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Scharfe Kritik an der „Jüdischen Stimme“Jury hält an der Verleihung fest

Trotz Antisemitismus-Vorwürfen gegen den Preisträger wird die Verleihung des Friedenspreises stattfinden. Unterstützer hatten sich zurückgezogen.

Nicht länger Austragungsort der Preisverleihung: die Aula der Universität Göttingen Foto: imago/Chromorange

Göttingen taz | Die Verleihung findet statt, am 9. März. Das teilte am Donnerstag Andreas Zumach mit, Korrespondent der taz in Genf und in diesem Jahr der Jury-Vorsitzende des Göttinger Friedenspreises.

Den vergibt seit 1999 die dortige Stiftung Dr. Roland Röhl „an Einzelpersonen oder Personengruppen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeit oder durch herausragenden praktischen Einsatz um den Frieden besonders verdient gemacht haben“. Das waren schon die „Reporter ohne Grenzen“ oder Konstantin Wecker. 2009 erhielt Zumach selbst den Preis.

Als die Jury den diesjährigen Preis der Organisation „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ zuerkannte, hagelte es Kritik. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, diverse örtliche FDP-Politiker*innen, die Jung­liberalen, -sozialisten und -grünen sowie Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, wandten sich gegen die Entscheidung: Die „Jüdische Stimme“, so der Einwand, sei Teil der gegen Israel gerichteten, mithin als antisemitisch zu wertenden Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS). Unterstützung erhielt die Preisträgerin unter anderem von taz-Kolumnist Micha Brumlik.

Göttingens SPD-Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler und Uni-Präsidentin Ulrike Beisiegel – beides Mitglieder des Stftungskuratoriums – zogen ihre Unterstützung zurück, ebenso die örtliche Sparkasse. So standen Stiftung und Jury ohne Räumlichkeiten für die Preisübergabe da. Zumach trug Köhler und Beisiegel eine Podiumsdiskussion zum Thema Antisemitismus und BDS an, wartet aber noch auf eine Reaktion.

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18 Kommentare

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  • Relexe statt Reflexion: Wenn sicher falsch ist, dass Juden an allem schuld sind, heißt das ja nicht, dass sie nicht auch von Juden Verbrechen begangen werden. Um es mal zu radikalisieren: Auch wenn jemand gegen einen jüdischen Staat Israel ist, muss er ja nicht antisemitisch sein. Und wenn denn schon hier weitgehend nicht argumentiert wird: zu den Unterzeichnern des Offenen Briefes gehört auch der ehedem hier so hoch angesehene Alfred Grosser. Vielleicht sollte das doch dazu führen, zu argumentieren: selbst die Jesuiten haben im gelehrten Disput die Gegenargumente stark gemacht. Auch das Existenzrecht eines jüdischen Staates ist kein Dogma.

  • "gegen Israel gerichteten, mithin als



    antisemitisch zu wertenden Kampagne"

    Die automatische Gleichsetzung von "gegen Israel" und "antisemitisch" ist mal so gar nicht hilfreich für die Argumentation.

  • Scheinbar können auch Juden "antisemitisch" sein, wenn sie nicht so ticken, wie sich Israel so vorstellt...

    • @agerwiese:

      Sorry, nicht "scheinbar", denn das bedeutet "Es sieht nur so aus, als ob". Sie meinen "anscheinend", was bedeutet "Es sieht ganz so aus, als ob".

  • Die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ ist eine Vereinigung von „Frauen und Männern jüdischer Herkunft in Deutschland, um sichtbar zu machen, dass wir aus den historischen Erfahrungen unserer Vorfahren um die Entwürdigung und den Schmerz wissen, die Menschen zugefügt werden, wenn sie systematisch ausgegrenzt und entrechtet werden. Es darf sich kein Volk über ein anderes Volk und kein Mensch über einen anderen Menschen erheben. Alle Menschen sind gleich an Rechten geboren.“ (Selbstdarstellung) Wer dieses Credo vor dem Hintergrund der deutschen Zeitgeschichte und ausgerechnet in deutschem Namen als antisemitisch kritisiert, erweist der Verteidigung des Staates Israel nicht nur einen Bärendienst, sondern maßt sich als Nicht-Jude an, in dem innerjüdischen Streit um eine nachhaltig existenzsichernde Araber-Politik Israels einseitig Partei zu ergreifen. Als Deutscher deutschen Juden Antisemitismus vorzuwerfen, ist schon ziemlich dreist und anmaßend, als ob es da nicht genug vor der eigenen Haustür zu kehren gäbe.

