Kommentar „FR“ zur Israelwahl: Der ewige Antisemitismus
Eine Überschrift in der „Frankfurter Rundschau“ erinnert an NS-Propaganda. Die Chefredaktion entschuldigt sich – doch das wird der Kritik nicht gerecht.
B enjamin Netanjahu wird auch die neue israelische Regierung bilden und zum fünften Mal Ministerpräsident. Sein Herausforderer Benny Gantz hat seine Niederlage anerkannt. Den einen gefällt das, den anderen nicht. So ist das in einer Demokratie, und in Israel gab es im Gegensatz zu seinen Nachbarländern freie und demokratische Wahlen. Der Frankfurter Rundschau fiel zur Wahl die Schlagzeile „Der ewige Netanjahu“ ein. So wurde ein Leitartikel ihrer langjährigen Israelkorrespondentin Inge Günther betitelt.
Der zuständige Redakteur ließ sich dabei offenbar unbewusst von nationalsozialistischem Vokabular inspirieren. Im antisemitischen Propagandafilm „Der ewige Jude“ werden Juden als gefährliche „Untermenschen“ dargestellt, als parasitär, kultur-, rast- und heimatlos. Die Figur des „ewigen Juden“ ist schon viel älter, erhielt in der Moderne die genannten antisemitischen Züge. Eine Politikredaktion muss das wissen. Jeder abgedruckte Artikel geht durch mehrere Hände, doch niemandem fiel diese offensichtliche Assoziation auf. Die Zeile landete im Blatt und später als Aufmacher auf der FR-Homepage.
Es spielt dabei keine Rolle, ob der Bezug absichtlich hergestellt wurde oder nicht. Die Wurzeln antisemitischen Denkens liegen schließlich oft im Unbewussten. Das muss Journalisten bewusst sein. Eine Verbindung zwischen der Politik Israels und dem Nationalsozialismus herzustellen, ist eine verbreitete Figur des modernen Antisemitismus. Die nationalsozialistische Judenvernichtung wird so trivialisiert und relativiert, der jüdische Staat dämonisiert und delegitimiert.
Die Chefredaktion äußerte sich mittlerweile zur Schlagzeile, die zu „Der unersetzliche Netanjahu“ korrigiert wurde. „Diese Geschichtsvergessenheit bitten wir zu entschuldigen“, heißt es in einer Stellungnahme. „Ganz besonders schwierig ist es, keine kontaminierten Worte zu verwenden, die rassistische, sexistische oder – wie im konkreten Fall – antisemitische Assoziationen wecken, Stereotype bedienen oder gar falsche Inhalte transportieren.“ Was daran so schwierig sein soll, wird nicht erklärt.
Entmenschlichende Bildsprache
Alleine die Schlagzeile zu thematisieren, wird der Kritik ebenfalls nicht gerecht. Denn auch Günther selbst stellt implizite Verbindungen zum Nationalsozialismus her. Netanjahu sei es „mit dem Griff in die alte Trickkiste“ gelungen, von den Bestechungsvorwürfen gegen ihn abzulenken. „Einen kostenfreien Persilschein“ bekomme er dafür von seinen „Partnern von ultrarechts“ nicht. In der Entnazifizierung wurde der Begriff „Persilschein“ für die Entlastung von nationalsozialistischen Straftätern verwendet.
Netanjahus Partei habe „gewaltigen Appetit, sich besetzte Gebiete einzuverleiben“, heißt es in Günthers Kommentar weiter. Zur entmenschlichenden nationalsozialistischen Bildsprache, die Juden als Angst auslösende Heuschreckenplage darstellte, ist es hier auch nicht mehr weit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“