme 2017 und der Veröffentlichung kurz vor der so wichtigen Europawahl Fragen auf, die man gern beantwortet hätte."

    Das wäre jetzt die nächste Pflicht des Journalismus: Wer hat dieses Szenario gestaltet und warum wurde es bis jetzt zurück gehalten?



    Bei allem, es ist unredlich, solches Material zeitlich nach Gusto zu steuern und es für die Demokratie auch wichtig, dass auch diese Strippenzieher bekannt sind.

    • @J_CGN:

      Zurückgehalten haben es aber nicht SZ und Spiegel, sondern die Anbieter des Materials. Als es geprüft und als von Dritten für unverfälscht befunden worden war, wurde es veröffentlicht. Hätte man lieber noch eine Woche warten sollen, damit die Blauen hätten unbehelligt ins EU-Parlament einmarschieren können?

      Unterm Strich wünsche ich mir viel mehr solcherart investigativen und informativen Journalismus, statt des unhinterfragten Durchreichens von PR-Statements, das ihn in vielen Redaktionen ersetzt hat.

  • "Derartige Koalitonen sind der Ausverkauf der eigenen Werte."

    Herr Kurz hat keine Werte, die er verkaufen könnte.

  • Es wäre nun aber auch mehr als nur „wünschenswert“, wenn die Medien Ihren Job machen und sich nicht stattdessen wieder zum Steigbügelhalter einer Verharmlosung des Geschehenen selbst herabwürdigen. Denn die meisten Meldungen hierüber vielen verkürzt aus, nämlich ungefähr in der Weise: „Strache habe Regierungsaufträge gegen politische Unterstützung versprochen“. Chefredakteure die eine solche Verharmlosung durchgehen lassen, gehören vom Verleger gleich mit entlassen. Denn das was Strache da in Ibiza zum Besten gegeben hat, ist nicht weniger als das konkrete Anbieten des korumpierten Ausverkaufs von Demokratie und seines Landes.



    Und während die Medien dies mal wieder verharmlosend darstellen werden, wird Strache gleichzeitig schon wieder ein warmes Platzel in der Wirtschaft geschaffen werden.



    Eine solche Abfolge würde deutlich schwerer fallen, würden die Medien stattdessen Strache und seinen Verbündeten auf den Fersen bleiben.



    DAHER: Bleibt dran, Medien! Verfolgt genau an wen sich Strache wendet, wo er Unterschlupf findet, und ächtet mit Euren Mitteln jede Firma, einfach alles und jeden, der mit Strache weiter gemeinsame Sache macht. Und beweist Meuthen, dass es sich eben nicht nur um ein singuläres Ereignis handelt, sondern dass ein solches Verhalten bei den Braunen Methode hat und üblich ist.



    Wenn Ihr Medienschaffenden in Fällen wie diesem wie beschrieben dran bleibt und derartiges publikumswirksam zum Dauerbrennerthema macht, dann spüren diese Bräunlinge endlich auch mal, dass man ihnen auf die Finger schaut und sie bei Entdeckung mit spürbaren Nachteilen zu rechnen haben.



    Dies wäre ein wertvoller Beitrag der Medien zum Kampf gegen den braunen Mob und seine Sympatisanten. Ein wertvoller Beitrag der vierten Gewalt im Staate!!

    • 9G
      91491 (Profil gelöscht)
      @tazeline:

      BRAVO

  • Déjà vu

    Das Besondere der Story ist weniger ihre Substanz und suggerierte Singularität als der Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung - eine Woche vor den Wahlen zum EU-Parlament! Politiker lassen sich vor Wahlen von ausländischen Mächten korrumpieren und den Wahlkampf finanzieren? Na so was aber auch? Das hat‘s ja noch nie gegeben...

    In Frankreich hingegen gehört diese Praxis seit je zum politischen Brauchtum. Sarkozy muß obdessen gar eine Anklage befürchten. Sehr beliebt sind die „Kickback“-Deals oder „Rétrocommissions“, die auf dem Polit-Markt dazugehören wie der Messwein zum Abendmahl. So hat sich in den 90er Jahren der spätere Regierungschef Édouard Balladur von dem post-gaullistischen RPR seine Wahlkampfkasse mit solcherart „Rétrocommissions“ aus einem umstrittenen Fregatten-Export nach Taiwan füllen lassen. - “L‘Affaire des frégates“ (vgl Roland-Pierre Paringaux „Le second scandale des ,frégates de Taïwan‘“, in: Le Monde diplomatique, Nov. 2008).

  • Na der CDU kann der Strache in Sachen Schwarzgeld und Parteispenden nichts Neues zeigen. Die haben dieses Spiel schon auf Weltniveau betrieben als H.C. noch mit der Trommel um den Christbaum gelaufen ist.