Sahra Wagenknecht zu #unteilbar: Aufstehen bleibt lieber sitzen
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht äußert sich kritisch zur #unteilbar-Demo, während ihre Partei den Protest unterstützt. Ein gewagter Spagat.
Sie fände es zwar richtig, dass viele Menschen gegen Rassismus und die Rechtsentwicklung auf die Straße gingen, gleichzeitig kritisierte Wagenknecht aber den Aufruf des Bündnisses: Weil in der Tendenz die Position „Offene Grenzen für alle“ als die bestimmende Position dargestellt werde. „Wenn wir über offene Grenzen für alle reden, dann ist das eine Forderung, die die meisten Menschen als irreal und völlig weltfremd empfinden, und sie haben recht damit“, bekräftigte Wagenknecht am Ende der Veranstaltung.
Nun werben die InitiatorInnen der #unteilbar-Demonstration nicht explizit für offene Grenzen, sondern für eine offene und solidarische Gesellschaft. Wörtlich heißt es in ihrem Aufruf: „Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein, in der Menschenrechte unteilbar, in der vielfältige und selbstbestimmte Lebensentwürfe selbstverständlich sind.“ Bisher galt ein solcher Satz innerhalb der Linken nicht als strittig.
Doch pikant ist an Wagenknechts Äußerungen nicht nur die Auslegung des Aufrufs, sondern auch ihre Rolle auf der Bühne: Eingeladen hatte sie nämlich die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, bezahlt wurde die Veranstaltung von der Linksfraktion. Die Fraktion aber unterstützt offiziell die Großdemonstration. In einem Fraktionsbeschluss vom 10. September heißt es: „Wir rufen auf zur Großdemonstration #unteilbar in Berlin am 13.10.“
Zwist in der Fraktion
Welche Sahra Wagenknecht saß da also am Dienstag auf dem Podium – die Repräsentantin von „Aufstehen“ oder die Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag? Über diese Frage diskutieren die GenossInnen nicht erst seit Dienstag und zunehmend werden auch Zweifel laut, ob Sahra Wagenknecht beide Rollen miteinander vereinbaren kann.
„Ich erwarte, dass die Fraktionsvorsitzende auf einer von der Fraktion bezahlten Veranstaltung auch für die Fraktion spricht“, meint der Abgeordnete Niema Movassat gegenüber der taz. Es sei schwierig für Partei und Fraktion, dass Wagenknecht sich mal in der einen, mal in der anderen Rolle äußere.
Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion Stefan Liebich äußerte per Twitter ebenfalls Unverständnis: „Dass @SWagenknecht und #aufstehen sich nicht an der Demonstration beteiligen wollen, halte ich für einen großen Fehler“, schreibt Liebich.
Auch die beiden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger, schickten am Mittwoch rasch noch einmal eine Erklärung über die Presseverteiler, in der sie ihre Unterstützung für die Demo bekräftigen. Das gehe zurück auf einen Beschluss des Vorstands zurück, erklärte Parteisprecherin Sonja Giese auf Nachfrage. „Der Parteivorstand geht davon aus, dass gewählte Spitzenvertreter auf dem Boden des Programms argumentieren“, so Giese.
Im Programm der Linkspartei findet sich auch die Formulierung „offene Grenzen.“ Wagenknecht hatte bereits häufiger deutlicher gemacht, dass sie von dieser Formulierung wenig hält.
Der Ko-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Dietmar Bartsch wirbt dagegen in einem Video auf der Fraktionsseite für Unteilbar. Er werde aus tiefer Überzeugung zur der Demo gehen, teilte er der taz mit. Dass Sahra Wagenknecht nicht komme sei für ihn aber „kein Problem.“
Das sieht der Parteivorstand offenbar anders. Die 44 Vorstandsmitglieder haben Sahra Wagenknecht eingeladen zu einer ihrer nächsten Sitzungen. Dabei solle auch ihre Rollenverteilung zwischen „Aufstehen“ und der Fraktion zur Sprache kommen. Nach einem Termin nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen werde noch gesucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren