Debatte Mit Rechten reden: Nicht naiv Testballons jagen
Was die Gaulands und Salvinis verbreiten, sind keine Entgleisungen, es ist kalkuliert. Sie instrumentalisieren oder bekehren zu wollen ist zwecklos.
N ach dem Motto „Mal schauen, was noch geht“, überschreiten Rechte immer häufiger moralische Grenzen. Sie wollen ausloten, wie weit sie gehen können. „Test marketing“ nennt man das. Wenn es funktioniert, kommt das Produkt auf den Markt. Doch bei Gauland, Trump, Orbán, Salvini, Kaczyński und Konsorten geht es um kein Produkt, sondern um Faschismus.
Natürlich kommt Faschismus heute nicht daher wie in den 1920er Jahren. Die Welt hat sich verändert. Aber Umberto Eco beschreibt 14 Kennzeichen des Faschismus, darunter Traditionskult, Ablehnung der Moderne, Misstrauen gegenüber der Welt des Intellekts, ein geschlossenes Weltbild, die Angst vor Unterschieden, Ausbeutung der individuellen oder sozialen Frustration, massenhaftes Elitebewusstsein und natürlich Nationalismus. Jedes einzelne Kriterium kann laut Eco „zu einem Kristallisationspunkt für den Faschismus werden“.
Die Geschichte hat gelehrt, dass Faschismus keiner Mehrheit bedarf. Es reichen 40 Prozent. Damit kommt man an die Macht und kann sie dann durch Zwangsmaßnahmen konsolidieren. Faschismus tauche in einer existierenden Demokratie nicht über Nacht auf, schreibt der irische Journalist Fintan O’Toole in der Irish Times. Menschen geben ihre Vorstellungen von Freiheit und Anstand nicht leichtfertig auf. Man benötige dafür Versuchsläufe: Faschismus ist ein lebendiges Biest, das sich durch die Trial-and-Error-Methode anpasst. Man geht zwei Schritte vor und einen zurück. So gewöhnt man die Menschen an Dinge, vor denen sie anfangs zurückschrecken, und kann zugleich anhand der Reaktionen seine Taktik justieren und weiterentwickeln.
Niemand versteht von Marketing mehr als US-Präsident Donald Trump. Einer seiner Versuchsballons war die Maßnahme, Flüchtlingskinder von den Eltern zu trennen und sie in Käfige zu sperren. Man darf sich von den Protesten nicht täuschen lassen, das Experiment ist gelungen: Trumps Popularität nahm nicht wirklich Schaden, über 50 Prozent der Republikaner befürworteten diese Barbarei. Wichtiger noch: Trumps Propagandamaschine für „alternative Fakten“ spielte mit. Bei Rupert Murdochs Fox News wurden die weinenden Kinder als „Schauspieler“ diffamiert, die laut Trump die USA wie Ungeziefer „befallen“.
Es ist die alte Taktik, eine Gruppe von Außenseitern zu entmenschlichen und sie als Bedrohung darzustellen. Kaczyński behauptet, Flüchtlinge schleppen Cholera und Parasiten ein. Gauland will unliebsame Menschen „entsorgen“. Sarrazin will dafür sorgen, dass nur diejenigen Kinder bekommen, die „damit fertig werden“. Salvini will „eine kontrollierte ethnische Säuberung“, und er will Roma registrieren lassen. Orbán erklärt, die „Epoche der liberalen Demokratie“ sei zu Ende. Und Großbritanniens immer weiter nach rechts driftende United Kingdom Independence Party (Ukip) hat Mark Meechan aufgenommen, der seinem Hund beigebracht hat, auf den Zuruf „Juden vergasen“ den Hitlergruß zu zeigen. Ganz zu schweigen vom Verbaldurchfall eines Björn Höcke und Steve Bannon.
Das alles hat nichts mit Verrohung der Sprache zu tun, wie der Politologe Hajo Funke meint. Es sind keine Entgleisungen, sondern kalkulierte Testballons. Wenn die Proteste dagegen verklungen sind, kann man nachlegen. Das braune Fußvolk, mit dem man offiziell nichts zu tun haben will, erledigt die Drecksarbeit, etwa in Chemnitz.
Und mit solchen Leuten soll man reden? Es ist naiv zu glauben, dass man sie bekehren oder gar instrumentalisieren könne. Eine Parallele zumindest gibt es zu den 1920er und 1930er Jahren: Die Konservativen waren die Steigbügelhalter für die Faschisten.
Als Mussolini in einem Schlafwagen von Mailand anreiste, übergab ihm Viktor Emanuel III. widerstandslos die Regierung. Und Hindenburg sowie die alte Garde der Konservativen luden Hitler in die Regierung ein, weil sie glaubten, sie könnten ihn als Marionette benutzen.
Ein Übriges taten lange die Talkshows
Heutzutage verharmlosen Politiker wie etwa Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer oder Innenminister Horst Seehofer die braunen Horden. Faschismus lauert unter der Oberfläche jeder Gesellschaft. Opportunistische Politiker helfen dabei, dass er an die Oberfläche dringt.
Ein Übriges taten lange die Maybrit Plasbergs bis Sandra Wills, sie luden AfD-Rechtsaußen ein und setzten deren Themen auf die Tagesordnung, weil das vermeintlich die Einschaltquoten erhöht. Man muss aber nicht an jeder Mülltonne schnuppern, um zu wissen, dass sie stinkt.
Die „Gruppe 43“ hatte eine andere Taktik. Das waren 43 Männer, darunter der jüdische Friseur Vidal Sassoon, die ab 1946 gegen Oswald Mosleys Faschisten im Londoner East End vorgingen. Sie verprügelten Mosleys Leute, wann immer die öffentlich auftraten. Die Gruppe erhielt ständigen Zulauf, am Ende waren es 900 Mitglieder. Nach vier Jahren löste man sich auf, die Faschisten waren von der Straße vertrieben, Mosley hatte sich vorerst zur Ruhe gesetzt.
Ende der Fünfziger meldete er sich wieder zu Wort, diesmal aus Brixton und Notting Hill, wo er nun gegen dunkelhäutige Einwanderer mobil machen wollte. Prompt entstand Anfang der sechziger Jahre die „62 Group“ mit vielen bekannten Gesichtern aus der „Gruppe 43“ und bot ihm Paroli. „Heute ist es viel schlimmer“, sagte ein Mitglied beim Jubiläumstreffen 1990, „heute bräuchte man zwei 43 Groups.“
Den gemeinsamen Feind gibt es nicht mehr
Dabei waren die Rechtspopulisten damals noch kein großes Problem. Die Sowjetunion diente während des Kalten Krieges als gemeinsames Feindbild, die westlichen Regierungen bescherten der unteren Mittelschicht akzeptable Lebensbedingungen, der Neoliberalismus hatte noch ein einigermaßen menschliches Antlitz. Nach 1989 und besonders nach der globalen Finanzkrise war alles anders. Heutzutage bräuchte man sehr viele „Gruppen 43“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Felix Banaszak über das Linkssein
„Für solche plumpen Spiele fehlt mir die Langeweile“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Nach Ausschluss von der ILGA World
Ein sicherer Raum weniger
Menschenrechtslage im Iran
Forderung nach Abschiebestopp