    Am anderen Ende der politischen Skala in diesem innerjüdischen Streit stehen solche Bewegungen wie die (in Israel verbotene) theokratische Kach-Partei und seines Abkömmlings Otzma Yehudit. Sie steht in der programmatischen Tradition der dereinst von Rabbi Meir Kahane („ein jüdischer Nazi“ - SPON) gegründeten Jewish Defense League, einer rassistischen, religiös-fundamentalistischen, ultra-nationalistischen vulgo rechtsextremen Bewegung. Zu deren ideologischen Essentials gehören u. a. die Vorstellung einer gottgewollten Superiorität des auserwählten jüdischen Volkes vor allen anderen, das Verbot sexueller Vermischung von Juden und Nicht-Juden, die Expansion Israels auf das gesamte historische „Heilige Land“ und ethnische Vertreibung alle Nicht-Juden aus diesem Gebiet, die Ablehnung des westlichen Liberalismus und der Demokratie als „unjüdisch“, „gottlos“ und „hellenistisch“ usw. Mit Otzma Yehudit ist nunmehr der Likud ein Wahlbündnis eingegangen.

    • @Reinhardt Gutsche:

      Danke für die ausführliche Darstellung.

  • Nur zwei Zitate von Prof. Verleger (Mitglied der Jüdische Stimme für gerechten Frieden e.V.



    Vorsitzender des Bündnis gegen die israelische Besatzung e.V.)

    "Wie Sie wissen, waren meine beiden Eltern und ihre Familien Opfer der NS-Verfolgung. Diesen Brief schreibe ich Ihnen am 54. Todestag meines Vaters ל׳ז ; für ihn waren meine Geschwister und ich Kinder einer neuen Hoffnung. Hoffnung für ihn und für das Judentum – das ist sein Auftrag an mich, und diesem bin ich treu geblieben: Ich möchte ein stolzer Jude sein, der stolz auf sein Judentum sein kann."

    " Wenn wir uns nicht unzweideutig von im Namen des Judentums begangenen Menschrechtsverletzungen distanzieren, dann rücken wir das Judentum in ein Zwielicht und lassen zu, dass es zu einer nationalchauvinistischen Lehre verzerrt wird; das hat selbstverständlich Folgen dafür, wie wir Juden dann von außen wahrgenommen werden."

  • Sorry, aber was ist an dem Unsinn der über die "Jüdische Stimme" in Göttigen verblasen wird, "scharfe Kritik"? Was ist an der Kritik an einer Regierung, die jemanden an der Spitze hat, der wegen Korruption etc. angeklagt werden soll, "antisemitisch"?

    • @reblek:

      "Alle geschichtliche Erfahrung zeigt, dass vergleichbar asymmetrische und



      inhumane Dominanzverhältnisse einen widerständigen Untergrund produzieren"

      D.h. alle Gewalt geht von Israel aus und die Palästinenser sind ausschließlich Opfer, die sich wehren. Eine so pauschal einseitige Parteinahme wird der Komplexität des Problems in keiner Weise gerecht.

  • Seit 2000 Jahren findet jede Generation von Antisemiten ihr Denkweise völlig vernünftig und plausibel.



    Früher habe ich gedacht warum ist das mit den Generationen (besonders mit den deutschen Generationen) nach dem Holocaust genauso. Heute habe ich verstanden, dass ein Ressentiment von Erfahrung und Rationalität unabhängig ist. Es ist ein Zustand des Gemüts ein Zustand der tiefen Denkweise, ein Zustand der Gesamtheit der seelischen Kräfte eines Individuums, das aber als Teil einer kollektiven "Kultur" weitergegeben wird.

    • @Günter:

      Das glaube ich auch. Es kommt nicht aus dem Hirn, sondern aus dem Bauch. Du kannst ihnen tausend Mal erklären und Gegenbeispiele bringen, die Damen und Herren Judenhasser : "Ja, aber trotzdem."

      • @Henriette Bimmelbahn:

        Es kommt aus dem Bauch. Gut gesagt.



        Sicher kennst Du Friedrich Holländer, der schon lange vor dem Holocaust 1931 sein satirisches Lied schrieb:



        www.youtube.com/watch?v=PPznfiB5OJ0



        Hört man das Lied heute, fragt man sich, warum das Lied noch genauso aktuell ist wie vor dem Holocaust. Offenbar hat der Bauch werder Herz noch Verstand.

  • am lustigsten finde ich ja noch immer die örtliche sparkasse. bei wem will die sich denn einschleimen?